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Märchenbasar

Das Märchen von der silbernenen Kugel

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Silberner Mondschein lag auf der Waldwiese hinter dem Hegehause.Schwül und berauschend dufteten Heckenrosen und Nachtviolen, und tausend und abertausend Diamanten gleich, funkelten die Tautropfen aus den schwankendenGräsern.Es war eine Nacht, wie geschaffen für Elfenspuk und Märchenzauber. In dem niedrigen Zimmer der Waldhütte stand ein zwöfjähriger Knabe vor einer krank aussehenden Frau und sagte liebevoll:
„Eben schlägt es zwölf Uhr, Mutterle, und der Mond scheint so hell, wie seit langer Zeit nicht mehr.Jetzt ist die rechte Zeit gekommen, um all die guten Heilkräuter zu sammeln, die du zu deiner Genesung brauchst.Haben keine Angst um mich.Ich fürchte mich nicht.Was können mir Elfen und Waldgeister tun, wenn Gottes Segen mit mir ist.“
Die bleiche Frau auf ihrem Schmerzenslager nickte dem jugendfrischen Sohn hoffnungsvollen Blickes zu: “ Geh mit Gott, mein Hannes! Nein, dir geschieht nichts Böses, denn meine Gebete begleiten dich.Und zu einem Vorhaben, das mit einem liebevollen Herzen beginnt, gibt der Allmächtige seinen Segen!- Sollte dir etwas Unheimliches begegnen, dann bete und sprich laut:“ Alle guten Geister loben Gott, den Herrn, – und jeder Spuk wird weichen. Hannes nickte fröhlich. „Mir soll nur was kommen! Ich brauche weder gute noch böse Kobolde zu fürchten, wenn ich auf rechtem Wege gehe. Nun lebe wohl, und versuche ein wenig zu schlafen. In einer Stunde bin ich wieder da.“
Noch einmal winkte der Knabe der Mutter freundlich zu, dann eilte er schnellen Fußes in die Mondnacht hinaus.Mit liebevollem Blicken schaute die Kranke dem Sohne nach. “ Du gutes Kind! Was fange ich an, wenn ich dich nicht hätte! Aber nun will ich deiner Bitte nachkommen und schlafen.“
Damit drehte sie sich nach der Wand, und bald verkündeten ihre regelmäßigen Atemzüge, daß sie die ersehnte Ruhe gefunden hatte. Unterdessen schritt Hannes mit erwartungsvollem Herzen der Waldwiese zu. Er kannte sie alle ganz genau die zwölf heilkräftigen Kräuter. Aber es durfte keines fehlen, wenn die wundertätige Wirkung erzielt werden sollte. Das hatte ihm die alte Dore, die weise Frau des Dorfes, die schon so vielen geholfen hatte, oft eingeschärft. So begann er eilig zu suchen, indem er die Namen der bewußten Pflnzen sich immer laut vorsagte. Und siehe da! Er hatte Glück! Binnen einer Viertelstunde lagen elf der gepriesenen Wurzeln in seinem Korbe. „Nun fehlt nur noch daJohanniskraut,“ murmelte er freudenstrahlend.Dann sind sie alle zwölf zusammen, und ich kann meinem Mutterle den Lebenstrank brauen. Eine gute halbe Stunde habe ich noch, ehe es ein Uhr schlägt, und in dieser Zeit werde ich doch das Kraut finden, das hier wie Unkraut wächst, so lange ich denken kann. Sonderbar, ich dachte immer, das Johanniskraut würde ich zuallererst im Korbe haben!- Und wie müde ich auf einemal bin! Nun, einen Augenblick lang, darf ich mich schon auf den Baumstamm setzen. Einschlafen werde ich gewiss nicht. Nein, Nein! Wie war doch gleich Mutters Spruch? Ach ja, nun weiß ich es wieder:
Breit aus die Flügel beide,
O Jesu meine Freude.
Und nimm dein Küchlein ein.
Will Satan mich verschlingen,
So laß die Englein singen:
Dies Kind soll unverletztet sein!
Schon im Einschlafen begriffen und halb unterbewußt, sagte Hannes das Lied. Und siehe da, wie mit einem Schlage war alle Müdigkeit von ihm gewichen, und mit hellen Augen blickte er in die taufrische Mondnacht.
„Nein, aber so was! Da wäre ich wohl beinah eingeschlafen! Das hätte schön werden können! Nun aber schnell an das Suchen des Johanniskrautes. Potz,Blitz!
Was blinkt und gleißt den da im Grase? Da hat wohl ein Stadtherr seine Uhr verloren. Das gäbe einen netten Finderlohn, und ich könnte meinem Mutterle endlich eine Freude machen.“ Mit beiden Füßen zugleich sprang der Knabe von dem Baumstumpf in die Höhe und eilte auf die Stelle zu, wo die vermeintliche Uhr liegen sollte.Mit festem Griffe faßte er nach dem blinkenden Ding. Aber wie ein lebendes Wesen entwischte der begehrte Gegenstand seiner Hand. Silbern schimmernd und wie ein Mondlicht leuchtend, rollte eine zauberhaft glänzende Kugel den Abhang der Waldwiese hinunter. Einen Augenblick stand Hannes wie erstarrt. Dann raffte er sich auf und elte behende dem wunderbaren Kleinod nach. „Mein, mein, mußt du werden! und mit dir halte ich das Glück!“ murmelte er atemlos und griff nach der silbernen Kugel. Schon wollte er einen Jubelstoß ausstoßen und das glitzernde Ding ergreifen, da hörte er plötzlich hinter sich Hilferufe und das klägliche Weinen eines Kindes. Erschrocken drehte er sich um. „Nanu! Was ist denn das? Wie kommt denn solch kleines Ding jetzt bei nachtschlafender Zeit auf die Waldwiese? Da ist sicher irgend etwas nicht in Ordnung, und ich muß sehen, daß ich helfen kann.“
Ohne weiter an die sehnlichst begehrte silberne Kugel zu denken, folgte er seinem guten Herzen und lief nach dem Gebüsche, aus dem der Hilferuf noch immer, wenn auch schon leiser und hoffnungsloser, erklang. Er kannte die Waldwiese und deren Umgebung wie seine Tasche, und er wußte, daß sich an der Westseite, wo das Unterholz begann, eine Höhle befand, die der Volksmund “ das Zwergenloch “ nannte. Vielleicht war dort ein kind beim Beerensuchen verunglückt. Eilig lief er also nach jener Stelle und teilte mit beiden Armen das Dickicht. „Ich komme schon. Wer ist es, der Hilfe braucht?“
Suchend blickte er um sich. Noch waren seine Augen von dem hellen Mondlichte so geblendet, daß er nicht gleich erkennen konnte, was da vor ihm geschah.
Erst als ein krächzende und vor Wut heisere Stimme schrie: „Was willst du hier? Das ist mein Reich. Wenn dir dein Leben lieb ist, dann mache dich schleunigst von dannen“, merkte er, daß er zwei ungleiche Wesen, die augenscheinlich im Kampfe mit einander begriffen waren, vor sich hatte.
„Gott helfe uns! Ein Schwarzelf!“ rief er entsetzt und blickte auf den unheim-
lichen, mißgestalteten Zwerg, der mit beiden Händen ein zartes, weißgekleidetes
Mädchen in einen unterirdischen Gang zu zerren suchte.

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