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Märchenbasar

Dornenblüt

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Die schöne und unglückliche Scheherezade hatte mit dieser Erzählung die neunhundertneunundneunzigste Nacht seit ihrer Vermählung geendigt, und der Sultan hatte sich, seiner klugen Gewohnheit getreu, vor Tagesanbruch aus seinem Bett erhoben, um sich vor seinen Ministern in den Staatsrat zu begeben.
Als er fort war, sagte Dinarzade, die bei all ihrer Voreiligkeit das beste Mädchen von der Welt war, zu der Sultanin:
»Du magst sagen, was du willst, liebe Schwester, bei allem Respekt, den ich für deinen Rang, deine Gelehrsamkeit und dein bewundernswürdiges Gedächtnis hege, kann ich doch nicht umhin zu glauben, daß du die größte Torheit von der Welt begangen hast, dir so ein Tier von einem Kaiser zum Manne zu suchen, der seit zwei Jahren, da du ihm Märchen erzählst, nichts anderes getan hat, als zuzuhören. Und was für Märchen? Verzeih mir, aber ohne die Lebhaftigkeit, mit der du erzählst, wäre ich nicht imstande gewesen, nur eines auszuhalten. Indessen bist du nun mit deiner Sammlung und also auch mit deinem Leben am Ziel. Die Geschichte, die du ihm eben erzählt hast, ist so kläglich, daß wir, er und ich, während der ganzen Zeit nichts getan haben, als zu gähnen. Die Geduld, mit der ich dir nun seit so langer Zeit Gesellschaft leiste, ist, dünkt mich, eine hinreichende Probe von der Zärtlichkeit, die ich gegen dich hege; aber, in der Tat, länger kann ich es nicht aushalten, und du wirst mir erlauben, mich diese Nacht zu entfernen, um dem Prinzen von Trapezunt ein Rendezvous zu geben. Wenn der Langeweile bei mir hat, wird es mich wenigstens den Kopf nicht kosten, ihn eine Nacht ohne Unterhaltung gelassen zu haben. Ich rate dir also, deinen Einfaltspinsel von Mann diese Nacht noch mit dem Märchen von der Pyramide und dem goldenen Pferde zu unterhalten, das wenigstens ebensogut ist als alle die anderen, die du ihm erzählt hast. Ich werde mich ohnfehlbar morgen wieder hier einstellen, und wenn sich der Sultan zu Bett begeben hat, wirf dich vor ihm auf die Knie, ehe du dich zu ihm hineinlegst, täusche eine plötzliche Unpäßlichkeit vor und bitte diesen abscheulichen Henker demütig, zu erlauben, daß ich ihn zum letzten Male an deiner Stelle unterhalten darf. Sag ihm ausdrücklich, daß es das letzte Mal ist und daß du unter keiner anderen Bedingung Gnade verlangst, als wenn das Märchen, das ich ihm erzählen werde, wunderbarer ist als alle, die er jemals gehört hat. Sag ihm, daß du dich nicht weigern wollest, ihm den folgenden Tag deinen Kopf darzureichen, daß er dir aber das Leben schenken müsse, wenn er mich vor Ende meiner Erzählung nur einmal unterbrechen würde. Ich glaube, er wird auf diese Bedingungen eingehen, denn du weißt wohl, wie aufmerksam er ist und daß du ihm die größten Armseligkeiten erzählt hast, ohne daß er dich nur ein einziges Mal bei allen deinen Märchen unterbrochen hätte.«
Jede andere hätte diesen Vorschlag mit Zittern gehört, aber die bewundernswürdige und weise Scheherezade fürchtete den Tod nicht und willigte ein.
Sie unterhielt also in der letzten der tausend Nächte ihren Herrn mit dem Märchen vom goldenen Pferde und der Pyramide; und als sich der Sultan in der folgenden Nacht zu Bett gelegt und sie auf die angegebenen Bedingungen hin die Erlaubnis erhalten hatte, ihre Schwester an ihrer Statt erzählen zu lassen, ließ die kluge Dinarzade den Sultan den Kontrakt zuvor unterzeichnen und fing ihre Erzählung an wie folgt:
»Allerdurchlauchtigster, allergroßmächtigster, allergnädigster und allerfrömmster Kaiser, der Ihr nur den Gesetzen der Gerechtigkeit und den Eingebungen Eures edlen Charakters folgt und alle Eure Frauen erwürgt, weil die erste Euren Haß auf sich lud, und der Ihr, voll edlen Zornes über die vielen Neger und Maultiertreiber, die in den Diensten dieser Kaiserin huldreichen Andenkens standen, so viele unschuldige Schöne dem Andenken einer strafbaren Schönen aufopfert, was würdet Ihr sagen, huldreichster Sultan, der Ihr für den geheimnisvollsten aller Fürsten geltet und dessen Minister für die unerforschlichsten aller Minister gelten, was würdet Ihr sagen, wenn Eure Sklavin Euch erzählte, was heute in Eurem Rate vorgegangen ist?« – »Larifari!« sagte der Sultan. »Vortrefflich!« fuhr Dinarzade fort. »Das ist gerade das, was ich meine. Geruhen Eure Majestät nur, mich anzuhören und Euer Versprechen nicht zu vergessen.« Und sie erzählte die Geschichte der Dornenblüt.
»Zweitausendvierhundertdreiundfünfzig Meilen von hier liegt das Königreich Kaschmir, welches wegen seiner außerordentlichen Schönheit berühmt ist. In diesem Lande regierte ein Kalif. Dieser Kalif hatte eine Tochter, und diese Tochter hatte ein Gesicht … Aber man wünschte tausendmal, daß sie lieber keines gehabt hätte. Bis in ihr fünfzehntes Jahr war ihre Schönheit noch zu ertragen, aber von dieser Zeit an wurde sie so außerordentlich schön, daß niemand ihren Anblick aushaken konnte. Sie hatte den schönsten Mund von der Welt, ihre Nase war ein Meisterwerk, und die Lilien von Kaschmir, welche tausendmal weißer sind als die unsrigen, schienen schmutzig im Vergleich mit ihrer Haut; und die Dichter des Landes nannten die Rosen unverschämt, die sich neben dem Rosenrot ihrer Wangen sehen ließen.
Ihre Stirn war einzig in ihrer Art, von der vollkommensten Bildung und einem Glanze, der durch die schönsten schwarzen Haare erhöht wurde, daher man ihr auch den Namen Luisante, Sonnenstrahl, gegeben hatte. Das Oval ihres Gesichtes entsprach den mannigfaltigen Reizen, die es vereinigte, aber ihre Augen verdarben alles. Man wußte nicht eigentlich, von welcher Farbe sie waren, denn niemand hatte sie je lange genug ansehen können. Man glaubte vom Blitze getroffen zu sein, wenn man ihren Blicken begegnete.
In ihrer Kindheit hatte der Kalif sie zuweilen zu sich kommen lassen, um sich in seinem Werke zu spiegeln und seine Höflinge in Atem zu setzen, die es niemals unterließen, eine Menge Armseligkeiten über ihre kindlichen Reize auszukramen. Denn schon damals löschte man mitten in der Nacht die Lichter aus, weil ihre kleinen Augen das ganze Zimmer hinlänglich erleuchteten, aber das alles war, wie man sagt, bloßes Kinderspiel. Die Sache war kein Spaß mehr, als diese Augen ihre ganze Macht bekommen hatten.
Die jungen Herren am Hofe kamen dabei auf die erbärmlichste Weise um, und man trug Tag für Tag zwei oder drei Stutzer zu Grabe. Die Herren bildeten sich ein, daß man in jedes Paar schöner Augen getrost hineinsehen dürfe; doch sobald sie hineinsahen, drang das Feuer bis in das Innerste ihres Herzens, und sie starben in weniger als vierundzwanzig Stunden. Die meisten riefen unablässig ihren Namen und dankten ihren schönen Augen auf das demütigste für die Ehre, von ihren Blicken getötet zu werden.
Das schöne Geschlecht lief weniger Gefahr bei ihrem Anblick. Die Frauenzimmer, welche ihren Blicken nur von weitem begegneten, kamen mit einer Augenschwäche davon, die zeitlebens dauerte. Diejenigen aber, welche näher um sie waren, bezahlten diese Ehre etwas teurer. Ihre Hofdame, ihre vier Kammerfräulein und ihre alte Oberhofmeisterin waren stockblind.
Die Großen des Reiches, welche die Hoffnung ihrer Familien durch das ungückliche Feuer dieser Augen erlöschen sahen, flehten den Kalifen demütig an, auf Mittel zu sinnen, wodurch dieser Verwüstung Einhalt getan werde, die ihre Söhne des Lebens und ihre Töchter des Augenlichts beraube.
Der Kalif rief seinen Staatsrat zusammen, um zu sehen, was bei dieser Sache zu tun sei. Sein Seneschall präsidierte, und dieser Seneschall war der einfältigste Mensch, der jemals präsidiert hat. Aus tiefen politischen Gründen hatte der Kalif gerade keinen Klügeren zu seinem ersten Minister machen wollen.
Die Sache ward vorgetragen, und der Staatsrat teilte sich in verschiedene Meinungen über die zu ergreifenden Maßnahmen.
Die einen rieten, die Prinzessin in ein Kloster zu stecken, weil sie behaupteten, es sei kein großes Unglück, wenn drei oder vier Dutzend alte Nonnen und ihre Äbtissin ihr Gesicht zum Besten des Staates aufopferten; andere meinten, man müsse ihr durch eine geheime Order verbieten, die Augen bis auf weiteren Befehl aufzutun; noch andere schlugen vor, sie ihr so künstlich ausstechen zu lassen, daß sie nicht den mindesten Schmerz dabei spüre, und versprachen, das Geheimnis zu dieser Operation herzugeben.
Der Kalif, der seine Tochter auf das zärtlichste liebte, fand an allen diesen Vorschlägen wenig Behagen. Sein Seneschall merkte es. Der ehrliche Mann hatte schon eine Stunde lang nichts getan, als zu weinen, und mit Tränen in den Augen fing er zu reden an:
‚Ich beweine‘, sagte er ‚den Tod meines Sohnes, des Grafen und Ritters vom Goldenen Degen, der ihn leider gegen die Blicke der Prinzessin nicht verteidigen konnte. Gestern haben sie ihn begraben. Doch wir wollen davon nicht weiter reden. Wir sind zum Dienst Eurer Majestät zusammengekommen. Ich muß vergessen, daß ich Vater war, um mich zu erinnern, daß ich Seneschall bin.
Mein Schmerz hat mich nicht gehindert, die Vorschläge zu hören, die gemacht wurden. Mit Erlaubnis des erlauchten Rates finde ich sie jedoch alle höchst ungehörig. Höret den meinigen.
Ich habe seit einiger Zeit einen Stallmeister in meinen Diensten, von dem ich zwar nicht weiß, wo er herkommt, noch wer er ist, aber ich weiß so viel, daß ich mich ganz und gar nicht mehr um mein Hauswesen zu bekümmern brauche, seitdem er bei mir ist. Er weiß und versteht alles, und ob ich gleich die Gnade habe, Eurer Majestät Seneschall zu sein, so bin ich neben ihm nur ein Dummkopf. Meine Frau hat mir dies wohl tausendmal gesagt.
Wenn nun Eure Majestät geruhen wollten, ihn über diesen wichtigen und schwierigen Gegenstand zu konsultieren, so bin ich überzeugt, daß er ohnfehlbar Rat schaffen würde.‘ – ‚Von Herzen gern‘, antwortete der Kalif, ‚zumal es mir das Vergnügen verschaffen wird, einen Mann zu sehen, der mehr Verstand hat als Ihr.‘
Man ließ ihn rufen, aber er weigerte sich zu kommen, bevor man nicht die Prinzessin mit ihren schönen Augen eingesperrt hätte. ‚Nun, Eure Majestät‘, rief laut der Seneschall, ‚was hab ich gesagt?‘ – ‚Ho, ho‘, erwiderte der Kalif, ‚wenn es weiter nichts ist. Er mag kommen. Er soll meine Tochter nicht sehen.‘
Er kam. Man fand ihn weder schön noch häßlich, aber er hatte etwas Angenehmes in seinem Wesen und etwas sehr Feines in seinem Gesichtsausdruck.
‚Eure Majestät können ihn kühnlich anreden‘, sagte der Seneschall. ‚Er versteht alle Sprachen.‘ Dem Kalifen, der nichts als seine Muttersprache, und selbst die noch dazu sehr mittelmäßig, sprach, war das ein großer Trost. Nachdem er einige Augenblicke nachgedacht hatte, um eine sinnreiche Wendung zu finden, fragte er: ‚Wie nennt Ihr Euch?‘ – ‚Larifari‘, antwortete er. ‚Larifari‘, sagte der Kalif, ‚Larifari‘, sagten alle Räte, ‚Larifari‘, sagte der Kanzler. ‚Ich frage Euch‘, sagte der Kalif noch einmal, ‚wie Ihr heißt?‘ – ‚Larifari‘, sagte jener mit einer tiefen Reverenz. ‚Und warum nennt Ihr Euch Larifari?‘ – ‚Weil dies nicht mein Name ist.‘ – ‚Wieso?‘ sagte der Kalif. ‚Weil ich meinen Namen abgelegt habe, um diesen anzunehmen‘, antwortete jener, ‚darum nenne ich mich Larifari, ob dies gleich nicht mein eigentlicher Name ist.‘ – ‚Nichts kann klarer sein‘, versetzte der Kalif, ‚und doch, wenn ich es hätte erraten sollen, ich glaube, ich hätte vier Wochen dazu gebraucht. Nun wohl denn, Larifari, was soll ich mit meiner Tochter anfangen?‘
‚Was Euch beliebt‘, antwortete er.
‚Antwortet ordentlich‘, fuhr der Kalif fort. ‚Was soll ich mit ihr machen?‘
‚Alles, was Euch beliebt‘, sagte Larifari noch einmal.
‚Pah!‘ rief der Kalif, ‚mein Seneschall hat mir gesagt, ich solle Euch konsultieren über das Unglück, das sie hat, alle, die ihr zu nahe kommen, entweder ums Leben oder um ihr Augenlicht zu bringen.‘
‚Sire‘, sagte Larifari, ‚es ist der Götter Werk, die sie so schön gebildet, nicht ihrer Augen Schuld. Wenn es indes ein Unglück ist, schöne Augen zu haben, so hat man meiner unmaßgeblichen Meinung nach zu folgendem Mittel seine Zuflucht zu nehmen. Die Fee Serène weiß alle Geheimnisse der Natur. Man sende ihr eine Kleinigkeit von einer oder zwei Millionen zum Geschenk, und wenn die Euch kein Mittel gegen die Augen der Prinzessin zu sagen weiß, so seid versichert, daß es keines gibt. Bis dahin wäre mein Rat, einen Kopfputz von einer schönen grünen Farbe zu erfinden, um darunter die Haare der Prinzessin Sonnenstrahl zu verstecken. Denn ich müßte mich sehr irren, wenn nicht der Glanz ihrer Haare, verbunden mit dem Feuer ihrer Augen, zum Teil die Ursache ist, daß ihre Blicke so außerordentlich gefährlich sind. Um endlich alle Schwierigkeiten zu beheben, will ich mit Eurer Majestät gnädigster Erlaubnis die Fee in Eurem Namen um Rat fragen, da mir ihre Wohnung bekannt ist.‘
Der Kalif war damit sehr wohl zufrieden. Man gab ihm einen Beutel mit kostbaren Diamanten und einen halben Scheffel große Perlen für Serène mit. Er machte sich auf den Weg, so unzufrieden auch die Frau Seneschallin mit der Reise sein mochte.
Seine Reise dauerte einen ganzen Monat, währenddessen Prinzessin Sonnenstrahls Augen mehr Unglück als jemals anrichteten. Der grüne Kopfputz hatte ihr nicht angestanden. Er tat zwar teffliche Wirkung und schwächte den Glanz der Augen etwas; aber zu gleicher Zeit warf er einen Widerschein auf ihr Gesicht, der ihr so mißfiel, daß sie im Zorn die Haube vom Kopfe riß und sie ihrer Hofdame ins Gesicht warf. Seitdem wurden ihre Augen von Tag zu Tag gefährlicher. Der Kalif ließ Prozessionen anstellen und in allen Kirchen beten, daß der Himmel sein armes Volk in Gnaden ansehen oder verhindern möge, daß ihn wenigstens seine Tochter nicht ansehe, als endlich der Abgesandte zurückkam. Man versammelte sogleich den Staatsrat, und Larifari redete hier den Kalifen mit diesen Worten an:
‚Sire, die Zauberin Serène macht Euch ihr Kompliment und dankt untertänig für Euer Geschenk, welches sie sich verbittet, da sie dessen nicht bedarf. Sie versichert, das Geheimnis zu besitzen, die Augen der Prinzessin so unschädlich zu machen als die Augen Eurer Majestät, ohne ihnen das mindeste von ihrem Glanze zu rauben. Aber sie verlangt dafür vier Dinge.‘ – ‚Nur vier?‘ fiel der Kalif ein, ‚vierhundert, wenn sie will.‘ – ‚Eure Majestät geruhen erst, mich anzuhören. Das erste von diesen vier Dingen ist der Prinzessin Porträt, das zweite Fleur d’Epine, das dritte der leuchtende Hut, das vierte endlich ist die Stute Sonnante oder Klingklang.‘ – ‚Was, zum Teufel‘, fuhr der Kalif auf, ’soll das alles heißen?‘ – ‚Ich werde die Gnade haben, es Euch genauer zu sagen‘, erwiderte Larifari.
‚Serène hat eine Schwester, die sich Dentue, Langzahn, nennt und beinahe ebenso weise ist als sie; doch da sie ihre Kunst bloß anwendet, um zu schaden, so ist sie nichts weiter als eine boshafte Hexe, wohingegen Serène eine ehrliche Zauberin ist. Die Hexe entführte Serènes Tochter, da sie noch Kind war. Nun, da sie groß geworden ist, quält sie sie Tag und Nacht, ihren Sohn, ein kleines, häßliches Ungeheuer, zu heiraten. Dieses Mädchen, welches in der Gewalt der Hexe und eine Tochter Serènes ist, heißt Fleur d’Epine oder Dornenblüt. Außerdem besitzt die Hexe einen Hut, der über und über mit Diamanten besät ist, die so glänzen, daß sie Strahlen werfen wie die Sonne. Endlich hat sie auch eine Stute, die an jedem Haar ein goldenes Glöckchen hat, und der Klang dieser Glöckchen ist so harmonisch, daß man bei jeder Bewegung des Pferdes die schönste Musik zu hören glaubt.
Dies sind die vier Dinge, welche Serène verlangt. Sie meldet Euch aber zu gleicher Zeit, daß es eine Art Wunder ist, wenn der, welcher sie der Hexe Langzahn zu rauben unternimmt, nicht in ihre Hände fällt, und daß, wenn er einmal in ihrer Gewalt ist, ihn keine menschliche Macht daraus erretten kann.‘
Der Kalif und seine Räte fingen bitterlich an zu weinen, da sie sahen, daß es bei diesen Bedingungen kein Mittel gegen ihr Unglück gab. Larifari ward bei diesem Anblick gerührt, wendete sich an den Kalifen und sagte: ‚Sire, ich kenne einen Mann, der die erste Forderung erfüllen kann, wenn er es nur auf sich nehmen will.‘
‚Was?‘ sagte der Kalif, ‚meine Tochter zu malen? Und wer ist denn der Narr, der etwas Unmögliches unternehmen wollte?‘
‚Larifari‘, antwortete jener. ‚Larifari‘, sagte der Kalif, ‚Larifari‘, sagten der Seneschall und der ganze Rat, ‚Larifari‘, schrien endlich alle Küchenjungen, die in dem Hof des Palastes spielten.
‚Eure Majestät‘, sagte der Seneschall, ‚können versichert sein, daß er, wenn er es unternimmt, auch damit zum Ziele kommen wird.‘ – ‚Nun, wenn auch‘, fiel der Kalif ein, ‚wer soll uns denn das übrige schaffen?‘
‚Ich‘, erwiderte der verwegene Larifari. ‚Aber unter der Bedingung, daß man meinen Namen, wenn man ihn von ungefähr nennt, nicht mehr von einem zum anderen schickt, als seien die Herren nichts als ein Echo. Ferner, daß der Prinzessin, wenn sie in den Stand gesetzt sein wird, in dem man sie zu sehen wünscht, erlaubt sein soll, sich selbst einen Gemahl zu wählen.‘
Der Kalif gab ihm sein Ehrenwort, und der Seneschall, welcher in allen Stücken äußerst sorgfältig und pünktlich war, fertigte ihm ein Patent darüber aus. Jedermann war in der größten Erwartung, wie er es anpacken würde, ein Gesicht zu malen, das man ohne Lebensgefahr nicht ansehen konnte.
Larifari hatte große Reisen unternommen. Er fand in den seltsamen Bemerkungen, die er über die Sitten jedes Landes gemacht hatte, daß die Einwohner in dem Lande der Sonnenfinsternisse ein Stück Glas mit einer dunklen Farbe anlaufen ließen, um ohne Schaden in die Sonne zu sehen. Er machte sich also eine Brille von sehr dunklem Glase, mit der er am hellen Mittag in die Sonne sehen konnte. Hierauf begab er sich mit dem nötigen Malergerät zu der Prinzessin Sonnenstrahl. Die Prinzessin erstaunte über diese Verwegenheit. Sie beschloß, ihn zu strafen, und öffnete ihre schönen Augen, so weit sie konnte. Umsonst. Mit Hilfe seiner Brille betrachtete er alle Wunder ihrer Schönheit und setzte sich nieder, sie zu malen.
Er beherrschte diese Kunst in der größten Vollkommenheit, ob er gleich kein Maler von Profession war. Über alles urteilte er mit dem feinsten Geschmack, und auf die Schönheit verstand sich niemand so gut als er. Indes machten Sonnenstrahls Reize auf sein Herz nicht den Eindruck, den er erwartet hatte. Ihr Wuchs war weniger vollkommen als ihr Gesicht. Dies schützte ihn einige Zeit, aber am Ende mußte er seinem Schicksal doch unterliegen. Nun fing er an, alle Schätze seines Geistes zu zeigen, um ihr zu gefallen. Er war artig und sie nicht unempfindlich gegen die Lobsprüche, die er ihrer Schönheit erteilte, und unter dem Vorwand, sie während einer Beschäftigung aufzumuntern, bei der sich die Munterkeit nach und nach verliert, erzählte er ihr so angenehm von seinen Reisen und mit so vieler Lebhaftigkeit und Witz, daß sie in ihrem Leben keine bessere Unterhaltung gewünscht hätte. Die Lebhaftigkeit seines Geistes ersetzte, was ihm an Wohlgestalt abging, und alles, was er sagte, machte ebensoviel Eindruck, als wenn er der schönste Mann von der Welt gewesen wäre. Sie verliebte sich also in ihn, und es tat ihr von Herzen leid, daß das Gemälde so bald fertig war; doch noch weit mehr tat es ihr leid, als er zu dem gefährlichen Abenteuer auszog, welches er auf sich genommen hatte.
Als er Abschied von ihr nahm, versicherte sie ihm, daß er für sich selbst arbeiten würde, da sie, wenn er die Gefahren überwände, denen er sich um ihretwillen aussetzte, die Freiheit hätte, sich selbst einen Gemahl zu wählen. Wenn er sie nicht besiegte, wollte sie niemals einen erwählen.
Wenn in den damaligen Zeiten eine Schöne Liebe empfand, beeilte sie sich, es zu gestehen – und die Prinzessinnen beeilten sich damit ebensosehr als die anderen. Larifari warf sich zehn- oder zwölfmal zu ihren Füßen nieder, um ihr ein Entzücken zu bezeigen, das er nicht empfand, und er erstaunte über die Kälte seines Herzens, das bei weitem nicht so gerührt war, als er vorgab.
Prinzessin Sonnenstrahls Bildnis erregte die Bewunderung des ganzen Hofes. Es war mit so vielem Feuer gemalt, daß man seinen Anblick kaum ertragen konnte, ob es gleich nur Malerei war. Larifari entdeckte dem Kalifen das Geheimnis, dessen er sich bedient hatte, seine Tochter zu malen, und machte ihm seine Brille zum Geschenk, damit er seine Tochter auch von Zeit zu Zeit ansehen könne. Er riet ihm indes, sie selten zu brauchen, um sich keiner Gefahr auszusetzen. Aber der Kalif vergaß diesen guten Rat, und das bekam ihm sehr übel.
Bei seiner Abreise machte man ihm eine Menge Anerbieten, sein Unternehmen zu erleichtern. Er nahm aber weder das Geld noch die Truppen, die man ihm anbot, sondern empfahl sich seinem guten Schicksal und machte sich auf den Weg, nur mit seinem Mut und seiner Geschicklichkeit ausgerüstet.
Seine Reise war eine Lustpartie, solange er noch in dem Gebiete von Kaschmir war. Die Blumen sprossen unter seinen Füßen. Pfirsiche und Feigen fielen ihm in den Mund, sobald er den Kopf in die Höhe hob. Die kostbarsten Melonen wuchsen rund um ihn her. Ein ewiger Frühling machte die Luft mild und den Himmel klar. War er müde, so bot ihm an einem murmelnden Bach ein duftender Orangenbaum ein kühles Schattendach dar, und die Vögel sangen ihn mit den zärtlichsten Liedern in Schlaf. Denn im ganzen Königreiche war keine Nachtigall, die nichts von Musik verstand, und kein Hänfling, der nicht vom Blatte weg sang. Aber da er über die Gebirge war, die dieses reizende Land von allen Seiten umgaben, fand er nichts als Wüsten und Wälder, die von reißenden Tieren wimmelten. Diese Tiere waren so wild, daß unsere Tiger und Leoparden gegen sie Lämmer sind. Er mußte indes notwendig durch diese Wälder passieren, um zur Wohnung der Hexe Langzahn zu kommen. Die wilden Tiere schienen seine Absicht zu kennen. Denn statt sich die Mühe zu nehmen, zu ihm zu kommen, verteilten sie sich nach rechts und nach links: drei Hydern, zehn Rhinozerosse und einige Dutzend Greifen hielten ihn belagert.
Larifari verstand die Kriegskunst viel zu gut, als daß er sich dadurch aus der Fassung bringen ließ. Er beobachtete ihre Stellung, erriet ihren Plan, und da die Partie ungleich war, nahm er seine Zuflucht zu einer Kriegslist.
Er erwartete die Nacht, indem er an seinem Lager Wache hielt. Gegen die zweite Nachtwache brannte er mittels seines Gewehres ein Bündel trockener Zweige an, steckte es an eine lange Stange und marschierte gerade auf den Feind los. Er war nicht verliebt genug, seine Dame um Beistand anzurufen, sondern stürzte sich mutig in das gefährlichste Abenteuer, das je ein Ritter unternommen hatte. Das Feuer ist allen wilden Tieren verhaßt. Sobald sie den Feuerschein des brennenden Bündels sahen, wichen sie zurück. Er bemerkte es, erhob ein Feldgeschrei und schlug sie in die Flucht. So kam er mit Anbruch des Tages aus dem Walde. Er war sehr müde, aber er wagte dennoch nicht, in der Nähe eines so gefährlichen Ortes auszuruhen. Die Sonne ging auf, und ihre ersten Strahlen entdeckten ihm einen glänzenden Gegenstand mitten auf einem schmalen Fußsteig. Er verfolgte diesen Fußsteig und ging lange Zeit, ohne das zu erreichen, was er sah; ja er schien immer gleich weit davon entfernt zu sein. Verdruß und Müdigkeit warfen ihn zu Boden, und sowie er sich in das Gras niedergelassen hatte, erhob sich das glänzende Etwas, das er gesehen hatte, in die Luft, und der schönste Vogel von der Welt setzte sich vier Schritt vor ihm auf einen Busch. Die Federn seiner Flügel waren golden und azurblau, die übrigen Federn feuerfarben und weiß, Schnabel und Krallen golden. Er hatte das Aussehen eines Papageis, aber er war ein wenig größer. Larifari betrachtete ihn mit großer Aufmerksamkeit. Er war entzückt von seiner Schönheit und fühlte einen geheimen Drang, der mehr als Neugierde war, sich ihm zu nähern. Nur die Furcht, er könnte ihn verscheuchen, hielt ihn ab.
Der Papagei war ganz unbekümmert um alles. Er schien etwas in dem Busche zu suchen und zog endlich einen kleinen Sack heraus, den er auf die Erde legte. Diesen band er mit großer Geschicklichkeit auf und nahm etwas Salz heraus, das er mit den Füßen zerkratzte und dann aufpickte.
‚Lieber Papagei‘, rief ihm Larifari zu, ‚friß nicht davon. Es wird dir nicht bekommen.‘ Der Papagei schlug ein Gelächter an, wobei er ihn doch sehr ernsthaft ansah. ‚Beim Himmel!‘ rief jener, ‚hat man je einen liebenswürdigeren Papagei gesehen! Aber was sage ich, ein Papagei! Es ist ein Phönix …‘ – ‚Larifari!‘ schrie der Papagei und flog fort.
Als ihn Larifari aus den Augen verloren hatte, nahm er den Sack mit dem Salz und verfolgte seinen Weg auf dem Fußsteig, auf dem er sich befand. Er hoffte, der Vogel werde wieder zu ihm kommen, weil er ihm sein Futter wegtrug. Ich begreife gar nicht, sagte er zu sich selbst, was ihn so erschreckt haben kann. Aber wie kommt es nur in aller Welt, daß alle, sogar die Vögel, den Namen Larifari wiederholen, wenn er ausgesprochen wird? Dieser hier hat ihn indes von selbst gesagt. Warum habe ich aber auch meinen Namen gegen diesen eingetauscht? Kein Mensch wird mir glauben, daß ich es um des Abenteuers mit den Elstern willen getan habe. Ja selbst ich weiß nicht, ob ich es glauben soll, und habe es doch mit meinen eigenen Augen gesehen …
Er reiste den größten Teil des Tages durch unfruchtbare und einsame Gegenden und beschäftigte sich mit tausenderlei Gedanken, an denen Prinzessin Sonnenstrahl zuweilen einigen Anteil hatte. Aber er war weit entfernt von jenen langen und süßen Träumen, die ein Herz erfüllen, das mit Leidenschaft liebt, und weit entfernt, Schlösser in die Luft zu bauen, in denen die Wünsche weit besser untergebracht sind als der gesunde Menschenverstand.
Die Nacht stieg herauf, und er konnte vor Hunger und Müdigkeit nicht mehr weiter. Er sah sich nach einem Nachtlager um und entdeckte mitten im Gebüsch eine elende Hütte, in welcher er einen kleinen, alten Mann mit seiner Frau fand. Zu einer guten Abendmahlzeit und einem bequemen Nachtlager war hier die Aussicht nicht sonderlich; aber er hatte andere Dinge im Kopfe und bekümmerte sich wenig um Essen und Trinken oder um ein prächtiges Logis. Er beschloß also, die Nacht hier zuzubringen, und ward gut aufgenommen, denn er gab ihnen so viel, daß er das ganze Haus dafür hätte kaufen können. Kurz nach ihm erschien auch der Sohn des Hauses, ein junger Herr, so zerlumpt als die übrige Familie. Dieser trieb zwei dürre Ziegen vor sich her, die sich unter die Gesellschaft mischten, weil kein anderer Ort im ganzen Hause für sie war. Larifari forschte bei diesen armen Leuten nach allem, was ihm einiges Licht in seine Unternehmung bringen konnte, und mit Anbruch des Tages vertauschte er seine Kleider mit den Kleidern des Sohnes, kaufte ihm seine Ziegen ab, bedeckte die Hälfte seines Gesichtes mit einem Pflaster und machte sich mit seinem Sack mit Salz auf den Weg. Er richtete seine Schritte nach dem Ort, wo er den Palast der Hexe finden sollte, ob ihm gleich sein Wirt ernstlich riet, nicht hinzugehen, wenn er nicht sehr notwendige Geschäfte bei ihr hätte.
Er war noch nicht lange gegangen, als er einen harmonischen Klang vernahm, der immer angenehmer wurde, je näher er kam. Er vermutete, woher er kam, trieb indes immer seine Ziegen vor sich her und beobachtete die ganze Gegend. Endlich machte er in einem kleinen Gehölz halt, durch das ein heller Bach rieselte. Die Nachbarschaft eines so gefährlichen Ortes, die Erwartung eines so kühnen Unternehmens verursachten ihm einiges Nachdenken. Sein Herz klopfte, aber er empfand weder Furcht noch Reue. Ohn Unterlaß sagte er vor sich her:

‚Auf! Wandle dann die Bahn, die Kränze zu gewinnen,
Die von dem Ziele dir entgegenwehn;
Doch ist es nicht genug, den kühnen Streit beginnen,
Der wahre Held muß ihn bestehn.
Und solltest du umsonst nach diesem Lorbeer streben,
So wird dein Ruhm darum nicht untergehn:
Denn rühmlich ist’s und kühn, zu ihr sich zu erheben,
Und rühmlich selbst, den Tod für sie zu sehn.‘

Indem er seinen Mut auf diese Weise mit den erhabensten Opernsentenzen stärkte, die ihm in den Kopf kamen, sah er ein Frauenzimmer kommen, das alle seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Ihrer frischen Farbe nach hätte man sie für die Aurora eines Sommertages halten können, ihrer Gestalt nach für die wohlgewachsenste Göttin und ihren Reizen nach für die personifizierte Summa aller Grazien. Sie war einfach gekleidet, aber mit so vieler Reinlichkeit, Anstand und Geschmack, daß sie trotz ihrer schlechten Kleider eine verkleidete Prinzessin zu sein schien. Er betrachtete sie dreimal von Kopf bis Fuß, als sie auf den Bach zuging, an dem er sich gelagert hatte, und dreimal schwor er ganz leise, daß er niemals so niedliche Füßchen und niemals soviel Reize vereinigt gesehen habe als in ihrer Figur. Hierauf drehte er sich um, indem er sich stellte, als folgte er seinen Ziegen. Sie füllte einen Krug mit Wasser, setzte sich an den Rand des Baches, legte ihre Hände zusammen und sah betrübt dem Laufe des Wassers zu.
Der verkleidete Ziegenhirt näherte sich ihr von einer anderen Seite und hörte, daß sie seufzte und klagte. ‚Nein‘, sagte sie, ’nie war ein Geschöpf unglücklicher als ich! Ach! Und ich weiß, daß mein Schicksal sich nur ändern wird, um noch schrecklicher zu werden; und doch kann ich noch leben und mein Ungück ertragen?‘ Nach diesen Worten schwieg sie einen Augenblick und weinte. ‚Ihr glücklichen Vögel‘, fing sie von neuem an, ‚die ihr nichts fürchtet als die Elemente, die Menschen und andere Vögel, die euch bekriegen, ihr genießt die Freiheit in all eurer Unruhe und seid nicht zu dem ewigen Anblick des häßlichsten Geschöpfes verdammt.‘ Hier strömten die Tränen von neuem über ihre Wangen. Dann wusch sie sich Gesicht und Hände in dem Bache, setzte den Krug auf ihren Kopf und ging fort.
Larifari hatte sie genau angesehen, ohne daß sie ihn bemerkt hatte. Er fand sie unendlich liebenswürdig, und aus ihren Äußerungen schloß er, daß sie natürlichen Witz, ein sanftes Temperament, ein wahres und aufrichtiges Herz und dabei einen edlen Stolz besaß. Das waren sehr viel Entdeckungen für so einen kurzen Augenblick, indessen hatte er sich darin ebensowenig getäuscht wie in seiner Vermutung, wer sie sein könne.
Den ganzen Tag brachte er in dem Gehölz zu, und in der Nacht ließ er seine Ziegen zurück und begab sich in die Ebene, um einige neue Entdeckungen zu machen. Je weiter er ging, desto weniger wußte er, wo er war. Vielleicht wäre er noch lange Zeit so umhergeirrt, wenn ihm nicht ein plötzlicher Lichtschein ein großes Haus mit einem flachen Dach gezeigt hätte, das etwa noch zweihundert Schritt von ihm entfernt war. Das Licht verschwand wieder, aber er kam dennoch glücklich an das Haus, das seiner festen Überzeugung nach der Palast der Hexe war. Da er nicht für gut fand, sich an der Tür zu zeigen, erklomm er, so sachte als er nur konnte, das Dach. Dies war nur mit Stroh gedeckt. Er horchte einige Zeit, ohne etwas zu vernehmen, und schob endlich ganz leise an dem Ort, wo er saß, das Stroh hinweg. Durch die Öffnung, die dadurch entstand, sah er die schreckliche Hexe Langzahn, die Kräuter und Wurzeln in einen großen Kessel warf, der auf dem Feuer stand, wobei sie einige unverständliche Worte murmelte. Sie rührte diese Mixtur mit einem Zahn um, der ihr aus dem Maul hervorstand und wenigstens zwei Ellen lang war. Nachdem sie lange genug gerührt hatte, warf sie auch drei Kröten und drei Fledermäuse hinein und sprach dazu:

‚Durch mein Roß und meinen Hut,
Meine Bosheit, meine Wut
Wird der Zauber flugs vollbracht,
Meinen Süßen zu berücken,
Ihm die Federn abzupflücken,
Zeige heut sich meine Macht.‘

‚Ihren Süßen, ihren Liebhaber!‘ rief Larifari, ‚gütige Götter! Das ist gewiß eines von den Ungeheuern, die mich in dem Walde haben aufhalten wollen.‘
Die Hexe rührte indessen immerfort und probierte diese schöne Komposition zuweilen mit dem Finger, an dem ein Nagel beinahe ebenso lang war als ihr Zahn. In dem Winkel am Feuer saß ein kleines Ungeheuer, das so bucklig und ungestalt war, daß es noch mehr Schrecken einjagte als die Mutter. Die Schöne, welche Larifari in dem kleinen Gehölz gesehen hatte, lag vor diesem Ungeheuer auf den Knien und wusch ihm mit ihren schneeweißen Händen die schmutzigsten und häßlichsten Füße, die jemals gewaschen worden sind.
Larifari sah ihre Verzweiflung über diese unwürdige Beschäftigung und hätte selbst darüber verzweifeln mögen. Da die Hexe merkte, daß das arme Mädchen weinte, hob sie ihren großen Zahn in die Höhe, sah sie von der Seite an und schrie ihr zu: ‚Nun, kannst du deinen Bräutigam nicht besser bedienen? Ich dächte, du danktest dem Himmel, daß der Sohn der mächtigen Langzahn in zwei Tagen dein Gemahl sein wird.‘
Larifari schauderte bei diesen Worten, und die Hexe sah in die Höhe, da sie ein Geräusch hörte. Er stieg, so schnell er konnte, von dem Dach herab und eilte nach dem kleinen Gehölz, um nicht entdeckt zu werden. Hier brachte er den übrigen Teil der Nacht damit zu, daß er über das nachdachte, was er gesehen hatte, und Projekte zur Ausführung seines Unternehmens machte. Aber bei diesen Betrachtungen überraschte ihn der Morgen, und es währte nicht lange, so kam das schöne Mädchen an das Ufer des Baches zurück. Sie kam mit all ihren Reizen und all ihrem Schmerze, beladen mit häßlichen, schmutzigen Kleidern und Wäsche, die sie unter heißen Tränen wusch.
Dieser Anblick vermehrte das Mitleid, das er seit dem ersten Augenblick für sie gefühlt hatte, und er merkte, daß sich etwas in ihm regte, das ihn bald zum Gegenstand ihres Mitleids machen würde. Sie hatte sich bei ihrer Wäsche über das Wasser gebeugt und schien jeden Augenblick im Begriffe zu sein, sich aus Verzweiflung hineinzustürzen, wenn es nur groß genug gewesen wäre, daß sie darinnen hätte ertrinken können. Ihre Stellung ließ Larifaris Augen den schönsten Busen sehen, und er dankte dem Himmel für diesen Anblick, ohne sich zu schmeicheln, daß ihm jemals etwas mehr davon zuteil werden könne. Er glaubte, daß es nun Zeit sei, sich ihr zu entdecken, und um vorher ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, zog er eine Flöte aus der Tasche und spielte ein Lied von einer höchst sanften und rührenden Melodie. Er blies aber noch einmal so gut die Flöte, als er malte, und das heißt wohl, er spielte unvergleichlich.
Sie schlug ihre Augen auf und sah ihn mit Erstaunen an. Seine Gestalt und seine Art zu spielen harmonierten nicht zusammen. Als er merkte, daß sie ihm zuhörte, stellte er sich, als folgte er seinen Ziegen, die sich entfernten … ‚Nein‘, sagte sie, ‚Klingklangs Harmonie ist nicht so angenehm wie der Ton seiner Flöte. Wie glücklich ist dieser arme Hirt, der sein Leben mit dem Hüten seiner Ziegen verträumt! Er ist arm, aber frei. Ach! wie gern wollte ich an seiner Stelle sein! Aber was sucht er in der Nähe dieses fürchterlichen Ortes? Kann er seine kleine Herde nicht weitertreiben? Warum kommt er in eine Gegend, wo die schreckliche Langzahn herrscht?‘ – ‚Er kommt, Euch zu befreien, reizende Dornenblüt‘, sagte er, als er sich ihr plötzlich näherte.
Es fehlte wenig, und sie wäre vor Erstaunen in Ohnmacht gefallen, er ließ ihr aber keine Zeit dazu. ‚Ja‘, sprach er, ‚ja, ich will Euch befreien oder umkommen.‘ – ‚Ach!‘ sagte sie mit einem mitleidsvollen Blick, ‚armer Junge, umkommen kannst du wohl, aber befreien wirst du mich niemals, denn dann müßtest du mich aus meiner Sklaverei erlösen, und das ist unmöglich. Du siehst mich mit der niedrigsten und ekelhaftesten Arbeit beschäftigt, und doch wollte ich zeit meines Lebens nichts anderes tun, wenn ich nicht noch etwas Schlimmeres zu fürchten hätte. Ach! Ich soll den Sohn der Hexe Langzahn zum Manne nehmen.‘ – ‚Alles das weiß ich recht gut‘, sagte Larifari, ‚und ich will Euch davon befreien.‘
Sie betrachtete von neuem den Mann, der mit solcher Zuversicht sprach und alles zu wissen vorgab. Bisher hatte er nur das Vergnügen gehabt, sie anzusehen, ohne von ihr angesehen zu werden. Jetzt genoß er dieses Glück, und er zog es in seinem Herzen allem vor, was er jemals genossen hatte. Er nahm, um weniger häßlich zu erscheinen, sein Pflaster vom Gesicht. Ich weiß nicht, ob er wohl daran tat. Soviel ist gewiß, daß sein Gesicht keinen großen Eindruck auf sie machte, daß ihr aber seine Art, sich auszudrücken, gefiel. Er sagte ihr, daß er nicht der sei, der er zu sein scheine, daß er es auf sich genommen habe, sie, den leuchtenden Hut und die Stute Klingklang zu entführen, daß er alles dies zugunsten einer Prinzessin versprochen habe, die für ein Weltwunder gelte und an die er nun kaum mehr denke. ‚Ach, wie kann man sich Sonnenstrahls erinnern‘, sagte er, ‚wenn man die liebenswürdige Dornenblüt gesehen hat? Sie wird künftig der Gegenstand aller meiner Unternehmungen sein.‘

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