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Rübezahl

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Er verleiht Geld

In Steinseiffen starb einst ein alter Bauer und hinterließ einen Sohn namens Veit und zwei Töchter. Da nun Veit die väterliche Wirtschaft übernahm, begehrten seine beiden Schwestern, die nach Arnsdorf und Dittersbach verheiratet waren, von ihm die Auszahlung ihres Erbteils. Und er gab ihnen Wort und Handschlag, ihnen das Geld auf den nächsten Johannistag zu zahlen, und machte sich auch bald daran, es herbeizuschaffen und zusammenzubringen. Doch das war leichter als getan; denn das liebe Geld war wieder einmal äußerst rar geworden, dieweil die hohen Herren es auf jede nur erdenkliche Art und Weise aus dem Lande zog, um es in Wien, Venedig, Rom und Paris auszugeben, wo es sich viel vergnüglicher leben ließ als zwischen den schlesischen Wäldern und Stoppelfeldern. So brachte dann Veit mit Mühe und Not fünfzig Taler zusammen. Und wenn er dazu auch noch das Heiratsgut seiner jungen Frau legte, fehlten ihm gleichwohl immer noch an die hundert Taler. Nun stand er mit seinen beiden Schwägern nicht sehr gut, weil sie äußerst raffgierig waren und keinem andern etwas gönnten, und umso heftiger kränkte er sich darüber, das gegebene Wort nicht einlösen zu können. Denn er war ein redlicher und gerechter Mann von Grund auf und wollte es auch bleiben und diesen Ruf nicht verlieren. „Ich habe zwei reiche Vettern auf der anderen Seite des Gebirges“, sprach seine Frau zu ihm, „vielleicht erbarmt sich einer und leiht uns von Herzen gern etwas von seinem Überfluß gegen gute Zinsen!“ Und Veit nickte, schrieb einen Schuldschein über einhundert Taler, worin er den Platz für den Namen des Gläubigers offen ließ, versah das Papier mit Datum und Unterschrift, steckte es in die Tasche, nahm den Bergstock zur Hand und machte sich in der Frühe auf. Rüstig stieg er über den Kamm und erreichte am dritten Abend das Dorf, in dem die beiden Vettern wohnten. Allein er klopfte vergeblich an ihren Türen; denn der eine lag im Streit mit seinem Nachbarn und brauchte Taler zum Prozessieren, und der schlug ihm die Tür dicht vor der Nase zu. Bekümmert machte sich Veit auf den Rückweg und zermarterte unterwegs sein Hirn, wen er wohl um die hundert Taler angehen könnte. Aber es fiel ihm nichts ein, so sehr er sich auch quälte. Plötzlich als er die Schneekoppe vor sich liegen sah, gedachte er des Berggeistes, blieb unwillkürlich stehen und seufzte aus Herzensgrund: „Ach, Rübezahl, Rübezahl, leih mir hundert Taler!“ Doch es kam keine Antwort, und so mußte er den Stecken einsetzen, denn er durfte sich nicht versäumen, wollte er vor Dunkelheit nach Hause kommen. Also wanderte er noch ein gutes Stündchen bergauf und bergab und gelangte an die beiden Teiche. Hier gesellte sich ein Mann zu ihm, der einen langen, grauen Bart und einen immergrünen Rock trug und der ganz beiläufig fragte, wer er sei, woher er käme und wohin er ginge. Und da dem braven Veit das Herz zum Überlaufen voll war und ein Wort das andere gab, hielt er nicht länger hinterm Berge mit seinen schweren Sorgen. „Hundert Taler?“ ließ sich jetzt der grüne Mann vernehmen, nachdem er sich geräuspert hatte, und wiegte den Kopf, daß sein langer Bart im Winde wehte. „Hundert Taler hätt‘ ich wohl übrig.“ „Leiht sie mir! Leiht sie mir!“ rief Veit hurtig. „In drei Jahren zahle ich sie Euch zurück auf Heller und Pfennig nebst Zins und Zinseszins.“ „Zins?“ fragte der Grüne und schüttelte den Kopf. „Zins bringt Krieg.“ „So leiht mir das Geld ohne Zinsen!“ drängte Veit. „Ich will Euch einen Schuldschein darüber geben und ihn einlösen pünktlich auf den Tag und Stunde.“ Der Grüne war damit einverstanden und führte ihn nun abseits durch einen dicken Busch. Das dauerte gut eine halbe Stunde. Endlich machte sie vor zwei hohen, kantigen Bergpfeilern halt, zwischen denen sich ein schmales Felsentor öffnete. „Hier wohne ich!“ sprach der Grüne und ging hinein. „Folge mir!“ Und Veit gehorchte und tappte im Stockfinstern hinter ihm drein. So durchschritten sie einen langen, schmalen Gang, in dem ein kleines Bächlein rauschte. Als sie diese Röhre hinter sich hatten, wurde es allmählich heller und heller. Schließlich erreichten sie eine große, weite Höhle. Sie war ohne Säulen und gewölbt wie eine runde Halle, und in der Mitte stand eine kupferne Braupfanne. Sie maß eine Klafter in der Höhe und gut hundert Klaftern in der Runde und war gefüllt mit neuen, funkelnden Dukaten und Talern bis zum Rand. Wie Veit diesen unermeßlichen Schatz erblickte, wußte er sofort, von wem er hierhergeführt worden war, aber er hütete sich wohl, es zu verraten. „Nimm, was du brauchst!“ sprach der Grüne und deutete auf die Braupfanne. Veit zählte sich laut und gewissenhaft einhundert Taler zu, und jede Zahl hallte klar und deutlich von der Decke wieder, als säße da oben einer und zählte ganz genau mit. Darauf steckte Veit das Geld ein und zog den Schuldschein heraus. „Wie ist Euer Name?“ fragte er dann und deutete auf die Lücke im Schuldschein. „Was wollt Ihr mit diesem Schatz anfangen?“ forschte Veit ganz vorsichtig. „Ich werde ihn ausgeben, wenn die Zeit erfüllt ist, aber nicht einen Tag eher“, lautete die Antwort. Jetzt bedankte sich Veit für die hundert Taler, verließ die Höhle, merkte sich genau den Ort und die Lage des Felsentores und kam am späten Abend glücklich nach Hause. Als er die hundert Taler auf den Tisch zählte, da glaubte seine Frau, daß er sie von ihren Vettern erhalten hatte, und er widersprach nicht und ließ sie ruhig dabei, um ihr das Hertz nicht schwerer zu machen. Neunundneunzig Taler gab er weg, aber den Hundertsten behielt er. Und das war ein richtiger Hecktaler, denn er brachte ihm Glück über Glück und vermehrte sich zusehends. Wo Veit säte, brachte der Acker doppelte und dreifache Ernte, denn Veit wühlte mit seinem Pfluge immer tiefer, als die anderen. So konnte er dann im dritten Jahre frohgemut die hundert Taler in die Tasche stecken, um sie zurückzuzahlen. Als er aber an den Ort des Felsentores kam, hatten sich die beiden Bergpfeiler so eng zusammengeschoben, dass er keinen Grashalm hätte dazwischenstecken können, geschweige denn einen Finger. Deshalb schlug er mit der Zwinge seines Stockes an die Felsenwand und rief mit lauter Stimme: „Veit aus Steinseiffen ist da und bringt die hundert Taler zurück!“ Aber die Pfeiler taten sich nicht auseinander. Noch zweimal pochte er, aber es wunderte ihn nicht aufgetan. Da lüftete er zum Abschied den Hut, wandte sich zum Gehen und sprach: „Komme, was da wolle! Ich habe meine Schuldigkeit getan. Ich kann warten, bis die Zeit erfüllt ist.“ In diesem Augenblick tanzte ein lustiger Wirbelwind über die Tannenkronen einher und warf ihm ein Blatt Papier vor die Füße. Und als er es aufhob, erkannte er seinen Schuldschein. Aber er war mitten durchgestrichen, und auf der Rückseite standen die mit Holzkohle geschriebenen Worte zu lesen: Zu Dank bezahlt. Schles. Aha! dachte Veit. Das ist sein richtiger Name. Er heißt Schles. Das will ich mir merken. Und wenn ich wieder mal was brauche, dann will ich ihn mit diesem Namen anrufen. Aber er kam nie wieder in die Verlegenheit, um Hilfe bitten zu müssen, denn seine Wirtschaft gedieh weiter, und er lebte mit den Seinen gesund und heiter bis an sein seliges Ende.

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