Suche

Märchenbasar

Prinz Kurzbein und Prinzessin Zobel

0
(0)
Es waren einstens ein König und eine Königin von einer außerordentlichen Torheit, die aber einander über die Maßen liebten. Außer den Schmeichlern ihres Hofes schrieb jedermann diese Liebe ihrer beiderseitigen Torheit zu. Sie mögen nun gewesen sein, wie sie wollen, sie waren fürstliche Personen, und in diesem Falle ging alles gut, um so mehr, da zu den Zeiten der Feen die Könige weiter keine wichtigen Geschäfte hatten, als nur eine gute Harmonie mit den Feen und Geistern zu unterhalten und ihnen zuweilen Kuchen, etliche Ellen Band und dergleichen Kleinigkeiten zum Geschenk zu machen. Vor allen Dingen aber durfte man bei der Niederkunft einer Königin ja nicht vergessen, alle Feen und Geister dazu einzuladen. Weder gute noch böse durften übergangen werden, um es mit keinem Teile zu verderben. Dies waren die Pflichten eines guten Regenten. Nachdem aber die Feen seit etlicher Zeit etwas aus der Mode gekommen sind, regieren die heutigen Könige alle durch sich selbst, besorgen das Wohl ihrer Länder mit Einsicht, sind befähigte Herrscher und bemühen sich besonders, die Herzen ihrer Untertanen kennenzulernen.
Die Königin wurde schwanger. Die ganze Zeit ihrer Schwangerschaft über beschäftigte sie sich mit einer Namensliste aller Feen, die sie nur erfahren konnte; es gab eine große Anzahl darunter, von denen man nie etwas gehört hatte. Ein jeder Untertan mußte bei Androhung der Todesstrafe die Namen der ihm bekannten Feen anzeigen, und man zeichnete seine Äußerungen mit großer Sorgfalt auf, und alle Stände des Reiches mußten diese wichtige Sache ihre größte Sorge sein lassen. Jedoch wurde niemandem höflicher begegnet als den Ammen und alten Kinderweibern, und das mit vollem Rechte wegen ihrer sehr tiefen Einsicht und großen Kenntnisse. Sie erschienen in der Versammlung, und eine jede gab ihr Gutachten mit den kleinsten Umständen, der größten Weitschweifigkeit und Unklarheit, welche ihnen seit eh und je anhafteten.
Die Zeit der Niederkunft nahte heran, und die Liste all der Namen, die man hatte finden können, füllte, so winzig sie auch geschrieben war, einen ansehnlichen Folianten, für welchen man ein großes Pult am Fuße des Bettes der Königin hatte errichten lassen, und das Ganze glich hinlänglich einem Betpulte.
Ehe man sich’s versah, überfielen die gute Königin die Wehen. Es war eben zwischen Mitternacht und der ersten Stunde. Der König schlief in einer Kammer, die nur durch eine hölzerne Wand von der ihrigen abgesondert war. Man gab ihm sogleich von dem Vorfall Nachricht, und obwohl der gute König sich kaum so viel Zeit nahm, sich den Schlafrock umzuwerfen und die Pantoffeln anzuziehen, kam er doch zu spät. Er eilte zum Pult und bestieg die Stufen in solcher Hast, daß er, wie die Historie berichtet, einen seiner Pantoffeln verlor. Welche Mühe auch für einen Dummkopf!
Als er endlich vor seinem Buche thronte, seinen Leuchter in der Hand, schrie er aus Leibeskräften: »Ich beschwöre und bitte Euch, Fee Sowieso, Geist Sowieso, mich mit Eurem Besuche zu beehren und mein Kind zu begaben.« Er beeilte sich so sehr, und er war derart bewegt, daß er kaum drei Namen auf die gehörige Art auszusprechen vermochte. Auf der anderen Seite schrie sich die Königin fast heiser: »Man bringe mir meine Kuchen her! Man arrangiere meine Geschenke! Nehmt diesen Schlüssel! Öffnet jenen Schrank!« und was dergleichen Zeug mehr war. Man wußte schließlich nicht mehr, auf wen man zuerst hören sollte. Glücklicherweise war die Zeit für solcherart Einladungen beschränkt; denn weder die Aufmerksamkeiten der Königin, die allezeit ein Vergnügen an unnützen und oft wiederholten Befehlen hatte, noch die Lektüre des Königs, der der größte Stammler seiner Zeit war, wären zu Ende gewesen, bevor der kleine Knabe hätte entwöhnt werden können. Es war also ein Prinz, den ihnen der Himmel geschenkt hatte, eine Ursache zur Freude, die nicht wenig dazu beitrug, den armen König aus der Fassung zu bringen. Denn obwohl die ganze Feeneinladung nur eine halbe Stunde aufs längste währen sollte, brachte doch der arme Monarch zwei ganze Stunden mit dem Lesen in seinem großen Buche zu, ohne weiter als bis auf die dritte Seite zu kommen. Schließlich meldete man ihm, daß in dem großen Saale des Palastes mehrere Geister und Feen auf ihn warteten, sehr unzufrieden, daß sie niemand nach Stand und Würden empfinge. Er ließ also sein Buch liegen und lief in dem erwähnten unanständigen Anzuge herbei, machte den sämtlichen Feen hunderterlei Entschuldigungen und bat ganz demütig um ihren Beistand. Durch diese außerordentliche Ergebenheit bewog er fast die ganze Gesellschaft zum Mitleid, so daß sie ihm versprach, seinem Sohn nichts Übles zu tun, mit der Versicherung, daß er sehr alt werden und in einem gewissen Alter die größte Glückseligkeit genießen sollte.
Es war aber zu der Zeit, als der König noch las, eine gewisse schwarze Fee, deren Name, damit er nicht vergessen werde, mit Majuskeln geschrieben war, gleich anfangs in dem Saal erschienen. Da sie nun so lange warten mußte und sich dadurch beleidigt fand, daß man sie beim Absteigen von ihrer Kokosnuß, worauf sie aus Guinea herbeigekommen war, nicht bewillkommnet hatte, wollte sie sich rächen und stieß zwischen den Zähnen hervor: »Lies nur immer zu, dein Sohn soll doch nicht größer werden, lies du nur immer zu, er soll doch ein Kurzbein bleiben.« Sie würde gewiß die Litanei der Gebrechen, die sie ihm beilegen wollte, noch verlängert haben, wenn nicht die gute Fee Guerlinguin, welche das Königreich und die königliche Familie in ihren besonderen Schutz genommen hatte, herbeigeeilt wäre, ohne daß sie den Augenblick abgewartet, da man sie rief, und die Negerin beschworen hätte, ihre schlechte Laune zu mäßigen, was diese schließlich tat. Endlich erhielt eine jede ihr Geschenk, machte Visite bei der Königin und kehrte wieder zu ihren Geschäften zurück.
Als alle Welt abgereist war, näherte sich Guerlinguin dem Bett der Königin und sagte zu dem König: »Ihr habt nichts Gutes angerichtet, es ist alles verkehrt gegangen! Warum habt Ihr mich nicht um Rat gefragt? Aber Toren sind beständig mißtrauisch. Ihr habt mich nicht einmal eingeladen, da Ihr doch meine Güte kennt.«
»Ach, Madame«, sagte der König, indem er sich ihr zu Füßen warf, »habe ich denn Zeit gehabt, bis zu Eurem Namen zu kommen? Seht!« hier wies er ihr das Zeichen, »ob ich viel weiter als bis zur dritten Seite gekommen bin?«
»Ich bin gar nicht böse darüber«, erwiderte die Fee, »daß Ihr mich nicht eingeladen habt, bei Leuten, denen ich gewogen bin, beachte ich solche Kleinigkeiten nicht, sonst würde ich Euren Sohn nicht von so vielen Unglücksfällen befreit haben, aber wisset, daß ich ihn zu großen Dingen bestimme. Ich werde ihn also Eurer Aufsicht entziehen, und Ihr sollt ihn nicht anders wiedersehen als ganz mit Pelzwerk bekleidet.«
Bei diesem Wort, welches der König und die Königin nicht verstehen konnten in einem so sehr warmen Himmelsstriche, wo sie lebten, zerflossen sie fast in Tränen. Guerlinguin sagte ihnen, sie sollten sich keineswegs grämen. Sie sei so gut und nachgiebig gewesen, des Königs Erziehung seinen Eltern, die ihn völlig verzogen und zu einem Toren gebildet, anvertraut zu haben, sie wolle aber nicht, daß es mit seinem Sohne genauso geschehe. Sie sollten sich um nichts kümmern, als das Königreich weise zu regieren. Hierauf legte sie den Prinzen in ein Körbchen, öffnete das Fenster, stieß sich mit dem Absatz in den verlängerten Rücken und glitt wie auf Schlittschuhen durch die Lüfte.
Der König und die Königin wollten vor Jammer ganz vergehen, da sie sich eines Sohnes beraubt sahen, für den sie so viel Zeit gebraucht hatten, bis er auf die Welt kam. Sie fragten, obzwar vergebens, die ganze Welt um die Bedeutung der letzten Worte der Guerlinguin, denn die Ratschläge sind die Stärke derer, die sich entweder nicht entscheiden können oder keine Kenntnisse haben. Doch alle um Rat Gefragten konnten den illustren Personen keine Auskunft geben. Man war durchgängig der Meinung, daß Pelzwerk etwas Abscheuliches sein müsse, worüber der König und die Königin sich so sehr grämten, daß es zum Erbarmen war. So traurig und müßig aber auch die beiden königlichen Personen in ihrem Palaste waren, so konnten sie sich doch nicht entschließen, ihrem Sohne kleine Brüder oder Schwestern zu verschaffen.
Kommen wir nun zu dem kleinen Prinzen zurück! Die Fee nahm ihn zu sich. Sie bewohnte ein sehr schönes Landhaus. Sobald sie dahin gekommen war, nahm sie einer jungen und munteren Bäuerin das Kind weg, das diese nährte, verband ihr die Augen und schob ihr den kleinen Prinzen unter, daß die Bäuerin ihn für ihr eigenes Kind hielt. Sie zog ihn im Wirtschaftshofe auf, aber bei zunehmendem Alter ließ ihn die Fee des öfteren zu sich bringen, um seine natürlichen Anlagen zu bilden. Die weise Fee war überzeugt, daß eine einfältige und natürliche Erziehung für den Verstand und eine harte und mühsame für den Körper das wesentlichste Geschenk sei, das man einem Prinzen machen könne, doch hierin war sie noch nicht zufrieden; sie beschloß, ihn durch Widerwärtigkeiten, geistige Mühen und Menschenkenntnis zu formen. Kurzbein hatte in der Tat auch alle Gaben des Geistes und des Leibes nötig, denn ob er gleich älter wurde, blieb er immer klein von Gestalt. Dagegen hatte er ein angenehmes Gesicht, sein kleiner Körper war von einem guten Wuchs, und es gab wenig Menschen, die so stark und nervig waren wie er. Schon in seiner Kindheit übte er seine Herzhaftigkeit in den Wäldern, und öfters führte er einen Haufen junger Leute in seinem Alter als Befehlshaber an. So ist es wahr, daß man in seiner Jugend fast jederzeit das tut, was man in einem höheren Alter tun soll. Die Jahre stärken die bösen oder guten Neigungen, aber ihre Anlage zeigt sich schon in der Jugend. Kurzbein wußte sehr wohl, daß der Name, den er trug, nur ein Spitzname war; er hatte sich aber zu seinem Troste wohl hundertmal vorgenommen, denselben berühmt und angenehm zu machen. Die Fee ließ ihn zuweilen durch Träume wissen, daß er unverzüglich ein Land verlassen solle, wo seine niedrige Herkunft seiner edlen Gesinnung beständig eine Art Vorwurf machte. Dieses war der einzige Weg, dessen sie sich bediente, ihm alle nötigen Mittel einzugeben, die ihn zur Ausführung der größten Unternehmungen ertüchtigen konnten. Sie flößte ihm besonders Geduld und Unerschrockenheit ein, deren Vereinigung kaltes Blut hervorbringt, und versicherte ihm etliche Male, daß ihm, solange er tugendhaft bliebe, in den entlegensten Ländern nichts abgehen würde. Sie unterhielt ihn allein mit Geschichten von Leuten seiner Art, die sich Kronen erfochten und durch ihre Tapferkeit und gute Aufführung großen Ruhm erworben hatten.
Den Kopf voll von solchen Ideen, von Natur edel und großmütig und mit winzigem Körper, kam er eines Tages in eine dem Schlosse der Fee nahe gelegene Stadt. Er ritt einen Rotfuchs, ein Geschenk der Fee, war ganz einfach gekleidet und hatte keine anderen Waffen als einen Bogen, Pfeile und einen Spieß. So wild auch dieser ganze Aufzug war, so stand er ihm doch unvergleichlich wohl. Er kam eben daselbst an, als alle Einwohner der Stadt sich auf dem großen Markte versammelten, um zu hören, was einige Fremde zu verkünden hatten. Deren Aufzug, ihre wunderliche Kleidung und Equipagen, die im Lande unbekannt waren, zogen die Neugier auf sich. Alle Welt lief also herbei, denn man mag sagen, was man will, in jedem Lande gibt’s Maulaffen. Kurzbein lief auch hin und drängte sich ganz nahe zu den Fremden.
Nach einem Lärmen von vielen kriegerischen Instrumenten las ein ehrwürdiger Alter mit einem großen Backenbart ganz vernehmlich und laut das folgende:
»Kund und zu wissen sei hiermit der ganzen Welt, daß derjenige, der das Eisgebirge erobern wird, nicht nur die vortreffliche Prinzessin Zobel, die Schönste unter allen Schönen, sondern auch alle Reiche, die sie dereinst als Königin besitzen wird, zum Lohne davontragen soll.«
Hierauf wies er die Liste von allen Prinzen vor, die durch ihre Schönheit oder ihr Porträt geblendet worden und bei der Ausführung der aufgegebenen Unternehmung verunglückt waren, wie auch das Verzeichnis von denen, die sich erst neuerlich zu dieser Eroberung gemeldet hatten. Kurzbein wurde alsbald von der heftigsten Ruhmbegierde angefeuert; wenn er aber seinen Zustand überdachte und wie wenig Beistand er zu erhoffen hatte, so wußte er nicht, was er tun sollte. Noch war er in solcher zweifelhaften Unruhe, als der Alte, der gesprochen hatte, sich dreimal zur Erde niederwarf und nach dieser Ehrerbietung der ganzen Versammlung das Porträt der schönen Zobel enthüllte. Kurzbein wurde so davon eingenommen, daß er sich ohne weitere Überlegung durch den Haufen drängte und sich einzuschreiben begehrte. Als die Fremden seine kleine Figur und die Einfachheit seiner Kleidung erblickten, sahen sie einander an und wußten nicht, ob sie sein Anerbieten annehmen oder ausschlagen sollten. »Gebt her«, sagte er stolz zu ihnen, »gebt her, damit ich unterzeichne. Wißt Ihr, wer ich bin?« Man gehorchte ihm, aber von Liebe zu dem Porträt und von Zorn gegen die Fremden eingenommen, hatte er keine Zeit übrig, einen anderen Namen als den seinigen zu wählen, er zeichnete also: Kurzbein. Bei diesem Namen, der unter denen so vieler Prinzen stand, fingen alle Fremden an, aus vollem Halse zu lachen. »Ihr Verwegenen«, sagte er zu ihnen, »dankt es dem Porträt, dessen Obhut Euch anvertraut ist, sonst …« Weiter sagte er nichts, mäßigte seinen Zorn und erkundigte sich nach dem Namen des Landes der Zobel und zu welcher Zeit er sich zur Ausführung des Unternehmens einfinden müsse. Alsdann entfernte er sich mit der Versicherung, daß er ihnen zeigen werde, wer er sei.
Kurzbein war indessen bei all seiner Herzhaftigkeit doch voller Zweifel, die eine solche Unternehmung nur immer erregen kann; weil er aber in der Stadt sehr bekannt war und mit seinem eigenen Namen unterzeichnet hatte, den die Trompeter unter einem allgemeinen Gelächter des Volkes tausendmal wiederholten, und seine kleinen Freunde ihm lachend zu seiner großen Unternehmung Glück wünschten, glaubte er, daß das Gerücht von dieser Begebenheit sich bis zum Schlosse der Fee ausgebreitet habe. Er wagte also nicht, wieder dahin zurückzukehren und sich derjenigen zu zeigen, die er für seine Mutter hielt, zudem da er in der Hoffnung auf ein Königreich und eine schöne Prinzessin unterzeichnet hatte. Er empfahl sich also seinen kleinen Spielkameraden, umarmte sie und versicherte ihnen, daß sie ihn entweder als König und Gemahl der Zobel wiedersehen würden oder er in seiner Unternehmung umkommen wollte. Er trat seine Reise an, ohne sich an das Geschwätz zu kehren, das über seine Unternehmungen im Lande herumging. Denn nachdem der Hof keinen Geschmack mehr daran fand, redete man in allen kleinen Städten und auf dem Lande davon und auch am Hofe seiner Eltern, welche nicht wußten, wieviel Anteil sie an den Scherzreden hatten, womit sie und die ganze Stadt sich über Kurzbein lustig machten. Kurz und gut, Kurzbein verließ die Stadt auf seinem schönen Rotfuchs, in tiefen Gedanken, worüber man sich nicht wundern darf, denn das Porträt der schönen Zobel lag ihm beständig im Sinn. Dazu kam die beschwerliche Reise; doch die Liebe zur Prinzessin einerseits und andererseits die Schande, wieder in den Palast der Fee zurückzukehren, hießen ihn, sich zur Reise zu entschließen. Er durchlas die von den Herolden erhaltene Ankündigung noch einmal und fand diese recht dunkel. Sie war abgefaßt in folgenden Worten:
»Vierhundert Meilen jenseits des Berges Kaukasus, gegen Norden zu, werdet Ihr Eure Verhaltensbefehle und Vorschriften zu der Eroberung des Eisgebirges erhalten.«
Das ist eine artige Vorschrift für einen Menschen, der aus einem Lande kommt, wo heutigentages Japan liegt. Unterdessen hielt Kurzbein sich an seine Kenntnisse in der Geographie, welche ihm die Fee nach der Geographie von Robbe beigebracht hatte, und setzte seine Reise fort. Er mied sorgfältig alle Städte, um den Scherzreden auszuweichen, die man über seine Person und seinen Namen machen konnte. Er schlief sogar in den Wäldern und glaubte, sich von den Früchten zu stärken, die er unterwegs fand. Allein die Fee, seine Beschützerin, die ihm helfen wollte, ohne seinen Mut durch die Hoffnung auf Wunder zu schwächen, leistete ihm wunderbaren Beistand: Sie blies ihm im Schlaf Lebensmittel ein, so daß er allemal bei seinem Erwachen immer frischer und munterer ward, denn nach ihrem schon seit langer Zeit gemachten Entwurf sollte er allerhand Proben aushalten.
Eines Tages, als er in einem Walde wie gewöhnlich auf einem Fußsteig seinen Weg fortsetzte, ließ sie ihn von einem Ungeheuer, wovon Amerika wimmelt, anfallen. Dieses hier ähnelte einem Tiger und einem Leoparden. Der Kampf war lebhaft, endlich aber siegte Kurzbein über das Ungeheuer, obgleich mit vieler Mühe, denn sein Pferd kam dabei um, welches für ihn ein empfindlicher Verlust war. Er ließ aber den Mut nicht sinken, sondern setzte seinen Weg zu Fuß fort, bis er endlich auf einen Meerhafen stieß. Er traf daselbst ein segelfertiges Schiff an, das seinen Kurs nach der Gegend richtete, wo er zu sein wünschte. Weil er nun noch so viel Geld übrig hatte als zu dieser Reise nötig war, so fuhr er mit demselben ab. Nach einer Reise von einigen Tagen kam ein heftiges Ungewitter auf, und sie erlitten Schiffbruch. Er war der einzige, der sich rettete und nach vieler Mühe auf eine Insel gelangte. Hier hatte er nun Zeit, ernsthafte Überlegungen anzustellen, allein seine Hochherzigkeit ließ ihn keineswegs mutlos werden. Er lebte, wie er glaubte, von der Jagd und dem Fischfang, aber der verborgene kräftige Beistand der Fee Guerlinguin tat hierbei ein übriges.
Als er eines Tages ganz traurig am Ufer des Meeres spazierenging, erblickte er in der Ferne ein Schiff, das auf ihn zuzusegeln schien. Er gab verschiedene Zeichen von sich, um Hilfe von demselben zu erlangen, aber je näher es kam, desto ungewöhnlicher schien es ihm und desto weniger Menschen nahm er darauf wahr; endlich hielt es mit vollen Segeln auf das Land zu. Der Zufall und das Glück ließen es auf die beste Art der Welt in einer Schlammschicht stranden. Eben jetzt konnte Kurzbein das Schiff aus der Nähe betrachten. Er ward inne, daß die Masten grüne Bäume voller Blätter, daß die Planken mit kleinen Sträuchern bedeckt waren, kurz, daß das ganze Schiff völlig einem Wäldchen glich. Er erstaunte über diesen Anblick und über die Einsamkeit des Schiffes. Er sprang hinein, aber wie bestürzt war er, als er Menschen in einem schrecklichen Zustande darinnen erblickte. Sie waren alle regungslos und fast ganz in Bäume verwandelt. Die einen hielten sich an der Brücke mit den Beinen, die anderen mit den Armen, ein jeder in der Stellung, wie er vorher auf dem Schiffe beschäftigt war. Kurzbein, von diesem Schauspiel zum Mitleid bewegt, versuchte mit der Eisenspitze eines seiner Pfeile ihre Glieder von dem Holze, das sie an sich gezogen, abzulösen; das gelang ihm, und so trug er einen nach dem anderen aufs Land. Alsdann suchte er Umschläge von Kräutern auf ihre hölzernen Glieder zu legen, und mit gutem Erfolg. In wenigen Tagen brachte er es so weit, daß sie wie vorher alle wieder an ihre Arbeit gehen konnten. Man kann sich leicht vorstellen, daß Guerlinguin bei dieser Kur getreulich mitgeholfen haben mag. Kurzbein ließ nun auch alle Teile des Schiffes mit diesen wirksamen Pflanzen bestreichen, welche den Seeleuten so gut geholfen hatten, und diese Hilfe war um so nötiger, als sonst in kurzem ein großer Wald aus dem Schiff entstanden wäre. Die Erkenntlichkeit der armen Matrosen war unendlich groß. Sie waren bereit, ihren Wohltäter hinzuführen, wohin er nur verlangte. Als er sie fragte, wer sie in jenen Zustand versetzt habe, in dem er sie gefunden hatte, so konnten sie ihm nichts anderes sagen, als daß, da sie an einer waldigen Küste vorbeigesegelt seien, sie ein heftiger Landwind überfallen habe, der die Luft plötzlich mit einem dichten Staub angefüllt, welcher vermutlich allen Körpern, außer den Metallen, eine pflanzenartige Kraft beigebracht haben müsse, denn sie hätten gleich anfangs eine gewisse Schwere an sich bemerkt, worauf sie allmählich ihr Empfindungsvermögen verloren und nach und nach, ohne es verhindern zu können, an das Holz gezogen worden seien.
Kurzbein machte sich seine Gedanken über ein so sonderbares Ereignis. Da er nun alles, was ihm begegnet war, wohl erwog und nichts versäumen wollte, was ihm in Zukunft nützlich sein könnte, sammelte er eine Menge von diesen Kräutern, tat sie in einer Büchse zusammen und hob sie sorgfältig auf. Die Fee, welche dieses Wunder getan hatte, trug viel zu dieser Idee bei. Die Schiffsleute stießen mit Vergnügen von der Insel ab und gingen bei dem schönsten Wetter unter Segel. Nach einer einmonatigen Schiffahrt erblickten sie Land und beschlossen, daselbst zu landen, nicht allein, um sich nach dem Wege zu erkundigen, sondern auch, um Wasser und andere Erfrischungen, woran es ihnen zu gebrechen anfing, an Bord zu nehmen. Kurzbein stieg also in eine Schaluppe, welche sie ins Meer ließen. Sie waren dem Lande schon ziemlich nahe, ohne die geringste Spur von Menschen zu entdecken. Indessen schlossen sie aus einigen Merkmalen, daß die Küste bewohnt war. Eine Staubwolke, die sich längs des Ufers, wo sie landen wollten, hinzog, bestätigte ihnen, daß man wachsam war. Als sie näher kamen, sahen sie große Pudelhunde, die Schildwache hielten, und andere, die in großen Rudeln versammelt standen. Die vordersten kamen ganz kühn, die Schaluppe zu besehen; als sie aber Kurzbein nicht mit den Worten: »Fort ihr Hunde!«, sondern: »Ei, guten Tag, meine lieben Hunde!« empfing, wedelten sie unaufhörlich mit den Schwänzen, und um ihre Zufriedenheit anzudeuten, brachen sie in ein Freudengeheul aus. Sie reichten ihm die Pfoten und bedeuteten ihm, ihnen zu folgen und sich ihrer Führung zu überlassen. Er begriff nicht nur gleich, was sie wollten, sondern er merkte auch, daß dieses Zeichen der Vertraulichkeit ihn nur allein anging und sie es gern sehen würden, daß er sein Gefolge zurückließe. Die Neugier machte ihn schlüssig. Er befahl seinen Leuten also, vierzehn Tage auf ihn zu warten, nach dieser Zeit aber, wenn sie auch gleich keine Nachricht von ihm hätten, ihren Weg weiterzuverfolgen. Zugleich gab er ihnen auf, in seiner Abwesenheit den Insulanern freundlich zu begegnen und gut mit ihnen zu leben, mit der Schonung, mit welcher man befreundeten Völkern begegnet, und sich binnen der Zeit mit frischem Wasser und anderen Notwendigkeiten zu versehen. Alsdann überließ er sich der Willkür dieser gutherzigen Tiere.
Eine halbe Meile von der Küste sah er ein hinlänglich großes Dorf voller schöner und sauberer Hütten. Es begegneten ihm Karren, die von Pferden und anderen Tieren, die nur die menschliche Geschicklichkeit dazu abzurichten pflegt, gezogen wurden. Er staunte über die vortreffliche Bestellung der Felder und daß er bei jedem Schritt sah, was die mustergültigste Ordnung hervorbringen kann, ohne jedoch eine andere lebendige Seele als Pudelhunde zu sehen.
Im Dorfe wurden ihm allerhand Erfrischungen vorgesetzt. Man besorgte einen mit zwei schönen Pferden bespannten italienischen Reisewagen, der von einem Pudel, und zwar so gut als es nur immer vom besten Postillion geschehen kann, gelenkt wurde. Nachdem Kurzbein in diesem Fuhrwerk ungefähr zehn Meilen zurückgelegt hatte, durch manches Dorf und kleine Städte gekommen, auch anderen Wagen begegnet war, die von Pudeln geführt wurden und worinnen andere Pudel saßen, die ihn artig grüßten, kam er in eine große Stadt, die er für die Hauptstadt des Landes hielt. Alle Einwohner waren teils an den Toren, teils auf den Stadtmauern, teils auf den Straßen versammelt, um den Fremden, der sich ihnen anvertraut hatte und von dessen Ankunft sie durch einen Kurier benachrichtigt worden waren, zu sehen. Kurzbein war über den freundlichen Empfang nicht wenig erfeut, und nachdem er etliche wohl gepflasterte und mit den schönsten Bäumen gezierte Straßen passiert, kam er auf eine große Esplanade, an deren Ausgang er durch einen großen Hof mußte, wo zu beiden Seiten zweitausend Pudel Spalier bildeten. Sie waren alle auf das schönste geschoren, hatten Schnurrbärte und beinahe jeder eine Pfeife im Maul, genauso wie bei uns, wenn sie dazu abgerichtet wurden.
Es ging durch diesen Hof, wo die große Loge des Königs stand, die ganz von Gold und von Lasurstein glänzte. In einer gewissen Entfernung stieg Kurzbein aus Ehrfurcht von dem Wagen und traf den König auf einem reichen persischen Teppich liegend an, umgeben von einer Menge lauter kleiner Hunde, die ihm die Fliegen verscheuchten. Der König selbst war der artigste und schönste Pudel. Er hatte eine sanfte und geistreiche Physiognomie, eine ungemein angenehme Gestalt und erstaunlich listige Augen. Sobald er Kurzbein erblickte, machte er hunderterlei Schmeicheleien, reichte ihm die Pfote, und das alles aus Erkenntlichkeit für das Vertrauen, das er gegen ihn bezeigte. Alsdann gab er seinem Hofstaat ein Zeichen, daß er den Fremden bewillkommnen solle. Dieser Hofstaat war ein Haufe der artigsten Pudel von kleiner Art. Sie waren alle sehr höflich, und besonders die Pudelhündinnen konnten nicht sittsamer sein. Nach einigen Komplimenten hieß der König den ganzen Hofstaat abtreten und den Staatssekretär herbeirufen, dem er ein Kompliment in die Feder diktierte über den Schmerz, den er empfinde, sich nicht mit menschlicher Stimme erklären zu können, da die Sprache der Hunde nicht leicht zu verstehen sei. Was die Schrift angeht, so war es eine wirkliche Menschenschrift. Kurzbein erwiderte das Kompliment mit gebührender Höflichkeit und bat zugleich den König, seine Neugier hinsichtlich der Überraschungen an seinem Hofe und in seinen Staaten zu befriedigen. Diese Rede machte bei dem König viele traurige Vorstellungen wiederum rege, doch nach einem kurzen Nachdenken eröffnete er ihm, aber allzeit durch seinen Staatssekretär geschrieben, er sei der König Biby. Eine benachbarte Fee namens Marfontice sei zu seinem Unglück von seiner angeborenen Gestalt gerührt worden. Sie habe daher alles mögliche versucht, ihn dahin zu bringen, sie zu lieben und zu heiraten, aber er habe sich niemals weder zu dem einen noch zu dem anderen entschließen können, weil er stets eine große Neigung zu der Königin von Indien getragen, die ihn auch inbrünstig geliebt habe. Endlich habe die Fee Marfontice ihre Liebe in Wut verkehrt und ihn in den Zustand, in dem er ihn jetzt sehen müsse, verwandelt. Um sein Unglück noch größer zu machen, habe sie ihm nur die Sprache genommen und alle anderen Fähigkeiten des menschlichen Geistes gelassen, und dennoch würde er sich über sein eigenes Unglück zufriedengegeben haben, wenn die Fee ebendiese Grausamkeit nicht zugleich an allen seinen Untertanen ausgeübt hätte.
Nunmehr verstand Kurzbein leicht all das, was er an Merkwürdigem in diesem Königreiche gesehen hatte. Er bezeigte dem König seine Anteilnahme an dem ihm zugestoßenen Unglück und bot ihm aus einem heftigen Trieb nach Ruhm und Ehre seinen Beistand an. Er schwor, daß ihm kein Unternehmen zu schwer sein solle, einen so liebenswürdigen König aus diesem bedauernswürdigen Zustand herauszureißen. Der König Biby versetzte hierauf, gegen sein Unglück gebe es keine Hilfe, denn die boshafte Fee habe bei seiner grausamen Verwandlung sich der Worte bedient: Belle und sei so lange mit Haaren bedeckt, bis die Liebe und das Glück die Tugend belohnen werden. »Ihr seht nun wohl«, setzte er hinzu, »daß dies heißt, zeit meines Lebens verurteilt zu sein, ein Pudelhund zu bleiben.« Kurzbein stimmte dieser Meinung zwar bei, doch tröstete er ihn mit dem Gemeinplatz, mit dem man alle Unglücklichen tröstet, indem er einfach sagte: »Eure Majestät müssen Geduld haben.«
Gerührt von dem Mitleid des Kurzbein, wollte ihm Biby auch zeigen, daß die Ursache seines Unglückes seine Liebe verdiente. Er wies ihm das Bildnis der Königin von Indien. Largillière hatte es gemalt. Beinah hätte Kurzbein eine Untreue begangen, denn es scheint mir, als machte das Bildnis einen nicht geringen Eindruck auf unseren Helden. Doch dem sei, wie ihm wolle, Kurzbein billigte die Liebe und die getroffene Wahl des Königs mit großen Lobeserhebungen. Nunmehr befremdete ihn die Kälte dieses unglücklichen Monarchen, mit der er den Neckereien der schönsten Hündinnen seines Hofes begegnete, gar nicht mehr, vielmehr hielt er es für sehr unbillig, daß die Damen, wiewohl nur insgeheim, den König des Unvermögens beschuldigten.
Hierauf erzählte auch Kurzbein seine Geschichte und von dem großen Vorhaben, das ihn anspornte. Biby gab ihm verschiedene nützliche Erläuterungen über den Weg, den er nehmen sollte, und beschenkte ihn sogar mit einer Seekarte, deren man sich ehedem bedient hatte, die aber von der Zeit an stets im Archiv aufbewahrt worden war.
Die beiden Prinzen schworen einander mühelos eine ewige Freundschaft, welche sie auch wahrhaft empfanden. Nach einigen Tagen nahm Kurzbein vom König und dem ganzen Hofe Abschied. Biby begleitete den Prinzen bis ans Schiff, wo ihn seine Leute mit großer Freude empfingen, wiewohl sie wegen seiner Wiederkunft keinen Kummer gehabt hatten, besonders da sie auf königlichen Befehl in seiner Abwesenheit mit Geschenken und Erfrischungen überhäuft worden waren.
Biby, der wehmütig von Kurzbein Abschied nahm und der von allem, was ihm begegnen mochte, bald Nachricht zu haben wünschte, gab ihm einen von seinen Stallmeistern, den er nicht nur herzlich liebte, sondern von dessen Mut und Klugheit er auch hinlänglich überzeugt war, mit auf die Reise. Er befahl ihm, seinem neuen Herrn mit ebender Treue zu dienen, welche er ihm selbst immer bewiesen hatte. Mousta, so hieß der Stallmeister, verließ seinen König ungern, versprach aber, sein ihm aufgetragenes Amt nach Schuldigkeit zu verrichten.
Kurzbein ging nunmehr mit einem günstigen Winde unter Segel. Der König Biby und seine sämtlichen Truppen, die sich an der Küste befanden, gaben ihren Schmerz durch ein entsetzliches Geheul zu erkennen; weil aber der Wind immer stärker blies, verloren die Seeleute das Land bald aus den Augen. Die Schiffahrt war so glücklich, daß sie das Land, wo sie hinwollten, ohne den geringsten Unfall, der sonst die Reisen zur See begleitet, zu Gesicht bekamen. Sie waren kaum noch zwei Meilen von dem Hafen entfernt, wo sie vor Anker gehen wollten, als das Wetter sich zu ändern schien. Kurzbein wußte auch, daß er nicht genug Geld hatte, sich in einer großen Stadt lange aufzuhalten; also ersuchte er den Kapitän, ihn schleunigst an Land zu bringen, ohne erst in den Hafen einzulaufen. Der Abschied war auf beiden Seiten äußerst betrübt.
Unser Held wurde nebst seinem getreuen Stallmeister Mousta zwei Meilen unterhalb der Stadt ausgeschifft. Nachdem sie beide einige Zeit gewandert, kamen sie auf eine höchst angenehme Wiese. Sie grenzte an einen Wald, dessen Frische zum Ausruhen einlud. Kaum hatte sich Kurzbein niedergelassen, als ein kleines Affenweiblein zu ihm kam und ihm allerhand lustige Possen vormachte, die sie so oft wiederholte, bis er sie gewahr wurde und sich alle ersinnliche Mühe gab, sie zu erhaschen, aber ehe sie sich greifen ließ, mußte er versprechen, ihr allerorten zu folgen, wo sie ihn hinführen würde. Sobald er ihr solches zugesagt, sprang sie ihm geschwind auf die Schulter und sagte zu ihm: »Mein lieber Kurzbein, wir sind ohne Geld, es sieht übel mit uns aus.« – »Was ist dabei zu tun?« entgegnete er ganz traurig, »man muß ausharren und nicht den Mut verlieren. Ihr tut mir leid, mein liebes Äffchen, ich kann Euch weder Zucker noch Zwieback geben.« – »Weil Ihr denn so hart gegen Euch selbst und so mitleidig gegen andere seid«, versetzte sie, »so will ich Euch zum Goldfelsen führen, aber befehlt dem Mousta, daß er zurückbleibe und hier auf Euch warte.« Kurzbein tat, was sie verlangte. Sogleich sprang das Affenweiblein wieder auf die Erde und winkte, daß er ihr nur folgen möchte. Sie ging in den Wald und sprang von einem Baum auf den anderen, immer vor ihm her. Ungefähr nach einer Stunde lichtete sich der Wald so sehr, daß er am Fuße eines Berges eine kleine grüne Wiese erkennen konnte.
Diese kleine Wiese wurde von einem Felsen durchschnitten, der ungefähr acht bis zehn Fuß hoch und fünf oder sechs Fuß breit war. Als er nun dieser Art von Kieselstein ganz nahe gekommen war, sagte ihm das Weibchen, daß er einen Schlag mit seinem Spieß gegen den Felsen, der ihm so hart zu sein schien, tun solle. Er tat es, und zwar mit solcher Gewalt, daß verschiedene Stücke davon absprangen. Er besah sie und fand, daß nur die Oberfläche felsartig, die innere Masse aber reines Gold war. »Was du abgeschlagen hast«, sagte das Weibchen, »das gehört dir, ich schenke es dir, nimm soviel davon, als dir beliebt.« Er nahm eines von den kleinsten Stücken und dankte für ihre große Gütigkeit. Hierauf verwandelte sich das kleine Affenweiblein in eine schöne und wohlgestalte Dame, die ihn also anredete: »Kurzbein, seid stets tugendhaft, arbeitsam und mäßig, so wie Ihr bisher gewesen seid, alsdann könnt Ihr hoffen, die schwersten Dinge auszurichten. Geht nun! Das kleine Stückchen, welches Ihr abgeschlagen habt, ist hinreichend für Euch, weil ich ihm die Kraft beilege, sich nach Eurem Bedürfnis zu vervielfältigen. Indes muß ich Euch nunmehr auch die Gefahr zeigen, der Ihr durch Eure kluge Aufführung entgangen seid.« Sie führte ihn in den Wald zurück, den er voll von allerhand Menschen fand. Sie hatten bleiche Gesichter, waren ganz ausgemergelt, liefen hin und her, bald suchten sie auf der Erde, bald sahen sie in die Höhe, das geringste Geräusch machte sie aufmerksam, bald taten sie Wünsche, bald stießen sie Flüche aus, wobei sie sich mit Leib und Seele den höllischen Geistern ergaben, weil sie glaubten, auf die eine oder die andere Art zum Goldfelsen zu kommen. »Ihr seht«, sagte die Fee, »die Mühe, die sich diese Leute geben. Allein alle ihre Bemühungen werden fruchtlos sein. Sie werden dabei umkommen und niemals in den Besitz des Goldfelsens gelangen. Sie werden ihre Tage endigen so wie viele andere vor ihnen, das heißt, sie werden sich aus Verzweiflung den Kopf zerschmettern.«
Hierauf brachte ihn die Fee wieder an den Ort, wo sie ihn getroffen, und verschwand. Kurzbein empfing tausend Liebkosungen von seinem Mousta, der ihn geduldig an dem Orte erwartete, wo er ihn zurückgelassen. Hierauf nahm er den Weg nach der Stadt, ohne ein weiteres Abenteuer zu erleben, ruhte einige Tage daselbst aus und erkundigte sich sorgfältig nach dem Wege, den er nehmen mußte, um zum Berg Kaukasus zu gelangen und zu der Prinzessin Zobel. Außer einigen Nachrichten von dem Wege erfuhr er nichts Erhebliches. Er war noch zu weit entfernt von den Staaten der Prinzessin, so daß er nur Verworrenes darüber hörte. Indessen kaufte er Pferde, Sklaven und alles, was zu seiner Reise nötig war. Das kleine Stückchen Gold bestritt alle Ausgaben, ohne daß es an seiner Größe abgenommen hätte. Sobald er den Kaukasus glücklich passiert hatte, hörte er von nichts anderem als von der Zobel reden. Von allen Seiten kamen Fremde, die sich an ihren Hof begeben wollten. Sosehr man der Prinzessin Verstand und Schönheit erhob, so allgemein war hingegen auch das Gerücht von der Anzahl seiner mächtigen Nebenbuhler. Dieser, hieß es, hat ganze Armeen in seinem Gefolge, jener besitzt unermeßliche Schätze, der führt alles bei sich, was die Künste Nützliches und Vortreffliches vermögen. Nur der arme Kurzbein brachte nichts weiter mit als einen großen Willen, seine Sache glücklich auszuführen, seinen Hund und die Lächerlichkeit seines Namens, der dazu diente, die Lächerlichkeit seiner kleinen Gestalt desto besser zu bemerken. Weil er aber mit diesem Namen in der Liste der Abgesandten unterzeichnet hatte, durfte er denselben nicht mit einem anderen vertauschen. Er nahm sich demnach vor, sich nicht mehr darum zu kümmern, woran er auch, wie ich glaube, recht wohl tat.
Nach einer zweimonatigen Reise gelangte er in die Stadt Trelintin, die Hauptstadt der Staaten, über die Zobel dereinst herrschen sollte. Er verwendete einige Tage darauf, sich nach den Gebräuchen des Landes zu erkundigen und den Charakter seiner Nebenbuhler kennenzulernen. Er tat auch verschiedene Fragen über das Eisgebirge und über die Unternehmung, die ausgeführt werden sollte. Vom Gebirge hatte man nur bloße Mutmaßungen, weil noch niemand von da wieder zurückgekommen war, der näheren Bericht davon hätte geben können. Übrigens aber erfuhr er folgendes:
Fardakinbras, der Vater der Zobel und König über einen großen Strich Landes des nördlichen Teiles, hatte Birbantine, die Tochter eines benachbarten Königs, geheiratet. Die Harmonie der Staaten fand sich in Übereinstimmung mit der der Gemüter, kurz, der Zufall machte damals eine gute Ehe, und zwar eine so gute, daß sie den beiden Ehegatten den Kopf verdrehte. Eines Tages fuhren sie miteinander im Schlitten und hatten die Verwegenheit, das Schicksal herauszufordern, ihnen widrig zu sein. So wollten sie die Liebe auf die Probe stellen, welche sie füreinander empfanden. »Ihr werdet das Gegenteil erfahren«, rief eine Alte, die sich von ungefähr an dem Orte befand und vor Kälte in die Hände blies.
Der König wollte aus dem Schlitten springen und die Verwegenheit dieser Unverschämten bestrafen, aber die sanftmütige Königin hielt ihn davon ab und sagte: »Ei, mein Herr, erzürnet Euch nicht, sie ist vielleicht eine Fee.« – »Ja, ich bin eine«, versetzte die Alte mit einer starken Stimme, wobei sie nach und nach zu wachsen anfing und zu einer rechten Riesin wurde. Ihre kleine Kohlenpfanne verwandelte sich in einen feurigen Wagen, ihr Stock in einen großen Drachen, ihre alten Lumpen in einen goldenen Regenschirm und ihre hölzernen Schuhe in zwei Raketen. »Ja«, wiederholte sie, »ich bin eine Fee, Ihr werdet schon die Früchte Eurer törichten Liebe sehen und noch öfters an Euren Stolz und an die Fee Guarlangandino denken.«
Der König und die Königin wollten sich ihr zu Füßen werfen, allein sie war schon zu weit entfernt. Sie richtete ihren Flug nach Norden. Ihr Wagen und ihre Raketen ließen einen langen, feurigen Schweif hinter sich. Fardakinbras und Birbantine standen nun ganz beschämt da, aber was sollten sie nur tun, da kein Mittel für ihre Unruhe zu finden war?

Wie hat dir das Märchen gefallen?

Zeige anderen dieses Märchen.

Gefällt dir das Projekt Märchenbasar?

Dann hinterlasse doch bitte einen Eintrag in meinem Gästebuch.
Du kannst das Projekt auch mit einer kleinen Spende unterstützen.

Vielen Dank und weiterhin viel Spaß

Skip to content