Unser Siölund war eine gewaltige Handelsstadt, deren Kaufleute so reich und mächtig wie Fürsten waren; das Meer zollte ihnen seine Reichthümer, und die Geschäfte, die sie machten, erstreckten sich bis in die entferntesten Gegenden der Welt. Doch konnte sich keiner dieser wichtigen Männer mit Hinrich von Röschild messen, der sich seit ungefähr zwanzig Jahren hier niedergelassen hatte, und dessen Reichthum und Macht Alles übertraf, was sich nur von kaufmännischer Herrlichkeit denken läßt.
Hinrich von Röschild hatte auf einer benachbarten Insel, die noch bis auf den heutigen Tag unter dem Namen der Erleninsel bekannt ist, ein großes Waarenlager, über dessen sonderbar gewählte Stätte sich Viele verwunderten. Welch‘ ein Einfall, Schätze von nicht geringem Werthe einer unbewohnten Insel anzuvertrauen, wo die Seeräuber, die diese Küste nicht selten beunruhigten, bequem landen und freie Beute machen konnten! Aber die Stelle, worauf das Waarenhaus stand, war Hinrichs erkauftes Eigenthum, und Niemand hatte darein zu reden, auch landeten die Seeräuber nicht und machten freie Beute; die Kaufmannsgüter waren hingestellt unter Gottes Geleit, der Grund war heiliges Land, Niemand durfte sie antasten.
Diese Insel mußte Hiolm, der einzige Sohn Röschilds, der schon von frühester Jugend an zur Arbeit angehalten worden war, oft in Geschäften seines Vaters besuchen. Bald war es Vermehrung, bald Verminderung der dasigen Vorräthe, bald Unterhaltung der eigensinnigsten Ordnung unter denselben weshalb er dahin geschickt wurde, und daher kam es auch, daß Hiolm auf der Insel, die kaum eine Meile im Umfang hat, fast so bekannt war, wie im väterlichen Hause.
Eines Tages fuhr Hiolm wie gewöhnlich in Begleitung eines alten Dieners nach der Insel, um dort seine Geschäfte zu betreiben. Man stieg an das Land, der erste Anblick, der sich den Augen der Ankommenden darbot, war ein entseelter menschlicher Körper.
Dies erregte Verwunderung, besonders bei Hiolm. Spuren, daß menschliche Wesen hier zu Zeiten weilten, hatte er bei seinen Wanderungen wohl oft entdeckt, aber nie einen der unbekannten Bewohner oder Besucher der Erleninsel gesehen, – und nun einen Todten! – Bedauernd hing er über ihn, den er für einen Ermordeten hielt, und vergoß bittere Thränen, die seinem Herzen Ehre machten.
Doch man mußte die Todtenklage beseitigen und an die Arbeit gehen. Sie nahm den ganzen Tag in Anspruch, und als man am Abend wieder zur Rückkehr in den Kahn steigen wollte, war es wieder der entseelte Körper, der die Aufmerksamkeit des Jünglings auf sich zog.
»Es ist eine schändliche Grausamkeit,« sagte er zu seinem Begleiter, »die Ueberreste eines menschlichen Geschöpfs hier an der Sonne verwesen zu lassen; wir wollen eine Grube machen und den Leichnam einscharren.«
»Herr,« antwortete der Diener, »ich dächte, wir befaßten uns nicht mit Dingen, die uns nichts angehen; die Nacht bricht ein, und wir müssen eilen, unsern Nachen zu erreichen.« – Hiolm gehorchte dem alten Mann, aber er konnte nicht unterlassen, als sie im Glanze der untergehenden Sonne nach Hause schifften, ihn zu fragen, warum er dem Leichnam die Wohlthat der Beerdigung nicht gönnen wollte? »Eure Jugend und Unerfahrenheit,« erwiederte dieser, »macht euch bereitwilliger, Wohlthaten zu erzeigen als es rathsam ist. Ich misgönne die Hand voll Erde, die unsre letze Mitgabe ist, keinem meiner Mitgeschöpfe, aber jener Leichnam sah mir zu verdächtig aus, als daß ich mich viel mit ihm hätte abgeben mögen. Ihr sollt wissen, mitten unter uns wohnt ein Geistergeschlecht, mit eben der Hülle bekleidet, die wir tragen und nur durch wenig Abzeichen von den wirklichen Menschen zu unterscheiden; aber sie sind nur unsere Halbbrüder, mächtiger als wir, und meistens bösartig. Unter den tausend Sonderbarkeiten, die sie an sich haben, ist besonders zu bemerken, daß jene Wesen zwar dem Tode unterworfen sind wie wir, daß sie sich aber, wenn ihre entseelten Ueberreste zeitig genug, ehe sie in Verwesung übergehen, mit Erde bedeckt oder in’s Wasser versenkt werden, wieder beseelen und von Neuem einen Lebenslauf beginnen, der gewöhnlich mehrere Jahrhunderte in sich begreift. Ob jener Leichnam zu dieser Klasse gehörte, weiß ich nicht, doch hätte ich euch nicht rathen wollen, Hand an ihn zu legen, es hätte euch sonst ergehen können, wie jenem Fischer.«
Hiolm fragte, wie es jenem Fischer erging, und bekam ein Mährchen zu hören, fast des Inhalts, wie die arabische Erzählung von dem Geiste, der seinem Retter aus dem Abgrunde des Meeres übel lohnte. – Hiolm hatte dasselbe entweder schon so oft gehört als unsere Leser, oder er war überhaupt kein Freund von dergleichen Sagen, genug er beachtete sie nicht, und noch weniger die daraus gezogene Moral: daß man Niemand Gutes erzeigen dürfe, den man nicht genau kenne, da man sonst oft mit Undank gelohnt würde.
War es Trieb, eine Pflicht der Menschlichkeit zu üben, war es Vorwitz, oder jugendlicher Starrsinn, der sich gerade zu dem Verbotenen hinneigt, genug, Hiolm faßte noch auf dem Heimwege den Entschluß, sobald als möglich allein nach der Insel zu schiffen, und dem Leichnam, der seine Theilnahme so stark erregt hatte, wenigstens ein Grab zu gewähren, weil er ihm keine andere Wohlthat mehr erzeigen konnte.
Es glückte ihm gleich am andern Tage. Es gab neue Geschäfte auf der Erleninsel, der gewöhnliche Begleiter war durch plötzliche Krankheit abgehalten, und Hiolm reiste allein. Um ungestört das Werk, das ihm im Sinne lag, vollbringen zu können, unternahm er es, den Nachen mit eigner Hand zu regieren. Spaten und Schaufel wurden nicht vergessen, und zu dem Todtengräbergeräth legte er noch einen Schößling von einem Rosenstrauch – damals noch eine Seltenheit für den dasigen Himmelsstrich – welcher auf das Grab gepflanzt werden sollte, weil er eine andere Art von Monument über der Asche des Entseelten zu errichten, nicht im Stande war.
Hiolm’s Vorhaben beschäftigte seine junge phantasiereiche Seele ganz, obgleich er selbst nicht wußte, was ihn dafür so sehr einnahm; vielleicht war es blos das Neue und Sonderbare, verbunden mit dem Reiz, den die Abmahnungen und Erzählungen des alten Dieners bei einem neugierigen Knaben nothwendig erregen mußten.
Unter tausenderlei Gedanken stieß er sein Fahrzeug ab und schiffte an das jenseitige Ufer. Die todte Einsamkeit der Erleninsel nahm ihn auf, das was jedem Andern mit Grauen erfüllt haben würde, erregte in ihm blos eine gewisse ernste, feierliche Empfindung, die für ihn mit unnennbarem Wohlbehagen verknüpft war, – kurz Hiolm befand sich noch in jenem glücklichen Alter, wo wir Alles, was uns begegnet, in Freude verkehren und selbst unter Gräbern Blumen zu finden wissen.
Es war keine kleine Arbeit, deren sich der feurige Knabe unterzogen hatte. Er hatte vor Kurzem erst das zwölfte Jahr zurückgelegt, seine Arme waren noch schwach und besonders in dergleichen Arbeiten ungeübt; doch endlich kam das schwere Werk zu Stande. Im Schatten einer Gruppe der Bäume, von welchen die Insel den Namen hat, ruhte der Leichnam; der Rosenstrauch war zu seinem Haupte eingesenkt, und der junge Todtengräber ging mit seinem: Sit tibi terra levis! das jedes Volk seinen Begrabenen in seiner Mundart nachzurufen pflegt, davon. Dieser fromme Wunsch konnte hier dem Wortverstande nach zutreffen, denn kaum eine Elle hoch deckte die Erde den Leichnam; Hiolms Arme waren zu schwach gewesen, dem Grabe seine gehörige Tiefe zu geben.
Die anderweitigen Geschäfte auf der Insel wurden darauf eiligst besorgt, bei der Rückkehr nach dem Fahrzeuge noch einige wohlgefällige Blicke auf das Monument geworfen, Schaufel und Spaten, als nunmehr unnütze Reisegefährten in’s Meer versenkt, und die Heimreise so glücklich geendet als die Ueberkunft.
Hiolm hatte jetzt gethan, was ihm entweder Gutmüthigkeit oder ein kindischer Einfall eingegeben hatte, und nun dachte er nicht mehr an die Sache. Aber in der dritten Nacht zeigte es sich, daß dieselbe von den anderweitigen Interessenten nicht so vergessen war als von ihm. Er lag und schlummerte – da dünkte ihm, eine Hand rühre ihn an und wecke ihn aus dem Schlafe. Er richtete sich auf, eine Gestalt stand vor ihm, seinen Augen nicht ganz unbekannt, doch konnte er sich nicht besinnen, wann und wo er sie gesehen. Ein augenblicklicher Schrecken überfiel ihn, der aber bald in ruhigere Empfindungen überging.
»Holder Knabe,« flüsterte die Gestalt, indem sie sich über sein Lager herabbeugte, »der mir mit einer Hand voll Erde eine Wohlthat erzeigte, die ich dir mit Königreichen nicht zu vergelten wüßte, wie soll ich dich belohnen? – Genieße, was dich jetzt ergötzen kann, und rechne in der Folge auf größere Wohlthaten. Versäume nicht in den Nächten, wo der Mond voll wird, die Erleninsel allein zu besuchen, und du wirst dann ein schöneres Schauspiel sehen, als deine Augen je erblickten.«
Hiolm war zu leichtsinnig, diesen Traum zu beachten; wahrscheinlich vergas er ihn, und würde vielleicht nie wieder an denselben gedacht oder seiner Weissagung gehorcht haben, wenn nicht der Zufall das seinige dabei gethan hätte.
Der Fischfang an den Küsten von Siölund war ein beträchtlicher Erwerbszweig für die Bewohner dieser Gegenden. Arme und Reiche ernteten Gold von den Gaben des Meeres, die es ihnen zu gewissen Jahrszeiten aus dem entfernten Norden herüber schickte, doch wenn die Armen nur diese Gelegenheit benutzten, um ihr Brod zu verdienen, so nahmen die Reichen außerdem Veranlassung zu glänzenden Festen.
Viele von ihnen hatten Landhäuser, an deren Mauern die See spülte; zahlreiche Gesellschaften versammelten sich dann in zierlichen Villen, und nachdem man sich den Tag über mit Zeitvertreiben belustigt hatte, die damals Mode sein mochten, und von welchen wir freilich nach so manchem verflossenen Jahrhunderte nicht einmal etwas ahnen können, so ergötzte man sich am Abend auf kleinen zierlichen Gondeln, den Segen des Meeres einsammeln zu sehen, der sich, besonders in den hellen Vollmondsnächten, hier unglaublich anhäufte.
Hinrich von Röschild, Hiolms Vater, der sich bei jeder Gelegenheit, wo es galt durch Reichthum zu imponiren, hervorthat, zeichnete sich auch hier aus; er feierte das sogenannte Fischerfest mit einem Glanze, den man nur in seinem Hause erblickte, und dachte nicht, daß dieser Tag bestimmt war, ihn um das Liebste zu bringen, das er auf Erden hatte. Im Buch der Sterne stand aber geschrieben: Wenn Hiolm, Hinrichs Sohn, das Meer zum dreizehntenmal mit den silbernen Heeren des Nordens bedeckt sieht, so findet er in den Wellen sein Grab, dafern nicht eine übermenschliche Macht in die Räder des Schicksals greift, und das zum irdischen Leben erhält, was die Unsterblichen gern frühzeitig in ihrem Kreise glänzen sehen möchten.
Hiolm, ein feuriger Jüngling, der bei jeder Lust mit ganzer voller Seele war, und keine Gefahr scheute, wo ihm doppelter Genuß zu winken schien, wagte sich in jener Nacht des rauschenden Vergnügens zu weit in die See, und während auf den Gondeln und in dem erleuchteten Saale seines Vaters die goldenen Becher fleißig auf’s Wohlergehen des Hauses geleert wurden, das dieses königliche Fest gab, faßte plötzlich ein Wirbelwind die Gondel, welche die ganze Hoffnung dieses Hauses, den jungen Hiolm enthielt, und schleuderte sie weiter hinaus, als das Auge reichte, und weiter, als ihm die leichte Gruppe von Nachen, die ihn umgab, zu seiner Rettung folgen konnte. Auch vermißte man ihn nicht gleich, und sein Fahrzeug, von seinen kindischen Armen nur schwach gegen die Gewalt des Windes vertheidigt, war schon vom Abgrund des Meeres verschlungen, als erst Nachfrage geschah, wo der kühne Schiffer geblieben sein möchte.
Hiolm hätte das Schicksal seines Nachens getheilt und wäre in dem unersättlichen Schlund der See begraben worden, wenn nicht in diesem Augenblick ein übermenschliches Wesen, das sich für ihn interessirte, alter Verbindlichkeiten eingedenk, sein Retter geworden wäre. Hiolm empfand kaum die Kälte des Wassers, als er sich auch schon wie auf sanften Fittigen des Windes empor getragen und an ein Ufer geführt fühlte, das ihm nur in der ersten Bestürzung unbekannt sein konnte, das er aber, sobald er sich ein wenig erholte, augenblicklich für die Erleninsel erkannte.
Er sah sich, als Schrecken und Betäubung völlig verschwunden waren, nahe am Ufer des Meeres, zwischen dem Erlengebüsch in der Nähe des Grabmales, das er vor einigen Monaten dem Unbekannten errichtet hatte. Der Rosenstrauch, der durch Geisterhand gepflegt, wohl gediehen war, blühte schon und umhüllte seinen ersten Pflanzer mit Wohlgeruch. Süß und stärkend war der Duft, der ihn umwehte, aber was glich seinem Entzücken, als er die Augen öffnete, und Dinge um sich her wahrnahm, wie sie noch kein Sterblicher jemals erblickte.
Die ganze Insel schwamm in einem wundervollen Lichte. Nicht das Licht des Mondes war es, das hier leuchtete, oder wenn es dieser Planet war, aus welchem dieser unaussprechlich sanfte Schimmer ausfloß, so mußte er auf diesen kleinen Bezirk seine ausgesuchtesten Strahlen gestreut haben, um Allem was derselbe enthielt, einen namenlosen Zauberreiz zu geben. Hiolm stand ganz in Anschauen verloren. War die Beleuchtung dieses Orts so entzückend, was sollte man erst von den Gegenständen sagen, die sie sichtbar machte! Die Landschaft rund umher war belebt; überirdische Gestalten bewegten sich nah und fern in abgemessenem Schweben. Die Jugend des Himmels schien sich hier zum Tanze versammelt zu haben; sanfte Töne, vielleicht mehr das melodische Schwirren der leuchtenden Insekten, die die Scene verschönerten, als Musik, beseelte den labyrinthischen Ringelreihen, der sich in tausend verwickelten Touren durch einander wand, und dann, auf einmal in irgend eine schöne einfache Form aufgelöst, den Schauplatz umzog. Es war ein Anblick, an dem das Auge des glücklichen Schauers sich nicht satt sehen konnte, den das Gedächtniß gern treulich aufbewahren, von dem der Mund treulich berichten wollte, aber vergebens; wie vermag der Mund des Sterblichen überirdische Dinge zu schildern!
Zuletzt verwandelten sich die zauberischen Bilder, die Hiolm sah, in ein großes glänzendes Ganzes, die Gedanken vergingen ihm und er entschlief. Als er erwachte, war es Tag; er ging an das Ufer des Meeres, dachte an den Zufall, der ihn hierher gebracht hatte, an die Angst seines Vaters um ihn, an die Unmöglichkeit, auf dieser Insel längere Zeit sein Leben zu erhalten, und wünschte sich, ungeachtet der unnennbaren Freuden, die er diese Nacht genossen hatte, hinüber in den Kreis seiner Lieben. Doch vergebens! drei Tage mußte er hier verharren, ehe sich Hoffnung zur Erlösung zeigte. Er nährte sich während dieser Zeit von den Früchten eines Baumes, den er auf seinen frühern Wanderungen durch die Insel nie gesehen hatte, und des Nachts ergötzte ihn noch zweimal das himmlische Schauspiel, das er schon einmal gesehen hatte; doch war es schon in der zweiten Nacht minder glänzend, und in der letzten schwand es fast ganz, denn der Mond war nicht mehr voll, und so wie sich seine eine Hälfte in Schatten verlor, so schienen auch die wundervollen Gegenstände, die er hier beleuchtete, sich in unwesentliche Schatten aufzulösen. Jetzt fühlte sich Hiolm wahrhaft einsam auf der Erleninsel, und seine Sehnsucht nach dem väterlichen Hause steigerte sich mit jeder Stunde.
Hinrich von Röschild trauerte indessen um den verlornen Sohn, dessen Verlust ihm erst am Tage nach dem Fischerfeste kund geworden war. Im Gewühl der Freude war Hiolm nicht vermißt worden, jetzt aber wurde er mit Schrecken überall vergebens gesucht. Das Meer warf die Trümmer des Nachens aus, auf welchem er sich dem untreuen Elemente anvertraut hatte, und nun konnte man nicht anders glauben, als daß Hiolm in den Meeresfluthen begraben läge. – Doch man beruhigt sich beim Verlust eines kostbaren Gutes erst spät mit der Unmöglichkeit der Wiedererlangung, man sucht und forscht, wenn uns auch die Vernunft sagt, daß dieses Suchen und Forschen Thorheit ist, man will wenigstens noch einige Augenblicke Hoffnung nähren, ehe man sich der vollen Verzweiflung ergiebt, – und so ging es auch hier. Hiolms Vater sah die Unwahrscheinlichkeit von der Rettung seines Sohnes ein, gleichwohl überredete er sich vom Gegentheil. »Er kann auf irgend eine Insel geworfen, an irgend einer Küste geborgen worden sein,« rief er, »man muß ihn suchen!« Sogleich bedeckte sich die See mit Nachen, man durchspähte jede Nachbarinsel, und es war freilich zu bewundern, daß man erst zuletzt auf die Erleninsel kam, wo sich der Verlorne nun schon vier Tage lang aufgehalten hatte.
Man brachte ihn zurück in die Arme des Vaters, dessen Freude gränzenlos war. Hiolm wurde jedoch von dem Tage an, wo er in das väterliche Haus zurückgekehrt war, still und nachdenkend. Was er auf der Insel gesehen hatte, sagte er Niemand, aber er vergaß es auch nicht. Gegen den Glanz, gegen das Farbenspiel, das er dort erblickt hatte, kam ihm Alles was ihn hier umgab, alltaglich und elend vor. Sein Auge schmachtete nach neuer Weide, sehnend blickte er Tag und Nacht nach der Erleninsel, er fand sogar Gelegenheit einst daselbst zu übernachten, aber – er sah nichts, und erst jetzt gedachte er seines Traumes, der Vollmondsnächte, und brachte es endlich dahin, sich die Zeit ganz richtig auszurechnen, wo er wieder erblicken könnte, was er ehemals sah.
Nachdem er erst hierüber mit sich einig war, so hatte das Uebrige keine Schwierigkeiten. Sobald der Mond sich völlig rundete, lag ein Nachen in einer verborgenen Bucht bereit, Hiolm fuhr des Nachts heimlich nach seiner zauberischen Insel, sah wieder was er für das einzige Sehenswürdige auf diesem Erdenrund hielt, und schiffte befriedigt, ehe der Morgen graute, nach Siölund zurück.
Gern hätte er die Fahrt in den nächsten Nächten wiederholt, aber er wußte, daß die Schönheit des Schauspiels sich mit jeder Veränderung der Mondscheibe minderte, er fürchtete durch öftere Abwesenheit Verdacht zu erregen, und faßte den Entschluß, nur alle Monate einmal sich das Vergnügen zu gewähren, dem seines Erachtens keins auf Erden gleich kam.
So trieb er es ein ganzes Jahr lang, und ach, wie trauerte er, wenn umwölkter Himmel, rauhe Witterung, strenge Aufsicht, oder andere Hindernisse ihn einmal um seine kindische Freude brachten! – Er dachte an nichts anders, als an das Entzücken, das uns in diesen Jahren der Anblick bunter Farben und schöner Formen gewährt, und wenn es ihm ja einmal beim Anschauen der Tänze dieser Aethergestalten in den Sinn kam, es müsse Seligkeit sein, sich in ihre Kreise zu mischen, so hielt ihn stets ein eigenthümliches Gefühl zurück, und er blieb ruhig auf dem Grabe unter dem Rosenstrauche, welches immer sein gewählter Standort war.
Hinrich von Röschild fand nach der Zeit, daß sein Sohn Hiolm ein Träumer war, der bei herannahenden Jünglingsjahren wenig Hoffnung gab, das zu werden, was er als munterer Knabe versprochen hatte. Unter dreißig Tagen war kaum einer, wo man an ihm den alten Frohsinn bemerkte; sein Fleiß und seine Betriebsamkeit, von welcher sich schon in frühester Kindheit so schöne Spuren gezeigt hatten, machten einem düstern, trägen Wesen Platz, das dem Vater äußerst mißfiel. Nur in den Geschäften, die auf der Erleninsel zu verrichten waren, zeigte Hiolm den alten Eifer; er war gern daselbst, um, wenn er auch das nicht sah, was er immer zu sehen wünschte, doch wenigstens auf dem Schauplatz der herrlichen Scenen das Vergnügen der Vollmondsnächte zu feiern. So würde er sein ganzes Leben fortgeträumt haben, hätte man ihn nicht mit Gewalt aus seinem Taumel gerissen.
Der Vater entschloß sich auf Anrathen seiner Freunde, Hiolm nicht länger in Siölund zu lassen, wo alles seine Trägheit und seine Träumereien zu begünstigen schien. Er schickte ihn nach Röschild oder Röskild, seiner Vaterstadt, die in den damaligen Zeiten die Blühendste aller nordischen Handelsstädte war, und noch den Vorrang vor Siölund behauptete. König Harald Blantaand, der damals regierte, hielt sie für den schönsten Schmuck seiner Krone, und hatte viel zu ihrer Verschönerung gethan; er residirte den größten Theil des Jahres daselbst, und hatte sich auf den Trümmern eines alten Schlosses, das noch König Roe bewohnt haben sollte, einen Pallast gebaut, der in den damaligen Zeiten seines Gleichen suchte. – –
Was Hinrich von der Veränderung des Ortes gehofft hatte, das geschah. Hiolm trauerte eine Zeitlang über den Abschied von der geliebten Erleninsel, suchte dann sich zu betäuben, sich an andern minder glänzenden Gegenständen zu erfreuen, als die, welche er auf der zauberischen Insel gesehen hatte, fand einen Ersatz an den Schauspielen von Haralds prächtigem Hofe, und zuletzt Beruhigung in den Geschäften.
Er trieb sie mit Ernst, aber rechten Geschmack konnte er ihnen doch nicht abgewinnen; es schien, als wäre ihm das unaufhörliche Jagen nach Erwerb und Vortheil zu kleinlich, als fühle er in seinem Busen einen Trieb nach höhern Thaten. Krieger, Held, Retter oder Beglücker ganzer Völker zu sein, – das war das Ziel seiner Wünsche, und die erste Gelegenheit einen Schritt aufwärts nach dieser Sphäre zu thun, wurde nicht versäumt.
Die Küste von Seeland wurde damals sehr von Seeräubern beunruhigt. Hiolms Vater hatte beträchtliche Verluste durch sie erlitten, und es war daher dem Sohne nicht zu verdenken, daß er sich entschloß, die seinem Vater angethanen Unbilden nach Kräften zu rächen. Hiolm äußerte seine Wünsche mit so viel Feuer, daß Hinrich entzückt war, in seinem Sohne die ehemalige Thätigkeit, die Quelle des vergötterten Reichthums, wieder erwachen zu sehen. Er vergönnte ihm nicht allein einige Streifereien wider die nordischen Korsaren, sondern rüstete ihm, als der junge Held sich gar bald auf rühmliche Weise auszeichnete, ein eigenes Schiff aus, um ihm Gelegenheit zu geben, mit demselben seinem Triebe zu Heldenthaten desto besser nachhängen zu können. »Es gilt mir gleich,« sagte er, »ob mein Sohn Reichthümer zu erwerben, oder Reichthümer mit dem Schwerte zu schützen weiß; er sei nur thätig und ich bin zufrieden.«
Hiolm hatte damals das achtzehnte Jahr zurückgelegt; seine Heldenfigur und der kühne Muth, der ihn beseelte, bestimmten ihn zum Krieger, und die Kenntnisse, die er sich zu Röschild in der Schiffskunst erworben hatte, befähigten ihn zu der Stellung eines Seemannes. Er that mit dem Schiff, das man seinem Kommando anvertraut hatte, den ersten Streifzug wider die Korsaren, und er kam mit Beute beladen zurück, den zweiten, und er hatte einen Sieg erfochten, der von großem Einflusse auf das Wohl seines Vaterlandes war. Bald darauf hatte er das Glück, mit noch einigen Schiffen, die sich zu ihm gesellten, und ihn einmüthig zum Anführer wählten, einen Streich auszuführen, der alle vorige an Kühnheit und glücklichem Erfolge übertraf, und seinen Ruhm weit über die Gränzen der nördlichen Inseln verbreitete. Dies entflammte seinen Muth noch mehr, und den Feinden der Sicherheit auf der Ostsee wurde ewiger Krieg geschworen.
Als es Hiolm nun endlich so weit gebracht hatte, daß das verderbliche Seeräubergesindel gänzlich von ihm vertilgt zu sein schien, und man ihn für den Retter des Vaterlandes halten mußte, da traten die Vornehmsten seiner Vaterstadt zusammen und berathschlagten, welche Belohnung des jungen Helden würdig sei.
»Mit Reichthümern« sagten sie »ist ihm nicht gedient; sein Vater ist reicher als wir alle. Für andere Dinge hat er kein Gefühl, denn er ist nicht wie die übrigen Jünglinge seines Alters; die Waffen sind sein Abgott, die gewöhnlichen Götzen der Jugend kennt er gar nicht.« – Endlich wurden sie einig, ihm zum Andenken der dem Vaterlande erzeigten Wohlthaten, den Namen Hiolm von Seeland anzutragen, und ihn dadurch auf immer vor seinen Zeitgenossen auszuzeichnen. »Du bist,« sagten sie zu ihm »der tapferste Sohn der vaterländischen Insel, du hast die Rechte deiner Mutter mit deinem Blute vertheidigt, und es ist billig, daß du dich auch nach ihrem Namen nennst, und durch denselben jedem, der ihn hört, stillschweigend sagst, welch ein Mann du bist.« – Viele Geschichtsforscher wollen in dieser Handlung die erste Spur von der Entstehung des Adels finden. Zwar wußte man damals noch nichts von Adel oder Adelstolz, aber der Keim zu dieser Erbsünde lag schon in manchem Herzen; auch in Hiolms Herzen fand er sich, und seine Mitbürger hatten gerade die rechte Ehrenbezeigung gefunden, ihn zu erfreuen und zu belohnen. Der erlangte Ehrentitel entzückte ihn, und das Bewußtsein, ihn verdient zu haben, entschuldigte die kleine Eitelkeit, die in dieser Freude lag. Es war nun einmal Hiolms Schicksal, sich an einem glänzenden Nichts zu ergötzen; als Knabe fesselten ihn die bunten Erscheinungen der Erleninsel, als Jüngling ein hochtönender Name, und was für ein Spielzeug ihm als Mann aufbehalten war, das wird der Leser bald erfahren.
Hiolm von Seeland häufte Siege auf Siege, sein Durst nach Ehre wurde nimmer gestillt, seine Ruhe war das Geräusch der Waffen, und so würde es sein ganzes Leben hindurch gedauert haben, hätte ihn das Schicksal nicht dem beständigen Kreislaufe, der keinen wahren Lebensgenuß aufkommen läßt, mit einem einzigen Zuge entrissen.
Einst gerieth er an einen der grönländischen Seeräuber, die sich damals auf den nördlichen Gewässern so furchtbar machten, als die Algierer heut zu Tage auf den südlichen. Der Kampf war blutig, der Sieg wurde theuer erkauft, aber die Beute, die gemacht wurde, war auch des Kampfes werth! Als Hiolm die Beute musterte, die er gewöhnlich größtentheils unter seine Krieger austheilte, da wurden ihm auch zwei junge Sclavinnen von ungewöhnlicher Schönheit vorgestellt. Diesen hätte er nun, wie er in einem solchen Falle sonst zu thun pflegte, gleich die Freiheit schenken und sie nach dem Orte bringen lassen sollen, den sie selbst bezeichnen würden, aber ungeachtet sie unsern Helden knieend hierum flehten, so wurden sie doch vorläufig mit ihrer Bitte abgewiesen und als Gefangene betrachtet. Auch schien es, als wenn beide reizende Geschöpfe, besonders die Schönere von ihnen, die sich Edda nannte, nur Anfangs recht von Herzen um ihre Freiheit gebeten, später aber die Bitte nur des Anstandes wegen wiederholt hätten.