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(1)
Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter und einen Sohn. Nun wurde der König einmal so krank, daß er sterben mußte, und als er fühlte, daß er dem Tode nahe war, ließ er seinen Sohn vor sich kommen, und sprach zu ihm: »Lieber Sohn, ich muß nun sterben, und du wirst nach mir König sein. Ich empfehle dir deine drei Schwestern; sorge für sie, bis sie sich verheirathen. Du mußt sie aber nicht nach deinem oder ihrem Gutdünken verheirathen, sondern wenn Eine von ihnen Lust dazu zeigt, so pflücke von dem schönen Rosenstrauch auf der Terrasse eine Rose, und wirf sie auf die Straße. Derjenige, der die Rose aufhebt, soll dann ihr Gemahl sein.« Als der König diese Worte gesprochen hatte, starb er, und sein Sohn wurde König.
Nach einiger Zeit kam nun seine älteste Schwester zu ihm, und sprach: »Lieber Bruder, ich wünsche mich zu verheirathen, suche einen Mann für mich aus.« »Weißt du auch, was mir unser Vater auf seinem Sterbebette befohlen hat?« sprach der König, und erzählte seiner Schwester, was der Vater gesagt hatte. Da wurde sie zornig und sprach: »War denn unser Vater närrisch? Wie? Ich sollte jeden Beliebigen heirathen müssen, dem es einfällt, die Rose aufzuheben? Lieber heirathe ich gar nicht.« »Thu, wie du willst,« sprach er, »ich kann dir nicht helfen, denn dies ist unseres Vaters letzter Wille gewesen.«
Als aber noch einige Monate verflossen waren, wurde der Königstochter die Zeit lang, und sie trat wieder vor ihren Bruder, und sprach: »Wenn es denn nicht anders sein kann, so will ich nach dem Willen unseres Vaters thun.«
Also pflückte der König eine Rose von dem Rosenstrauch auf der Terrasse, warf sie auf die Straße, und befahl einem Soldaten, Wache zu halten, und den Ersten, der die Rose aufheben würde, in den Palast zu schicken.
Als der Soldat eine Weile neben der Rose gestanden hatte, kam ein Fürst vorbei, und da er die schöne Rose am Boden liegen sah, hob er sie auf und sprach: »Ach, die schöne Rose!« »Edler Herr,« sprach die Schildwache, »der König wünscht euch zu sprechen.« Da kam der Fürst vor den König, der frug ihn: »Habt ihr die Rose aufgehoben, die auf der Straße lag?« »Jawohl, königliche Majestät!« »So müsset ihr auch meine älteste Schwester heirathen.« »Königliche Majestät!« sagte der Fürst ganz erschrocken, »das kann ja nicht sein! Der Königstochter gebührt es, einen Königssohn zu heirathen, und ich bin nur ein Fürst. Wie kann mir diese Ehre werden.« »Hier ist von keiner Ehre die Rede,« antwortete der König, »sondern es ist nun einmal nothwendig, daß meine Schwester eure Gemahlin werde.« Also heirathete die Königstochter den Fürsten, und dachte: »Ist es auch kein Prinz, so bin ich doch froh, daß es nicht schlimmer geworden ist.«
Nach einiger Zeit trat auch die zweite Königstochter vor ihren Bruder und sprach. »Lieber Bruder, ich bin nun im Alter, mich zu verheirathen, suche mir einen Mann aus.« Da antwortete der König: »Weißt du aber auch, was mir mein Vater auf seinem Todtenbette befohlen hat? Wenn du dich verheirathen willst, so mußt du dich in diese Bedingung ergeben.« »Wenn es nicht anders sein kann, so will ich den Willen unseres Vaters thun,« sprach die Königstochter. Da pflückte der König eine Rose und warf sie auf die Straße, und ein Soldat mußte daneben Wache stehen.
Eine lange Zeit ging Niemand vorbei. Endlich kam ein Herr die Straße entlang, und da er die schöne Rose am Boden liegen sah, hob er sie auf und roch daran. Da trat der Soldat auf ihn zu, und sagte ihm, der König wünsche ihn zu sprechen: »Habt ihr die Rose aufgenommen?« frug ihn der König, als der Herr vor ihn trat. »Jawohl, königliche Majestät!« »Nun denn, so müßt ihr meine Schwester zu eurer Gemahlin nehmen.« »Ach, königliche Majestät!« rief der Herr, »das kann ja nicht sein. Der Königstochter gebührt ein Herrscher zum Gemahl, und ich bin nur ein schlechter Unterthan.« »Ich kann euch nicht helfen,« sprach der König, »meine Schwester muß eben eure Gemahlin werden.« Also wurde die Hochzeit gefeiert, und nun war nur noch die Jüngste übrig; die aber sprach: »Meine älteste Schwester hat einen Fürsten zum Mann bekommen, meine zweite Schwester aber nur einen reichen Herrn. Wer weiß, was mir beschieden ist! darum will ich lieber gar nicht heirathen.« Also blieb sie bei ihrem Bruder.
Nun begab es sich aber, daß der König selbst eine junge Frau nahm, und das weiß man ja: kommt einmal eine Schwägerin ins Haus, so beginnt für die Schwester ein ganz anderes Leben. So ging es auch der Jüngsten. Nachdem sie Herrscherin im Hause gewesen, mußte sie sich nun ihrer Schwägerin unterordnen, und so kam es denn, daß sie endlich vor ihren Bruder trat, und ihm sagte: »Lieber Bruder, wenn es denn nicht anders sein kann, so will ich meines Vaters Willen thun.« »Nimm du selbst die Rose,« sprach der König, »und wirf sie auf die Straße.« Da pflückte die Königstochter die Rose und warf sie auf die Straße, und ein Soldat mußte daneben Wache stehen.
Den ganzen Tag über ging fast Niemand vorbei, endlich, als es schon beinahe Abend war, kam ein Wasserträger des Weges daher, mit seinem Stock und seinem Wasserfaß. Der Wasserträger war schmutzig, und häßlich wie die Nacht, und seine Beine waren mit Blättern und Lappen eingebunden. Als der die schöne Rose liegen sah, hob er sie auf, und roch daran. Der Soldat erschrak und dachte: »Wie kann die Königstochter diesen schrecklichen Menschen heirathen!« Weil aber der König ihm strengen Befehl gegeben hatte, so konnte er den Wasserträger nicht weiter gehen lassen, sondern mußte ihn vor den König führen. »Hast du die Rose aufgehoben?« frug ihn der König. »Jawohl, königliche Majestät.« »So mußt du jetzt auch meine Schwester heirathen.« »O, königliche Majestät!« rief der Wasserträger, »ihr wollet mit mir scherzen! Seht ihr denn nicht, wie schmutzig ich bin, und wie meine Beine so krank sind?« Dem König war es wohl traurig zu Muthe, und die Königstochter weinte und jammerte über ihr Mißgeschick, aber es half Alles nichts, sie mußte den schmutzigen, garstigen Wasserträger heirathen. »Aussteuer will ich keine,« brummte er, »was soll ich in meinen Bergen damit machen?«
Also nahm er seine Frau mit sich und führte sie in die Berge, in eine armselige kleine Strohhütte, in der wohnte ein steinaltes, häßliches Weib. »Siehst du, das ist unsre Wohnung, und das ist meine Mutter,« sprach er zu der armen Königstochter. Da mußte sie in der kleinen Hütte wohnen, und die Mutter nahm ihr die schönen Gewänder weg und gab ihr dafür ein wollenes Röckchen, das mußte sie tragen, und mußte kochen und waschen wie eine niedrige Magd, und wenn Abends ihr Mann nach Hause kam, mußte sie ihm auch noch die Beine verbinden. Seine Mutter aber nannte ihn Pezze e fogghi.1
So verging eine lange Zeit, und die arme Königstochter weinte sich fast die Augen aus. Pezze e fogghi aber liebte sie wie seine Augen, und wenn er sie so weinen sah, that ihm das Herz weh.
Nun hatte eines Abends die Königstochter wieder so bitterlich geweint, und in der Nacht träumte sie, sie sei in einem wunderschönen Schlosse, und viele schöngekleidete Lakaien dienten ihr, und führten sie in einem goldnen Wagen, mit sechs herrlichen Pferden bespannt, zu ihrem Bruder. Als sie nun am Morgen erwachte, erzählte sie ihrem Manne ihren Traum, der lachte aber darüber und sprach: »Das sind eben Träume, wie kämest du in ein reiches Schloß?« Da weinte sie wieder den ganzen Tag, und am Abend schlief sie unter Weinen ein.
Als sie aber am Morgen erwachte, sah sie sich in einem wunderschönen Schloß, wie der Traum es ihr gezeigt hatte. Sie lag in einem reichen Bette, und viele Dienerinnen waren um sie her, und halfen ihr, sich mit wohlriechendem Wasser zu waschen, und legten ihr königliche Kleider an. Dann ging sie in ein anderes Zimmer, darinnen standen viele Lakaien, die trugen ihr Frühstück auf und frugen: »Was befehlen eure königliche Hoheit?« »Einen Wagen,« antwortete sie, »denn ich will zu meinem Bruder fahren.« »Der Wagen ist bereit,« sprachen die Diener, und als sie die Treppe hinunterging, stand da ein goldner Wagen mit sechs schönen Pferden bespannt, in den setzte sie sich, und fuhr zu ihrem Bruder. Der junge König stand eben am Fenster, und da er den schönen Wagen sah, dachte er: »Wer kommt denn da wohl angefahren in einem so schönen, goldnen Wagen?« Als er aber seine Schwester erkannte, lief er ihr voll Freude und Verwunderung entgegen, und frug sie: »Liebe Schwester, bist du es? Wie kommst du denn zu dieser Pracht? und wo ist dein Mann?« »Wo mein Mann ist, weiß ich nicht,« antwortete die Königstochter, und erzählte ihm nun, wie es ihr ergangen. »Nun bin ich gekommen, dich und meine Schwestern abzuholen,« fuhr sie fort, »denn heute sollt ihr Alle bei mir essen.« Da setzte sich der König in seinen Wagen, nebst seiner Frau, seinen Schwestern und deren Männern, und Alle zusammen fuhren mit großem Gefolge nach dem Schlosse der Königstochter. Dort fanden sie einen schöngedeckten Tisch, setzten sich, und aßen und tranken nach Herzenslust. Als nun die Mahlzeit schon zu Ende ging, hob einer der Gäste von ungefähr seine Augen auf, und sah oben in der Decke ein großes Loch, und darin saß Pezze e fogghi, und schaute lächelnd auf die Gesellschaft herab. »Ei! da ist ja Pezze e fogghi!« rief er. »Bardautz!« fiel das ganze Schloß zusammen und verschwand; der König und sein Gefolge befanden sich wieder zu Haus, und die jüngste Königstochter saß in ihrem wollenen Röckchen auf dem Berge in ihrer Strohhütte. Als nun Pezze e fogghi nach Hause kam, klagte sie ihm ihr Leid, er aber lachte und sagte: »Ach was, du träumest eben sogar am hellen Tag, das ist nur dein Traum von voriger Nacht, der dir so lebhaft im Gedächtniß geblieben ist.«
Nun vergingen wieder einige Tage, da weinte eines Abends die arme Königstochter wieder so viel, und als sie einschlief, träumte ihr abermals, sie sei in einem wunderschönen Schlosse, ganz derselbe Traum, wie das erstemal. Als sie aber am Morgen ihrem Mann den Traum erzählte, lachte er sie aus und sprach: »Was hast du denn nur immer für Träume?« Da weinte sie den ganzen Tag und schlief mit Weinen ein und am Morgen erwachte sie wieder im schönen Schlosse, und die Dienerinnen standen um sie her. Da ging es denn gerade so wie das erstemal. Sie legte königliche Kleider an, fuhr zu ihrem Bruder und lud ihn mit seinem Gefolge auf ihr Schloß, um bei ihr zu essen. Gegen das Ende der Mahlzeit aber schaute wieder einer zufällig aufwärts, und da er oben an der Decke ein Loch erblickte, und darin den Wasserträger, rief er ganz laut: »Ach seht! da ist ja Pezze e fogghi!« »Bardautz!« fiel das Schloß zusammen; der König und sein Gefolge wurden in das königliche Schloß versetzt, die arme Königstochter aber saß wieder in ihrer Hütte auf dem Berge, und trug ihr schlechtes wollenes Röckchen. Als nun ihr Mann nach Hause kam, klagte sie und sprach: »Nun sieh, jetzt ist es mir zum zweitenmal so und so ergangen. Gewiß bist du schuld daran.« Er aber lachte sie aus und sprach: »Ach was, du träumest eben bei Tag und bei Nacht.«
So verging abermals ein Monat. Da weinte die Königstochter eines Abends wieder so bitterlich, und da sie einschlief, träumte sie denselben Traum zum drittenmal. Am Morgen erzählte sie es ihrem Mann, der aber lachte nur darüber. Da weinte sie den ganzen Tag und schlief mit Weinen ein, und siehe da, am Morgen erwachte sie wieder im schönen Schloß. »Jetzt weiß ich aber, was ich thu,« dachte sie, »ehe ich meinen Bruder einlade, mache ich es ihm zur Bedingung, daß Keiner den Namen meines Mannes aussprechen darf.« Da fuhr sie in ihrem goldnen Wagen zu ihrem Bruder und lud ihn ein, bei ihr zu essen. »Aber unter einer Bedingung,« sagte sie, »im Schlosse darf Keiner den Namen meines Mannes aussprechen.« »Gut,« sprach der Bruder, und Alle fuhren in das Schloß, wo wieder ein schöngedeckter Tisch bereit stand. Da setzten sie sich und aßen, und gegen das Ende der Mahlzeit that sich wieder die Decke auf, und Pezze e fogghi saß oben, und schaute auf die Gesellschaft herab, aber Keiner rief: »Da oben sitzt Pezze e fogghi!« Und als Alle fertig gegessen hatten, kam Pezze e fogghi herab, und saß in der Mitte des Zimmers auf einem schönen Thron, und war nicht mehr ein schmutziger Wasserträger, sondern ein schöner Jüngling in königlichen Kleidern. Denn Pezze e fogghi war der Sohn des Königs von Spanien, und war von einem bösen Zauberer verwunschen worden, und nun hatte ihn die schöne Königstochter erlöst. Da wurden drei Tage Festlichkeiten gehalten, und der Königssohn fuhr mit seiner schönen Gemahlin nach Spanien. Als sie aber fort waren, verschwand das Schloß und ward nicht mehr gesehen. Der Königssohn und die Königstochter aber fuhren vergnügt nach Spanien, und wir sind hier sitzen geblieben.
Nach einiger Zeit kam nun seine älteste Schwester zu ihm, und sprach: »Lieber Bruder, ich wünsche mich zu verheirathen, suche einen Mann für mich aus.« »Weißt du auch, was mir unser Vater auf seinem Sterbebette befohlen hat?« sprach der König, und erzählte seiner Schwester, was der Vater gesagt hatte. Da wurde sie zornig und sprach: »War denn unser Vater närrisch? Wie? Ich sollte jeden Beliebigen heirathen müssen, dem es einfällt, die Rose aufzuheben? Lieber heirathe ich gar nicht.« »Thu, wie du willst,« sprach er, »ich kann dir nicht helfen, denn dies ist unseres Vaters letzter Wille gewesen.«
Als aber noch einige Monate verflossen waren, wurde der Königstochter die Zeit lang, und sie trat wieder vor ihren Bruder, und sprach: »Wenn es denn nicht anders sein kann, so will ich nach dem Willen unseres Vaters thun.«
Also pflückte der König eine Rose von dem Rosenstrauch auf der Terrasse, warf sie auf die Straße, und befahl einem Soldaten, Wache zu halten, und den Ersten, der die Rose aufheben würde, in den Palast zu schicken.
Als der Soldat eine Weile neben der Rose gestanden hatte, kam ein Fürst vorbei, und da er die schöne Rose am Boden liegen sah, hob er sie auf und sprach: »Ach, die schöne Rose!« »Edler Herr,« sprach die Schildwache, »der König wünscht euch zu sprechen.« Da kam der Fürst vor den König, der frug ihn: »Habt ihr die Rose aufgehoben, die auf der Straße lag?« »Jawohl, königliche Majestät!« »So müsset ihr auch meine älteste Schwester heirathen.« »Königliche Majestät!« sagte der Fürst ganz erschrocken, »das kann ja nicht sein! Der Königstochter gebührt es, einen Königssohn zu heirathen, und ich bin nur ein Fürst. Wie kann mir diese Ehre werden.« »Hier ist von keiner Ehre die Rede,« antwortete der König, »sondern es ist nun einmal nothwendig, daß meine Schwester eure Gemahlin werde.« Also heirathete die Königstochter den Fürsten, und dachte: »Ist es auch kein Prinz, so bin ich doch froh, daß es nicht schlimmer geworden ist.«
Nach einiger Zeit trat auch die zweite Königstochter vor ihren Bruder und sprach. »Lieber Bruder, ich bin nun im Alter, mich zu verheirathen, suche mir einen Mann aus.« Da antwortete der König: »Weißt du aber auch, was mir mein Vater auf seinem Todtenbette befohlen hat? Wenn du dich verheirathen willst, so mußt du dich in diese Bedingung ergeben.« »Wenn es nicht anders sein kann, so will ich den Willen unseres Vaters thun,« sprach die Königstochter. Da pflückte der König eine Rose und warf sie auf die Straße, und ein Soldat mußte daneben Wache stehen.
Eine lange Zeit ging Niemand vorbei. Endlich kam ein Herr die Straße entlang, und da er die schöne Rose am Boden liegen sah, hob er sie auf und roch daran. Da trat der Soldat auf ihn zu, und sagte ihm, der König wünsche ihn zu sprechen: »Habt ihr die Rose aufgenommen?« frug ihn der König, als der Herr vor ihn trat. »Jawohl, königliche Majestät!« »Nun denn, so müßt ihr meine Schwester zu eurer Gemahlin nehmen.« »Ach, königliche Majestät!« rief der Herr, »das kann ja nicht sein. Der Königstochter gebührt ein Herrscher zum Gemahl, und ich bin nur ein schlechter Unterthan.« »Ich kann euch nicht helfen,« sprach der König, »meine Schwester muß eben eure Gemahlin werden.« Also wurde die Hochzeit gefeiert, und nun war nur noch die Jüngste übrig; die aber sprach: »Meine älteste Schwester hat einen Fürsten zum Mann bekommen, meine zweite Schwester aber nur einen reichen Herrn. Wer weiß, was mir beschieden ist! darum will ich lieber gar nicht heirathen.« Also blieb sie bei ihrem Bruder.
Nun begab es sich aber, daß der König selbst eine junge Frau nahm, und das weiß man ja: kommt einmal eine Schwägerin ins Haus, so beginnt für die Schwester ein ganz anderes Leben. So ging es auch der Jüngsten. Nachdem sie Herrscherin im Hause gewesen, mußte sie sich nun ihrer Schwägerin unterordnen, und so kam es denn, daß sie endlich vor ihren Bruder trat, und ihm sagte: »Lieber Bruder, wenn es denn nicht anders sein kann, so will ich meines Vaters Willen thun.« »Nimm du selbst die Rose,« sprach der König, »und wirf sie auf die Straße.« Da pflückte die Königstochter die Rose und warf sie auf die Straße, und ein Soldat mußte daneben Wache stehen.
Den ganzen Tag über ging fast Niemand vorbei, endlich, als es schon beinahe Abend war, kam ein Wasserträger des Weges daher, mit seinem Stock und seinem Wasserfaß. Der Wasserträger war schmutzig, und häßlich wie die Nacht, und seine Beine waren mit Blättern und Lappen eingebunden. Als der die schöne Rose liegen sah, hob er sie auf, und roch daran. Der Soldat erschrak und dachte: »Wie kann die Königstochter diesen schrecklichen Menschen heirathen!« Weil aber der König ihm strengen Befehl gegeben hatte, so konnte er den Wasserträger nicht weiter gehen lassen, sondern mußte ihn vor den König führen. »Hast du die Rose aufgehoben?« frug ihn der König. »Jawohl, königliche Majestät.« »So mußt du jetzt auch meine Schwester heirathen.« »O, königliche Majestät!« rief der Wasserträger, »ihr wollet mit mir scherzen! Seht ihr denn nicht, wie schmutzig ich bin, und wie meine Beine so krank sind?« Dem König war es wohl traurig zu Muthe, und die Königstochter weinte und jammerte über ihr Mißgeschick, aber es half Alles nichts, sie mußte den schmutzigen, garstigen Wasserträger heirathen. »Aussteuer will ich keine,« brummte er, »was soll ich in meinen Bergen damit machen?«
Also nahm er seine Frau mit sich und führte sie in die Berge, in eine armselige kleine Strohhütte, in der wohnte ein steinaltes, häßliches Weib. »Siehst du, das ist unsre Wohnung, und das ist meine Mutter,« sprach er zu der armen Königstochter. Da mußte sie in der kleinen Hütte wohnen, und die Mutter nahm ihr die schönen Gewänder weg und gab ihr dafür ein wollenes Röckchen, das mußte sie tragen, und mußte kochen und waschen wie eine niedrige Magd, und wenn Abends ihr Mann nach Hause kam, mußte sie ihm auch noch die Beine verbinden. Seine Mutter aber nannte ihn Pezze e fogghi.1
So verging eine lange Zeit, und die arme Königstochter weinte sich fast die Augen aus. Pezze e fogghi aber liebte sie wie seine Augen, und wenn er sie so weinen sah, that ihm das Herz weh.
Nun hatte eines Abends die Königstochter wieder so bitterlich geweint, und in der Nacht träumte sie, sie sei in einem wunderschönen Schlosse, und viele schöngekleidete Lakaien dienten ihr, und führten sie in einem goldnen Wagen, mit sechs herrlichen Pferden bespannt, zu ihrem Bruder. Als sie nun am Morgen erwachte, erzählte sie ihrem Manne ihren Traum, der lachte aber darüber und sprach: »Das sind eben Träume, wie kämest du in ein reiches Schloß?« Da weinte sie wieder den ganzen Tag, und am Abend schlief sie unter Weinen ein.
Als sie aber am Morgen erwachte, sah sie sich in einem wunderschönen Schloß, wie der Traum es ihr gezeigt hatte. Sie lag in einem reichen Bette, und viele Dienerinnen waren um sie her, und halfen ihr, sich mit wohlriechendem Wasser zu waschen, und legten ihr königliche Kleider an. Dann ging sie in ein anderes Zimmer, darinnen standen viele Lakaien, die trugen ihr Frühstück auf und frugen: »Was befehlen eure königliche Hoheit?« »Einen Wagen,« antwortete sie, »denn ich will zu meinem Bruder fahren.« »Der Wagen ist bereit,« sprachen die Diener, und als sie die Treppe hinunterging, stand da ein goldner Wagen mit sechs schönen Pferden bespannt, in den setzte sie sich, und fuhr zu ihrem Bruder. Der junge König stand eben am Fenster, und da er den schönen Wagen sah, dachte er: »Wer kommt denn da wohl angefahren in einem so schönen, goldnen Wagen?« Als er aber seine Schwester erkannte, lief er ihr voll Freude und Verwunderung entgegen, und frug sie: »Liebe Schwester, bist du es? Wie kommst du denn zu dieser Pracht? und wo ist dein Mann?« »Wo mein Mann ist, weiß ich nicht,« antwortete die Königstochter, und erzählte ihm nun, wie es ihr ergangen. »Nun bin ich gekommen, dich und meine Schwestern abzuholen,« fuhr sie fort, »denn heute sollt ihr Alle bei mir essen.« Da setzte sich der König in seinen Wagen, nebst seiner Frau, seinen Schwestern und deren Männern, und Alle zusammen fuhren mit großem Gefolge nach dem Schlosse der Königstochter. Dort fanden sie einen schöngedeckten Tisch, setzten sich, und aßen und tranken nach Herzenslust. Als nun die Mahlzeit schon zu Ende ging, hob einer der Gäste von ungefähr seine Augen auf, und sah oben in der Decke ein großes Loch, und darin saß Pezze e fogghi, und schaute lächelnd auf die Gesellschaft herab. »Ei! da ist ja Pezze e fogghi!« rief er. »Bardautz!« fiel das ganze Schloß zusammen und verschwand; der König und sein Gefolge befanden sich wieder zu Haus, und die jüngste Königstochter saß in ihrem wollenen Röckchen auf dem Berge in ihrer Strohhütte. Als nun Pezze e fogghi nach Hause kam, klagte sie ihm ihr Leid, er aber lachte und sagte: »Ach was, du träumest eben sogar am hellen Tag, das ist nur dein Traum von voriger Nacht, der dir so lebhaft im Gedächtniß geblieben ist.«
Nun vergingen wieder einige Tage, da weinte eines Abends die arme Königstochter wieder so viel, und als sie einschlief, träumte ihr abermals, sie sei in einem wunderschönen Schlosse, ganz derselbe Traum, wie das erstemal. Als sie aber am Morgen ihrem Mann den Traum erzählte, lachte er sie aus und sprach: »Was hast du denn nur immer für Träume?« Da weinte sie den ganzen Tag und schlief mit Weinen ein und am Morgen erwachte sie wieder im schönen Schlosse, und die Dienerinnen standen um sie her. Da ging es denn gerade so wie das erstemal. Sie legte königliche Kleider an, fuhr zu ihrem Bruder und lud ihn mit seinem Gefolge auf ihr Schloß, um bei ihr zu essen. Gegen das Ende der Mahlzeit aber schaute wieder einer zufällig aufwärts, und da er oben an der Decke ein Loch erblickte, und darin den Wasserträger, rief er ganz laut: »Ach seht! da ist ja Pezze e fogghi!« »Bardautz!« fiel das Schloß zusammen; der König und sein Gefolge wurden in das königliche Schloß versetzt, die arme Königstochter aber saß wieder in ihrer Hütte auf dem Berge, und trug ihr schlechtes wollenes Röckchen. Als nun ihr Mann nach Hause kam, klagte sie und sprach: »Nun sieh, jetzt ist es mir zum zweitenmal so und so ergangen. Gewiß bist du schuld daran.« Er aber lachte sie aus und sprach: »Ach was, du träumest eben bei Tag und bei Nacht.«
So verging abermals ein Monat. Da weinte die Königstochter eines Abends wieder so bitterlich, und da sie einschlief, träumte sie denselben Traum zum drittenmal. Am Morgen erzählte sie es ihrem Mann, der aber lachte nur darüber. Da weinte sie den ganzen Tag und schlief mit Weinen ein, und siehe da, am Morgen erwachte sie wieder im schönen Schloß. »Jetzt weiß ich aber, was ich thu,« dachte sie, »ehe ich meinen Bruder einlade, mache ich es ihm zur Bedingung, daß Keiner den Namen meines Mannes aussprechen darf.« Da fuhr sie in ihrem goldnen Wagen zu ihrem Bruder und lud ihn ein, bei ihr zu essen. »Aber unter einer Bedingung,« sagte sie, »im Schlosse darf Keiner den Namen meines Mannes aussprechen.« »Gut,« sprach der Bruder, und Alle fuhren in das Schloß, wo wieder ein schöngedeckter Tisch bereit stand. Da setzten sie sich und aßen, und gegen das Ende der Mahlzeit that sich wieder die Decke auf, und Pezze e fogghi saß oben, und schaute auf die Gesellschaft herab, aber Keiner rief: »Da oben sitzt Pezze e fogghi!« Und als Alle fertig gegessen hatten, kam Pezze e fogghi herab, und saß in der Mitte des Zimmers auf einem schönen Thron, und war nicht mehr ein schmutziger Wasserträger, sondern ein schöner Jüngling in königlichen Kleidern. Denn Pezze e fogghi war der Sohn des Königs von Spanien, und war von einem bösen Zauberer verwunschen worden, und nun hatte ihn die schöne Königstochter erlöst. Da wurden drei Tage Festlichkeiten gehalten, und der Königssohn fuhr mit seiner schönen Gemahlin nach Spanien. Als sie aber fort waren, verschwand das Schloß und ward nicht mehr gesehen. Der Königssohn und die Königstochter aber fuhren vergnügt nach Spanien, und wir sind hier sitzen geblieben.
[Italien: Laura Gonzenbach: Sicilianische Märchen]