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Märchenbasar

Dornenblüt

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Sie schien ebensowenig beleidigt durch diese Erklärung als verwundert über das Opfer, das er ihr brachte. In den wenigen Augenblicken, die sie miteinander zubrachten, ward Larifari vollkommen in dem Urteil bestätigt, das er über ihren Geist und ihr Herz gefällt hatte. Er beschwor sie, sich in allen Stücken auf ihn zu verlassen, und bat sie, nur in die Vorschläge eines Menschen einzuwilligen, der lieber eines dreimal hunderttausendfachen Todes sterben als sie nur im geringsten beleidigen wollte.
Er erkundigte sich also ganz genau, wo der Stall der Stute Klingklang sei. Er erfuhr, daß man sich nicht die Mühe gebe, ihn zuzuschließen, da es nicht sehr wahrscheinlich sei, daß man eine Stute stehlen werde, die man bei der mindesten Bewegung höre und deren Harmonie noch außerordentlich verstärkt würde, wenn man sie aus dem Stalle zöge. Mehr verlangte er nicht zu wissen. Sie wagte nun nicht länger zu bleiben, und als sie sich trennten, sah sie sich so lange nach ihm um, als sie nur konnte.
Als er sie aus dem Gesicht verloren hatte, empfahl er sich ganz ernsthaft seinem guten Glück, das ihn noch niemals verlassen hatte, seiner Tatkraft, die ihm noch nie so nötig gewesen war, und aller Beständigkeit seines Mutes. Er fühlte, daß ihn etwas begeisterte, das mehr war als Geschicklichkeit und Klugheit. Er glaubte, es sei seine neue Leidenschaft, aber es war ganz etwas anderes. Entschlossen, allen unbekannten Eingebungen zu folgen, fing er damit an, daß er einige böse kleine Jungen mit Ohrfeigen fortschickte, die mit Leimruten gekommen waren, die armen kleinen Vögel wegzufangen. Er nahm ihnen ihren Vogelleim weg, damit sie nicht in seiner Abwesenheit Gebrauch davon machen könnten, und beim Anbruch der Nacht marschierte er mit seinem Sack unter dem Arm und dem Vogelleim, den er den Jungen abgenommen hatte, nach dem Stall der Stute. Eine treffliche Ausrüstung zu einer Unternehmung, wie diese war! Herrliche Waffen, um sich gegen die schreckliche Gewalt einer Hexe zu schützen, der er alle ihre Schätze rauben wollte!
Ein melodisches Geräusch leitete ihn geradenwegs nach dem Stall der Stute, und er kam eben an, als sie sich niedergelegt hatte. Sie war das schönste, sanfteste und folgsamste Tier von der Welt. Er streichelte sie sacht mit der Hand, und sie war über diese Behandlung so gerührt, daß sie für ihn ihr Leben gelassen hätte. Denn sie hatte bisher niemanden als den Sohn der Hexe gesehen, der ihr das Futter brachte und außer seiner Häßlichkeit, die ihr jedes Futter verbitterte, sie überdies bisweilen unbarmherzig zu behandeln pflegte. Da Larifari sie so gut gegen sich gesinnt fand, füllte er alle ihre Glöckchen, eines nach dem anderen, mit Mist und überzog sie mit Vogelleim, den er mitgebracht hatte, damit der Mist nicht herausfallen könne. Als dies geschehen war, stand die schöne Stute auf, um zu hören, ob vielleicht noch etwas an ihr sei, das ein Geräusch machen konnte. Larifari wiederholte seine Schmeicheleien, sattelte und zäumte sie und begab sich geradenwegs nach der Wohnung der Hexe Langzahn, indem er die Stute in dem Stall zurückließ. Er stieg wieder, wie tags zuvor, auf das Dach und nahm seinen Platz mit ebenderselben Vorsicht ein. Den Sack mit Salz hatte er dabei immer unter dem Arm, und er wußte selbst nicht, wie es kam, daß er ihn nie aus den Händen legte, er mochte hingehen, wo er wollte. Aber er erfuhr bald, wozu er ihm dienlich war. Er sah durch dieselbe Öffnung beinahe dieselbe Szene wie die vorige Nacht, ausgenommen, daß ihm die arme Dornenblüt noch weit beklagenswerter vorkam. Denn das erste Mal hatte sie bloß Langzähnchens Füße gewaschen; aber jetzt unterstand sich das kleine Ungeheuer nicht, sie im Hinblick auf die bevorstehende Hochzeit mit den Zärtlichkeiten eines Bräutigams zu überschütten, und als sie sich die Freiheiten, die er sich mit ihr herausnahm, verbat, fing er an, wie ein Schwein zu grunzen und mit ihr zu zanken.
Die Hexe zwang sie, sich in die Ecke ans Fenster zu setzen. Langzähnchen streckte sich neben ihr aus, legte seinen Kopf auf ihren Schoß und schlief ein. Die ungückliche Dornenblüt wagte nicht, ihren Verdruß und ihre Abscheu merken zu lassen, aber ihre Tränen konnte sie nicht zurückhalten, und doch durfte sie die Hexe nicht gewahr werden lassen, daß sie weinte.
Larifari fühlte ihren Schmerz in dem Innersten seiner Seele. Die Hexe aber gab nicht weiter auf sie acht, sondern rührte ihre Kräuter in dem Kessel mit ihrem langen Zahne um. Von Zeit zu Zeit warf sie ein neues Gift hinein, wobei sie immer wiederholte, was sie schon die vorige Nacht gesagt hatte:

‚Durch mein Roß und meinen Hut,
Meine Bosheit, meine Wut
Wird der Zauber flugs vollbracht.
Meinen Süße zu berücken,
Ihm die Federn auszupflücken,
Zeige heut sich meine Macht.‘

Larifari wollte doch auch etwas von dem seinigen hinzutun und schüttete seinen Sack mit Salz durch die Öffnung des Kamins. Die Hexe merkte es erst, als sie mit ihrem langen Nagel von ihrem Gebräu kosten wollte. Sie erschrak, kostete noch einmal und fand, daß der Zaubertrank durch eine Ingredienz, die wahrscheinlich nicht hineingehörte, verdorben war. Sie erhob dabei ein so fürchterliches Geschrei, als heulten fünfzehntausend Katzen auf einmal. Sie hob den Kessel sogleich vom Feuer und gab der armen unschuldigen Dornenblüt eine Ohrfeige, daß sie beinahe vom Stuhl gefallen wäre. Darüber wachte Langzähnchen auf und gab ihr noch eine, weil sie ihn aufgeweckt hatte.
Larifari, der alles das mit ansehen mußte, fühlte diese Ohrfeigen zehnfach, und es war ihm, als würde ihm ein Dolch ins Herz gestoßen. Schon unterlag die Klugheit seinem Zorne, und er hätte sich ins Unglück gestürzt, um seine Schöne zu rächen, wenn nicht die Hexe ihrem Sohn befohlen hätte, Wasser aus dem Bach zu holen, nachdem sie ihm vorher einige Elogen wegen seiner edlen Empfindlichkeit gemacht hatte. ‚Geh, mein Puppchen‘, sagte sie, ‚das häßliche Tier da soll meinen Hut nehmen und dir leuchten. Ich würde dich nicht bemühen, wenn der Hut, um zu leuchten, nicht von einem Mädchen getragen werden müßte, das nichts anderes daneben tragen darf. Geh, mein Söhnchen, nimm den Krug und fürchte dich nicht vor Gespenstern. Sie werden dir nichts tun, wenn der Hut leuchtet, und ich verspreche dir, daß du, wenn du zurückkommst, die spröde Närrin da auf der Stelle heiraten sollst.‘
‚Gut!‘ sagte Larifari, ‚ich bin zufrieden, nur nicht eher, als bis er zurückkommt‘, und mit diesen Worten, die er ganz leise sagte, stieg er vom Dache herab. Hierauf lief er, so schnell er laufen konnte, und postierte sich zwischen dem Haus und dem Bach, wo er gleich darauf die ganze Gegend wie am hellen Mittag erleuchtet sah. Die reizende Dornenblüt war das erste, was er erblickte. Ihres Hutes ungeachtet, kam sie ihm so leuchtend vor, daß der Hut sein Licht von ihr zu leihen schien. Der Zwerg keuchte neben ihr unter der Last des leeren Kruges; denn es war nicht genug, daß er bucklig war, sondern, um recht abscheulich zu sein, war er auch so lahm wie ein Hund und so klein, daß er vergeblich versuchte, seine schöne Gebieterin am Arme zu führen. Er konnte schlechterdings nicht höher reichen als an ihre Taschen. An diesen hielt er sich fest und schleppte sich fort, so gut er konnte; denn Gott weiß, wie viele Male Dornenblüt stolperte, um ihn loszuwerden. Endlich kam sie an den Ort, wo Larifari sie erwartete. Sie zitterte am ganzen Leibe, als sie ihn sah, und ihr Gesicht ward bald blaß, bald rot. Ich weiß nicht, ob er diese verschiedenen Gemütsbewegungen bemerkte, noch wie er sie sich erklärte, wenn er sie bemerkte. Doch genug, nachdem er ihr Mut zugesprochen hatte, packte er Langzähnchen beim Ohr, umwickelte ihm den Kopf mit seinem Schnupftuch, nahm ihn unter den Arm wie einen jungen Hund, gab dann Dornenblüt die Hand und marschierte mit starken Schritten auf den Stall zu.
Hier fand er die Stute gerade so, wie er sie verlassen hatte. Er unterrichtete Dornenblüt mit wenigen Worten von seinem Plan, und sie war in ihrer Angst mit allem zufrieden, ohne ein Wort von allem zu verstehen. ‚Meine Angst‘, sagte sie, ‚ist unbeschreiblich. Ich fürchte nicht mehr für mich allein, und dies ist allzuviel für mein Herz. Ihr habt freilich schon so viel getan, daß ich mich ganz auf Euch verlassen könnte. Laßt uns nur eilen, daß wir fortkommen, da uns die Eile allein retten kann. Aber was wollen wir mit diesem Ungeheuer anfangen?‘ – ‚Ich würde ihn lebendig schinden‘, sagte er, ‚um ihn für die Angst zu strafen, die er Euch verursacht hat, und für die Ohrfeige, die er Euch vorhin gab, aber seine Mutter würde sich allzuleicht über diese sanfte Todesart trösten. Ich habe etwas anderes im Sinn, das ihr mehr ans Herz gehen soll.‘
Die großmütige Dornenblüt, die von keiner anderen Grausamkeit wußte als der, welche spröde Schöne gegen ihre zärtlichen Liebhaber ausüben, war schon im Begriffe, um Gnade für den elenden Zwerg zu bitten, aber Larifari ließ sie nicht zu Worte kommen. ‚Fürchtet nichts‘, sagte er, ‚es soll ihm kein Leid geschehen. Er soll es im Gegenteil recht bequem haben, wenn es uns übel ergeht. Ich will Euch sogar um ein kleines Andenken Eurer Gunst für ihn bitten, da er doch nun die Hoffnung aufgeben muß, Euch zur Gemahlin zu bekommen. Erlaubt ihm, Eure Haube zu tragen, bis er die Ehre hat, Euch wiederzusehen.‘ Dornenblüt wußte nicht, was er damit sagen wollte. Aber sie fand, daß ein Scherz unter diesen Umständen nicht sonderlich angebracht war.
Indes wurde Langzähnchen die Haube aufgesetzt, und man kann sich denken, daß er darin nicht liebenswürdiger aussah. Aber er war froh, daß er damit wegkam, die Haube seiner Gebieterin zu tragen, nachdem man vom Schinden gesprochen hatte, und er glaubte nun aus aller Gefahr gerettet zu sein. Er irrte sich. Larifari band ihm Hände und Füße, stopfte ihm Heu in den Mund, damit er nicht schreien konnte, und legte ihn so mit dem ganzen Leibe ins Heu, daß man nichts von ihm sah als seinen Hinterkopf mit dem niedlichen Kopfputz. Nachdem auch dies geschehen war, streichelte er die Stute, stieg auf, nahm Dornenblüt vor sich aufs Pferd und kehrte dem Palast der Hexe den Rücken. Die Stute Klingklang war so schnell wie der Wind und dabei leichter zu lenken als ein Schiff. Larifari legte ihr den Zaum auf den Hals, damit sie desto geschwinder liefe. Nachdem sie in einer Stunde ungefähr fünfzig Meilen zurückgelegt hatte, glaubte er weit genug zu sein, um sie ein wenig verschnaufen zu lassen.
Hatte jemand Ursache, vergnügt zu sein, so war es Larifari, der ein gefährliches Abenteuer so glücklich geendigt hatte und ein Mädchen in seinen Armen hielt, das er anfing zu lieben, das er aus einer fürchterlichen Sklaverei befreit hatte und das er umfassen durfte, ohne Furcht, es zu beleidigen. Glückliche Lage für einen Mann, der ein Unternehmen um des Ruhmes willen begann und es um der Liebe willen ausführte! Er atmete wieder mit freier Brust und fühlte keine Furcht mehr als die, seiner Geliebten nicht zu gefallen. Er kannte sich zu gut, um etwas von den Reizen seiner Gestalt zu erwarten. Er wußte, daß er nicht hoffen durfte ohne die Hilfe seines Verstandes und seiner Liebe. Diese wuchs mit jedem Augenblick. Sein Herz hatte stärker geschlagen, sooft er Dornenblüt von neuem gesehen hatte, und daß er sie jetzt in den Armen halten durfte, war doch nicht dazu angetan, sein verliebtes Herz zu beruhigen.
‚Schöne Dornenblüt‘, sagte er zu ihr, da er fühlte, daß sie noch zitterte, ‚Ihr habt nichts mehr von der Hexe Langzahn zu fürchten, und Ihr könnt ganz ruhig bei einem Manne sein, der die reinsten und ehrerbietigsten Gesinnungen gegen Euch hegt. Ich kenne Eure Reize, ja ich wage zu behaupten, daß sie niemand besser zu beurteilen versteht und besser kennt; aber ich wage kaum, Euch zu sagen, daß ich sie bis in das Innerste meines Herzens fühle. Und doch, wie könnte es anders sein? Ich verließ mein Vaterland aus besonderen Gründen. Als ich abreiste, hatte ich keinen bestimmten Plan, keine Absicht. Ich wußte nicht, was ich in der Welt suchte, aber jetzt weiß ich nur allzugut, daß ich niemand anders suchte als Euch. Erlaubt, daß ich Euch einige Augenblicke mit der Erzählung meiner Abenteuer unterhalte.‘ Dornenblüt wußte nicht, was sie auf alle diese schönen Sachen, die er ihr in einem Zuge sagte, antworten sollte. Sie neigte sich sanft zu ihm, gleichsam, um an ihm zu ruhen, und Larifari, dem diese Art Antwort nicht mißfiel, fuhr fort, ohne auf eine andere zu warten.
‚Ich bin der Sohn eines kleinen Fürsten. Sein Staat war winzig, seine Untertanen aber reich, zufrieden und treu. Ich hatte einen Bruder. Gott weiß, was aus ihm geworden ist. Wir waren nicht viel über sechs Jahre alt, als mein Vater uns beiseite nahm und uns mit folgenden Worten anredete, die, wie mich dünkt, ein wenig zu hoch für unser Alter waren: »Meine Kinder«, sagte er, »ihr seid Zwillinge, und das Recht der Erstgeburt kann die Thronfolge unter euch nicht entscheiden. Mein Staat ist zu klein, um ihn zu teilen, und ich wünsche daher, daß der eine von euch dem anderen seine Rechte abtreten möge. Damit aber den, welcher sich des Thrones begibt, sein Opfer nicht reut, so will ich euch zwei Geschenke machen, von denen das kleinste allenthalben euer Glück befestigen wird. Diese Geschenke sind Verstand und Schönheit. Da diese Vorzüge getrennt bleiben müssen, so wähle sich ein jeder das, was ihm am meisten gefällt.« Wir antworteten beide zugleich: Ich verlangte den Verstand und mein Bruder die Schönheit. Mein Vater umarmte uns beide und versicherte uns, daß jeder mit der Zeit das bekommen würde, was er sich gewählt habe.
Mein Bruder hieß Phönix, ich Pinson, der Fink, und wenn wir noch mehrere Brüder gehabt hätten, so bin ich fest überzeugt, daß man den einen Amsel, den anderen Nachtigall, den nächsten Zeisig und so weiter genannt hätte, denn eine von den Torheiten meines Vaters war die Vogelliebhaberei, die andere, daß er verlangte, wir sollten ihn Herr Papa nennen, wenn wir von ihm sprachen. Von mir hatte er nie das Vergnügen, dies zu hören. Mein Bruder Phönix aber nannte ihn öfter Herr Papa, als es nötig war. Dies ist vielleicht auch die Ursache, warum er ihm besser Wort hielt als mir; denn in seinem achtzehnten Jahr übertraf er alles, was man Schönes in unserem Geschlechte gesehen hat. Zwar sagte man auch mir manche Schmeichelei über meinen lebhaften Verstand, aber ich sah das an wie das, was man von allen Kindern sagt, wenn die Väter und Mütter die ganze Welt mit den Einfällen ihrer Kinder langweilen, und ich fand, daß ich gerade nicht mehr Verstand hatte, als um einzusehen, daß ich noch viel zuwenig habe.
So verschieden auch unsere Neigungen waren, so groß war doch die Eintracht zwischen mir und meinem Bruder. Ich vertrieb mir die Zeit mit Lektüre. Ich las alles, was mir in die Hände fiel, Gutes und Schlechtes. Ich lernte jedoch bald, das eine von dem anderen zu unterscheiden, und ich hätte mich beinahe über diese Delikatesse geärgert, die meine Lektüre auf eine sehr kleine Anzahl von Büchern beschränkte. Phönix hatte diese Sorge nicht. Er putzte sich den ganzen Tag, um mit seiner Schönheit zu paradieren.
Endlich starb unser Vater, und was ihm seinen Tod gar sehr erleichterte, war die Eintracht, in der er uns sah. Aber er war noch nicht lange begraben, als wir zum ersten Male in unserem Leben verschiedener Meinung waren, so daß wir uns beinahe gezankt hätten. Die Ursache unseres hartnäckigen Streites war, daß jeder dem anderen sein Recht auf die Krone abtreten wollte. Phönix versicherte mir ohne Unterlaß, daß ich, da ich weit mehr Fähigkeiten zur Regierung hätte, auch weit mehr verdiente, meinem Vater nachzufolgen, und daß ihm, dem Himmel sei Dank, mit seinem Aussehen nicht bange sei, an jedem Ende der Welt sein Glück zu machen. Vergebens führte ich ihm die triftigsten Gründe an, um ihn zur Annahme unserer kleinen Herrschaft zu bewegen. Er hörte nicht auf mich; und nach einem langen Streit wurden wir einig, beide an einem Tag abzureisen, um unser Glück auswärts zu suchen, mit der Bedingung, daß der, welcher sich zuerst etablieren würde, dem anderen möglichst Nachricht davon geben solle, daß dieser sodann von unserer gemeinsamen Erbschaft Besitz ergreifen könne. Die Regierungsgeschäfte übertrugen wir indes unseren treuen Ministern.
Wir reisten ab, Phönix mit allen nur möglichen Reizen begabt, ich mit dem kleinen Anteil von Verstand, der mir zugefallen war. Wir nahmen verschiedene Wege. Das erste Abenteuer, das mir begegnete, war sonderbar genug, ob es gleich keiner von den großen und gefährlichen Zufällen war, welche den Helden auszeichnen. Ich hatte viele Länder durchreist, ohne etwas zu finden, das mir einige Hoffnung zu einem vorzüglichen Glücke hätte machen können. Ich suchte indes allenthalben Kenntnisse zu sammeln. Ich hielt mich bei allem auf, was meiner Aufmerksamkeit würdig erschien. Ich erforschte die geheimen Kräfte aller Wesen, bemerkte die Sonderbarkeiten jedes Landes. Aber alles das befriedigte meine Neugierde nicht. Ich kam endlich nach Zirkassien, das man mir als das Land der Schönheiten beschrieben hatte. Ich durchreiste es von einem Ende zum anderen und fand zu meinem großen Erstaunen keine einzige Schönheit, die mich auch nur in Verwunderung gesetzt hätte. Ich schrieb die Ursache davon der Veränderung der Regierungsform zu und glaubte, daß in den daraus entstandenen Unruhen alle Schönen zerstreut worden wären, die, nach dem, was man mir davon erzählt hatte, ehemals bei jedem Schritte anzutreffen gewesen sein mußten.
Eines Tages spazierte ich an dem Ufer eines Flusses entlang, der eine weite Ebene begrenzte. Jenseits desselben erhob sich ein Gebäude, das mir aus der Ferne sehr prächtig vorkam. Die Neugierde trieb mich, es näher zu besehen. Ich folgte diesem Antrieb, und als ich näher kam, fand ich ein Schloß, das von außen der Aufenthalt eines Fürsten schien. Inwendig war es finster und die Bewohner desselben unfreundlich. Doch sah ich hier mehr Schönheiten als in dem übrigen Zirkassien, nur waren sie alle erschrecklich scheu. Sie flohen, sowie sie mich nur von fern sahen, und die, welche mir nicht ausweichen konnten, schienen so wenig auf die Artigkeiten zu antworten, mit denen ich sie anredete, daß sie nicht einmal den Kopf zu mir wandten. Nun, sagte ich bei mir selbst, diese Statuen stellen wenigstens bildschöne Frauenzimmer vor, denen leider die Sprache fehlt. Ich ging über eine Menge Galerien, ohne in diesem Schlosse etwas anderes als solche Gegenstände zu finden, die mir ebensoviel Langeweile machten, als sie selbst von Langeweile geplagt schienen. Auf einmal hörte ich in einem entlegenen Zimmer ein lautes Gelächter. Ich freute mich, wenigstens noch irgendwo in diesem traurigen Schlosse einen Funken von Lustigkeit zu entdecken, und ging in das Zimmer, wo dieses Gelächter noch immer fortdauerte. Vier Elstern saßen um einen Spieltisch und spielten Karten, ohne sich durch meine Gegenwart erschrecken zu lassen. Im Gegenteil, sie machten mir jede ein artiges Kompliment und fuhren dann in ihrem Spiel fort. Ich sah ihnen zu, aber ich verstand nichts von ihrem Spiel, ob ich gleich alle Spiele in der Welt kenne. Neben ihnen saß eine alte Krähe von sehr gutem Ansehen, die häkelte und ihnen von Zeit zu Zeit in die Karten sah.
Ich muß gestehen, daß mir dieses Schauspiel sehr sonderbar vorkam. Ich begriff durchaus nicht, was dieser Zauber bedeuten konnte. Sie mischten, hoben ab und gaben, als wenn sie zeit ihres Lebens nichts anderes getan hätten, als Karten zu spielen. Als meine Aufmerksamkeit auf das höchste gespannt war, warf eine von den Elstern, welche lange auf eine von ihren Karten gepickt hatte, sie alle miteinander auf den Tisch und schrie aus Leibeskräften: »Larifari!« Die anderen stimmten ein. Selbst die Krähe, die nicht mit von der Partie war, schrie: »Larifari«, und dann schlugen sie wieder ein so lautes und durchdringendes Gelächter an, daß ich es nicht länger aushalten konnte. Ich verließ also das Zimmer der Elstern, das finstere Schloß und drei Tage darauf das Königreich selbst. Um diese Zeit ungefähr begann sich der Ruf von Prinzessin Sonnenstrahls Schönheit zu verbreiten. Man erzählte mir die unglaublichsten Dinge von ihr, und ich beschloß, mit eigenen Augen zu sehen, ob diese Wunder wahr seien, so gefährlich man mir auch die Folgen dieses Unternehmens beschrieb.
Schon lange Zeit hatte ich ein großes Verlangen gehegt, das glückliche Königreich Kaschmir zu sehen, und auf einmal bekam ich Lust, meinen Namen zu ändern, entweder, weil dies bei den meisten Abenteurern so Brauch ist, oder weil mir der Name Fink zu gemein schien für einen Mann, der bei der ersten Schönheit der Welt von sich reden machen wollte. Mit einem Worte, ich änderte meinen Namen, und da mir das Abenteuer mit den Elstern noch immer im Sinne lag, nahm ich den Namen Larifari an, den ich dort von ungefähr gehört hatte.‘ – ‚Larifari?‘ sagte Dornenblüt. ‚Ja‘, fuhr er fort, ‚und was mir das sonderbarste bei diesem Namen scheint, ist, daß man ihn nicht hören kann, ohne Lust zu bekommen, ihn zu wiederholen, so wie es Euch in diesem Augenblicke begegnet ist.
Am Eingang des Königreiches Kaschmir, wenn man von Zirkassien herkommt, hat die Fee Serène ihren bezauberten Palast. Ich muß hier hinzusetzen, daß mich die Begierde, eine Dame von so außerordentlichen Kenntnissen, wegen derer sie weit und breit berühmt war, kennenzulernen, ebensosehr reizte, nach Kaschmir zu reisen, als alle die Wunder, die man mir von der Prinzessin Sonnenstrahl erzählt hatte. Nur hätten mich beinahe die Schwierigkeiten, zu dieser Bekanntschaft zu gelangen, abgeschreckt.
Von Tausenden, die diese Reise in ebender Absicht unternommen hatten, waren nur sehr wenige in ihrem Unternehmen glücklich gewesen. Man weiß ungefähr den Ort, wo sie wohnt, aber man sucht ihren Palast vergeblich, und niemand findet ihn, den nicht das Glück oder vielmehr die Gunst der Zauberin leitet. Ich war so glücklich, vorgelassen zu werden, ein Glück, das ich wahrscheinlich durch nichts anderes verdient hatte als durch die außerordentliche Begierde, dieser erhabenen und weisen Frau meine Huldigung darzubringen.
Ich will Euch mit der Beschreibung des Ortes verschonen, dessen außerordentliche Schönheiten keine Beschreibung erreicht. Alles, was ich Euch davon sagen kann, ist, daß diese Gegend Kaschmirs sich vor dem ganzen übrigen Königreich ebenso auszeichnet wie Kaschmir vor allen Königreichen der Erde. Die kurze Zeit, die dort zuzubringen mir erlaubt war, half mir mehr als das Geschenk, das mir mein Vater vermacht zu haben glaubte. Ich bemerkte, daß meine Bewunderung und Ehrfurcht gegen sie mir ihre Protektion erworben hatte. Sie versprach, mich nicht zu vergessen, als ich von ihr Abschied nahm, und ich verließ sie mit dem Entschluß, mich ihres Schutzes, soviel in meinen Kräften stünde, würdig zu erweisen.
Ich kam in die Stadt, wo der Hof war. Aber ich war nicht willens, mich dort zu zeigen. Ich erfuhr bald genug, um mich zu orientieren. Ich lernte den Charakter und das Genie des guten Kalifen kennen. Man machte mich mit der Denkungsart des Ersten Ministers bekannt, der keines von all den Talenten besaß, welche Minister gewöhnlich haben oder doch haben sollten, der aber dafür auch nicht im mindesten eingebildet war, nicht den mindesten Stolz hatte. Denn in der Tat hat es wohl nicht leicht einen so umgänglichen Minister gegeben als ihn. Er hatte eine Frau, die zwar nicht ganz so einfältig, aber noch weit zuvorkommender war als ihr Mann. Ich tat Dienste bei ihm als Stallmeister, und ich bemerkte sehr bald, daß ich der Madame Seneschallin nicht mißfiel.‘ – ‚Was war sie für eine Art Schönheit?‘ unterbrach ihn Dornenblüt. ‚Eine von denen, die sich so schön machen können, als sie wollen‘, antwortete er ‚Der Seneschall, ihr Gemahl‘, fuhr er fort, ‚war ein Mann, der, wie man sagt, das Pulver nicht erfunden hatte. Ich galt also als außerordentlich geschickt bei ihm, und so kam es, daß man sich wegen eines Mittels gegen das Unglück, das die Augen der Prinzessin anstifteten, an mich wendete.‘
Hierauf erzählte er ihr, wie er es angefangen hatte, sie abzumalen. ‚Ihr habt sie also wohl sehr oft angesehen?‘ fragte Dornenblüt. ‚Ja‘, sagte er, ’so oft ich wollte, und, wie ich Euch sage, ohne die mindeste Gefahr.‘ – ‚Fandet Ihr sie wirklich so außerordentlich schön, als man Euch gesagt hatte?‘ fuhr sie fort. ‚Noch tausendmal schöner‘, antwortete er. ‚Nun, so braucht man ja wohl gar nicht zu fragen‘, setzte sie hinzu, ‚ob Ihr Euch nicht gleich beim ersten Anblick leidenschaftlich in sie verliebt habt? Ich bitte Euch, sagt mir die Wahrheit.‘ Larifari gestand ihr alles, was zwischen ihm und der Prinzessin vorgefallen war. Er verschwieg ihr selbst die Versicherung nicht, die sie ihm gegeben hatte, ihn zu heiraten, wenn er in seinem Unternehmen glücklich wäre. Darauf schob Dornenblüt seine Hände zurück, mit denen er sie bis jetzt festgehalten, und setzte sich gerade, da sie sich vorhin an ihn gelehnt hatte. Er verstand, was dies sagen wollte, aber er setzte sein Gespräch fort, ohne sich das mindeste anmerken zu lassen.
‚Ich weiß nicht‘, sagte er, ‚welches glückliche Gestirn die Prinzessin mir wohlgesonnen machte. Ich fühlte nur allzugut, daß ich ihre Güte nicht verdiente und daß weder mein Aussehen und noch weit weniger mein Herz irgendeinen Anspruch auf ihre Gunst erheben konnte. Ich bemerkte in der Folge nur allzu deutlich, daß die Liebe, die ich für sie zu fühlen vermeint hatte, höchstens Bewunderung war. Bei jedem Schritt, den ich mich von ihr entfernte, erlosch ihr Bild unmerklich mehr in meiner Seele, und seit dem ersten Augenblick, wo ich das Glück hatte, Euch zu sehen, ist es mir ganz und gar aus dem Gedächtnis verschwunden.‘ Er schwieg, und Dornenblüt sagte auch nichts. Sie sank nach und nach wieder in ihre vorige Stellung zurück und legte ihre Hände auf die seinigen, die er wieder um ihren Leib geschlungen hatte.
Unterdessen brach der Tag an. Larifari nahm Dornenblüt den Hut ab, den sie die ganze Nacht über getragen hatte. Nur das schwache Licht Auroras leuchtete auf ihrem Wege. Ihre Frische erquickte die Blumen, und die kostbaren Tränen, die sie vergoß, benetzten die Wiesen und löschten den Staub auf der Straße.
Gerade zu der Zeit, als die schöne Heroldin des Tages den Sonnenrossen die Pforten öffnete, begann die Stute Klingklang zu wiehern. ‚Ach!‘ rief Dornenblüt, indem sie am ganzen Leibe zitterte, ‚wir sind verloren. Die Hexe verfolgt uns.‘ Larifari sah sich um und erblickte in der Tat die fürchterliche Langzahn auf einem feuerfarbenen Einhorn, an welches zwei Tiger gebunden waren, von denen der kleinste wenigstens ebensogroß sein mochte als Klingklang. Larifari suchte Dornenblüt zu trösten, indem er ihr sagte, daß die Stute so geschwind laufe, daß sie die Zauberin mit ihrer ganzen Equipage sehr bald aus dem Gesicht verloren haben würden. Er zog sie bei diesen Worten am Zügel, aber Klingklang ging nicht von der Stelle. Er redete ihr zu, gab ihr die Sporen – umsonst. Sie war unbeweglich. Dornenblüt fiel ohnmächtig in seine Arme, als sie die Hexe nur noch fünfzig Schritt von sich entfernt sah. Vergebens schwor er ihr, daß sie nimmermehr in ihre Klauen fallen solle, solange noch ein Blutstropfen in seinen Adern flösse. Alle diese Versicherungen waren nicht imstande, sie wieder zu sich zu bringen.
Langzahn kam immer näher, und Larifari wußte weder aus noch ein. Er versuchte nun noch den Weg der Güte, streichelte die Stute und sagte: ‚Wie, liebe Klingklang, so willst du deine schöne Gebieterin der häßlichen Hexe ausliefern, die dich verfolgt? Bist du nur darum so gefällig gewesen, um uns am Ende so schändlich zu verraten?‘ Aber er mochte ihren Eifer anspornen, soviel er wollte, es half nichts. Sie stand wie eine Mauer, und die Hexe war nur noch zwanzig Schritt entfernt, als Klingklang ihr linkes Ohr dreimal bewegte. Er griff sogleich mit dem Finger hinein und fand einen kleinen Stein, den er über seine linke Schulter warf, und in demselben Augenblick erhob sich zwischen ihm und der Hexe eine Mauer aus der Erde. Diese Mauer war nicht höher als sechzig Fuß, aber sie war so lang, daß man weder Anfang noch Ende davon sah. Dornenblüt schöpfte wieder Luft. Larifari dankte dem Himmel, und Klingklang eilte davon wie ein Blitz.
Sie hatten die neue Mauer schon aus den Augen verloren, und Larifari glaubte Dornenblüt in Sicherheit. Er wollte ihr eben etwas Zärtliches, vielleicht sogar etwas Artiges sagen, als Klingklang auf einmal mitten im Lauf innehielt. Larifari sah sich um, und die schreckliche Langzahn war schon wieder hinter ihm. ‚Wie?‘ schrie er, ’so gibt es denn keine Mauer, die ihrem Einhorn, ihren Tigern, ihrem langen Zahn und ihrem schrecklichen Nagel widerstehen könnte?‘ Dornenblüt wurde bei diesen Worten wieder ganz schwach, und die Stute, noch hartnäckiger als das erste Mal, war wie an die Erde genagelt. Larifari verlor nicht den Mut, sondern redete die Stute noch rührender an, als er vorhin getan hatte. ‚Ach‘, sagte er zu ihr, ‚edle Klingklang, ich sehe wohl, daß die Hexe dir etwas antut, dem du nicht zu widerstehen vermagst, und daß du nicht mehr von der Stelle kannst, wenn sie dich mit den Augen erreicht. Wäre das nicht, so will ich wetten, daß du bei deinem vortrefflichen Herzen lieber sterben würdest, als deine schöne Gebieterin nicht zu retten. Ich sehe an deiner Niedergeschlagenheit, daß du uns keine Hilfe mehr anzubieten hast. Wohlan denn, so bitte ich dich nur um eine Gefälligkeit: Rette die reizende Dornenblüt. Ich steige ab und gehe der Hexe und ihren Tigern entgegen, vielleicht wird das Glück meine Unternehmung begünstigen. Fliehe, so schnell du kannst, mit meiner geliebten Dornenblüt, während Langzahn ihre Augen auf mich richten wird! Adieu, geliebte Klingklang, rette Dornenblüt, verlaß sie nicht, und wenn du mich nicht
wiedersiehst, so erinnere sie zuweilen an den Mann, der sie auf dieser Erde am zärtlichsten liebte.‘ Nach diesen Worten wollte er absteigen, aber Dornenblüt faßte ihn bei der Hand und hielt ihn zurück.
Die gute Klingklang war so gerührt, daß sie weinte wie ein Kind. Sie schluchzte, daß die härtesten Felsen hätten zerspringen mögen, und die Tränen flossen von ihren schönen Augen zur Erde. Unterdessen kam die Hexe immer näher, und auf einmal bewegte die Stute sechsmal ihr rechtes Ohr. Larifari fand nichts darin als einen Tropfen Wasser, der ihm am Finger hängenblieb und den er über seine rechte Schulter warf. Er fiel auf die Erde und ward zum Fluß, und dieser ward bald so breit wie ein Arm des Meeres. Seine Fluten waren reißend wie die eines Waldstromes und breiteten sich immer weiter nach der Gegend aus, woher Langzahn kam. Ihr Ungestüm war so groß, daß sie, ihr Einhorn und ihre Tiger in großer Gefahr waren zu ertrinken. Mit innigem Vergnügen sahen Larifari und Dornenblüt zu, wie das Wasser ihr auf dem Fuße nachfolgte und mit welcher Angst sie ihr Einhorn anspornte, um ihm zu entgehen. Als sie ihnen aus dem Gesicht gekommen war, tat Klingklang einen Freudensprung, der Dornenblüt um ein Haar heruntergeworfen hätte. Ihr Begleiter ergriff diese Gelegenheit, sie noch fester zu umarmen. Er für seine Person saß unbeweglich im Sattel, denn er war ein vortrefflicher Reiter, und Klingklangs Sprung, so unerwartet er ihm gekommen war, hatte ihn nicht im mindesten aus der Fassung gebracht.
So waren sie denn zum zweiten Male vor den Verfolgungen der schrecklichen Langzahn gerettet, und Larifari hoffte, daß dies der letzte Schrecken sei, den sie ihnen verursachen würde. Die gute Klingklang schien den aufrichtigsten Anteil an der Ruhe zu nehmen, die auf alle diese Schrecken folgte, und setzte ihren Weg mit unglaublicher Schnelligkeit fort. Als Larifari sie so ohn Unterlaß laufen sah, fiel ihm ein, daß es gut sein würde, sie von seiner Absicht zu unterrichten, weil er nicht wußte, ob der Weg, den sie nahm, ihn an den Ort seiner Bestimmung führen würde. Er legte ihr deshalb die Zügel auf den Hals und redete sie an. ‚Klingklang‘, sagte er, ich weiß, daß man sich mit dir nicht verirren kann. Wir wollen in das Königreich Kaschmir. Es ist auf der einen Seite von Bergen und Klüften umgeben. Da ist der Palast der weisen Serène. Zu diesem führe uns.‘ – ‚Und warum nach Kaschmir?‘ sagte Dornenblüt. ‚War’s nicht da, wo Sonnenstrahl wohnt?‘ – ‚Allerdings‘, antwortete er. ‚Kaschmir ist das Reich ihres Vaters, und ihrem Vater habe ich versprochen, die Schätze der Hexe zu bringen, welche Serène verlangt.‘ – ‚Wieso?‘ fragte sie ein wenig betroffen. ‚Habt Ihr mir denn nicht gesagt, Ihr hättet bei diesen gefährlichen Unternehmungen an nichts weiter gedacht als an das Vergnügen, mich zu befreien. Ach, ich Törin‘, fuhr sie fort, ‚daß ich mir einbilden konnte, man würde um eines unglücklichen Mädchens willen die schönste Prinzessin auf der Welt vergessen! Warum sagtet Ihr mir das, wenn Ihr es nicht fühltet? Ach, Larifari‘, sprach sie, und Tränen rollten über ihre Wangen, ‚ich sehe wohl, daß es Euer heißester Wunsch ist, vor den schönsten Augen siegreich zu erscheinen, ihnen die versprochene Beute zu zeigen und ihnen Dornenblüt im Triumphe vorzuführen. Würdet Ihr wohl so zur Prinzessin eilen, wenn Ihr mich nicht betrogen hättet, wenn Ihr wirklich so sehr fürchtetet, mich zu verlieren? Was hindert Euch, mich in Euer eigenes Land zu führen? Warum wollt Ihr, daß ich größere Leiden erfahre als die, von denen Ihr mich befreitet? Hättet Ihr mir nicht mit Eurer Liebe geschmeichelt, mein Herz wäre ruhig geblieben und würde nicht den schrecklichen Verdruß zu fürchten haben, einer Sonnenstrahl aufgeopfert zu werden. Ach, sie wird Euch auch so genug lieben, ohne daß Ihr ihr diesen neuen Beweis Eurer Zärtlichkeit gebt.‘
Larifari ward von ihrem Kummer gerührt, sosehr ihn auch ihre Furcht entzückte. ‚Nein‘, sagte er bewegt, als er ihre Tränen noch immer fließen sah, ’nein, reizende Dornenblüt, ich betrog Euch nicht, da ich sagte, daß ich mich nur für Euch diesen Gefahren ausgesetzt hätte und daß ich eher vor Euren Augen sterben wollte, als nur daran zu denken, sie Sonnenstrahls Reizen aufzuopfern. Ihr Bild ist aus meinem Herzen verschwunden, und jeder Augenblick festigt meine Liebe zu Euch. Eure Worte dringen bis in das Innerste meiner Seele. Die Feinheit und Wahrheit Eurer Empfindungen entzückt mich. Ich setzte mich dem Tode aus, um Euch zu retten. Würde ich wohl für eine andere leben wollen? Beruhigt Euch über meinen Plan. Hindert mich nicht, mein Versprechen zu halten. Ich wäre Eurer unwürdig. Nur in dem Gebiet von Kaschmir werden wir sicher sein. Rechnet auf meine Treue und nehmt diese heilige Versicherung, daß, wenn ich wählen soll, ganz gewiß Sonnenstrahl der liebenswürdigen Dornenblüt aufgeopfert werden wird, und wenn es mich tausend Leben kosten sollte.‘
Nichts ist überzeugender als die Beredsamkeit eines Liebhabers und nichts wahrscheinlicher als das, was man wünscht. Larifari hatte mit so vieler Wärme gesprochen, seine Ausdrücke trugen so sehr den Stempel der Aufrichtigkeit und der Natürlichkeit, daß sie in Dornenblüts Herzen keinen Zweifel zurückließen. Als er sie getröstet sah, ließ er der Stute den Zügel locker. Sie drehte sich sogleich nach rechts und eilte davon wie der Wind. In weniger als einer halben Stunde sahen sie sich an dem Fuße eines Gebirges, welches unbesteigbar schien. Aber die Leichtigkeit Klingklangs überwand jedes Hindernis.
Larifari erkannte, daß dies einer von den Bergen war, die die Grenzen des glücklichen Kaschmirs beschützen. Klingklang bestieg ihn mit einer Behendigkeit, als liefe sie auf ebenem Felde, und die beiden Reiter fühlten ebensowenig Beschwerlichkeit von ihrem Gang als in der Ebene. In kurzer Zeit hatte sie den Gipfel erreicht. Hier schien die Luft mit allen Wohlgerüchen Arabiens erfüllt, und wohin ihr Blick sich wendete, bot sich ein unübersehbarer Garten ihren Augen dar. Dornenblüt genoß diesen Anblick mit innigem Entzücken. Sie verlor sich in der Betrachtung so vieler Wunderdinge, aber der Dämon Eifersucht mißgönnte ihr diesen Genuß.
‚Wie?‘ sagte sie, ‚Sonnenstrahl ist Erbin von allem, was ich hier sehe? Sonnenstrahl, selbst noch kostbarer als alle diese Schätze und reizender als die Reize, welche die Natur hier zur Schau stellt, soll alles dies ihrem erwählten Gemahl zubringen? Und es sollte einen Mann geben, der ihre Hand ausschlüge um Dornenblüts willen? Ach, wenn es wahr ist, daß Eure Beständigkeit oder vielmehr Eure Verblendung für mich dieser Versuchung widersteht, so gebt mir die Versicherung davon, wenn. Ihr könnt, ehe wir in diese bezauberten Gefilde hinabsteigen, oder laßt mich in diesen Klüften einen Tod suchen, der mich tausendmal weniger kosten wird, als Euch in Sonnenstrahls Armen zu sehen.‘
Vielleicht wäre ein anderer ungeduldig über diese Ängstlichkeit geworden, die nach all dem, was er ihr kaum in demselben Augenblick gesagt hatte, übertrieben schien; aber Dornenblüt war ebenso schön als zärtlich, und Larifari liebte sie mit der heftigsten Leidenschaft. Die Äußerungen ihrer zärtlichen Unruhe, weit entfernt ihn zu beleidigen, würden sein Herz mit Entzücken erfüllt haben, wenn sie die arme Dornenblüt nicht allzuviel gekostet hätten. Er versuchte also, sie davon zu heilen. ‚Schönste Dornenblüt‘, sagte er zu ihr, ‚ich kenne nur zwei Mittel, Euch vollkommene Gewißheit über die Aufrichtigkeit meiner Gesinnungen zu schaffen. Das eine ist, hier im Angesicht des Himmels und der Erde meine Hand anzunehmen und mein Herz auf ewig mit dem Euren zu vereinigen. Ich nehme die unsichtbaren Mächte zu Zeugen, die uns hören, daß ich mich für glücklicher hielte, mit Euch in den fürchterlichen Gegenden zu wohnen, die wir eben verlassen, als mit Sonnenstrahl in den seligen Gefilden zu herrschen, die wir hier vor uns sehen. Ich biete Euch mein Herz und meine Treue an. Ich bin es zufrieden, nicht weiterzugehen, sondern Euch in mein väterliches Reich zu führen, in welches mein Bruder vielleicht schon wieder zurückgekehrt ist. Aber ich habe Euch schon gesagt, daß wir allenthalben den Verfolgungen und der Wut der grausamen Langzahn ausgesetzt sind, daß nur der Aufenthalt in diesem Reiche uns sichert. Und gesetzt auch, daß wir ihr entgehen könnten, wie werden wir uns dem gerechten Zorne Serènes entziehen, welcher ich versprochen habe, ihre Tochter, den Hut und die Stute in die Hände zu liefern.‘

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