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Rübezahl und die Mutter

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Einst begegnete dem Geiste eine Frau, die seine Aufmerksamkeit erregte. Sie hatte ein Kind auf dem Arme, eins auf dem Rücken und ein drittes leitete sie an ihrer Hand. Ein etwas größerer Knabe trug einen Korb und einen Rechen, denn sie wollte Laub für ihr Vieh sammeln. „Eine Mutter“, sagte Rübezahl zu sich selber, „ist doch ein gutes Geschöpf, schleppt sich da mit vier Kindern und tut ihren Beruf ohne Murren!“ Diese Betrachtung setzte ihn in gute Laune, und er fühlte sich geneigt, sich in eine Unterhaltung einzulassen. Die Frau hatte indes ihre Kleinen auf den Rasen gesetzt und streifte nun das Laub von den Bäumen. Die Kinder störten sie jedoch oft genug bei ihrer Arbeit. Sie fingen an, ungeduldig zu werden, zu schreien und zu weinen und die Frau hatte genug zu tun, sie zu beruhigen. Sie spielte und tändelte mit ihnen, nahm sie auf den Arm und wiegte sie in den Schlaf oder suchte Erdbeeren und Himbeeren für sie in den Büschen. Der Schreier, der vorher auf der Mutter Rücken geritten war, wollte aber nicht stille werden.

Da riß der Mutter die Geduld endlich, und sie rief: „Komm, Rübezahl, und friß mir den Schreihals!“ Alsbald stand Rübezahl in der Gestalt eines rußigen Köhlers vor ihm und sprach: „Hier bin ich.“ Die Frau zitterte vor Schrecken, doch sagte sie: „Ich bedarf deiner nicht mehr, die Kinder sind jetzt ruhig.“
Rübezahl antwortete: „Weiß du nicht, daß man mich nicht ungestraft ruft? Gleich gib mir den Schreier, daß ich ihn fresse!“ Damit streckte er die Hand nach dem Jungen aus – aber wie eine Gluckhenne, die ihre Jungen verteidigt, stürzte sich die Frau auf Rübezahl und faßte ihn beim Barte. „Das Herz“, rief sie, „mußt du mir aus dem Leibe reißen, ehe du mir mein Kind raubst!“ Rübezahl lächelte unter dem kühnen Angriff und sprach: „Nun, nun, beruhige dich, ich bin kein Menschenfresser. Laß mir aber den Knaben; ich will ihn halten, wie einen Junker und einen tüchtigen Kerl aus ihm ziehen. Fordere tausend Dukaten, und ich zahle sie dir!“ Die Frau lachte: „Nicht um alle Schätze in der Welt sind mir meine Kinder feil.“ „Törin“, versetzte Rübezahl, „hast du nicht noch drei, die dir Last genug machen? Mußt du dich nicht mit ihnen placken und kümmerlich ernähren?“ – „Wohl war“, antwortete die Frau, „aber ich muß tun, was meines Berufes ist. Kinder machen Last, aber auch Freude.“

Als Rübezahl sah, daß sein Drängen vergeblich sei, fragte er die Frau weiter aus, hörte, daß ihr Mann Steffen ein Glashändler sei, der eben Glas aus Böhmen hole und in seinem Korb über die Berge bringe; er sei ein guter Mensch, der sie aber nicht immer gut behandle, und gewaltig geizig. Damit tat die Frau ihr Laub in den Korb und ging davon. Je weiter sie aber kam, umso schwerer ward der Korb. Sie meinte, Rübezahl habe ihr einen Possen gespielt. Sie untersuchte den Korb, fand aber nur Laub. Die Hälfte mußte sie nun ausschütten, weil sie den Korb nicht weiterschleppen konnte. Zu Hause warf sie das Laub den Ziegen vor und ging fröhlich schlafen. Wie groß aber war ihr Schrecken und ihr Schmerz, als sie am andern Morgen die Ziegen melken wollte und sie tot im Stalle fand. Trostlos saß sie da und weinte. Da sah sie plötzlich ein Blättlein das wie Gold schimmerte; und als sie nachsah, fand sich, daß alles Laub zu Gold geworden war.
Und als sie die Ziegen schlachtete, fanden sich in deren Magen große Goldklumpen.

Rübezahl hatte sich indessen vorgenommen, dem Manne, weil er so geizig war, einen Streich zu spielen. Er ging ihm entgegen und traf ihn auf der Höhe, als er sich gerade niedergesetzt und seinen Glaskorb neben sich auf einen Baumstumpf gestellt hatte. Da erhob Rübezahl plötzlich einen argen Wirbelwind und warf den Korb um, daß alles Glas in Scherben am Boden lag. Als ein geschlagener Mann machte er sich nun auf den Heimweg. Was sollte er anfangen, um seinen Handel wieder in Gang zu bringen. Da fielen ihm die Ziegen ein, aus deren Verkauf war ein Stück Geld zu lösen. Würde ihm sein Weib aber erlauben, sie zu verhandeln, die sie zur Ernährung ihrer Kinder brauchte?

„Ach was“, sagte Steffen zu sich, „sie mögen Wasser trinken. Ich will die Ziegen in der Nacht stehlen, dann kann die Frau nicht schelten und sich widersetzen, und ich kann ihr noch Vorwürfe machen, daß sie das Vieh nicht besser gehütet hat.“ Gesagt, getan. Er wartete, bis es Nacht war, kletterte über den Zaun und fand den Stall offen, drinnen aber zu seinem Schrecken alles öde und leer. Er wagte es nicht, seine Frau aus dem Schlafe zu wecken, und legte sich in dumpfer Trauer auf die Streu im Stalle. Am Morgen trat er kleinmütig in die Stube, ein Bild des Jammers. Als die Frau hörte, was ihm widerfahren, lächelte sie über den Schabernack, den ihm Rübezahl angetan. Lange konnte sie aber seinen Kummer nicht mit ansehen, sondern entdeckte ihm bald, wie sie durch den Berggeist zu wohlhabenden Menschen geworden seien.

Schlesische Volkssage

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