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Märchenbasar

Das Märchen von der silbernenen Kugel

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„Was in unserer Macht steht, dir zu helfen, soll geschehen, Aber du bist jetzt aus unserem Bereiche in den Baum und Zauberkreis der Erde gelangt. Nur selbstlose Menschenliebe kann dich erlösen und dir wieder den Weg zur Heimat öffnen. Diene darum den guten Menschen, die dir Schutz gewährten, mit allen Kräften vielleicht gelingt es ihnen, dein Kleinod zu erwerben. Und nun muß ich scheiden, Liebling. Wenn der nächste Vollmond dies Waldtal beleuchtet, hoffe ich dich wiederzusehen. Die schöne Frau schwebte davon; und unter schmerzlichem Weinen schaute Laura ihr nach. „Mutter Luna, Mutter Luna, ach, daß ich doch bald wieder bei dir wäre!“ Johannes hatte kaum zu atmen gewagt. Mutter und Kind taten ihm gar zu sehr leid, und innig wünschte er sich, Luanas Kugel finden zu dürfen. Dann schlief er wieder ein. Als am anderen Morgen die Witwe und ihr Sohn erwachten, fanden sie den fremden kleinen Gast in sanftem Schlummer auf der Fensterbank liegen; und abermals konnte Frau Reinald und Hannes nicht genugsam die überirdische Schönheit bewundern. Solange die Sonne am Himmel stand, schlief Luana tief und fest, und erst als der abnehmende Mond aufging, erwachte sie. Freundlich begrüßte sie ihre Wirte, als diese sich ihr abermals mit Speise und Trank näherten.
„Ja, jetzt muß ich eure Güte annehmen. Die Erdenluft zehrt, und bin ich gezwungen, irdische Speise zu genießen, so lange ich unter euch weile.“
Frau Reinald und Johannes freuten sich herzlich, als sie sich darauf Milch und Honig und etwas Weißbrot schmecken ließ.
„Ich habe mich inzwischen nach deiner silbernen Kugel umgesehen“, sagte der Knabe bekümmert. Die ganze Waldwiese habe ich abgesucht, ohne auch nur eine Spur von dem Kleinod zu finden.“ – „ Ich wusste es“, entgegnete Luana traurig. „Wenn die Mondstrahlen, unseren Boten, nichts ausrichten können, dann ist Menschenmacht meist auch vergeblich das Verborgene zu entdecken.
Ich kann jetzt nichts anderes tun, als geduldig die Strafe für meinen Ungehorsam zu tragen. Laßt mich, nun teilnehmen an eurem Leben und eurer Arbeit, und behandelt mich, als sei ich eine euresgleichen, ihr guten Menschen.“
Frau Reinald nickte freundlich und schlang mütterlich ihre Arme um den kleinen Findling. „ Du bist unser Töchterchen. Nenne mich Mutter Anna“, und vertraue in allen Dingen Johannes und mir. Ich hatte vor Jahren auch einmal solch liebes, kleines Mädchen, wie du bist. Jetzt ist unser Hannchen im Himmel, aber ich kann es nimmer vergessen, und ich freue mich, dass du nun bei mir bist.“- Zutraulich lehnte sich Luana an die gute Frau. „Mutter Anna, ich will alles tun, was du sagst.“ Johannes klatschte fröhlich in die Hände: „So habe ich denn wieder ein Schwesterchen!“ Wie schön das ist! Aber gelt, Mutterle, nun zieht Luana auch Hannchens rotes Röckcken an. In dem feinen Spitzenkleidchen kann sie doch nicht bei uns herumgehen. Da würden sich alle Menschen wundern, und wir hätten vor neugierigen Fragen keine Ruhe mehr.“
„Ja, mein Sohn, da hat du recht,“ rief die Witwe. „ Hannchens Sachen werden dem Kinde gerade passen. Und wenn dann jemand wissen will, wo wir den kleinen Besuch herhaben, dann ist es eine Verwandte die von ferne kam, um sich in unsrem Walde zu erholen.“ – Geschäftig kramte Frau Reinald in Schrank und Kasten; und kurze Zeit darauf war das Elfenkind in ein allerliebstes Bauerdirnlein verwandelt. Wie hübsch standen Röckchen und Mieder dem zarten Mondmädchen. Selbst das durchsichtige blasse Gesicht erhielt einen leisen Hauch von Farbe. Johannes tanzte lustig um das neue Schwesterchen herum und hielt ihm dann einen Spiegel vor.
„Schau, Luana, gefällst du dir?“ Das Mondmädchen lächelte. „ Es ist gut so. Aber nicht wahr, Johannes, du vergisst meine Kugel nicht. Ich kann ja doch nicht eher froh werden, bis ich sie wieder habe.“
„Verlasse dich darauf. Ich tue, was in meinen Kräften steht,“ sagte der Knabe ernsthaft. „Und nun komm mit mir in den Garten. Ich werde dir meine Blumen zeigen, und mein zahmes Reh, und meine Vögel und die Kaninchen.“
Willig folgte Luana ihrem freundlichen Führer ins Freie hinaus. Einen Augenblick lang breitete sie dem Monde sehnsüchtig die Arme entgegen.
„Mutter Luna! Mutter Luna, ach, wenn ich doch erst wieder bei euch wäre!“
Mitleidig und tröstend redete ihr der Knabe zu; und endlich vergaß sie ihren Kummer und freute sich an den Tieren und Blumen ihres Gefährten. Es war gar seltsam: Das gegen Fremde sonst so scheue Reh folgte ihr auf Schritt und Tritt, und die Vögel flogen ihr zutraulich auf Kopf und Schultern. Befriedigt schaute Frau Reinald dem Treiben der beiden Kinder zu und faltete dann dankend die Hände. Mit Luana war das Glück in ihr Haus gekommen!“ Sie, die Witwe, die seit Jahren krank gewesen war, fühlte sich nun wieder jung und gesund, und auch die Not schien von ihrer Schwelle gewichen zu sein: Es fehlte ihr niemals mehr an Notwendigen! Wider Erwarten schnell hatte sich Luana im Waldhause eingelebt. Mit Johannes war sie ein Herz und eine Seele, freundlich und dienstwillig ging sie ihrer „lieben Mutter Anna“ zur Hand. Gar oft ertappte sich Frau Reinald auf dem Gedanken, wie herrlich es doch wäre, wenn sie dies liebe Wesen für immer bei sich behalten dürfte. Wenn sie dann aber am Abend sah, wie des fremden Kindes Augen voll unendlicher Sehnsucht nach der Heimat blickten, dann schämte sie sich ihrer Selbstsucht und wünschte von Herzensgrund das Auffinden der Kugel herbei.

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