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Märchenbasar

Die Sage vom Prinz Achmed al Kamel dem Liebespilger

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Doch das Schicksal wollte es, daß seine Großmut noch auf harte Proben gestellt werden sollte. Als er einige Tage später frühmorgens auf der Plattform des Bergfrieds auf und ab ging, seinen Gedanken nachhängend, da kam der Tauber wieder geflogen und setzte sich furchtlos auf seine Schulter. Voll Freude liebkoste ihn der Prinz und sagte mit bewegter Stimme: „Glücklicher Vogel, der du wie auf Schwingen der Morgenröte bis ans Ende der Welt fliegen kannst! Wo warst du seit jenem Tag, an dem ich dir die Freiheit schenkte?“ „In einem fernen Land, mein Prinz, aus dem ich dir zur Belohnung für deine Großmütigkeit eine Nachricht bringe. Einmal sah ich auf meinem weiten Flug über wilde Berge und fruchtbaren Ebenen tief unter mir einen herrlichen Garten voll der schönsten Blumen und Blüten mit Bäumen, deren Äste und Zweige sich unter der Last der wundervollsten Früchte bogen. Er lag in einer grünen Aue, an den Ufern eines Flusses, dessen klare Wasser sich durch die Ebene dahinschlängelten. In der Mitte dieses Paradieses stand ein prächtiges Schloß. Ich flog auf eine Baumgruppe zu, um dort auszuruhen, denn anstrengende Tage lagen hinter mir. Es war ein schönes Plätzchen; rundherum Blumen in allen Farben des Regenbogens; angenehm riechende Früchte, und unten auf der Rasenbank saß eine junge Prinzessin, die in ihrer Schönheit und Anmut einem Engel glich. Junge Dienerinnen, feengleich wie sie, waren ihre Hofdamen, sie schmückten das Mädchen mit Blumenkränzen. Doch keine der Blumen, selbst die nicht aus den hängenden Gärten der Semiramis, konnten mit dem Königskind an Schönheit wetteifern. Allein die Prinzessin blühte dort, einem Veilchen gleich im Verborgenen, denn der Garten war von hohen Mauern umgeben, und kein Sterblicher durfte eintreten. Als ich dieses schöne Mädchen sah, so jung, so unschuldig; so rein und ohne Makel, da sagte ich mir sofort: „Das ist ein Wesen, das der Himmel geschaffen hat, damit mein freundlicher Prinz die Liebe kennenlernt.“ Diese Worte fielen wie zündende Funken in das Herz Achmeds, dessen Liebessehnsucht endlich das erwünschte Wesen gefunden hatte. Aufgeregt schrieb er einen leidenschaftlichen Brief an die schöne Prinzessin; in wohlgesetzten Sätzen gestand er ihr seine Liebe und beklagte traurig sein hartes Los. Nur die Gefangenschaft, so stand in dem Brief, hindere ihn daran, sie aufzusuchen und sich ihr zu Füßen zu werfen. Er fügte Verse hinzu, in denen er mit zärtlicher Beredsamkeit seinen Gefühlen Ausdruck gab. Als Aufschrift trug der Brief die Worte: „An die schöne Unbekannte, von dem gefangenen Prinzen Achmed.“ Schließlich schüttete er noch Moschus und Rosenöl über das Schreiben und übergab es dann dem Tauber. „Nun, lieber Bote!“ sagte er. „Fliege über Berge und Täler, über Flüsse und Ebenen, Wiesen und Wälder! Raste aber nicht im Gebüsch und Laub der Bäume, setze deine Füße nicht eher auf die Erde, bis du diese Botschaft der Geliebten meines Herzens übergegeben hast.“

Der Täuberich schwang sich hoch in die Luft, nahm Richtung und schoß dann davon. Der Prinz folgte ihm mit den Augen, bis nur mehr ein ganz kleiner Punkt am fernen Horizont zu sehen war, der allmählich in der Weite entschwand. Tag um Tag wartete Achmed auf die Rückkehr des Liebesboten; aber vergebens suchte er stundenlang den Himmel nach dem Tauber ab. Schon fing er an, ihn der Vergesslichkeit zu schelten, als der treue Vogel eines Abends gegen Sonnenuntergang in sein Zimmer flatterte, dort auf den Boden fiel und starb. Der Pfeil eines mutwilligen Bogenschützen hat ihm die Brust durchbohrt, und dennoch flog er mit den letzten Lebenskräften weiter bis auf den Turm des Prinzen, der ihn so dringlich erwartet hatte. Als dieser sich kummervoll über den Märtyrer der Treue beugte, bemerkte er, daß der tote Tauber eine feine Perlenschnur um seinen Hals trug, an der, versteckt unterm Flügel, ein kleines Medaillon hing, auf dem ein wundervolles Emailbildchen zu sehen war. Dieses zeigte eine schöne Prinzessin in der ersten Blüte ihrer Jahre. Ohne Zweifel handelte es sich um die schöne Unbekannte, von der der gute Tauber einst gesprochen hatte. Wie hatte sie seinen Brief aufgenommen, und war das kleine Bildchen wirklich eine Zusage und eine Antwort, ein Zeichen der Genehmigung seiner Leidenschaft? Die tote Taube aber schwieg und blieb für immer stumm, und der feurige Liebhaber sollte auf seine Fragen keine Antwort mehr bekommen. Er blickte sehnsuchtsvoll auf das Bild, bis seine Augen in Tränen schwammen; dann küßte er es, drückte es an sein Herz und betrachtete es wieder stundenlang mit zärtlicher Leidenschaft. „Schönes Bild“, sagt er, „ach du bist nur ein Bild! Doch deine frischen Augen strahlen mir zärtlich entgegen, deine rosigen Lippen scheinen mich zu ermutigen! Eitle Einbildung, alles ist Phantasie! Lächelten sie einem glücklichen Nebenbuhler nicht ebenso lieblich zu? Mein Gott im Himmel, wo kann ich wohl dieses schöne Mädchen finden, das der Künstler hier malte? Wer weiß, welche Berge und Länder uns trennen. Wer kennt die Gefahren, die uns drohen? Vielleicht drängen sich jetzt, gerade jetzt, Freier um sie, während ich hier im Turm gefangen sitze und meine Zeit mit Seufzen und der Anbetung eines geheimen Schattens verliere!“ Rasch entschlossen sagte Achmed: „Ich will aus diesem Palast entfliehen, denn er wurde mir zum verhaßten Gefängnis! Und als Pilger der Liebe werde ich durch die ganze Welt ziehen und suchen, bis ich die unbekannte Prinzessin finde und an mein Herz drücken kann.“ Weiter überlegend sagte sich der junge Mann, daß tagsüber, wenn die Diener und Wächter alle aus und ein liefen, eine Flucht wohl schwerlich gelingen dürfte, er also den Einbruch der Nacht abwarten müsse, denn da stünden dann nur ganz wenige Posten auf den Mauern, und selbst die schliefen oft, denn niemand befürchtete einen Ausbruch des lammfrommen Prinzen. Aber wie sollte er auf seiner Flucht in dunkler Nacht den rechten Weg finden? Er kannte doch die Gegend nicht!

In dieser unangenehmen Lage fiel ihm die Eule ein, die Rat wissen mußte, denn sie war es gewohnt, bei Nacht herumzustreifen und auf geheimen Pfaden und Wegen auf die Pirsch zu ziehen. Umgehend begab er sich nun in ihre Klause und fragte sie diesbezüglich ihrer Landeskenntnisse aus. Die Eule setzte eine gewichtige Miene auf und sagte ernst, jedes Wort betonend: „Du mußt wissen, mein Prinz, daß wir Eulen eine weitverzweigte und alte Familie darstellen; es ist richtig, daß wir etwas verarmt und heruntergekommen sind, aber noch immer nennen wir in allen Teilen Spaniens viele hundert verfallene Schlösser und Türme unser eigen. Es gibt kaum eine Bergwacht auf schroffem Fels, keine Festung in den Ebenen, keinen Palast in einer kastilischen Stadt und keine Pfalz auf den Hügeln Andalusiens, in der nicht ein Bruder, ein Oheim oder Vetter wohnte. Oft besuchte ich schon meine lieben Verwandten und kam dabei durch das ganze Land, das ich meinen Wissensdrang genauestens durchforschte. Ich kenne also jeden Winkel, jeden Weg und Steg von nah und fern und auch, den geheimsten Unterschlupf, den Menschen je betreten hatten.“ Achmed war hocherfreut, in der Eule eine so kundige Beraterin gefunden zu haben und berichtete ihr nun im Vertrauen von seiner zärtlichen Liebe und seinen Fluchtplänen. Auch bat er sie inständig, ihn auf der Reise zu begleiten, da er ihren Rat so notwendig brauche, denn allein käme er in seiner Unerfahrenheit nicht weiter. „Wieso ich!“ schnauzte ihn die Eule unfreundlich an, „glaubst denn du wirklich, daß ich mich mit Liebeshändeln befasse? Ich, deren Zeit, Tun und Lassen ausschließlich der sinnenden Betrachtung, dem Studium und dem Mondkult geweiht ist?“ „Sei nicht böse, höchst ehrwürdige Eule“, war Achmeds Antwort, „opfere mir deine kostbaren Tage, und laß eine Weile die Meditation und den Mond. Hilf mir bei meiner Flucht, und sei mein Führer durchs unbekannte Land. Ich will dich reichlich dafür belohnen, denn alles sollst du haben, was dein Herz wünscht.“ „Ich habe alles, was mein Herz begehrt“, schnarrte der unfreundliche Vogel, „ein paar Mäuse als frugales Mahl, dieses Mauerloch als Wohnung sind reichlich genug für mich, denn ein Philosoph braucht nicht mehr.“

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