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Märchenbasar

Erlkönigs Tochter

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Hiolm warf bei diesen Worten einen Blick auf seine Kleidung, und fand sie für eine Welt, in welcher man alles nach der äußern Schale beurtheilt, in der That nicht sehr glänzend. Die Kleider, welche er bei seiner Ankunft auf der Insel getragen hatte, waren längst zerrissen, gegenwärtig bestand seine Hülle aus einem alten Segeltuche, zu welchem er, wir wissen nicht wie, gekommen war. Das einzige, was noch hätte Ehrfurcht erwecken und seinen Stand muthmaßen lassen können, war sein gutes Schwert, an dessen Griffe einige große Edelsteine saßen. Es war ein Geschenk des Königs von Thule, ihm schon um des Gebers willen unschätzbar, und daher von ihm so unzertrennlich, daß er es weder bei Tage noch bei Nacht abgürtete, und es also auch mit hierher gebracht hatte. Sein Auge fiel im Ueberschauen seiner Hülle auch auf dieses Denkmal ehemaliger Größe, und es war, als wenn ihm dieser Anblick einige Beruhigung gewährte. Die Diener achteten nicht weiter auf ihn, und verließen ihn lachend. Er sah wohl ein, daß er es anders anfangen müßte, wenn er hier fortkommen wollte. Von einem heftigen Durste gequält, eilte er den Dienern nach und bat, indem er seinen früheren Ton sehr herabstimmte, höflichst um einen Trunk Wasser.

»Gut,« antwortete einer, »Höflichkeit möchte dir hier eher helfen, als Trotz. Folge uns, und du sollst deinen Durst stillen, aber nicht mit Wasser, denn hier wird heute nichts als Wein getrunken.« Man reichte ihm einen vollen Becher, er labte sich und dankte; allein man gab ihm zu verstehen, daß es hier nicht mit bloßem Dank gethan wäre. »Du bist stark genug, zu arbeiten,« sagten sie, »und an Arbeit für deinesgleichen fehlt es hier nicht. Nimm den Wassereimer! schöpfe aus dem Springbrunnen und besprenge das Marmorpflaster, daß es nicht stäube, wenn der König und die Prinzessin über den Hof in den Garten gehen.«

»Aber, mein Gott,« rief Hiolm, »kann ich denn nicht erfahren, wo ich bin, und von was für Königen und Prinzessinnen die Rede ist?« – »Von wem anders,« lautete die Antwort, »als von dem Könige von Scandinavien, und der Tochter des Königs der unbewohnten Inseln, seiner Braut, mit der er sich heute vermählen wird!«

Unsrem Helden ging nun auf einmal ein helles Licht auf. Er wußte, daß unter letzerem Könige der Erlkönig gemeint war, der sich jenes Titels zuweilen bediente, und der Name des Königs von Scandinavien war ihm auch nicht unbekannt. – »Also ist alles, was mir gestern und heute begegnete, doch kein Traum?« sagte er zu sich selbst. »Edda die Braut eines Andern? Ich im Vorhofe ihres Palastes, die Hochzeitfreude zu stören? Aber in dieser Gestalt, in der mich nicht einmal die geringsten Diener respektiren? – Himmel, was soll ich anfangen? O, daß ich doch die Rathschläge des Unbekannten nicht verschlafen hätte! Er wollte mir sagen, wie ich mich bei der Sache nach seinem Willen benehmen sollte, aber ich will sterben, wenn ich ein Wort davon weiß; der betrügerische Schlummer hat mich um Alles gebracht.«

Unter diesem Selbstgespräche hatte Hiolm seine Wassereimer gefüllt, und fing an, das Marmorpflaster zu besprengen.

Er war eben wieder zum Brunnen gegangen, um noch einmal Wasser zu schöpfen, als dicht an ihm, aus dem Haupteingange des Schlosses kommend, eine weibliche Gestalt vorüber strich, die er augenblicklich erkannte, und ihr einen sehnenden Blick nachschickte. Es war die schöne Thulis, die Tochter des Königs der Schneeinsel, die hinab in den Garten eilte, für ihre Freundin eigenhändig noch einige Blumen zum Brautschmuck zu pflücken. »Ja, wenn ich diese sprechen könnte!« dachte er, »doch wird sie mich auch für den erkennen!, der ich bin? Ach, meine Kleider sind es nicht allein, die mich unkenntlich machen, Noth und Kummer mögen wohl meine Gesichtszüge sehr verändert haben!«

Hiolms Befürchtungen waren indeß ganz überflüssig. Der Gram der Liebe, sagt man, vermindert die Schönheit nicht. Hiolm hatte auf seiner Insel ganz gut leben können, auch hatte er daselbst die Sorge für seine Person keinesweges so ganz vernachlässigt, wie es wohl sonst die Bewohner von wüsten Inseln zu thun pflegen. Es war hier weder von langgewachsenem Barte, noch ausgezehrtem, sonnenverbrannten Gesichte, noch von trüben, verloschenen Augen die Rede. Er strich sich die dunkeln Locken, die seine Heldenstirn und die rosigen Wangen ein wenig beschatteten, aus dem Gesichte, wusch sich an dem Brunnen, gürtete das kostbare Schwert über den groben Kittel, und machte so eine zwar etwas seltsame, aber nicht ganz uninteressante Figur. –

Wie kenntlich er war, das bewies das Erstaunen der schönen Thulis, welcher er bei ihrer Rückkunft aus dem Garten gerade entgegen trat, und die bei seinem Anblicke laut aufschrie.

»Wie?« rief sie, »Hiolm von Seeland? In dieser Verkleidung? zu dieser Stunde? Wo seid ihr bisher gewesen? Daß ihr noch am Leben wäret, muthmaßten wir erst vor Kurzem; aber euer Außenbleiben, euer ewiges Außenbleiben!«

»Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn ich noch länger weggeblieben wäre,« sagte Hiolm mit einiger Empfindlichkeit. »Einer Gattin, die sich für eine Witwe hält, und zur zweiten Ehe schreiten will, kann der Anblick des ersten Gemahls am Hochzeittage nie erwünscht sein!«

»Das werdet ihr gleich sehen,« erwiederte sie. »Ich eile, euren Namen der betrübten Braut zu nennen.«

Da Hiolm von dem ungestümen Wesen der Prinzessin der Schneeinsel, das er sehr wohl kannte, Nachtheiliges fürchtete, so rieth er ihr Vorsicht und Behutsamkeit an; aber diese löblichen Tugenden waren bei solcher Veranlassung weder von ihr, noch von ihrer Freundin zu verlangen. Edda saß am Putztische, als ihr die athemlose Thulis den Namen ihres verlornen Gemahls nannte, und das Entzücken übermannte die treue Gattin so sehr, daß sie, den kaum halbvollendeten Anzug, den königlichen Anstand und alle andern Bedenklichkeiten ganz aus den Augen setzend, mit aufgelößtem Haar, mit unbedecktem Busen, mit fliegendem Gewand ihrer Freundin nach, in den Marmorhof hinabeilte, wo sie den einzig Geliebten, den so schmerzlich Vermißten wiederfinden sollte.

Wie schön war sie in der Unordnung, mit welcher sie sich ihrem Hiolm in die Arme stürzte! wie schön in den Thränen der Liebe, die sie an seinem Busen vergoß! – Das ganze Hofgesinde versammelte sich, um das seltsame Schauspiel, wie sich die königliche Braut mit einem Wasserträger küßte, mit anzuschauen; auch kamen die drei Könige, der von Scandinavien, der Erlkönig und der alte König von Thule auf dem Balcon zum Vorschein, um zu sehen, was es gäbe. Sie hatten gehört, wie die beiden Damen die Treppen hinabstürzten, sie vernahmen nun das Getümmel unten im Hofe, und verließen voll Neugier die vollen Pokale, bei welchen sie immer saßen, um sich einen Anblick zu verschaffen, der wenigstens zweien von ihnen nicht erwünscht sein konnte.

Der König von Scandinavien rieb sich die Stirn, der Erlkönig sprühte Funken, und nur der gute alte König der Schneeinsel hielt es für gut, sich nicht eher zu erzürnen, als bis er von der Sache näher unterrichtet wäre. Der Name Hiolm, welcher tausendmal aus dem Munde der entzückten Gattin tönte, löste sehr bald das ganze Räthsel, aber die Sache gut zu machen, war er nicht hinlänglich; bei dem Erlkönige diente er nur dazu, sie noch mehr zu verschlimmern. Seltsame Dinge würden erfolgt sein, wenn der weise Greis, der viel über den heftigen Geisterfürsten vermochte, nicht ein Wort im Ernste mit ihm geredet, und dann hinabgegangen wäre, die vierte Person bei dem seltsamen Schauspiele abzugeben.

Da sich die Identität des wiedergekommenen Gemahls nicht bezweifeln ließ, so kam gegen Abend unter Vermittlung des Königs von Thule ein Vergleich zu Stande, mit welchem alle Theile zufrieden waren, oder zufrieden sein mußten. Daß Hiolm und Edda ungetrennt blieben, forderten alle göttlichen und menschlichen Rechte. Der König von Scandinavien entsagte seiner Braut, weil ein Anderer frühere Rechte auf sie hatte, und er that es mit der besten Art von der Welt; denn er war keinesweges der böse Fürst, wie ihn Edda, deren kleiner Eigensinn ihr manchmal einen Streich spielte, ehemals ihrem Hiolm geschildert hatte. Der Erlkönig schwieg, weil er besorgte, Hiolm möchte ihn sonst der meuchlerischen That laut anklagen, in Folge deren alle diese Verwirrungen entstanden waren; aber sein Widerwille gegen diese Verbindung mit einem gemeinen Sterblichen, der weder Krone noch Thron hatte, war auch in seinem Schweigen nicht zu verkennen.

Der König von Thule durchschaute ihn ganz, und da er ihn gern zufriedenstellen und das Entzücken des jungen Ehepaares noch vermehren wollte, so begann er folgendermaßen: »Ist der Held, Hiolm von Seeland,« sagte er, »zu gering, der Eidam des Königs der unbewohnten Inseln zu werden, so wird Hiolm, der Erbe des Thrones von Thule, vielleicht glücklicher sein. Die Gesetze meines Reiches schließen meine Tochter von der Thronfolge aus. Sie wird die Krone tragen, die ihr künftiger Gemahl ihr zubringt; die meinige muß ich einem Fremden überlassen. Wohlan, so sei Hiolm dieser Fremde! Er ist es zwar weder meinem Herzen noch meinem Volke, er hat sich um das eine schon so verdient gemacht als um das andere, und ich hatte ihm auch diese Belohnung schon früher zugedacht, als alle diese Dinge sich ereigneten. Heil! Heil dem künftigem König von Thule! dem Retter meiner Tochter und meines Landes! dem glücklichen tapfern Hiolm von Seeland!«

In den Ruf des guten Königs stimmten alle Großen der Schneeinsel ein, welche gegenwärtig waren, die Liebenden sanken ihm zu Füßen und nannten ihn Vater, der Erlkönig gab sich zufrieden, und der König von Scandinavien, um auch etwas Ruhmwürdiges zu thun, befahl, daß das Fest der Wiedervereinigung Hiolms und seiner Edda diesen Abend mit eben der Pracht gefeiert werden sollte, als wäre es sein eignes Hochzeitfest.

Alles war nun Wonne, alles Entzücken! Der Palast tönte wieder vom Freudengeschrei, und als die Nacht einbrach, erschufen tausend angezündete Kerzen einen künstlichen Tag. Man setzte sich zur Tafel, und der König von Scandinavien überließ Hiolm von Seeland gern den Platz neben seiner Edda, denn er hatte den Seinigen neben der schönen Thulis genommen. Man lachte, man scherzte, man ließ die goldnen Pokale fleißig herumgehen, und dachte sich tausend Meilen weit vom Unglück entfernt, als es auf einmal die eiskalte hand nach den Kindern der Freude ausstreckte.

Die Gäste starrten pötzlich zu gleicher Zeit auf eine Stelle, und das, was sie erblickten, schien einen allgemeinen Schrecken, dessen Grund man sich selbst nicht ganz erklären konnte, zu verbreiten. Mitten im Saale, der frohen Tischgesellschaft gegenüber, stand ein Mann, man wußte nicht, wer er war, man wußte nicht, woher er kam. – Er nahte sich mit feierlicher Langsamkeit dem obern Theile der Tafel, wo Edda mit ihrem Gemahl saß. »Kennst du mich, Hiolm von Seeland?« sprach er, »ich bin der, durch dessen Hülfe du das gegenwärtige Entzücken genießest. Ich komme, meinen Lohn zu fordern; erinnere dich, daß du mir gestern die Hälfte des Liebsten, was du besitzest, versprochen hast!«

»Fordere,« sagte Hiolm, der sich nichts Arges versah, »fordere, ich bin bereit mein Versprechen zu halten. Ich bin jetzt so reich, daß ich dir leicht die Hälfte meiner liebsten Schätze abtreten kann, ohne darum zu verarmen!« »Wohlan,« entgegnete der Unbekannte, »ich weis, daß dir auf dieser Welt nichts theurer ist, als dieses Weib und dieses Kind; ich will nicht grausam sein, wähle du selbst, welches von beiden du behalten, und welches du mir überlassen willst. – Du zögerst? Kannst du das mir gethane Versprechen läugnen?«

Edda hatte die ganze Zeit über in stummen Entsetzen dagesessen, und fand erst jetzt Worte, ihre Verzweiflung auszudrücken.

»Ein solches Versprechen konntest du thun?« fragte sie, indem sie sich zu Hiolm wandte. »Und kanntest du den, dem du es gabst? – O Hiolm! Hiolm! unvorsichtiger, blödsinniger Sterblicher! wie recht hatte ich, dir ehemals das, ›hüte, hüte dich!‹ zuzurufen. Es ist der Fürst der Insel Mona, unser alter Feind, in dessen Fallstricke du gerathen bist, vor welchem ich dich warnte, und nun, welche Macht soll dich retten? Du ziehst mich und meinen Sohn mit dir in den Abgrund hinab! Wir sind alle verloren!«

Hiolm war bei dieser Rede seiner Gemahlin mehr todt als lebendig. Allgemeines Entsetzen bemächtigte sich der ganzen Versammlung. Einige klagten laut über das kurze Glück der beiden wiedervereinigten Gatten, andere, die die Macht des Fürsten der Insel Mona nicht kannten, drohten, und noch andere boten ihm Schätze, Länder und Kronen an, um ihn zu befriedigen. Er wies Alles zurück, und beharrte auf seiner Forderung. »Ich wußte wohl,« rief Edda weinend, »daß du nicht eher ruhen würdest, bis du mich zur Vergeltung für einst verschmähte Liebe gränzenlos unglücklich gemacht hättest! O Gott! wen wird nun das Loos des Elendes treffen, mich? oder dies unschuldige Kind?«

»Es ist mir lieb,« sagte der Furchtbare, »daß du die Ursache meiner Rache und die Rechtmäßigkeit derselben erkennst; doch würde die schöne Edda sehr irren, wenn sie glaubte, ich geizte noch nach ihrem Besitze. Um sie von dem Gegentheile zu überzeugen, erkläre ich sofort, daß ich sie gern ihrem Gemahle überlasse, und mit diesem Kinde, das mir gefällt, zufrieden sein will. Lebt wohl, und denkt nie an das Wiedersehen!«

Mit diesen Worten bemächtigte er sich des kleinen Hiolm, den seine weinende Mutter vergebens in ihren Armen fest zu halten strebte, und den ihr Gemahl, dem schon vor dem Verluste seiner Geliebten bange gewesen war, zwar mit Schmerzen, aber doch einigermaßen getröstet, in der Gewalt des Unerbittlichen sah.

»Tröste dich, Edda,« sagte er, »dieser Mann wird unserm Kinde kein Leid zufügen. Ob er der von dir so sehr gefürchtete Fürst der Insel Mona ist, weiß ich nicht, aber wohl weiß ich, daß er es ist, der mich zweimal dem Tode entriß und dem ich deine Wiedererlangung danke; ich kann nicht glauben, daß wir von ihm großes Unheil zu befürchten haben!«

»Ist dies deine ernstliche Meinung von mir?« fragte der Fremde. Als Hiolm dies bejahte, fuhr er fort: »Nun so höre, was ich dir noch zu sagen habe: War ich dein Lebensretter, so warst du auch der meinige. Als diese grausame Prinzessin, und dieser blutgierige Tyrann, dieser Erlkönig, mir wegen meiner Liebe zu einer Undankbaren das Leben raubten, da warst du es, der es mir wiedergab, indem du meinem Leichnam eine Hand voll Erde gönntest. Ich hatte dir Dankbarkeit, ihr Rache gelobt, und ich dachte dieses Gelübde zu gleicher Zeit zu erfüllen. Ich veranstaltete, daß ihr einander sahet. Liebe entglomm in euren beiden Herzen, – Liebe eines ätherischen Mädchen, Liebe eines gemeinen Sterblichen! Was konnte wohl Wirksameres erdacht werden, den einen zu erheben, die andere zu erniedrigen? Meine Hand war in der Folge überall bei Lenkung eures Schicksals mit im Spiele. Es ist mir so ziemlich geglückt, diese stolze Schönheit zu demüthigen, und ich leugne nicht, daß ich oft noch Schlimmeres mit ihr im Sinne hatte, als mir die Dankbarkeit gegen Hiolm auszuführen erlaubte. Mein Herz erweichte sich indeß nach und nach gegen die Undankbare, und völlig war es ausgesöhnt, als neue Liebe mich die alte, und die damit verbundene Rache vergessen ließ.

Ja, Edda, ich fühle es, ich liebe, aber nicht mehr dich, nein, deine sanfte, gutmüthige, unschuldige Freundin, die schöne Thulis. Mein heimliches Einverständniß mit Hinrich von Röschild ist euch bekannt. Sein Verstand war zu plump, als daß ich von ihm hätte völlige Befriedigung meiner Wünsche hoffen können; vielleicht war auch eine höhere Hand zu Eddas Rettung geschäftig! Anstatt, daß Hinrich mir die grausame Geliebte in die Hände hätte spielen sollen, brachte er sie an einen Ort, wo ich mich nur an ihrem Anschauen ergötzen durfte. Als ich nun einst auf die Erleninsel kam, mich an Eddas Schönheit zu weiden, sah ich die holde Thulis, und fand durch sie jeden andern Reiz verdunkelt. Sie ist gegenwärtig der Gegenstand aller meine Wünsche, und kann sie sich entschließen, den König von Scandinavien mir aufzuopfern, so gebe ich euch sofort euer Kind zurück; ich hatte nichts Böses mit ihm im Sinn, ich wollte es zum Erben der Insel Mona, zum Eigenthümer der Inseln des stillen Meeres machen, die jetzt mir gehören. Aber was bedarf ich fremder Kinder, da Thulis, die schöne Thulis, mir Söhne geben kann?«

Aller Augen richteten sich bei diesen Worten auf die Tochter des Königs von Thule, die in sittsamer Verlegenheit an der Seite des Königs von Scandinavien saß, und kein Wort vorbringen konnte. Hiolm und Edda hingen an ihr mit bittendem Blick, sie wollten von ihrem Entschlusse den Besitz des kleinen Hiolm und die Freundschaft des mächtigen Fürsten der Insel Mona erflehen. Der König von Scandinavien zitterte; denn im Geheimen hatte er die schöne Thulis zu Eddas Stellvertreterin erkohren. Sein Glück stand hier abermals auf dem Spiele, und wenn es schon für den gemeinsten Sterblichen keine Kleinigkeit ist, in einem Tage zwei Bräute zu verlieren, um wieviel mehr mußte ein solcher Verlust einem Fürsten schmerzen, der gewohnt war, Alles sich seinen Wünschen oder Befehlen fügen zu sehen.

Thulis zögerte, zu antworten; ach, ihr Herz hatte bereits nur allzulaut für ihren königlichen Bewerber gesprochen. Er war jung, schön und liebenswürdig, der Fürst der Insel Mona ernst, still und feierlich, und überdies ein Wesen höherer Art, mit dem nicht leicht ein Erdenmädchen gern eine Verbindung eingehen wird. Ihre Blicke wanderten ängstlich von dem kleinen Hiolm, der noch in den Armen des Furchtbaren zitterte, auf ihre Freundin Edda, aus deren Augen die Thränen häufig hervorstürzten. Ihr Herz wurde bewegt, sie gedachte des Freundschaftsbundes, den sie mit Edda geschlossen, gedachte der vielen Aufopferungen, durch die sie ihrer Freundin bisher ihre Liebe bewiesen hatte, und wollte es nicht an der letzten und größten fehlen lassen, die andern alle zu bekrönen.

Noch ein Seufzer für den König von Scandinavien, ein fragender Blick auf den König von Thule, und dann der heldenmüthigste Entschluß, dessen sich je ein Mädchen rühmen konnte, Aufopferung der liebsten Wünsche, um eine Freundin glücklich zu machen.

Sie stand auf; Niemand war, der ihre edle Absicht verkannte, am wenigsten der Fürst der Insel Mona, über dessen Gesicht sich eine seltene Heiterkeit verbreitete, und der die Bewegung, welche die großmüthige Thulis machte, für eine Aufforderung ansah, den kleinen Hiolm seiner Mutter wieder zu geben. Der König von Thule legte die Hand seiner Tochter in die Hand des künftigen Schwiegersohnes, der ihm weniger mißfiel, als der zitternden Thulis. Glückwünsche, Ausrufungen des Beifalls, Danksagungen und Liebesversicherungen folgten jetzt so rasch hintereinander, daß man sich am Ende gar nicht mehr verstehen konnte.

Niemand spielte bei dem ganzen Handel eine traurigere Rolle, als der gute König von Scandinavien. Er ergriff indeß die klügste Partie, und that, da es zwischen ihm und seiner zweiten Geliebten noch nicht zu wörtlicher Erklärung gekommen war, als ginge ihm die ganze Sache nichts an. Einige behaupten sogar, er sei der erste gewesen, der die Gesundheit des neuen Brautpaares ausgebracht habe.

Das Fest wurde mehrere Tage mit allem möglichen Glanze auf Kosten des großmüthigen Königs von Scandinavien fortgesetzt. Während die meisten Gäste sich auf dem Gipfel des Entzückens befanden, gab es indeß auch einige, die die allgemeine Freude nicht theilten. Thulis, die so große Opfer gebracht, gehörte Anfangs zu diesen, doch söhnten Vernunft und Ueberlegung, so wie die heissen Danksagungen ihrer Freunde sie bald mit ihrem großmüthigen Entschlusse aus. Liebe und Dankbarkeit verschönerten ihren Gemahl mit der Zeit in ihren Augen. Was ihn an jugendlicher Anmuth abging, das ersetzte sein weiser Ernst, und der hohe Rang, den er in der Reihe der Wesen behauptete. In seinen Armen konnte sie sich Hoffnung auf Unsterblichkeit machen, während die gute Edda durch ihre Verbindung mit einem Sterblichen freilich der Vergänglichkeit entgegen reifte.

Zwar genoß die Tochter des Erlkönigs lange Zeit das Glück der Liebe an der Seite ihres Hiolm, aber endlich, endlich kam doch die Zeit der Trennung. Sie entfloh der Erde früher als er, und gab ihm im Sterben jenes berühmte Geschenk, den goldnen Becher, den noch jetzt die Gesänge unserer Barden feiern.

»Gränzenlos wird dein Kummer sein, wenn du mich nicht mehr dich mit liebevoller Zärtlichkeit umschweben siehst,« sagte sie zu ihrem Hiolm, der damals schon längst die Krone von Thule trug. »Du würdest vergehen, wenn ich dir nicht ein Linderungsmittel lehrte! Nimm dieses goldne Trinkgeschirr; mit welchem Getränke es auch gefüllt sein mag, du wirst daraus Vergessenheit trinken, bis wir uns in seligern Gegenden wiederfinden, wo wir eines solchen betäubenden Mittels nicht mehr bedürfen.«

Der weinende Hiolm nahm das Geschenk seiner sterbenden Geliebten, brauchte es nach Vorschrift, und fand es probat; doch soll er es öfterer mit Wein als mit Wasser gefüllt, und sich dann allemal besser daraus gestärkt haben. Von ihm her schreibt sich die Gewohnheit der Erdensöhne bis auf unsere Tage, aus gefüllten Bechern Vergessenheit zu trinken.

Doch Hiolm trank nicht so viel, wie seine Nachfolger; Eddas Andenken war ihm zu theuer, als daß er hätte wünschen sollen, es ganz aus seiner Seele zu tilgen.

Er war derselbe König von Thule, der am späten Abend des Lebens, bei Annäherung des Todes, und nach geschehener Erbtheilung, nichts für sich behielt, als den goldnen Becher. Bei dem letzten Feste der Schalen, das er auf seinem Schloß am Meer feierte, that er noch den Scheidetrunk aus dem heiligen Gefäß, warf es dann mit einer Thräne des Andenkens an die Geliebte hinab in die Fluthen, und – starb.

Mit ihm starb auch die Herrlichkeit von Thule; der junge Hiolm, den sein Großvater, der Erlkönig, als künftigen Thronfolger wenig von seiner Seite ließ, war nicht im Lande. Der Seeräuber Naddock kam von dem fernen Atlantis herüber, nahm Besitz von der verlassenen Schneeinsel, und verwandelte ihren Namen in Eisland, oder Island, unter welchem sie noch bekannt ist bis auf den heutigen Tag.

Christiane Benedicte Eugenia Naubert (1756–1819)
(Volksmährchen der Deutschen, Volksmährchen Bd. 2)

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