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Märchenbasar

Prinz Kurzbein und Prinzessin Zobel

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Kurze Zeit nach dieser Begebenheit wurde die Königin schwanger und gebar Zobel, die von ihrer Geburt an die vollkommenste Schönheit war. Alle Feen des Nordens waren bei ihrer Geburt zugegen: Nur allein in den Staaten des Königs, die sehr weitläufig waren, hatten wohl mehr als hundert Feen ihren Aufenthalt. Der König hatte sie alle mit großer Sorgfalt eingeladen und ihnen die Drohung der Guarlangandino anvertraut. Sie erschien auch nicht bei dem Feste, nahm auch kein Geschenk an, ob sie gleich mit aller Aufmerksamkeit dazu eingeladen worden war. Aber nachdem Guarlangandino ihre Schwestern ganz ruhig die kleine Prinzessin mit allen Tugenden und allen nur möglichen Talenten hatte begaben lassen, schlich sie sich binnen der Zeit, wo sie bei der Tafel saßen und der König darüber, daß die Gaben der Feen kein Hindernis erlitten hatten, ganz besonders aufgeräumt war, in der Gestalt einer Katze in den Palast. Sie kam ohne viel Mühe in der kleinen Prinzessin Kammer, wo sie sich unter der Wiege verkroch. Sobald die Kinderfrauen und die Amme den Rücken gekehrt hatten, stahl sie der kleinen Zobel das Herz aus dem Leibe, jedoch ließ sie ihr die Kraft zum Leben. Nach vollendetem Streiche verließ sie ebenso leicht den Palast, wie sie hineingekommen war, außer daß sie von den Küchenjungen gehetzt und von einigen Hunden gebissen wurde. Sie traf ihr Fuhrwerk auf dem großen Platze an und verschloß den Raub in das Eisgebirge, nahe am Nordpol. Sie verknüpfte solche Schwierigkeiten mit der Eroberung desselben, daß sie sicher glaubte, den unglücklichen Zustand, in den sie diesen beklagenswerten Hof versetzt hatte, zeitlebens zu genießen. Nach dem Essen begaben sich die Feen, ohne das geringste zu mutmaßen, alle hinweg und verließen den König und die Königin in vollkommener Beruhigung. Zobel, die so schön wie der schönste Tag war, lernte alles mit einer außerordentlichen Leichtigkeit, gab aber kein Zeichen der Empfindung von sich. Der Verstand tat alles, aber das Herz schwieg, und wie konnte es denn auch reden, da es im Eisgebirge verschlossen war. Zobel wurde mit zunehmendem Alter wegen ihrer Schönheit die Bewunderung all derer, die sie sahen. Sie wußte, daß eine Prinzessin tanzen können mußte, deswegen tanzte sie auch, aber nur weil es Mode war. Man vermißte in ihrem Tanz jene glücklichen Drehungen, welche allein uns einnehmen können. Sie hatte eine schöne Stimme: sie sang, allein sie sang ohne Empfindung, und sie sprach das Wort Liebe so aus, als wenn es in einer ihr unbekannten Sprache geschähe.
Bei aller Bewunderung und Schmeichelei des Hofes, bei aller väterlichen Verblendung merkte man doch ganz deutlich den so wesentlichen Fehler an der Prinzessin, denn wenn man nicht liebt, kann man nicht lange geliebt werden. Trotz der Gewißheit dieses Grundsatzes haben unsere Prinzessinnen die Zobel in den Anfängen ihres Lebens immer nachgeahmt, nur selbstverständlich nicht in der Liebe. Da man nun einer so großen Beschwerlichkeit gern abhelfen wollte, nahm man seine Zuflucht zu den Feen. Fardakinbras lud sie zu einer Generalversammlung ein. Er legte ihnen seine Beschwerden vor und beschwor sie, seine Prinzessin Tochter von neuem zu untersuchen. »Eure Arbeit«, sagte er, »ist wahrlich sehr unvollkommen, denn ich kann Euch versichern, daß etwas an ihr fehlt, und ob ich gleich nicht sagen kann, was es eigentlich ist, so ist doch gewiß, daß ich keine Unwahrheit vortrage.« Sie versicherten alle einmütig, daß sie nicht vergessen hätten, was sie einem König, ihrem ewigen Freunde, schuldig seien. Nach dieser Begrüßung statteten sie ihren Besuch bei Zobel ab, aber sobald sie in das Zimmer traten, schrien sie alle zugleich: »Ach! welch ein Wunderwerk!« Der ganze Hof und selbst die sonst verständige Prinzessin glaubten, daß diese Bewunderung ihrer Schönheit wegen geschähe. Aber die Feen verließen die Prinzessin sogleich, eilten zum König und der Königin und sagten ihnen, daß sie etwas Übernatürliches bemerkt, denn ihre Prinzessin Tochter hätte nicht so viel Herz als auf einem ihrer Nägel Raum haben könnte.
Fardakinbras und Birbantine schrien und gebärdeten sich bei dieser Nachricht ganz entsetzlich. Sie beschworen die ganze ehrwürdige Versammlung, diesem Unglück abzuhelfen. Die Älteste unter den Feen schlug hierauf ihr Zauberbuch auf, welches nebst ihrem Schlüsselring an einer silbernen Kette ihr stets zur Seite hing. Sie fand, daß dieser Herzensraub ein Possenstückchen von der Guarlangandino war; sie entdeckte auch, was sie mit der Prinzessin Herz vorgenommen und was für Schwierigkeiten sie mit dem Eisgebirge verknüpft hatte. »Was für ein Hilfsmittel gibt es denn für unser Unglück?« schrien der König und die Königin, ganz von Schmerzen durchdrungen. »Ihr werdet«, sagte die Fee, »noch eine geraume Zeit Zobel als einen leblosen Abgott verehren und lieben müssen, aber wenn es je möglich ist, ihre Unempfindlichkeit aufzuheben, so kann es auf keine andere Art geschehen, als wenn Ihr diese Eure Tochter nebst Euren Staaten demjenigen versprecht, der Mut und Standhaftigkeit genug besitzt, sie durch die Eroberung ihres Herzens zu verdienen. Schickt ihr Bildnis in der ganzen Welt herum und laßt dabei versprechen, was wir Euch eben gesagt haben. Sie ist schön und die Mitgift ansehnlich, um einen jeden Prinzen zu ihrer Befreiung zu bewegen.«
Augenblicklich wurden Gesandte mit Bildnissen nach allen Enden der Welt abgefertigt so wie jener, den Kurzbein unterwegs angetroffen hatte. Er vernahm auch, daß schon mehr als fünfhundert Prinzen, ohne ihre Pagen und Stallmeister zu rechnen, in dem tiefen Schnee und Eis umgekommen waren und daß noch täglich von allen Seiten des Reiches eine unzählbare Menge derselben herzueilten.
Nachdem Kurzbein alles reiflich überlegt und den Entschluß gefaßt hatte, allein dem Winke seines Herzens zu folgen, wollte er sich dem Hofe vorstellen lassen. Seine Ankunft hatte keinen großen Lärm gemacht, sein Gefolge war fast ebenso klein wie er, und die Pracht der damals am Hofe befindlichen Prinzen übertraf fast die Pracht des Fardakinbras, welchem man doch den Namen »der Prächtige« nicht absprechen konnte. Kurzbein, der ganz einfach gekleidet und von geringem Ansehen war, machte dem König mit so viel Verstand als Artigkeit seine Aufwartung. Er bat um die Erlaubnis, seiner Prinzessin Tochter die Hand küssen zu dürfen als ein Mann, der sie zu befreien oder dabei umzukommen gedachte. Sobald der König hörte, daß er Kurzbein hieß, hatte er alle Mühe, seine Ernsthaftigkeit beizubehalten, obgleich unser Held sich die Freiheit genommen, seinem Namen den Titel eines Prinzen beizufügen. Er war hierin um so mehr zu entschuldigen, da er so weit von seinem Vaterlande entfernt war. Dieses Beispiel aus dem spätesten Altertum hat noch in den neueren Zeiten seine Nachahmer gefunden.
Wie nun Kurzbein als Mann von Geist merkte, daß der König, da er sich zu beherrschen suchte, fast platzen wollte und die Prinzen, seine Nebenbuhler, schonungslos in Hohngelächter ausbrachen, sagte er zum König: »Sire, Eure Majestät geruhen, sich keinen Zwang anzutun, sondern nur zu lachen. Ich schätze mich sehr glücklich, Euch Vergnügen bereiten zu können, aber daß diese Herren da sich über mich lustig machen wollen, dem werde ich schon zu raten wissen.« Er erwählte sich also den, der die albernste Miene an sich hatte: Es war dies der Prinz Fadasse, einer der großen Helden, von denen die Romane gleichsam wimmeln, der stolz auf seine Ahnen war, voller Einbildung auf seine außerordentliche Größe und sich an seinen langen flachsgelben Haaren ergötzte. Kurzbein sah ihn mit einer stolzen Miene an und sagte: »Und Ihr, mein großer Herr, glaubt Ihr nicht, daß Eure Person viel lächerlicher ist als mein Name? Ich fordere Euch hiermit zum Zweikampf; es soll Euch freistehen, Euch dabei solcher Waffen zu bedienen, als Ihr wollt.« Fadasse nahm die Aufforderung an und lachte dabei gleichsam aus Mitleid laut über die Verwegenheit seines Gegners. Der Zweikampf wurde auf den folgenden Tag festgesetzt.
Nunmehr führte man Kurzbein in der Zobel Zimmer. Ihre Schönheit wirkte so stark auf ihn, daß er alle Mühe hatte, seine Unruhe darüber zu verbergen. Er machte ihr ungefähr dieses Kompliment: »Madame, von der Schönheit Eures Porträts gerührt, komme ich vom äußersten Ende der Welt, Euch meine Dienste anzubieten. Ich bringe den besten Willen mit. Allein mein lächerlicher Name, der wahrlich nicht der elegantesten einer ist, hat mir schon einen Zweikampf an Eurem Hofe zugezogen. Ich soll mich morgen mit einem großen und garstigen Prinzen schlagen. Ich bitte also, Ihr wollet geruhen, meinen Kampf mit Eurer Gegenwart zu beehren und der Welt dadurch zu zeigen, daß der Name nichts zur Sache tut und Ihr mich zu Eurem Ritter erklärt.«
Die kluge Prinzessin lächelte und sagte höflich, sie empfange ihn mit Vergnügen. Er fragte, ob Fadasse ihren Schutz genösse. »Ach!« versetzte sie, »ich beschütze keinen. Alle diese Herren belästigen mich, und ihre Torheit ist mir unerträglich. Ich bin mit meinem Zustand zufrieden, was reden sie also den ganzen Tag von meiner Befreiung? Ich begreife gar nicht, was sie von mir wollen. Sie reden von Liebe, von Gefühlen und tausend anderen Abgeschmacktheiten, die mir nicht mehr einfallen.«
Der sehr kluge Kurzbein sah nun wohl, daß, wenn er einer Person, die bloß Verstand besaß, gefallen wollte, er sich gegen sie weder beklagen noch seine Neigungen merken lassen dürfe, sondern sich durch seine artige Aufführung bei ihr einzuschmeicheln suchen müßte, um ihr Vertrauen zu erhalten. Er widersprach ihr also in nichts, und sobald er die Rede auf seine Nebenbuhler gebracht hatte, machte er sie alle lächerlich, vor allem den Prinzen Fadasse. Zobel fand hieran so viel Vergnügen, daß sie ihn selbst dazu aufmunterte. Von diesem Augenblick an war Kurzbein derjenige, dessen Gesellschaft die Prinzessin allen anderen am ganzen Hofe vorzog.
Die ganze Stadt und der Hof redeten von nichts als von dem auf den anderen Tag angesetzten Zweikampf. Der König, die Königin und die Prinzessin nahmen ihre Plätze auf der Schaubühne ein. Der Prinz Fadasse erschien in den Schranken mit den schönsten und prächtigsten Waffen, von einem Gefolge von vierundzwanzig Stallmeistern und hundert Stallknechten begleitet, deren jeder ein Pferd an der Hand führte. Kurzbein hingegen, der auf der anderen Seite in die Schranken trat, hatte keine andere Waffe als seinen Spieß, war dabei ganz einfach, aber mit Geschmack gekleidet, ihm folgte niemand als der getreue Mousta, sein Pudel, der das vortrefflichste Pferd führte. Der Vergleich dieser beiden Streiter bewog die sämtlichen Zuschauer zu einem allgemeinen Gelächter, wobei Mousta aller Augen auf sich zog. Sobald die Schiedsrichter ihre Plätze eingenommen und die Trompeter das Zeichen gegeben hatten, verließen des Fadasse Gefolge und auch Mousta die Schranken. Die beiden Kämpfer rannten mit größter Wut gegeneinander. Kurzbein, der äußerst geschickt und wendig war, entging dem Streich, den ihm der Prinz, beibringen wollte, und bekam dabei Gelegenheit, öffentlich zu zeigen, daß er ihm nicht ans Leben wollte. Denn anstatt sich nunmehr des Vorteils gegen den Prinzen zu bedienen, wandte er den Streich auf dessen Pferd, daß es tot zur Erde fiel. Kurzbein sprang ganz behende vom Pferde, zog den Fadasse unter dem Pferd hervor und sagte ihm, daß er sich den Vorteil, den er über ihn erhalten, nicht zunutze machen wolle. Allein Fadasse ward durch die Mäßigung seines Gegners nur noch mehr aufgebracht und zog den Degen, aber Kurzbein entriß ihm den Degen und zerbrach ihn in tausend Stücke. »Geht«, sagte er zu ihm, »ich schätze alles, was der Prinzessin Zobel ergeben ist, zu hoch, daß ich Euch das Leben nehmen sollte, geht und danket derselben für das Leben, welches sie Euch schenkt.«
Die Stallmeister traten wieder in die Schranken. Mousta sprang von seinem Pferde, lief zu seinem Herrn und hielt ihm den Steigbügel. Hierauf verließen sie unter dem Schall der Trompeten und den freudigen Zurufen des Volkes ganz gelassen die Schranken. Der König und die Prinzessin ließen Kurzbein in seinem kleinen Hause, welches er sich zu seiner Wohnung gewählt, Glück wünschen und ihm zugleich ein Zimmer auf dem Schloß anbieten. Kurzbein säumte nicht, ihnen seinen Gegendank abzustatten. Er sprach von seinem Kampf mit der Mäßigung eines großmütigen und der Siege gewohnten Mannes. Die Prinzessin fragte ihn, warum er so leicht bewaffnet sei. Kurzbein antwortete, es sei nicht aus Verachtung gegen seinen Gegner, sondern aus Bequemlichkeit. Sie tat noch verschiedene Fragen über den Mousta und bezeigte eine große Begierde, ihn zu sehen und zu streicheln. Kurzbein versicherte, daß er auf seinem Posten, nämlich im Vorzimmer bei den anderen Stallmeistern, sei. Ein junger Sklave mußte ihn also auf den Befehl der Zobel herbeiholen. Mousta zeigte sich mit der Ehrfurcht und dem Betragen eines Pudels, der den Hof und dessen Gebräuche wohl kannte. Man ließ ihn tausend Dinge machen, von denen immer eines wunderbarer war als das andere. Endlich konnte sich die Prinzessin nicht länger enthalten, seinen Herrn zu bitten, daß er ihr den Mousta zum Geschenk machen möchte. Kurzbein stimmte mit Vergnügen zu, nicht nur, um ihr dadurch seine Ergebenheit zu bezeigen, sondern da er voraussah, daß er keinen sichereren und getreueren Spion um Zobel, den König und den ganzen Hof haben konnte.
Der Zweikampf, die edle und feine Art, womit er sich dessen entledigt, brachten Kurzbein eine allgemeine Hochachtung ein. Unterdessen erhielt man Nachricht, daß der Gesandte eines benachbarten und sehr mächtigen Königs an der Grenze sei und um die Erlaubnis anhalte, an den Hof kommen zu dürfen, weil er Sachen von äußerster Wichtigkeit vorzutragen habe. Der König Brandatimor hatte ihn abgeschickt. Es wurde alsobald ein reitender Bote an ihn abgefertigt und zugleich befohlen, den Gesandten allerorten mit den höchsten Ehrenbezeigungen aufzunehmen. Dieser Grenznachbar war wegen seiner persönlichen Tapferkeit sehr berühmt, man kannte den Wert und die Vortrefflichkeit seiner Truppen, mit einem Wort, er war ein furchtbarer König. Der Gesandte ließ sein zahlreiches Gefolge an der Grenze zurück, nahm die Post und langte mit seinem Kreditiv eher, als man es vermutete, in Trelintin an. Er hieß Arrogantin, machte dem König alsbald inkognito seine Aufwartung und überreichte ihm ein Schreiben, das in sehr schlechtem Stil und in folgenden Ausdrücken abgefaßt war:

Brandatimor an den Fardakinbras
Meinen Gruß zuvor.
Wenn ich das Bildnis der schönen Zobel, Eurer Tochter, eher als gestern gesehen hätte, so würde ich nicht zugegeben haben, daß eine so große Menge von Herumschwärmern und kleinen Prinzen sich erkältet hätte oder erfroren wäre, um ihrer habhaft zu werden. Meinerseits habe ich wenig Furcht vor solchen Mitwerbern. Sobald ich mich werde erklärt haben, wie ich es denn auch wirklich tue und Eure Tochter hiermit zur Ehe begehre, so bin ich versichert, daß alle ihre Bemühungen sogleich aufhören werden. Arrogantin hat demnach Befehl von mir, sie auf der Stelle zu heiraten; denn ich glaube keines von den Märchen, welche die von Euch in der Welt herumgeschickten Abgeordneten von dem Eisgebirge zum besten geben, und wenn es auch wahr wäre, daß sie kein Herz hat, so bin ich darum sehr wenig bekümmert, weil ich gewiß überzeugt bin, ihr eines verschaffen zu können. Ich umarme Euch, mein lieber Schwiegervater, und bin etc. etc.

Der Inhalt dieses Briefes verursachte dem Fardakinbras große Unruhe und wollte weder ihm noch der Birbantine gefallen. Die Eitelkeit der Prinzessin wurde durch den hochtrabenden Stil und durch die gebieterische Anwerbung aufs höchste beleidigt. Allein sie faßten alle drei den Entschluß, diese Unterhandlung geheimzuhalten, bis sie eine ihnen nützliche Entscheidung getroffen hätten. Mousta war bei diesem Vorfall zugegen und folglich ein Zeuge von dem Eindruck gewesen, den dieser auf die Gemüter gemacht hatte. Er gab dem Kurzbein durch ein Briefchen schleunige Nachricht davon. Der Inhalt desselben brachte ihn in Wut, indessen faßte er sich wieder und dachte eine lange Zeit über die Mittel nach, wodurch diese unhöfliche Anwerbung hintertrieben werden könnte, doch er marterte sich umsonst. In dieser Unruhe lief er zur Prinzessin. Weil sie nun beide mit denselben Gedanken beschäftigt und einer wie der andere über den Hochmut und die Unverschämtheit des Brandatimor aufgebracht waren, kam das Gespräch von selbst auf dieses Kapitel und auf die Empörung, welche dieser Mangel an Geist und Gefühl aller Welt, vor allem aber den davon Betroffenen, verursachte. Die Unterhaltung wurde hitzig, und Kurzbein schien von den gegenwärtigen Umständen so vollkommen unterrichtet zu sein, daß die Prinzessin darüber erstaunte und ihm nicht nur alles, was er schon wußte, offenbarte, sondern auch seinen Rat hierzu verlangte. Kurzbein, der sich noch zu nichts hatte entschließen können, riet ihr, die Antwort so lange wie möglich aufzuschieben, und versicherte dabei, daß der prächtige Einzug, welchen Arrogantin mit so vielem Schwulst und mit so wenig Bescheidenheit versprach, eben zum Vorwande dienen müßte, ihn noch einige Tage hinzuhalten. Zobel billigte diese obwohl schwache Hilfe, denn sie hatte einen unendlichen Abscheu vor dem Brandatimor. Dieser Rat wurde auch von dem König und der Königin auf die Bitten der Prinzessin angenommen.
Arrogantin empfing diesen kleinen Aufschub mit einiger Ungeduld. Er versicherte, daß er den Tag nach dem Einzug des Gefolges, welcher in wenigen Tagen geschehen würde, der ganzen Stadt und allen anwesenden kleinen Prinzen die Hoheit und den Reichtum des Königs, seines Herrn, zeigen wolle. Als nun der in äußerste Verzweiflung gestürzte Kurzbein diesen Tag herannahen sah und sich weiter nicht zu helfen wußte, nahm er seine Zuflucht zu der guten Guerlinguin. Er dachte öfters an sie, denn er hatte ein dankbares Herz. Allein er hatte sich einmal fest vorgenommen, sie nicht zu belästigen, es sei denn bei höchst wichtigen Vorfällen. Weil er nun den gegenwärtigen für höchst wichtig hielt, flehte er sie um ihren Beistand an, und entkräftet durch die Gemütsbewegung, sah er sie des Nachts im Traume, wo sie ihm folgendes sagte: »Kurzbein, du hast dich bisher gut aufgeführt, fahre fort, arbeitsam und tugendhaft zu sein, du wirst nötigenfalls gewiß gute Freunde finden. Suche bei Zobel den Erfolg, den der Einzug des Gesandten haben wird, zu unterstützen.« Voller Freuden wachte Kurzbein auf und war im Begriff, sich der Fee zu Füßen zu werfen, als er niemanden vor sich sah. Er hielt es also für ein bloßes Traumbild, das ihm diese kurze Zufriedenheit verursacht habe. Jedoch war er voller Hoffnung, und ohne seine inbrünstige Liebe merken zu lassen, fuhr er fort, die Prinzessin mit solchen Reden zu unterhalten, die weder bekräftigten noch verneinten. Auf seine Frage, ob sie dem verpflichtet sein würde, der sie von der Aufdringlichkeit des Brandatimor befreite, versicherte sie ihm, daß sie demselben unendlich verbunden wäre. Als er aber von ihr zu wissen begehrte, was sie diesem glücklichen Sterblichen wohl wünschte, so war ihre Antwort, daß er so wie sie ohne Liebe bleiben möchte. Ein Liebhaber hat viel auszustehen, wenn er von seiner Geliebten, die er verehrt, solche Reden hören muß, daher zerrissen sie dem armen Kurzbein gleichsam das Herz.
Das Gefolge des Arrogantin kam an, und mit einem Dünkel, der seiner und seines Herrn würdig war, wollte er sich allein dessen bedienen, was er mitgebracht hatte. Er bat also um die Audienz für den folgenden Tag. Sie wurde ihm bewilligt, und die sämtlichen Einwohner der Stadt kamen schon früh am Morgen herzu, um die mit so vielem Hochmut und solcher Eitelkeit angekündigte Pracht mit anzusehen. Die gutgesinnte Guerlinguin gab sich alle Mühe, das Vergnügen der Zuschauer zu fördern: Sie verzauberte ihnen die Augen und trug der Göttin Illusion, die nur leider gar zuviel Gewalt über das menschliche Geschlecht hat, auf, den Stolz des Brandatimor zu bestrafen und dem Kurzbein mittelbar zu dienen. Die Livreen des Arrogantin schienen in den Augen der Zuschauer lauter zerrissene Lumpen, die zu tragen Bettler sich geschämt haben würden. Alle Pferde, welche der Gesandte und sein Gefolge für mutig und unbändig hielten, sahen zum Erbarmen mager und ausgehungert aus, als hätten sie kaum die Kraft, sich fortzuschleppen. Ihre kostbaren goldenen Geschirre sahen aus wie die Geschirre der Pflugpferde, und alle Pagen glichen schmutzigen Schornsteinfegerjungen. Die Trompeten und alle übrigen Instrumente hatten den Klang von Rohrpfeifen oder von mit Papier umlegten Kämmen, und die Schlange der fünfzig Staatswagen sah aus, als wären es ebenso viele Mistkarren.
Arrogantin erschien in dem letzten mit dem Ansehen eines stolzen und groben Prinzen, den er doch recht ansehnlich vorzustellen glaubte. Das lustigste und lächerlichste bei dem ganzen Einzug war, daß der Gesandte und sein Gefolge ihre wahren Gesichter und die stolze Haltung, welche die befriedigte Eitelkeit verleiht, beibehalten hatten; denn die Illusion wirkte nur auf die Kleidung und den Zierat, ansonsten ließ sie den Leuten die natürliche Miene. Das Gelächter und die Verspottung des Volkes waren dem sonderbaren Aufzug dieser Gesandtschaft völlig angemessen. Der König, welcher lange Zeit vor der Ankunft des Gesandten, der sehr langsam und mit einem seiner Würde gemäßen Schritt einherkam, davon benachrichtigt worden war, glaubte, gerechte Ursache zu haben, einen Gesandten, der ihn solchergestalt beleidigte und gleichsam verhöhnte, nicht zu empfangen. Er ließ die Tür des Palastes verschließen und die begehrte Audienz ausschlagen. Arrogantin, welcher die Ursache dieser Weigerung nicht begreifen konnte, weil die Pracht seinem Stolz völlig gemäß war, geriet darüber in Wut. Er fing an, auf den König und auf das Volk, welches ihn mit allerhand Spottreden bedachte, heftig zu schimpfen. Der Pöbel, der sich durch die ausgeschlagene Audienz dazu berechtigt glaubte, wies dem Gesandten und seinem Gefolge den Rückweg mit Steinen und Kotwürfen. Dieser hatte alle Mühe, der Wut des aufgebrachten Pöbels zu entgehen. Gleich darauf verließ Arrogantin den Hof, nachdem er vorher, kraft seiner Vollmacht, die fürchterlichste Kriegserklärung gemacht hatte. Wie man sagt, soll er sich bei dieser Gelegenheit der Drohung, alles mit Feuer und Schwert ausrotten zu wollen, zum ersten Male bedient haben.
Einige Tage vor dieser schönen Gesandtschaft hatte der König Biby einen reitenden Boten mit einem Schreiben an Kurzbein abgefertigt, worin er ihm seine Dienste auf das freundschaftlichste anbot. Kurzbein beantwortete diese gütige Gesinnungen, wie es sich gehörte. Er meldete ihm alles, was sich zugetragen hatte, vor allen Dingen unterließ er nicht, die Geschichte des Arrogantin nach allen Umständen anzuführen. Zugleich gab er ihm Nachricht von dem bevorstehenden fürchterlichen Krieg, welchen diese Begebenheit zwischen Fardakinbras und Brandatimor auslösen würde, und zum Schluß ersuchte er seinen geliebten Biby um einen Beistand von einigen tausend Pudeln, die vom besten Willen und zum Kriege am geschicktesten wären, wogegen er versprach, für ihre Verpflegung die nötige Sorge zu tragen. Er gab den Brief dem Boten des Biby noch am selben Abend und hieß ihn auf der Stelle zurückgehen mit dem Befehl, möglichst nicht zu säumen.
Der König, die Königin und die Prinzessin waren über das Vorgehen des Arrogantin oder vielmehr des Brandatimor äußerst bestürzt und wußten nicht, was sie denken sollten, da der Gesandte vermutlich auf Befehl gehandelt hatte. Wenn sie an seine Verachtung zurückdachten, schien diese sich schlecht zu vertragen mit der Werbung um ihre Prinzessin Tochter.
Indessen mußte man sich jetzt zum Kriege rüsten. Alle anwesenden ausländischen Prinzen boten ihre Dienste an und begehrten die höchsten Ehrenstellen in der Armee. Kurzbein, der auch nicht einer von den letzten sein wollte, der seinen guten Willen dazu zeigte, hielt um die Stelle eines Adjutanten bei dem kommandierenden Feldherrn an. Dieser alte Anverwandte des Königs war ein ehrlicher und wegen seiner Siege sehr berühmter Mann. Sobald die Truppen zusammengezogen waren, brachen sie nach der Grenze auf. Sie kamen zu rechter Zeit daselbst an, um sich der Armee des Brandatimor gegenüberzustellen. Dieser war fest entschlossen, nicht nur Zobel und ihre Staaten zu erobern, sondern sich auch wegen aller der ihm in der Person seines Abgesandten zugefügten Beleidigungen und Beschimpfungen auf das grausamste zu rächen. Die Armee des Fardakinbras konnte zu Anfang des Feldzuges, um der Wut eines grausamen und aufgebrachten Königs standzuhalten, nur verteidigungsweise agieren. Kurzbein zog sich durch seine Aufführung die Hochachtung aller Offiziere und Soldaten zu und war dadurch noch freundlicher zu seinesgleichen und ehrfurchtsvoller den Generalen gegenüber. Sooft er kleine Truppenteile anführte und auf feindliche Truppen stieß, war er jedesmal so glücklich, sie zu überwinden und gute Beute zu machen. Da er nun bei einer solchen Aufführung und außerordentlichen Herzhaftigkeit das Glück stets zur Seite hatte, kann man sich leicht vorstellen, wie sehr ihn seine Nebenbuhler darum beneideten.
Brandatimor, der nach Rache dürstete und seinen Zorn um jeden Preis befriedigen wollte, fand endlich Gelegenheit, ein Haupttreffen zu liefern. Die Schlacht war mörderisch, aber so tapfer die Truppen des Fardakinbras auch fochten und so regsam und herzhaft sich Kurzbein auch bezeigte, so ging doch, nachdem der kommandierende Feldherr sein Leben dabei einbüßte, die Schlacht verloren. Kurzbein rettete vielen von seinen Nebenbuhlern, besonders dem Prinzen Fadasse, das Leben. Er tat noch mehr bei dem Rückzug der Armee, den er nach dem Tode des Feldherrn aufs beste veranstaltete: Er rettete nicht nur deren Reste, sondern warf auch in alle bedrohten Plätze Besatzungstruppen. Er bot den Siegern wohl hundertmal die Stirn, und hundertmal zwang er sie innezuhalten. Er wußte sowohl durch seine persönlichen Handlungen als auch durch die geschickte Stellung seiner Truppen den Feind so lange aufzuhalten, bis die strenge Jahreszeit die Feindseligkeiten auf beiden Seiten unterbrach.
Kurzbein begab sich an den Hof, wo er den König in der äußersten Bestürzung fand. Dieser sah kein besseres Mittel, als unserem Helden das Kommando über die Armee anzuvertrauen. Er ersuchte ihn, solches anzunehmen, und von nun an wurde ohne seinen Rat nichts beschlossen. Eine so große Ehrenstelle mußte ihm notwendig mehrere Feinde zuziehen. Sein aufgeweckter Geist gefiel Zobel, die zu sehen er sehr oft Gelegenheit hatte, aber in Herzensangelegenheiten kam er auch nicht den kleinsten Schritt weiter. Den Winter über entwarf er den vorteilhaften Plan zum künftigen Feldzug, der, sobald der Winter zu Ende ging, wieder seinen Anfang nehmen sollte. Binnen dieser Zeit bekam er Nachricht vom König Biby, welcher ihm meldete, daß zwölftausend Pudel von seinen besten Truppen bereits auf dem Marsche seien und vor Begierde brennten, unter seinem guten Freunde zu fechten. Er ersuchte ihn zugleich, daß er dem General Barbesalle seine Befehle wegen der Quartiere und des Sammelplatzes an der Grenze zuschicken möge.
Kurzbein hatte große Freude über dieses beträchtliche Hilfskorps und war fest entschlossen, es mit Nutzen zu gebrauchen. Er gab demnach dem Barbesalle Order, daß er seinen Anmarsch geheimhalten und seine Truppen in den freundlichen oder feindlichen Garnisonen an der Grenze verteilen solle, jedoch alles nach seinem Gutdünken, wobei er ihn zugleich anwies, wie und wo er seine Truppen im Bedarfsfall zusammenziehen solle. Nachdem Kurzbein eine unumschränkte Vollmacht und genugsame Befehle zum Feldzuge erhalten, ging er zur Grenze und veranstaltete daselbst eine Zusammenkunft mit dem Barbesalle; da sie nicht anders als schriftlich sein konnte, dauerte sie etwas lange. Barbesalle war wirklich ein großer Kriegsmann, er war nicht allein tapfer, sondern besaß auch einen fähigen Geist. Unser Held bat ihn, einige Tage inkognito mit ihm zu verbringen.
Die Armee des Fardakinbras hatte keinen anderen Vorteil als das Vertrauen, welches sie in ihren neuen Feldherrn gesetzt hatte, die feindliche Armee hingegen wurde von einem König in Person angeführt und konnte auf eine gewonnene Schlacht zurückblicken. Kurzbein nahm die ihm angebotene Bataille an, nachdem er vorher mit dem Barbesalle alles Nötige verabredet hatte. Dieser große Pudel fertigte sogleich seinen Adjutanten mit dem Befehl ab, daß sich alle Pudel aus den Garnisonen in Marsch setzen und zur bestimmten Zeit auf dem Sammelplatz eintreffen sollten. Hernach mußten sie nach dem Willen des kommandierenden Feldherrn ihre Posten so nehmen, daß er sie allenthalben mit Nutzen brauchen konnte. Kurzbein wollte dem Feind eine breite Front gegenüberstellen, es mußten also seine an der Zahl schwachen Truppen sich sehr weit ausdehnen. Brandatimor hingegen glaubte mit Sicherheit an einen vollständigen Sieg. Der Mut, die Überlegenheit seiner Truppen, vor allen Dingen aber die Eitelkeit eines sieghaften Königs versprachen alles. Sobald das Zeichen zum Angriff gegeben worden war und die Truppen aufeinander losgehen wollten, fingen die Pudel an, sich in Bewegung zu setzen, und weil sie ihre Vorkehrungen in der Stille und unbemerkt treffen konnten, saßen sie den feindlichen Reitern in der ersten Linie schon hinten auf den Pferden, ehe diese noch wissen konnten, was vorging. Die Pferde wurden scheu und brachten die Schwadronen in die größte Unordnung. Die Pudel sprangen den Reitern an die Gurgel, warfen viele herunter, jagten alsdann die auf solche Art erbeuteten Pferde in die Flanken der Infanterie, die dadurch ebenfalls in nicht geringe Unordnung geriet. Mittlerweile griff Barbesalle mit tausend der entschlossensten Pudel die königlichen Haustruppen an und warf sie glücklich über den Haufen. Kurzbein wußte sich diesen Vorteil so zunutze zu machen, daß er nicht nur allein einen vollständigen Sieg errang, sondern auch den Brandatimor, mit dem er persönlich focht, zum Gefangenen machte. Aber sobald dieser Fürst, dessen Schicksal niemand beklagte, vor dem Throne der Zobel erschien, wohin ihn Kurzbein schickte, fiel er tot zur Erde nieder. Man schrieb diesen jähen Tod seinem übertriebenen Hochmut zu. Nach diesem Sieg schickte Kurzbein die Pudel wieder nach Hause mit Briefen an ihren König Biby, in welchen er ihm für seine Bereitwilligkeit den verbindlichsten Dank abstattete und das tapfere Verhalten seiner Hilfstruppen nicht genug rühmen konnte. Er empfahl ihnen die nötige Vorsicht auf ihrem Rückmarsch und behielt allein fünfzig der jüngsten und tapfersten Pudel als eine Grenadiergarde bei sich.
Kurzbein brachte noch zwei Monate mit der völligen Eroberung der Staaten des Brandatimor zu, nachdem er aber dieselben dem König Fardakinbras recht versichert hatte, kehrte er, mit Ruhm und Ehre beladen, wieder an dessen Hof zu den Füßen der Prinzessin Zobel zurück. Sie empfing ihn zwar sehr vergnügt, allein es war bloß die Freude über den Sieg und den glücklichen Erfolg unseres kleinen Helden, denn sie ließ auch nicht die geringste Spur von Liebe blicken. Weil man von dem wesentlichen Beistand der Pudel nichts wußte, kamen alle Lobeserhebungen Kurzbein und seinen Truppen zugute. Er nahm sie mit der größten Bescheidenheit an, weil er am besten wußte, wem er diesen Sieg zu danken hatte.
In der Zeit, als Kurzbein noch mit der Sicherstellung der eroberten Staaten beschäftigt war, hatten Fadasse und die anderen Prinzen ihre Reise nach dem Eisgebirge, welche durch den Krieg aufgeschoben worden war, beschleunigt; denn weil sie gesehen hatten, wie tapfer und geistvoll Kurzbein war, hielten sie es nicht für ratsam, daß ihnen ein solcher Mann zuvorkäme. Sie waren mit vieler Ungeduld abgereist, worüber Kurzbein bei seiner Rückkunft sehr unwillig war. Ob er nun gleich zum größten Vorteile der Prinzessin seine große Unternehmung aufgeschoben hatte und es bloß an der Prinzessin lag, ihm seine Unruhe deswegen zu benehmen, so erteilte sie ihm doch nur ganz allgemeine Lobsprüche, welche nur der Eitelkeit schmeichelten, ohne sich dem Herzen mitzuteilen, weil sie durch ihre Unempfindlichkeit den Wert des Opfers, das er ihr brachte, nicht erkannte. Kurzbein war zu verliebt und hatte ein zu zärtliches Herz, als daß er die Kälte der Zobel nicht hätte lebhaft empfinden sollen. Indessen mußte er mit einem kühlen Lob zufrieden sein, das aus dem schönsten Munde der Welt kam. Der König begegnete ihm so, wie es die Verbindlichkeit gegen unseren Helden erforderte. Die Poeten besangen um die Wette einen Mann, der ihnen durch seine Eroberungen und durch seine Siege ein so schönes Feld zur Dichtkunst vorbereitet hatte. Einige waren so unverschämt, daß sie seine majestätische Leibesgestalt über die Maßen priesen.
Kurzbein, beschäftigt mit seiner Liebe und seinem Plan, tat tausend Fragen an seinen getreuen Mousta. Man mochte aber die Sache ansehen, von welcher Seite man wollte, es war nicht möglich, nur einen Strahl der Hoffnung zu finden, denn Mousta konnte ihm von den Gesinnungen der Prinzessin nicht mehr sagen, als wovon er selbst überzeugt war. Indessen schöpfte er aus seinen Fragen wenigstens den sicheren Trost, daß der Zobel Herz völlig gleichgültig war. Wenn die Liebhaber nicht gleich Gegenliebe finden, denken sie, das Herz ihrer Angebeteten sei schon von einer anderen Leidenschaft eingenommen. Zuweilen haben sie recht, aber mit Zobel war es ganz anders. Kurzbein, von Liebe und Ehre beseelt, konnte der Begierde, das Eisgebirge zu erobern, nicht länger widerstehen: Er setzte also seine Abreise fest, wiewohl der König und der ganze Hof ihr möglichstes taten, ihn nicht allein aufzuhalten, sondern gar daran zu hindern. Ein jeder war um ihn besorgt, weil er sich einer Gefahr aussetzen wollte, in welcher schon so viele Prinzen und Helden umgekommen waren. Zum Trost für seine erzwungene Verzögerung erfuhr er wenigstens, daß Fadasse und die anderen Prinzen das gleiche Schicksal wie ihre Vorgänger gehabt hatten und im Eise umgekommen waren. Dieses neue Beispiel hätte einen jeden außer Kurzbein abgeschreckt, aber dieser wurde dadurch nur noch unerschrockener.
Er beurlaubte sich bei dem König und der Königin, die beide mit Tränen in den Augen von ihm Abschied nahmen. Hierauf ging er zur schönen Zobel, um ihr die Hand zu küssen. Sie reichte sie ihm mit ebendem kalten Blute, wie sie es am Tag seiner Ankunft getan hatte. Er küßte diese schöne Hand mit der innigsten Bewegung. Der König, der bei diesem letzten Lebewohl zugegen war, und der ganze Hof, sowohl weiblichen als auch männlichen Geschlechts, besonders die ersteren, zuckten die Achseln und sahen die Kälte der Prinzessin mit Verachtung an. So sehr hatte Kurzbein aller Herzen gewonnen. Endlich redete ihn der König also an: »Prinz, Ihr habt alles, was ich Euch geboten habe, großmütig ausgeschlagen. Die größten Könige von der Welt hätten sich nicht geweigert, mein Anerbieten anzunehmen! Aber Ihr werdet Euch doch gefallen lassen, eine Galanterie von der Prinzessin Hand anzunehmen.« Diese bestand in einem Mantel aus Marderfell, womit sie täglich geschmückt war. Er schützte wunderbar vor der Kälte, aber die Schönheit des Pelzes erhöhte noch die frische Gesichtsfarbe der Prinzessin, und so war es nicht ohne Grund ihr liebster Schmuck. Der Prinz hatte eine große Freude über dieses Geschenk, welches die Prinzessin bei der Überreichung mit einem recht artigen Kompliment begleitete.
Hierauf reiste Kurzbein mit diesem vortrefflichen Pelz und mit einem Gebund Reisig aller Arten in Begleitung von zwei der schönsten Pudel ab. Der eine war Hauptmann, der andere Leutnant bei den fünfzig Gardegrenadieren, die er von den Truppen des Königs Biby zurückbehalten hatte. Er hatte niemals zugeben wollen, daß die ganze Kompanie an seiner Seite erschiene. Sie kantonierte stets in verschiedenen Quartieren der Stadt, bloß der Stab dieses kleinen Korps war um seinen Prinzen, mit den übrigen wollte er sich an einem bestimmten Tag an der Grenze treffen und hatte ihnen befohlen, allein oder zu zweien zu marschieren, damit sie kein Aufsehen machten. Was war das für eine Begleitung für einen Mann, der ein großes Königreich erobert und es mit einem Lande vereinigt hatte, woselbst er von jedermann verehrt und geachtet wurde! Die ansehnlichsten Herren des Landes wollten ihn durchaus begleiten, aber er beschwor sie, daß sie ihn mit seinem Pferde, seinen beiden Pudeln und dem Gebund Reisig allein reisen lassen sollten. Sie gehorchten ihm aber nur ungern. Er wurde allerorten im ganzen Königreich mit einer erstaunlichen Pracht und von seiten der Untertanen mit den Zeichen der Liebe und der Hochachtung empfangen und aufgenommen. In dem letzten Dorf vor der Grenze ließ er sein Pferd zurück für den Fall, daß er so glücklich sein würde, von einer Unternehmung wieder zurückzukommen, bei der so viele verunglückt waren.
Einige Schritte hinter dem Dorfe befand er sich schon im Schnee, ohne weit und breit etwas anderes zu sehen. So schön auch sonst eine so ungeheure Menge Schnee immer aussehen mag, so schreckensvoll war hier der Anblick. Er fand hier seine achtundvierzig Pudel in Schlachtordnung, die auf ihn warteten. Er bewillkommnete sie mit einigen Lauten, die er von Mousta und dem Hauptmann gelernt hatte. Da er aber ein Schreibzeug bei sich führte und die Tinte noch nicht gefroren war, setzte er eine Danksagung auf, welche der Hauptmann an der Spitze seiner Truppen laut vorlas. Nachdem sie ihm einmütig eine unverletzliche Treue zugeschworen, fingen sie an, sich in Marsch zu setzen.
Zu Anfang war der Weg etwas gebahnt und nicht zu verfehlen, wenn sie sich nur immer gegen Norden hielten. Als sie sich nach einem starken Marsch lagern und ausruhen wollten, bediente sich Kurzbein, der nichts außer acht ließ, was ihm nützlich sein konnte, des Pulvers, welches er auf der wüsten Insel gesammelt und auf das bewaldete Schiff gebracht hatte. Eine Fingerspitze voll von diesem Pulver belebte alle Äste seines kleinen Reisigbündels, sie wuchsen zusehends, und die reifen Früchte folgten gleich den Blüten. Durch dieses Mittel half Kurzbein dem Hunger ab. Alle die Äste, welche ungepulvert geblieben waren, brachten weder Blätter noch Früchte hervor, doch fingen sie ebenfalls an zu wachsen, so daß er mit Beihilfe der Pudel ein großes Feuer machen konnte. Sie lagerten sich umher, und mittels dieses Feuers, das den Schnee und das Eis schmolz, zeigte sich ihnen sehr oft die bloße Erde.

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