„Wenn der Mond scheint, kann und darf ich nicht schlafen. Ich muss in seinem Strahle weilen, so lange er zu sehen ist. Darum lasst mich hier am Fenster sitzen und höret meine Geschichte.“
„Du sprichst wie eine Erwachsene und siehst doch aus wie ein achtjähriges Kind“, rief die Witwe staunend. Das Mondmädchen lächelte traurig. „Wir haben eine andere Zeitrechnung als ihr. Wenn ihr beide längst alles Erdenleid hinter euch haben werdet, werde ich noch immer ein Kind sein. Ich lebte schon, als die erste Christnacht anbrach. Ich sah die Hirten auf Judäas Fluren und hörte der Engel Jubelchören bei der Geburt des Kindes in der Krippe. Ich schaute in den Stall von Bethlehem; und der holdselige Anblick wird mir ewig unvergesslich bleiben.
Dann sah ich ihn wieder, den Welterlöser, in der Nacht, da er verraten ward! Ich sah ihn am Ölberge zittern und zagen, und beneidete die Menschen, um derentwillen er so unsägliches Leid erduldete.“ Luana schwieg; atemlos und ehrfurchtsvoll blickten Frau Reinald und Johannes auf das wundersame Kind. Das soeben Gehörte überwältigte Mutter und Sohn. War es dann möglich,
dass in ihrer armseligen Wohnung ein Wesen weilte, das all die heiligen, welterschütternden Ereignisse miterlebt hatte! War es nicht doch vielleicht nur ein Traum? Aber das holde Wunder vor ihnen verschwand nicht, als sie wiederholt Gott anriefen, sie vor trügerischen Zauberspuk zu bewahren. Strahlender Vollmondschein umwob Luanas liebliche Gestalt mit überirdischem Lichte, und das dürftige Zimmer war so hell erleuchtet, wie an einem Sommertage. Da konnten Mutter und Sohn an der Wahrheit und Wirklichkeit nicht länger zweifeln. Aber sie blickten mit fast heiliger Scheu auf den kleinen Gast, und nur zögernd sagte Frau Reinald: “ Habe Dank für deine Rede. Sie hat mich tief ergriffen. Aber willst du uns jetzt nicht erzählen wie du auf die Waldwiese gekommen bist?“ Das Kind nickte traurig:“ Ihr sollt alles erfahren, denn nur dadurch, dass ich meine große Schuld offen und ohne Beschönigung eingestehe, bleibt mir die Hoffnung, mein Kleinod mit eurer Hilfe zu erlangen. Ich habe euch schon oft gesagt, daß meine Heimat der schöne, glänzende Mond dort oben am Himmel ist. Seit der Erschaffung der Welt leben die Meinen dort, und weder Ungehorsam, noch gar Auflehnung, brachte sie jemals mit den Gesetzen des Allschöpfers in Unfrieden. Ganz anderen Bedingungen, als euch Menschen, ist unser Tun und Treiben unterworfen. Wir haben eine andere Zeitrechnung – Wir haben nicht das Bedürfnis nach Speise und Trank; aber Allezeit preisen wir mit euch die Herrlichkeit und Allmacht des Höchsten. – Elend und Krankheit gibt es meiner Heimat nicht. Nahrungssorgen, Jagd nach Reichtum und Ehren sind uns unbekannt. – Auch der Tod hat für uns keine Schrecken. Wenn unsere Zeit gekommen ist, verwandelt uns der gütige Schöpfer und macht uns zu Schutzengeln seiner neugeborenen Erdenkinder. – Unsere Eltern sind unsere Vorbilder in allen Tugenden; und unser Dasein verläuft harmonisch und schattenlos bis auf einen Punkt.“ Hier schwieg ;Luana voll Trauer und blickte sehnsuchtsvoll nach dem Monde. Frau Reinald und ihr Sohn schauten mitleidig und aufs höchste gespannt auf den kleinen, fremden Gast. Immer noch war ihnen wie Träumenden zumute, aber das liebliche Kind hatte längst ihre herzen gefangen genommen.
„Sei nicht betrübt, Luana,“ sagte Hannes freundlich. „Es wird alles wieder gut werden; und was in meinen Kräften steht, will ich tun, um dir deine Kugel suchen zu helfen.“ „Ja, er wird dir beistehen,“ beteuerte auch die Witwe. „Er geht auf Gottes Wegen, und darum wird es ihm nicht fehlen.“ Dankbar schaute Luana auf ihre Beschützer. „Dass ich nach meinem Fehltritt in eure Hände geriet, werde ich Gott niemals genug danken können! Meinen armen Schwestern ist es nicht so gut gegangen, und der böse Schwarzelf hatte recht, wenn er höhnend sagte, andere Menschen hätten sich nur um die kostbare, silberne Kugel und niemals um das Schicksal ihrer Beschützer gekümmert. Ach, wie viel Leid und Trauer gab es damals in meiner Mondheimat! Denn, wenn die Kugel ihrem ursprünglichen Besitzer nicht mehr zugestellt wird, muß er auf der Erde sterben und verderben! Die Kugel ist unsere Seele, unser Leben, unser Glück, unser alles! Ohne die silberne Kugel sind wir macht – und – rechtlos, und jeder Kobold kann uns zugrunde richten. Ohne dein Dazwischenkommen, Johannes Reinald, wäre ich jetzt für immer dem Bösen verfallen; – und darum danke ich dir! Aber es soll dein Schade nicht sein, dass du dich der Hilflosen angenommen hast. Und selbst, wenn ich meine Kugel nicht wiederfinden Würde und immer bei euch bleiben müsste: Meine Gegenwart in eurer Hütte hält Not und Jammer fern! Aber nun hört. Was es mit meinem verlorenem Kleinode für eine Bewandtnis hat. Wenn wir Mondkinder zum Leben erwachen, haben wir sofort Gewalt über Geist und Körper. Wir sind nicht hilflos, wie ihr, und unsere Eltern haben keine Not, sondern Freude an uns. Gleich bei unserer Geburt erhalten wir die silberne Kugel. Das ist ein Kleinod, so köstlich, wie ich es gar nicht beschreiben kann! Es ist, wie ich schon einmal sagte, unsere Seele, unser Glück, unser Leben! Aufs genaueste gibt dieses Wunder außerdem die Stunden – Zeit – und Jahresrechnung an. Kunstvoll ist der Lauf der Gestirne eingegraben und eine kleine Spiegelfläsche zeigt uns alle Ereignisse, die in der Welt vorgehen. Denn die Kugel ist kein totes, mechanisches Instrument wie etwa eure Uhren; nein, sie lebt! Und von einer unsichtbaren Gewalt getrieben, bewegen sich auf ihr die Abbilder von Sonne, Mond und Sternen. Wollen wir etwas wissen, so brauchen wir nur auf die Kugel zu schauen, und es wird uns sofort Antwort. Ach, ich kann euch unmöglich alle Vorzüge und Herrlichkeiten unseres Kleinodes schildern!- Nur noch eines muß ich zum Verständnis meines Unglücks mitteilen: Wenn wir die Kugel erhalten, wird sie mit einer feinen silbernen Kette an unsrem Hals befestigt, und wir müssen geloben, sie nie von diesem Bande zu lösen, Für gewöhnlich, in unserer Heimat, tritt diese Versuchung auch niemals an uns heran. Nun haben wir Mondkinder aber eine unbeschreibliche Liebe zu der Erde und ihrer Farbenpracht; denn bei uns auf dem Monde ist alles silberweiß! Berge, Häuser, Bäume, Blumen, Früchte, alles, alles schimmert silbern. So oft es also möglich ist, gleiten wir an den Mondstrahlen zur Erde hinab und ergötzen uns an dem Grün der Wiesen und Wälder und an den duftenden, bunten Blumen, die überall blühen. Die Kugel, die uns, auf unsern Wunsch unsichtbar bleibt, ermöglicht es uns ungesehen und ungestört von allen irdischen Wesen nach Herzenslust herumzutummeln und zu spielen. Solange wir das Kleinod nicht von der Kette lösen, droht uns nirgends Gefahr; darum erlauben uns unsere Eltern gern dies Vergnügen und den Spaziergang auf der Erde. Oft, oft bin ich schon in eurem Reiche gewesen und freute mich an den lieblichen, bunten Blumen. Alle eure Weltteile lernte ich auf diese Weise kennen; bald war ich hier, bald dort: in Europa, Asien, Afrika, Amerika, Australien, für uns ist es ein und dasselbe! Gestern tummelte ich mich am Strande der Nordsee, wo am Tag flachsköpfige, blauäugige Kinder mit Dünensand und Muscheln spielten – heute spazierte ich im Negerland, wo es seltsame Tiere und hohe Palmen gibt. Herrlich, ach herrlich ist unser Leben!“
„Du sprichst wie eine Erwachsene und siehst doch aus wie ein achtjähriges Kind“, rief die Witwe staunend. Das Mondmädchen lächelte traurig. „Wir haben eine andere Zeitrechnung als ihr. Wenn ihr beide längst alles Erdenleid hinter euch haben werdet, werde ich noch immer ein Kind sein. Ich lebte schon, als die erste Christnacht anbrach. Ich sah die Hirten auf Judäas Fluren und hörte der Engel Jubelchören bei der Geburt des Kindes in der Krippe. Ich schaute in den Stall von Bethlehem; und der holdselige Anblick wird mir ewig unvergesslich bleiben.
Dann sah ich ihn wieder, den Welterlöser, in der Nacht, da er verraten ward! Ich sah ihn am Ölberge zittern und zagen, und beneidete die Menschen, um derentwillen er so unsägliches Leid erduldete.“ Luana schwieg; atemlos und ehrfurchtsvoll blickten Frau Reinald und Johannes auf das wundersame Kind. Das soeben Gehörte überwältigte Mutter und Sohn. War es dann möglich,
dass in ihrer armseligen Wohnung ein Wesen weilte, das all die heiligen, welterschütternden Ereignisse miterlebt hatte! War es nicht doch vielleicht nur ein Traum? Aber das holde Wunder vor ihnen verschwand nicht, als sie wiederholt Gott anriefen, sie vor trügerischen Zauberspuk zu bewahren. Strahlender Vollmondschein umwob Luanas liebliche Gestalt mit überirdischem Lichte, und das dürftige Zimmer war so hell erleuchtet, wie an einem Sommertage. Da konnten Mutter und Sohn an der Wahrheit und Wirklichkeit nicht länger zweifeln. Aber sie blickten mit fast heiliger Scheu auf den kleinen Gast, und nur zögernd sagte Frau Reinald: “ Habe Dank für deine Rede. Sie hat mich tief ergriffen. Aber willst du uns jetzt nicht erzählen wie du auf die Waldwiese gekommen bist?“ Das Kind nickte traurig:“ Ihr sollt alles erfahren, denn nur dadurch, dass ich meine große Schuld offen und ohne Beschönigung eingestehe, bleibt mir die Hoffnung, mein Kleinod mit eurer Hilfe zu erlangen. Ich habe euch schon oft gesagt, daß meine Heimat der schöne, glänzende Mond dort oben am Himmel ist. Seit der Erschaffung der Welt leben die Meinen dort, und weder Ungehorsam, noch gar Auflehnung, brachte sie jemals mit den Gesetzen des Allschöpfers in Unfrieden. Ganz anderen Bedingungen, als euch Menschen, ist unser Tun und Treiben unterworfen. Wir haben eine andere Zeitrechnung – Wir haben nicht das Bedürfnis nach Speise und Trank; aber Allezeit preisen wir mit euch die Herrlichkeit und Allmacht des Höchsten. – Elend und Krankheit gibt es meiner Heimat nicht. Nahrungssorgen, Jagd nach Reichtum und Ehren sind uns unbekannt. – Auch der Tod hat für uns keine Schrecken. Wenn unsere Zeit gekommen ist, verwandelt uns der gütige Schöpfer und macht uns zu Schutzengeln seiner neugeborenen Erdenkinder. – Unsere Eltern sind unsere Vorbilder in allen Tugenden; und unser Dasein verläuft harmonisch und schattenlos bis auf einen Punkt.“ Hier schwieg ;Luana voll Trauer und blickte sehnsuchtsvoll nach dem Monde. Frau Reinald und ihr Sohn schauten mitleidig und aufs höchste gespannt auf den kleinen, fremden Gast. Immer noch war ihnen wie Träumenden zumute, aber das liebliche Kind hatte längst ihre herzen gefangen genommen.
„Sei nicht betrübt, Luana,“ sagte Hannes freundlich. „Es wird alles wieder gut werden; und was in meinen Kräften steht, will ich tun, um dir deine Kugel suchen zu helfen.“ „Ja, er wird dir beistehen,“ beteuerte auch die Witwe. „Er geht auf Gottes Wegen, und darum wird es ihm nicht fehlen.“ Dankbar schaute Luana auf ihre Beschützer. „Dass ich nach meinem Fehltritt in eure Hände geriet, werde ich Gott niemals genug danken können! Meinen armen Schwestern ist es nicht so gut gegangen, und der böse Schwarzelf hatte recht, wenn er höhnend sagte, andere Menschen hätten sich nur um die kostbare, silberne Kugel und niemals um das Schicksal ihrer Beschützer gekümmert. Ach, wie viel Leid und Trauer gab es damals in meiner Mondheimat! Denn, wenn die Kugel ihrem ursprünglichen Besitzer nicht mehr zugestellt wird, muß er auf der Erde sterben und verderben! Die Kugel ist unsere Seele, unser Leben, unser Glück, unser alles! Ohne die silberne Kugel sind wir macht – und – rechtlos, und jeder Kobold kann uns zugrunde richten. Ohne dein Dazwischenkommen, Johannes Reinald, wäre ich jetzt für immer dem Bösen verfallen; – und darum danke ich dir! Aber es soll dein Schade nicht sein, dass du dich der Hilflosen angenommen hast. Und selbst, wenn ich meine Kugel nicht wiederfinden Würde und immer bei euch bleiben müsste: Meine Gegenwart in eurer Hütte hält Not und Jammer fern! Aber nun hört. Was es mit meinem verlorenem Kleinode für eine Bewandtnis hat. Wenn wir Mondkinder zum Leben erwachen, haben wir sofort Gewalt über Geist und Körper. Wir sind nicht hilflos, wie ihr, und unsere Eltern haben keine Not, sondern Freude an uns. Gleich bei unserer Geburt erhalten wir die silberne Kugel. Das ist ein Kleinod, so köstlich, wie ich es gar nicht beschreiben kann! Es ist, wie ich schon einmal sagte, unsere Seele, unser Glück, unser Leben! Aufs genaueste gibt dieses Wunder außerdem die Stunden – Zeit – und Jahresrechnung an. Kunstvoll ist der Lauf der Gestirne eingegraben und eine kleine Spiegelfläsche zeigt uns alle Ereignisse, die in der Welt vorgehen. Denn die Kugel ist kein totes, mechanisches Instrument wie etwa eure Uhren; nein, sie lebt! Und von einer unsichtbaren Gewalt getrieben, bewegen sich auf ihr die Abbilder von Sonne, Mond und Sternen. Wollen wir etwas wissen, so brauchen wir nur auf die Kugel zu schauen, und es wird uns sofort Antwort. Ach, ich kann euch unmöglich alle Vorzüge und Herrlichkeiten unseres Kleinodes schildern!- Nur noch eines muß ich zum Verständnis meines Unglücks mitteilen: Wenn wir die Kugel erhalten, wird sie mit einer feinen silbernen Kette an unsrem Hals befestigt, und wir müssen geloben, sie nie von diesem Bande zu lösen, Für gewöhnlich, in unserer Heimat, tritt diese Versuchung auch niemals an uns heran. Nun haben wir Mondkinder aber eine unbeschreibliche Liebe zu der Erde und ihrer Farbenpracht; denn bei uns auf dem Monde ist alles silberweiß! Berge, Häuser, Bäume, Blumen, Früchte, alles, alles schimmert silbern. So oft es also möglich ist, gleiten wir an den Mondstrahlen zur Erde hinab und ergötzen uns an dem Grün der Wiesen und Wälder und an den duftenden, bunten Blumen, die überall blühen. Die Kugel, die uns, auf unsern Wunsch unsichtbar bleibt, ermöglicht es uns ungesehen und ungestört von allen irdischen Wesen nach Herzenslust herumzutummeln und zu spielen. Solange wir das Kleinod nicht von der Kette lösen, droht uns nirgends Gefahr; darum erlauben uns unsere Eltern gern dies Vergnügen und den Spaziergang auf der Erde. Oft, oft bin ich schon in eurem Reiche gewesen und freute mich an den lieblichen, bunten Blumen. Alle eure Weltteile lernte ich auf diese Weise kennen; bald war ich hier, bald dort: in Europa, Asien, Afrika, Amerika, Australien, für uns ist es ein und dasselbe! Gestern tummelte ich mich am Strande der Nordsee, wo am Tag flachsköpfige, blauäugige Kinder mit Dünensand und Muscheln spielten – heute spazierte ich im Negerland, wo es seltsame Tiere und hohe Palmen gibt. Herrlich, ach herrlich ist unser Leben!“