„Genug, gehen wir zur Höhle!“ rief Achmed aus.
Von seinem sagenreichen Begleiter geführt, stand der Prinz bald vor der Höhle, wo einst der maurische Magier seine letzte Zufluchtsstätte gefunden hatte.
Sie lag in einer der wildesten Bergschluchten hinter Toledo, und den Höhleneingang konnte nur das scharfe Auge einer Eule oder der Späherblick eines Archäologen entdecken. Eine sich nie verzehrende Ölfunzel verbreitete im Innern der Grotte ein feierliches Dämmerlicht, und das Auge Achmeds mußte sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, ehe er die sich darin befindlichen Gegenstände unterscheiden konnte. Auf einem eisernen Tisch in der Mitte der Höhle sah er die erwähnte Zauberrüstung, daneben lehnte eine Lanze, und etwas im Hintergrund stand unbeweglich ein kampfmäßig aufgezäumter Hengst, schön wie ein klassisches Standbild. Die Rüstung, der Harnisch und das Zaumzeug glänzten hell. Als habe sie ein eifriger Knappe erst vor Stunden wieder einmal aufpoliert.
Das Roß schien gerade von der Weide gekommen, und als ihm der Prinz die Hand streichelnd auf den Kamm legte, da scharrte es mit den Hufen im Boden und wieherte vor Freude, daß die Wände zitterten. Im Besitz von Roß und Waffen beschloß der granadinische Königssohn, sich im bevorstehenden Turnier zum Kampf zu stellen und um die Hand der schöne Aldegunde zu werben. Der entscheidende Morgen brach endlich an. Die Schranken für den Kampf waren in der Vega gerade unter den Felsmauern Toledos aufgestellt; rund um den Platz hatte man Bühnen und Galerien errichtet, die reichsten Teppichschmuck zeigten.
Kunstvolle Baldachine aus reiner Seide spendeten Schatten und schützten die Zuschauer vor der heißen kastilischen Sonne. Die edelsten und schönsten Damen des Landes waren auf der Tribüne versammelt; besprachen das Tagesereignis und unterhielten sich über die Ritter, die mit Pagen und Knappen stolz den Turnierplatz überquerten; und als die Prinzen erschienen und mit geöffneten Visieren den reichen Damenflor grüßten, da hob ein allgemeines Murmeln an, ein Rätselraten, denn unter diesen Kavalieren mußte ja der künftige Gemahl Aldegundes sein, der im ritterlichen Wettstreit seine Gegner aus dem Sattel zu werfen hatte. Aber all das schien in den Schatten gerückt, als die Prinzessin selbst erschien und auf der Tribüne des Königs, ihres Vaters Platz nahm. Alles erhob sich ehrerbietigst von den Sitzen, voll Bewunderung schwenkten die Edelmänner ihre Waffen, und Barden stimmten einen Lobgesang an; denn wenn auch der Ruf von der Schönheit des Königskindes über die Mauern ihres Jungfernsitzes bis weit in die fremden Lande gelangen konnte, so übertraf ihre Schönheit doch alle Erwartungen. Kein Wunder also, daß die ritterlichen Bewerber sich im Sattel zurechtsetzten, jeder seine Lanze fester faßte und die Gegner abwägend zu messen schien. Die Prinzessin machte indessen gar keinen fröhlichen Eindruck. Ihre Wangen wurden bald rot, bald blaß, und ihre Augen streiften mit ruhelosem und unbefriedigtem Ausdruck die Reihen stolzer Krieger entlang. Schon sollten die Trompeten den Beginn der Kampfspiele ankünden, als der Herold die Ankunft eines fremden Ritters meldete, der auch noch am Turnier teilnehmen wollte. Achmed ritt in die Schranken! Alle staunten. Ein mit Edelsteinen besetzter Helm saß fest auf seinem Turban, Panzer, Harnisch und Schienen waren mit Gold ausgelegt, Schwert und Dolch stammten aus den Werkstätten in Fez, und in Scheide, Griff und Korb glänzen kostbare Diamanten. Ein runder Schild hing an seiner Schulter, und in der Hand trug er die zauberkräftige Lanze. Die prächtigen Decken, Schabracke und Schabrunke waren reich gestickt und schleiften über den Boden, während das stolze Roß sich hoch aufbäumte, durch die Nüstern schnaubte und vor Freude laut wieherte, wieder einmal Waffenglanz zu sehen und seinen gepanzerten Ritter in reichem Waffenschmuck mit Krummschwert und Halbmond tragen zu können. Die stolze Haltung Achmeds fiel allgemein auf, und viele Damen schauten recht huldvoll zu ihm hinunter; und als gar sein Name „Der Liebespilger“ angekündigt wurde, da entstand unter den feurigen Kastilianerinnen geradezu ein Tumult, denn allzu groß war die weibliche Neugier. Doch die Schranken blieben unserem Ritter geschlossen, denn, so sagte man ihm, nur Prinzen königlichen Geblüts dürften kämpfen. Er nannte also seinen vollen Namen, Rang und Herkunft. Aber das war noch viel schlimmer! Er war Mohammedaner und durfte somit nicht an einem Turnier teilnehmen, dessen Preis die Hand einer christlichen Prinzessin war. Die adeligen Bewerber, aus nah und fern, umringten Achmed mit drohenden Mienen, wobei sich einer von herkulischer Gestalt durch sein unverschämtes Benehmen ganz besonders hervortat. Laut verlachte er den jungen Mauren seines zierlichen Körperbaues wegen und spottete über den vulgären Beinamen, der, wie er sagte, eines kriegerischen Ritters unwürdig sei. Solche Beleidigungen konnte der Prinz natürlich nicht auf sich beruhen lassen. Voll Zorn forderte er den rüden Nebenbuhler zum Zweikampf heraus. Beide nahmen alsogleich Distanz, legten ihre Lanzen an und gingen aufeinander los; voll Wut der Spanier, überlegt und berechnend der Maure. Aber schon bei der ersten Berührung mit der Zauberlanze flog der muskulöse Spötter aus dem Sattel und wälzte sich am Boden. Achmed hätte jetzt gerne innengehalten und seinem Feind versöhnend die Hand gereicht, aber er hatte nicht mit seinem Araberhengst, und mit der dämonischen Waffe gerechnet, die einmal in Tätigkeit, nicht zu zügeln waren, bis kein Gegner sich mehr blicken ließ. Das wilde Roß stürzte sich ins dichtete Gedränge, und die Lanze warf jeden zu Boden, der sich ihr in den Weg stellte. Der sanfte Prinz ritt wie toll auf dem Kampfplatz herum, schlug alles nieder, und bald lagen Ritter und Bauern, Adelige und Bürger, Knappen und Knechte auf dem Rasen und wussten nicht, wie das zugegangen war, während er voll Kummer über seine unfreiwilligen Heldentaten das höllische Roß zu zügeln trachtete. Der König raste voller Wut über die ihm angetane Schmach und um seine Gäste und Untertanen zu rächen, ließ er umgehend seine Leibgarde ausrücken, die den Mauren gefangennehmen und bändigen sollte. Doch in wenigen Sekunden lagen auch diese Ritter besiegt und geschlagen auf dem Boden. Nun griff der König persönlich ein. Er legte seine Staatsgewänder ab, griff nach Schild und Lanze und ritt gewappnet auf den Turnierplatz, denn er wollte dem Ungläubigen schon zeigen, wie man sich am Hof eines christlichen Fürsten zu benehmen habe. Aber auch Seiner Majestät erging es nicht besser als den Höflingen und Untertanen. Roß und Lanze achteten weder Rang noch Namen, und zu Achmeds Verdruß ging sein Hengst den König scharf an, und ehe er noch richtig überlegen konnte, fiel dieser bereits aus dem Sattel, und die Krone rollte in den Staub. In diesem Augenblick stand die Sonne auf voller Höhe; der magische Bann verlor seine Kraft, und Rüstung, Roß und Speer mußten in die Höhle zurück, wo sie seit vielen Lustren bereits gestanden hat. Der Araberhengst durchflog die Bahn, setzte über die Schranken, sprang in den Tajo, durchschwamm diese wilde Strömung, galoppierte mit dem atemlosen Prinzen, der sich an Kamm und Mähne festhielt, durch die Bergschlucht zur Grotte.
Dort stellte er sich neben den eisernen Tisch und wurde wieder unbeweglich wie eine Bildsäule. Herzlich froh stieg Achmed ab, legte die Rüstung auf ihren Platz und lehnte die Lanze an die Wand. Dann setzte er sich wieder auf den Boden und begann zu grübeln und zu seufzen, denn das Zauberzeug hatte ihn in eine wirklich verzweifelte Lage gebracht. Niemals mehr durfte er sich in Toledo zeigen, nachdem er dessen Ritterschaft solche Schmach und dem König und Landesherrn solche Beschimpfung zugefügt hatte. Und was sollte erst die Prinzessin von ihm denken, von seinem rohen und draufgängerischen Benehmen? Voll Angst und Furcht schickte er seine beiden gefiederten Ratgeber auf Kundschaft aus, um ihm dann Nachricht zu bringen, was man in Toledeo von dem Vorfall hielt.
Der Papagei trieb sich auf allen öffentlichen Plätzen herum, trat in die besuchtesten Schenken Toledos und war bald wieder mit einem ganzen Sack voll Neuigkeiten beim Prinzen in der Höhle. Ganz Toledo war bestürzt. Die Prinzessin trug man nach dem Vorfall besinnungslos in den Palast; das Kampfspiel hatte ein jähes und unvorhergesehenes Ende genommen, und alles sprach von dem plötzlichen Erscheinen, den wunderbaren Taten und dem seltsamen Verschwinden des mohammedanischen Ritters. Einige aus dem Volke erklärten ihn für einen maurischen Hexenmeister, andere wieder hielten ihn gar für einen Teufel, der menschliche Gestalt angenommen habe, und die Alten schließlich erzählten auf dem Markt und vor den Kirchen Geschichten von verwunschenen Schätzen und gebannten Kriegern, und meinten, daß es einer von diesen sein könnte, der plötzlich aus der Höhle hervorgekommen sei, um die ganze spanische Christenheit zu schrecken. Was man auch immer erzählen mochte, alle stimmten darin überein, daß kein Sterblicher derartige Wundertaten vollbringen und solch brave und wackere Streiter aus dem Sattel heben könne, ohne mit dem Teufel selbst oder wenigstens mit einem seiner Anhänger im Bund zu sein.