Dornenblüt erstaunte bei diesen letzten Worten und zuckte zusammen. ‚Ja, schöne Dornenblüt‘, fuhr er fort, ‚Ihr seid die Tochter der weisen Serène, welche ihre Kenntnisse und ihre Tugend ebensosehr über die gemeinen Sterblichen erheben, als wenn sie auf dem erhabensten Throne säße. Meine Meinung ist also, uns zu ihr zu begeben, die Schätze, welche sie fordert, zu ihren Füßen zu legen und sie zur Vergeltung dessen, was ich für sie wagte, um den kostbarsten von allen diesen Schätzen zu bitten.‘ Dornenblüt war etwas beschämt, daß sie ihre Eifersucht hatte merken lassen, und war sogleich bereit, auf diesen letzten Vorschlag einzugehen. Sie stiegen also in die fruchtbaren und heiteren Ebenen hinab, die bei jedem Schritte, den sie taten, neue Reize enthüllten.
»Ich muß gestehen«, sagte Dinarzade, »daß ich mit diesem ihrem Entschluß vollkommen zufrieden bin; denn es war mir in der Tat schon bange, sie würden das Gebirge nimmermehr verlassen, wo mir ihre Sentiments und ihre Unschlüssigkeit etwas Langeweile gemacht haben, wie Eurer Majestät ohne Zweifel auch.
Unsere Liebenden gelangten an den Fuß des Gebirges, als die Sonne ihre heißesten Strahlen aussandte. Klingklang ging zwar so leicht, daß man nicht die mindeste Beschwerlichkeit beim Reiten empfand; doch war Dornenblüt durch ihre mannigfaltigen Gemütsbewegungen, durch ihre Unruhe und Angst während einer ganzen Nacht, wo sie kein Auge zugetan hatte, außerordentlich ermattet. Dies entging der Aufmerksamkeit ihres Begleiters nicht. Er stieg ab und hob sie vom Pferde. Sie setzte sich an das Ufer eines Baches, den eine Allee von Orangenbäumen beschattete, und schlief ein. Larifari zäumte die Stute ab, um sie im Schatten weiden zu lassen. Da er aber nicht wollte, daß sie sich allzu weit entfernte, und er ihr doch vollkommene Freiheit lassen wollte, öffnete er die Glöckchen, um sie allenthalben hören zu können. Als sie merkte, daß die Glöckchen geöffnet waren, vergaß sie die Weide und machte so reizende und abgemessene Bewegungen, daß nichts der Harmonie gleichkam, die um sie her zu hören war. Larifari hörte ihr einige Zeit zu und setzte sich dann neben die reizende Dornenblüt, die er nach Herzenslust betrachtete. Er bewunderte ihren schlanken Wuchs und ihr Gesicht, das der sanfte Schlaf verschönte und auf dem alle Reize der Gesundheit und Jugend blühten. Der verliebte Larifari wurde nicht müde, sie zu betrachten. Er schaute soviel Schönheit aus nächster Nähe und verlor sich in den süßesten Träumen. Aber er wich keinen Fingerbreit aus den Grenzen der Ehrfurcht, so verführerisch seine gegenwärtige Lage auch war.
Die Liebhaber jener Zeit wußten nicht, was es hieß, eine Gunstbezeigung zu rauben oder zu erschleichen, wenn ein Mädchen sich ihrem Schutze anvertraut hatte. Er begnügte sich also, seine Augen an den Reizen zu weiden, die er sah, und seine Phantasie mit denen zu beschäftigen, die er nicht sah.
Klingklang entfernte sich indessen unbemerkt, und ihre Glöckchen ertönten so unendlich harmonisch, daß er auf einige von den Melodien, die sie komponierte, die zärtlichsten und galantesten Loblieder auf die reizende Dornenblüt machte: ‚Nein‘, sagte er unter anderem in seinen Versen, ‚wenn die Götter mir vergönnten, ein Schönheitsideal nach meinen Wünschen zu bilden, würde ich nie etwas Liebenswürdigeres, nie etwas Reizenderes ersinnen können als das, was ich sehe.‘ Bei dieser Beschäftigung hatte er kein Bedürfnis nach Schlaf. Er dankte dem Himmel für die sanfte Ruhe, die er seiner Göttin verlieh, aber zugleich fiel ihm ein, daß sie wohl Hunger haben könnte, wenn sie ausgeschlafen hätte. Wohin man in diesem schönen Lande seine Augen auch wendete, überall sah man die schönsten Früchte, um das schmackhafteste Dessert von der Welt zu bereiten. Jeder Baum und jeder Strauch boten deren im Überfluß dar. Aber wer fängt beim Dessert an, wenn er großen Hunger hat?
Larifari ließ seine Schreibtafel und seine Verse bei Dornenblüt zurück, um nach der Stute zu suchen, die er noch immer hörte, ob er sie gleich aus den Augen verloren hatte. Er wußte eigentlich selbst nicht, warum er das tat, aber er bildete sich ein, daß ein Tier, welches ihnen bisher von so großem Nutzen gewesen war, für alle ihre Bedürfnisse Rat wüßte. Er fand sie, wie man den Orpheus malt, von allen Gattungen von Tieren und Vögeln umgeben, die ihre süßen Melodien um sie versammelt hatten. Einige von ihnen, einen Birkhahn, zwei rote Rebhühner und einen Fasan, die gar zu aufmerksam waren, kostete es das Leben. Er machte sie zum Souper für Dornenblüt zurecht, denn wenn er wollte, war er auch ein Koch, und zwar so geschickt, als man nur einen Koch wünschen kann. Man braucht wohl nicht zu fragen, ob er jetzt sein Möglichstes tat?
Dornenblüt wachte bei seiner Rückkehr auf und fand bei ihrem Erwachen das Essen bereit. Sie war nicht unempfindlich gegen seine Aufmerksamkeit, und er war nicht gleichgültig gegen ihre Dankbarkeit. Er erzählte ihr, wie ihm der Zufall zu diesem kleinen Abendessen verholfen habe. Sie beklagte die armen Vögel herzlich, die ihre Liebe zur Musik das Leben gekostet hatte, aber sie aß doch mit recht gutem Appetit davon. Sie wollte wissen, was er die Zeit über getan habe. Seine Schreibtafel lag noch neben ihr. Er schlug sie auf. Sie las darin, und ob sie gleich errötete, überlas sie es noch zwei- oder dreimal. Sie sagte ihm, daß sie nicht wage, Verse, in denen sie selbst viel zu sehr gelobt werde, so sehr zu loben, als sie es verdienten. Er hingegen versicherte, daß sie sie noch lange nicht genug lobten, und nahm ihre Reize zu Zeugen, daß er weit mehr dabei fühle, als er in Prosa oder in Versen ausdrücken könne.
‚Wenn ich mich durch eine sehr richtige Bemerkung bekümmern wollte‘, antwortete die bescheidene Dornenblüt, ’so würde ich Euch sagen, daß mir Eure Aufrichtigkeit etwas verdächtig ist. Ich kenne mich. Ich weiß, daß ich gerade nur soviel Annehmlichkeiten habe, um nicht ganz häßlich zu sein. Ich würde indes allzuviel verlieren, wenn ich Euch eines Vorurteils berauben wollte, das Euch verblendet und mir so günstig ist. Ich werde mich also wohl hüten, Euch die Augen zu öffnen über eine Menge Fehler, die ich habe und die ich nicht zu haben wünschte, um der Lobsprüche würdig zu sein, die Ihr mir erteilt.‘
Dieses Gespräch wurde noch eine gute Weile in den zärtlichsten Ausdrücken fortgesetzt, womit ich Eure Majestät verschone, die diese Unterhaltung mit so unbeschreiblicher Geduld bis hierher angehört haben.
Die Mahlzeit war kaum vorbei, als es Nacht ward. Dornenblüt, die den ganzen Nachmittag geschlafen hatte, hätte sich gern wieder auf den Weg gemacht. Die Unschuld ihrer Empfindungen, die Ehrfurcht ihres Begleiters und die herrschenden Sitten schienen hinreichend, sie vollkommen zu beruhigen. Indes war sie, was die Schicklichkeit anging, sehr delikat, und sie glaubte, es sei anständiger, gemeinsam zu reisen, als die ganze Nacht zusammen zu bleiben. Aber Larifari? Er hatte noch kein Auge zugetan und bedurfte wahrscheinlich gar sehr der Ruhe. Er spürte ihre Bedenklichkeiten und ihre Verlegenheit. Er versicherte ihr, daß es ihm ganz unmöglich sei, neben ihr zu schlafen, und so setzten sie sich wieder zu Pferde, in der festen Hoffnung, noch vor Anbruch des Tages bei der weisen Serène einzutreffen. Alle Geschöpfe, die ihnen unterwegs begegneten, waren entzückt über die Musik, welche jeden Schritt der Stute Klingklang begleitete. In den Wäldern, durch die ihr Weg sie führte, erwachten die Vögel. Getäuscht durch den Glanz des Hutes, glaubten sie den kommenden Tag zu grüßen und antworteten den Melodien der goldenen Glöckchen. Die Hähne in den Dörfern krähten, als sähen sie das Morgenrot, und die armen Ackersleute, die kaum eingeschlafen waren, sprangen plötzlich auf und eilten an ihre Arbeit. Aber Dornenblüt brauchte nur den Hut vom Kopfe zu nehmen, schon kam die Nacht zurück, und die guten Leute schliefen wieder ein.
Endlich brach der Tag wirklich an, und Larifari versprach seiner schönen Gebieterin, daß sie nun ihre Mutter bald sehen werde. Aber er konnte sein Versprechen nicht erfüllen. Da er schon zweimal bei ihr gewesen war, glaubte er sie auch zum dritten Male leicht finden zu können. Aber zwei ganze Tage lang suchte er sie mit hartnäckigem Eifer vergebens. Es war ihm unbegreiflich, warum Serène sich jetzt vor ihm verbarg, da er ihr eine Tochter zuführte, die sie auf das zärtlichste lieben mußte, und da er mit allen Schätzen beladen war, die sie verlangte. Er fürchtete, Dornenblüt möchte Verdacht gegen ihn schöpfen und sich für betrogen halten. Aber die letzten Proben der Aufrichtigkeit seiner Liebe hatten sie vollkommen von aller Eifersucht geheilt, und sie war nurmehr beunruhigt durch die Furcht, vielleicht in die Ungnade einer Mutter gefallen zu sein, die sie noch niemals gesehen hatte und die sich ihrem Anblick zu entziehen schien. Sie ließen sich indes nicht abschrecken und fingen den dritten Tag von neuem an zu suchen, ohne jedoch der Stute zu sagen, wohin sie sie führen sollte. Dieses Tier war mit der Kraft begabt, allenthalben dorthin zu gelangen, wo man ihm hinzugehen befahl, ohne daß irgendein Zauber es aufhalten konnte. Larifari wußte das noch nicht recht, und als er ihm befohlen hatte, sie nach Kaschmir zu führen, so war dies auf eine Eingebung hin geschehen. Aber nichts bedeutete ihm, daß er dasselbe tun müsse, um in den Palast der Fee zu gelangen.
Um diese Zeit schrieb ein Zeitungsschreiber aus einem Landstädtchen, der mit einigen Subalternen der Geheimkanzlei in Briefwechsel stand, an seine Korrespondenten in der Residenz, daß Larifari angekommen sei. Diese unterließen nicht, es den Ministern zu melden, und diese meldeten es dem Kalifen. Der Kalif schickte sogleich Kurier über Kurier an ihn ab, mit der Order, sich sogleich an den Hof zu begeben. Er mußte gehorchen, und Dornenblüt tat alles mögliche, um die Unruhe, die sie von neuem empfand, und die geheimen Ahnungen, die ihrem Herzen irgendein Unglück prophezeiten, vor ihm zu verbergen. Aber es kostete sie viel, ruhig zu scheinen, indes sie sich einer Stadt näherten, in der Prinzessin Sonnenstrahl ihren Geliebten erwartete, um ein Mittel gegen ihr Übel von ihm zu empfangen und ach! um ihn vielleicht dafür zu belohnen. Sie kamen endlich an und wurden im Triumph in die Stadt geleitet. Alles erscholl von dem freudigen Zuruf des Volkes, das den Ruhm Larifaris bis an die Sterne erhob. Jedermann war fest überzeugt, daß der Mann, der dieses gefährliche Abenteuer für das Gemeinwohl und das Wohl der Prinzessin bestanden habe, auch das Heilmittel für sie mitbringen müsse.
Es war Zeit, daß man es bekam. Der Kalif hatte sich eines Tages nach Larifaris Abreise allzulange dem Vergnügen überlassen, seine Tochter zu betrachten. Die Brille war ihm von der Nase gefallen, und ihre schönen Augen hatten dem das Licht geraubt, dem sie das Leben verdankte. Der Seneschall, der in der Tat ein sehr treuer Minister war, war vor Gram darüber gestorben. Seine Frau hatte sich mit der Gunst getröstet, mit der die Prinzessin sie beschenkte. Diese Gunst war so groß, daß sie niemanden mehr mit ihren Blicken tötete, als den, welchem die Seneschallin nicht wohlwollte. Alle diese Veränderungen waren in der kurzen Zeit am Hofe vorgefallen. Aber das war noch nicht alles. Unglücklicherweise war seit kurzem eine gewisse Mohrin angekommen, welche durch die Annehmlichkeiten ihres Geistes die Seneschallin regierte, so wie die Seneschallin die Prinzessin durch die Annehmlichkeiten eines Papageis, der jedermann, der ihn auf den Händen trug, vor den gefährlichen Augen der Prinzessin schützte.
Sogleich als Larifari ankam, rief man den Staatsrat zusammen, und der Kalif, der niemals in seinen Angelegenheiten sehr klargesehen hatte, war jetzt noch weit weniger als jemals imstande, sich damit abzugeben. Er wollte Larifari umarmen, aber ach! er sah ihn nicht. Einige rieten, ihm Bildsäulen errichten zu lassen, andere bestanden auf dem großen und dem kleinen Siegeszug. Der Kalif war alles zufrieden, aber Larifari verbat sich diese Ehrenbezeigungen mit der größten Bescheidenheit. ‚Ach, Sire‘, sagte er, ‚welcher Gegenstand beschäftigt Euch und Euren weisen Rat? In einer Lage wie dieser verdient das, was ich für Euch und den Staat getan habe, nicht derartige Belohnungen. Ist es Zeit, von Belohnung zu reden, ehe mein Geschäft vollendet, ehe die Prinzessin geheilt ist? Ich wage nicht zu sagen, daß in der Eilfertigkeit, mit welcher Eurer Majestät Kuriere mich hierher beordert haben, einiger Mangel an Vorsicht war. Ich wollte in Serènes Hände die Schätze legen, die ich nur für sie entführt habe. Dann hätte ich Euch sogleich das verlangte Mittel gebracht, statt dessen muß ich jetzt wieder umkehren, und man wird vielleicht noch lange Zeit auf mich warten müssen.‘
Der Kalif bat ihn untertänigst um Verzeihung und schob die Schuld auf die Minister. Die Minister schoben sie auf die Prinzessin, welche den Staat regierte, seitdem ihr Vater mit Blindheit geschlagen war, und diese wiederum schob die Schuld auf die Seneschallin, von der sie unumschränkt regiert wurde.
Es wurde beschlossen, daß Larifari sogleich den anderen Morgen mit den Schätzen der Hexe abreisen sollte. Der Kalif verlangte ausdrücklich, daß Dornenblüt diese Nacht bei der Seneschallin zubringen sollte, die das vornehmste Haus nach seinem Palast bewohnte. ‚Ihr seht an meinem Beispiele‘, sagte er zu ihm, ‚daß bei meiner Tochter nicht gut sein ist.‘ Larifari führte sie zu ihr, und die Mohrin bediente sie mit so außerordentlichem Eifer und so vieler Artigkeit, daß sie ganz entzückt davon war. Er wollte nicht einmal in den Palast zurückgehen, um sie nicht wieder zu beunruhigen, und da er sie verlassen mußte, um sich zur morgigen Reise anzuschicken, trieb ihn seine Ungeduld sehr schnell zurück, und er war bald genug mit seinen Vorbereitungen fertig.
Als er wiederkam, fand er Dornenblüt bei dem Porträt der Prinzessin, das er den folgenden Tag mitnehmen sollte. Sie bezeigte ihm ihre Bewunderung über diese außerordentliche Schönheit. Aber diese Bewunderung war mit etwas Unruhe vermischt. Larifari bemerkte es. Er tat alles, um sie zu beruhigen, und sie rechnete sehr auf die Versicherung, die er ihr gab, abzureisen, ohne das Original des Porträts gesehen zu haben.
Die Mohrin entdeckte geschwind genug die Empfindungen, die sie füreinander hegten. Sie teilte der Seneschallin ihre Entdeckung mit, da diese ihr ihre Neigung zu Larifari anvertraut hatte. Noch ehe jene zu Worte kommen konnte, versicherte ihr die Seneschallin, daß ihr Herz einen heftigen Kampf zwischen Liebe und Ehre ausgefochten habe. ‚Ich habe zwar mehr als einmal empfunden‘, sagte sie, ‚daß die Liebe keinen Standesunterschied kennt. Aber bei meinem Rang, den Augen der ganzen Welt ausgesetzt, hat es mich Mühe gekostet, einen Entschluß zu fassen. Ich habe alles reiflich überlegt und habe gefunden, daß eine Seneschallin ihren Stallmeister ohne Bedenken heiraten kann, zumal wenn er mit Ruhm und Ehre gekrönt zurückkommt.‘ Als sie fertig war, gab ihr ihre Vertraute zu verstehen, daß sich ein kleiner Irrtum in ihrer Rechnung finde. Dann legte sie ihr detailliert alle Gründe ihres Verdachtes gegen die schöne Fremde dar. Die Witwe wurde von Eifersucht gepackt. Wenig Witwen waren in ihren Leidenschaften so heftig als sie und wenig Mohrinnen so schwarz als ihre Vertraute. In solchen Händen befand sich die arme Dornenblüt, und das sollte nur allzubald offenbar werden.
Als Larifari den anderen Morgen kam, um sie abzuholen, war er ganz außer sich über den Zustand, in welchem er sie fand. Sie litt unbeschreiblich und gab sich umsonst alle Mühe, ihm zu verbergen, wie sie litt. Er sah die Heftigkeit ihres Schmerzes. Er sah die Gewalt, die sie sich antat. Adieu, Reise! Adieu, Wohl des Staates! Er dachte an nichts als an Hilfe für Dornenblüt, und da er sah, daß ihre Schmerzen sich jeden Augenblick vermehrten, dachte er an nichts, als mit ihr zu sterben. Die Seneschallin genoß in der Verzweiflung ihres Liebhabers und den Qualen ihrer Rivalin das Vergnügen der Rache in langen Zügen.
Der Staatsrat des Kalifen war in der größten Unruhe, als bekannt wurde, daß Larifari nun nicht reisen wollte. Die Mohrin, die an allem Übel schuld war, beschloß, ihm Einhalt zu tun, um Larifari zur Reise zu bewegen. Auf einmal vergingen alle Schmerzen Dornenblüts ebenso geschwind, als sie gekommen waren, aber sie war so schwach und entkräftet, daß sie ihren Geliebten beschwor, dem ungestümen Verlangen des ganzen Hofes nachzugeben und ohne sie abzureisen. Er gehorchte endlich mit Widerwillen und bat sie, die Prinzessin nicht eher zu sehen, als bis er zurückgekommen sei. Er versprach, sie nicht lange warten zu lassen, und reiste endlich nach einem von beiden Seiten zärtlichen Abschied ab.
Dornenblüt hoffte vergeblich, sich zu erholen. Sie fiel einer Entkräftung anheim, die ihre Gesundheit untergrub, sie auszehrte und ihr ganz das frische und muntere Aussehen raubte, dessen Wiederkehr sie so sehnlich vor der Rückkehr ihres Geliebten wünschte. In wenigen Tagen war eine traurige Blässe an die Stelle der schönsten Farbe von der Welt getreten. Auf diese folgte eine gelblichgrüne Farbe, durch welche sie ganz unkenntlich wurde. Eine erschreckende Magerkeit ließ ihren Busen verschwinden, und die vollkommenste Taille ward in ein Skelett verwandelt. Die Seneschallin triumphierte, als sie Dornenblüt in diesem beklagenswürdigen Zustand sah. Ihre Vertraute hatte ihr begreiflich gemacht, daß es ihnen weit mehr Vergnügen machen würde, sie von ihrem Liebhaber verachtet als ihren Tod beweint zu sehen. Sie freuten sich schon im voraus auf diese Szene, und nur diese schönen Grundsätze retteten Dornenblüt das Leben.
Unterdessen sah man die Prinzessin gar nicht mehr, denn man konnte sie nicht ansehen, ohne mit ihrem Papagei bewaffnet zu sein, und sie war in diesen Papagei so närrisch verliebt, daß sie ihn keiner Seele mehr in die Hände gab. Man erzählte Wunder von seiner Schönheit und wenig von seinem Verstande, denn er sprach selten; und wenn er sprach, so waren alle seine Antworten verkehrt. Aber sein Benehmen war allerliebst und seine Manieren höchst galant.
Die Ungeduld kürzte Larifaris Reise ab. Er kam schon wieder zurück, als man ihn kaum auf der Hälfte des Weges glaubte, und brachte ein Mittel gegen alles Böse mit, das die schönsten Augen von der Welt anstifteten. Das Volk drängte sich um ihn her, und eine große Menge folgte ihm bis an das Gemach der Prinzessin. Aber alle blieben zurück, da er hineinging. Er hatte eine Phiole in der Hand, die so groß war als das größte Glas. Sie war aus einem einzigen Diamanten und enthielt eine so glänzende Flüssigkeit, daß die blendenden Augen der Prinzessin selbst so davon geblendet wurden, so daß sie sie schließen mußte. Larifari nutzte diesen Augenblick, um ihr die Schläfen und die Augenlider damit zu bestreichen. Sowie dieses geschehen war, schlug sie die Augen auf. Larifari ließ alle Türen öffnen. Das ganze Volk war Zeuge des Wunders und begleitete es mit lautem Jubelgeschrei. Ihre Augen waren noch ebenso glänzend als sonst, aber man konnte mit so wenig Gefahr hineinsehen, daß ein Kind von einem Jahr sie den ganzen Tag hätte betrachten können, ohne etwas anderes als das lebhafteste Vergnügen dabei zu fühlen. Larifari küßte den Saum ihres Kleides, um ihr ein erstes Kompliment zu machen, und zog sich zurück unter dem Vorwande, dem Kalifen die Nachricht von ihrer Genesung zu bringen. Aber er folgte der Regung seines Herzens, das ihn zu seiner geliebten Dornenblüt trieb.
Die Nachricht von seiner Rückkehr und dem Wunder, das er gewirkt, hatte sich sehr schnell überall verbreitet. Er mußte der Notwendigkeit nachgeben und zu dem Kalifen gehen, zu dem ihn sein Herz gar nicht trieb. Dieser gute Herr wollte vor Freude närrisch werden, daß die Augen seiner Tochter noch ebenso schön waren als sonst und doch niemandem mehr etwas zuleide täten. Als ihm aber Larifari nun gar selbst das Gesicht wiedergab, indem er ihm die Augen bestrich, schien seine Dankbarkeit noch das Übergewicht über seine Freude zu gewinnen. Er warf sich vor ihm nieder, wollte ihm die Füße küssen und dergleichen Extravaganzen mehr, die seiner Majestät weniger Ehre machten als seiner Dankbarkeit. Da er endlich wieder etwas zu sich selbst kam, wollte er ihn auf der Stelle zu seiner Tochter führen, damit heute noch Hochzeit gefeiert werden könnte. In Gegenwart aller seiner Räte versicherte er, er würde sich nicht zufriedengeben, wenn er nicht seinen ganzen Palast voll kleiner Larifaris sähe.«
»Oh, um Gottes willen mit deinen kleinen Larifaris!« rief der Sultan aus. »Ich ergebe mich. Ich habe alle Mühe von der Welt gehabt, dem einen zu widerstehen, aber länger kann ich es nicht aushalten. Du hast gesiegt, Dinarzade. Ich danke dir das Leben deiner Schwester, die ich begnadige und der ich alle meine Zärtlichkeit schenke, die sie um ihrer Reize und ihrer Gelehrsamkeit willen verdient, aber noch mehr um der Schönheit ihrer Märchen willen, mit denen sie mich seit so langer Zeit einschläfert. Geh, Dinarzade, hol den Wesir, deinen Vater. Er soll mir auf der Stelle mein Zepter und das Reichssiegel bringen, damit ich mein Versprechen mit allen erforderlichen Solennitäten bestätige.«
Dinarzade ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie kam mit dem Großwesir zurück, der heiße Tränen vergoß, da er den Gnadenbrief seiner Tochter siegelte. Hierauf stellte er sich ans Ende des kaiserlichen Bettes, machte drei tiefe Bücklinge und nahm ehrerbietig die Bettdecke weg. Die Sultanin sprang heraus auf die Erde, warf sich vor ihrem Herrn nieder und küßte ihm die kleine Zehe am linken Fuß, die er ihr zärtlich hinhielt. Dann erhob er sich ein wenig und berührte nach Landesbrauch zum Zeichen seiner Gnade ihre Nasenspitze dreimal mit dem Zepter.
Nach allen diesen Zeremonien brachten der Wesir und die sittsame Dinarzade die Sultanin wieder zu Bett, zogen die Bettvorhänge zu, und in der Einbildung, daß ihre weitere Gegenwart unnütz sei, machten sie die Türe auf, um fortzugehen, als sie der Sultan zurückrief. »Die Gnade, die ich der Sultanin habe widerfahren lassen, gereut mich zwar nicht«, sprach er, »aber damit in allen meinen Handlungen die Gerechtigkeit mit der Gnade unzertrennlich vereinigt sei, will ich morgen mit Anbruch des Tages den Verräter hängen lassen, der meine Ratschlüsse offenbart. Dinarzade hat das, was über Larifari vorgegangen ist, von niemand anders erfahren können als von ihrem Vater oder ihrem Liebhaber. So mögen also mein Wesir und der Prinz von Trapezunt das Los ziehen, und der Schuldige oder der Unglückliche wird ein gerechtes Opfer der Gesetze des Staates.«
Der Wesir, der den unmenschlichen Charakter seines Herrn kannte, ward bei diesem Befehle so bleich wie der Tod, fiel auf die Knie und nahm den Himmel, die Erde, den großen Propheten und seinen Koran zu Zeugen seiner Unschuld. Aber die mutige Dinarzade war weit entfernt, sich über diese Drohungen zu beunruhigen. »Es wird Eurer Majestät weit leichter«, sagte sie, »Entschlüsse der Grausamkeit zu fassen als Proben Eurer Zärtlichkeit zu geben. Wenn es wahr wäre, daß mein Vater oder der Prinz von Trapezunt die Schuldigen sind, so müßte ich mehr als irgend jemand dabei interessiert sein. Indessen überlasse ich sie alle beide Eurem Zorne in dem Fall, da ich Euch nicht noch vor dem Ende meiner Erzählung das Geständnis abzwinge, daß Ihr selbst und kein anderer Mensch mir das Geheimnis Eures Staatsrates verraten habt und daß, wenn es ein Kapitalverbrechen ist, davon zu reden, Eure Majestät weit eher gehenkt zu werden verdienen als der Wesir oder der Prinz, den es Euch beliebt, meinen Liebhaber zu nennen.«
Der Wesir erblaßte bei diesen kühnen Reden seiner Tochter, aber der gnädige Sultan, der wie aus einem tiefen Schlafe erwachte, legte die Hände zusammen, nahm seine Nachtmütze ab und bat den Mohammed um Verzeihung. Hierauf rieb er Dinarzade, dem Wesir und sich selbst die Nase dreimal mit dem Zepter und versprach, dem schönen Prinzen von Trapezunt morgen desgleichen zu tun. Als die Zeremonien dieser allgemeinen Amnestie vorbei waren, beschwor er die kluge Dinarzade, niemandem zu entdecken, was zwischen ihr und ihm, den Larifari betreffend, vorgegangen sei, und da es erst drei Viertel eins war, befahl er ihr, ihre Geschichte vollends zu endigen, welches sie auch auf folgende Weise tat.
»Die Staatsräte des Kalifen waren im Begriffe, die kleinen Larifaris ebenso das Echo passieren zu lassen, als es mit dem großen geschehen war, aber sie besannen sich zu rechter Zeit, daß er sich dies in einem Artikel seines Traktates ausdrücklich verbeten hatte.
Indes sich der Kalif zur Prinzessin begab, kamen alle, die durch sie erblindet waren, zu Larifari, um sich heilen zu lassen. Die Menge war zwar ansehnlich groß, aber da das Mittel schnell wirkte, war er bald damit fertig. Alles ertönte von Freudengeschrei und Jauchzen, und in dieser allgemeinen Freude war niemand unglücklich als die arme Dornenblüt.
Die Seneschallin hatte sehr bald Nachricht von Larifaris Ankunft bekommen, und sie eilte, sie Dornenblüt mitzuteilen. Zu jeder anderen Zeit hätte sie diese Nachricht mit Entzücken gehört, aber jetzt geriet sie beinahe in Verzweiflung darüber. Noch immer bildete sie sich ein, daß ihre grausame Nebenbuhlerin und deren Vertraute Anteil an ihren Schmerzen nähmen. Sie fiel vor ihnen auf die Knie, sie beschwor sie, sie zu verbergen, daß sie Larifari nicht in diesem Zustand sähe. Sie versprachen es ihr, aber zugleich sagten sie, daß sie es doch nicht vermeiden könnte, den Besuch des Kalifen zu empfangen, der ein großes Verlangen geäußert habe, eine Person zu sehen, die man ihm ebenso schön geschildert hatte als die Prinzessin Sonnenstrahl. Nach diesen Worten fingen sie an, sie zu putzen, um sie noch mehr zu verunstalten. Das arme Mädchen war nur noch Haut und Knochen. Ein fahles Blau hatte das Rosenrot ihrer Wangen und Lippen verdrängt. Das Feuer ihrer Augen war erloschen, und ihre eingefallenen Wangen schienen noch blasser unter dem Kopfputz, den man ihr aufsetzte. In diesem Zustand legten sie sie auf ein kostbares Kanapee, und in dem Augenblick hörten sie ihren Geliebten die Treppe heraufsteigen. Sie versicherten, es sei der Kalif, und ließen sie allein.
Dornenblüt setzte sich aufrecht, um ihn mit mehr Anstand zu empfangen. Statt des Kalifen trat Larifari ein. Sie tat einen Schrei und wendete das Gesicht von ihm ab. Er erstaunte über diesen Empfang, noch mehr aber über die sonderbare Gestalt, die er vor sich sah. Er näherte sich indes, und da sie wieder ein wenig zu sich gekommen war, fragte er sie, wo Dornenblüt sei. Dies war wie ein Donnerschlag für sie. Ihre Kräfte verließen sie, und anstatt zu antworten, verbarg sie ihr Gesicht in einer Ecke des Kanapees. Hier überließ sie sich ihrer Verzweiflung und ihren Tränen.
Larifari wußte nicht, was er von diesem Benehmen denken sollte, und da er keine vernünftige Antwort zu erhalten hoffte, ging er fort, um Dornenblüt zu suchen. Die Seneschallin und die Mohrin sagten ihm ein über das andere Mal, daß er ja eben von ihr käme. Er wurde böse über diesen unzeitigen Scherz, aber was ihn am meisten verdroß, war die fröhliche Manier, mit der sie ihn zum besten zu haben schienen. Er verließ sie voller Verdruß und begab sich nach dem Palaste zurück, wo er zu einem Auftritt ganz anderer Art kam.
Während Larifari mit den schönen Augen der Prinzessin zu tun gehabt hatte, hatte ihr Papagei die Flucht ergriffen. Sie lag am Boden und raufte sich die Haare. Der Kalif und alle seine Höflinge liefen mit Leitern im ganzen Hause umher und suchten auf allen Schränken und Betten, wo er sich etwa versteckt haben könnte. Larifari, der von allem nichts wußte, fragte jedermann nach Dornenblüt, und jedermann fragte ihn nach dem Papagei der Prinzessin. Er glaubte, sie hätten alle den Verstand verloren, und meinte, ihn ebenfalls zu verlieren. Jetzt bekam ihn der Kalif zu Gesicht. Er lief auf ihn zu, und da er glaubte, daß ihm nichts unmöglich sei, bat er ihn unter Tränen, seine Tochter zu beruhigen und ihr den Papagei wieder zu verschaffen. Larifari begriff nicht, wie man irgendeinen anderen Gegenstand der Unruhe haben könnte als er, und statt auf den Kalifen zu hören, sagte er ihm, daß er bei Serène für Dornenblüt habe Bürgschaft leisten müssen, daß er nur unter dieser Bedingung das Mittel gegen alle die Übel bekommen habe, daß er vor allen Dingen Dornenblüt sehen müsse und daß er dann verspreche, den Papagei herbeizuschaffen.
Sonnenstrahl hörte diese tröstlichen Worte, und da sie von einem Manne kamen, der nichts versprach, was er nicht erfüllte, so ward ihr Herz wieder etwas ruhiger. Ihre Reize, die der Schmerz vermindert hatte, kehrten zurück. Sie erinnerte sich Larifaris, dessen, was er für sie getan und was sie ihm versprochen hatte. Sie blieb einige Augenblicke in tiefen Gedanken versunken. Die Erinnerung an ihre erste Neigung, ihr gegebenes Wort und ihre Erkenntlichkeit kamen ihr auf einmal in den Sinn und bestimmten sie zu einem Entschluß. Sie warf sich vor dem Kalifen, ihrem Vater, nieder und bat ihn um die Erlaubnis, sich ihrer Verpflichtungen gegen einen Mann entledigen zu dürfen, der alles, selbst sein Leben, für sie gewagt habe.
Als der Kalif dies hörte, tat er einen Freudensprung, über den der ganze Hof in Erstaunen geriet. Statt seiner Tochter zu antworten, umarmte und küßte er sie mit solchem Ungestüm, daß er sie beinahe erstickt hätte. Er schwor ihr hoch und heilig, daß sie ihm weniger Vergnügen bereitet haben würde, wenn sie einen König von zehn solchen Provinzen wie Kaschmir zum Gemahl gewählt hätte. Hierauf wendete er sich zu seinem neuen Schwiegersohn, um auch ihn zu umarmen und ihm die Hand der schönsten Prinzessin von der Welt anzubieten. Aber er war verschwunden. Umsonst suchte man ihn im ganzen Palaste. Denn sobald er aus einigen Blicken der Prinzessin erraten hatte, was sie willens war zu tun, hatte er sich unter das Volk gemischt und war zur Seneschallin zurückgekehrt. Hier hatte er seine teure Dornenblüt zurückgelassen, und hier mußte er sie wiederfinden oder wenigstens erfahren, was aus ihr geworden war. Er fand sie. Aber o Himmel, in welchem Zustande!
Die Betrachtungen, die sie nach jener schrecklichen Szene angestellt hatte, hemmten zwar ihre Tränen, aber sie waren nicht dazu angetan, ihren Kummer zu stillen. Er hatte sie selbst gefragt, wo Dornenblüt sei. Wie schrecklich verändert muß er seine unglückliche Dornenblüt gefunden haben? sagte sie zu sich selbst. Aber ach! wenn er mich jemals geliebt hätte, würde sein Herz ihm gesagt haben, mit wem er sprach! Ach, er hat mich nur allzugut gekannt, fuhr sie fort. Aber er verabscheut mich, und ich werde ihn nicht wiedersehen. Der Schmerz überwältigte sie in diesem Augenblick. Sie hoffte, es sollte der letzte ihres Lebens sein. Sie nahm die Schreibtafel, in welche Larifari soviel Zärtliches geschrieben hatte. Sie las alles noch einmal durch und schrieb ihr letztes Lebewohl hinein, indem sie ihm ein treues Bild ihres Herzens hinterlassen wollte. Man hat nie etwas Zärtlicheres, nie etwas Rührenderes gelesen.
Alles, was man in einer solchen Lage schreibt, macht einen heftigen Eindruck auf die Seele. Die arme Dornenblüt, die den Regungen eines treuen Herzens folgte, das im Begriffe war zu brechen, sank bei dem letzten Lebewohl, das sie schrieb, ohnmächtig zurück. In diesem Augenblick trat Larifari ins Zimmer. Er erkannte seine Schreibtafel, aber Dornenblüt erkannte er nicht eher, als bis er ihre Abschiedsworte gelesen hatte. Sein Blut erstarrte in seinen Adern. Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß und fand keinen Zug, der ihr glich. Er hielt sie für tot, und in der Tat sah sie aus, als hätte sie schon vierzehn Tage im Grabe gelegen. Endlich trat die Zärtlichkeit an die Stelle des Erstaunens. Das Mitleid kam dazu, und in seiner Verzweiflung drückte er seinen Mund mit der heftigsten Leidenschaft auf ihre kalte und dürre Hand und benetzte sie mit einem Strom von Tränen. Dies allein hielt ihr Leben zurück, das schon im Begriffe war zu entfliehen. Sie schlug die matten Augen auf und sah zu ihren Füßen den Mann, den sie zu sehen wünschte und dessen Anblick sie am meisten fürchtete. Den einzigen, der ihr das Leben süß und den Tod willkommen machen konnte.
Felsen wären durch das, was sie sich sagten, gerührt worden. Er schwor ihr, daß er sie noch mit ebender Leidenschaft liebe, die er für sie empfunden hatte, als sie in allem Glanze ihrer Reize stand, daß, wenn auch ihre Schönheit und ihre Gestalt die Liebe zuerst in sein Herz gepflanzt hätten, ihr Verstand, ihre Güte, ihr ganzes Betragen einen weit stärkeren und dauerhafteren Eindruck auf ihn gemacht hätten und nur der Tod allein imstande sei, ihn von einer Leidenschaft zu heilen, die sein Herz jetzt noch in ihrer ganzen Stärke fühlte. Dornenblüt weinte vor Freude. Sie drückte ihm die Hand zum ersten Male in ihrem Leben, weil sie glaubte, daß es zum letzten Male sei. Sie versicherte ihm, daß sie zufrieden sterbe, nachdem sie so mannigfaltige Proben der seltensten Beständigkeit erhalten habe.
Die Seneschallin unterbrach diese rührende Unterhaltung. Alle ihre Eifersucht erwachte, als sie Larifari zu den Füßen einer Kreatur sah, die ihm, ihrer Erwartung nach, ganz andere Empfindungen einflößen mußte. Sie kam vom Hofe zurück. Man hatte ihr von den gütigen Absichten der Prinzessin auf Larifari und der Freude des Kalifen über diesen Entschluß gesprochen. Sie ergriff die Gelegenheit, ihm in Gegenwart der sterbenden Dornenblüt ihren Glückwunsch dazu zu sagen. Sie wollte ihrem Herzen den letzten Stoß versetzen, aber die plötzliche Regung der Eifersucht, die sie zu Boden schlagen sollte, belebte den kleinen Rest ihrer Kräfte. Ach, sie wußte nicht, was für neue Kränkungen sie erwarteten!
In diesem Augenblick kam die Prinzessin, von dem Kalifen, ihrem Vater, und dem ganzen Hofstaate begleitet. Mit Erstaunen sah sie Larifari zu den Füßen eines Geschöpfes, das eher gemacht schien, Furcht als Liebe einzuflößen; aber mit noch größerem Erstaunen sah Dornenblüt die Prinzessin, deren Schönheit alles übertraf, was man ihr davon gesagt hatte. Jetzt schwanden die wenigen Kräfte, die ihr noch geblieben waren, und ihre Festigkeit verließ sie. Ihre Augen blieben einige Zeit auf Sonnenstrahl geheftet, sahen dann noch einmal ihren Geliebten an und schlossen sich auf ewig. Larifari stieß einen Schrei aus, daß alle Höflinge zitterten und die Prinzessin selbst gerührt ward. Dem Kalifen blieb er nicht unbemerkt. ‚Der Schrei hat nichts zu bedeuten‘, sagte er, um seine Tochter zu beruhigen. ‚Du wirst sehen, daß das Gerippe da eine alte Verwandte ist, die er beklagt. Man muß das schon um der Verwandtschaft willen tun! … Nun, Larifari?‘ fuhr er fort, indem er sich zu ihm wendete, ‚die Augen abgewischt! So ein Aufhebens zu machen um der Mumie willen! Ich dächte, so etwas vergeht, wenn einem das Königreich Kaschmir und Sonnenstrahls Hand angeboten wird.‘ Ich weiß nicht, was andere auf eine Rede dieser Art geantwortet hätten. Larifari antwortete keine Silbe, und die ganze Gesellschaft hielt ihn für tot wie Dornenblüt.
Indem trat die Mohrin ins Zimmer. Sie schien Dornenblüts Tod zu beklagen. Sie nahm Anteil an Larifaris Schmerzen, und als sie die Verlegenheit des Kalifen sah, riet sie ihm, den Leichnam fortzutragen und auf der Stelle verbrennen zu lassen, wenn er eine vernünftige Antwort von Larifari haben wollte. Seitdem dieses Weib über die Seneschallin herrschte, hatte man ihre Ratschläge für Orakel angesehen, und man zögerte keinen Augenblick, auch den gegenwärtigen Rat zu befolgen. Larifari widersetzte sich vergebens dieser Trennung. Man riß ihn von dem geliebten Leichnam weg, errichtete einen Scheiterhaufen mitten auf dem Hof des Palastes und legte Dornenblüt darauf. Larifari meinte, wahnsinnig zu werden vor Schmerz. Man führte ihn hinweg, ohne auf sein Geschrei und seine Tränen zu achten.
Der Kalif befahl, einer Person, an welcher sein künftiger Schwiegersohn so großen Anteil nahm, alle mögliche Ehre zu erzeigen und ließ Fackeln von den köstlichsten Harzen austeilen, seiner Tochter eine, jedem Minister eine und dann allen anderen Herren vom Hofe. Dann hob er die seinige mit folgenden Worten in die Höhe: ‚Möge es den Göttern gefallen‘, sprach er, ‚daß mein Schwiegersohn Larifari selbst Zeuge dieser Zeremonie wäre! Wenn er doch selbst sähe, wie ehrenvoll der Leichnam dieses Frauenzimmers verbrannt wird! Ich bin überzeugt, es würde ihm Vergnügen machen.‘ Bei diesen Worten wollte er den Scheiterhaufen an allen vier Ecken in Brand stecken, als die Luft von einer Harmonie widerhallte und einige Augenblicke darauf die weise Serène auf der Stute Klingklang erschien.
Ihre Ankunft erzeugte die mannigfaltigsten Gemütsbewegungen in der Versammlung: den König hielt sie in seinem Eifer zurück, die Höflinge erfüllte sie mit Respekt gegen eine Person, die etwas Erhabenes in ihrem Wesen hatte, Sonnenstrahl stieß einen Freudenschrei aus, denn ihr Papagei saß auf der Hand der Fee. Die Seneschallin aber war so bestürzt, daß man gewiß gesehen hätte, wie sie die Farbe veränderte, wenn ihr Gesicht ungeschminkt gewesen wäre. Ihre Vertraute sah sich vergebens nach allen Seiten um, ob sie irgendwie entkommen könnte. Sie sah bald, daß für sie keine Hoffnung auf Rettung war.
»Ich muß gestehen«, sagte Dinarzade, »daß ich mit diesem ihrem Entschluß vollkommen zufrieden bin; denn es war mir in der Tat schon bange, sie würden das Gebirge nimmermehr verlassen, wo mir ihre Sentiments und ihre Unschlüssigkeit etwas Langeweile gemacht haben, wie Eurer Majestät ohne Zweifel auch.
Unsere Liebenden gelangten an den Fuß des Gebirges, als die Sonne ihre heißesten Strahlen aussandte. Klingklang ging zwar so leicht, daß man nicht die mindeste Beschwerlichkeit beim Reiten empfand; doch war Dornenblüt durch ihre mannigfaltigen Gemütsbewegungen, durch ihre Unruhe und Angst während einer ganzen Nacht, wo sie kein Auge zugetan hatte, außerordentlich ermattet. Dies entging der Aufmerksamkeit ihres Begleiters nicht. Er stieg ab und hob sie vom Pferde. Sie setzte sich an das Ufer eines Baches, den eine Allee von Orangenbäumen beschattete, und schlief ein. Larifari zäumte die Stute ab, um sie im Schatten weiden zu lassen. Da er aber nicht wollte, daß sie sich allzu weit entfernte, und er ihr doch vollkommene Freiheit lassen wollte, öffnete er die Glöckchen, um sie allenthalben hören zu können. Als sie merkte, daß die Glöckchen geöffnet waren, vergaß sie die Weide und machte so reizende und abgemessene Bewegungen, daß nichts der Harmonie gleichkam, die um sie her zu hören war. Larifari hörte ihr einige Zeit zu und setzte sich dann neben die reizende Dornenblüt, die er nach Herzenslust betrachtete. Er bewunderte ihren schlanken Wuchs und ihr Gesicht, das der sanfte Schlaf verschönte und auf dem alle Reize der Gesundheit und Jugend blühten. Der verliebte Larifari wurde nicht müde, sie zu betrachten. Er schaute soviel Schönheit aus nächster Nähe und verlor sich in den süßesten Träumen. Aber er wich keinen Fingerbreit aus den Grenzen der Ehrfurcht, so verführerisch seine gegenwärtige Lage auch war.
Die Liebhaber jener Zeit wußten nicht, was es hieß, eine Gunstbezeigung zu rauben oder zu erschleichen, wenn ein Mädchen sich ihrem Schutze anvertraut hatte. Er begnügte sich also, seine Augen an den Reizen zu weiden, die er sah, und seine Phantasie mit denen zu beschäftigen, die er nicht sah.
Klingklang entfernte sich indessen unbemerkt, und ihre Glöckchen ertönten so unendlich harmonisch, daß er auf einige von den Melodien, die sie komponierte, die zärtlichsten und galantesten Loblieder auf die reizende Dornenblüt machte: ‚Nein‘, sagte er unter anderem in seinen Versen, ‚wenn die Götter mir vergönnten, ein Schönheitsideal nach meinen Wünschen zu bilden, würde ich nie etwas Liebenswürdigeres, nie etwas Reizenderes ersinnen können als das, was ich sehe.‘ Bei dieser Beschäftigung hatte er kein Bedürfnis nach Schlaf. Er dankte dem Himmel für die sanfte Ruhe, die er seiner Göttin verlieh, aber zugleich fiel ihm ein, daß sie wohl Hunger haben könnte, wenn sie ausgeschlafen hätte. Wohin man in diesem schönen Lande seine Augen auch wendete, überall sah man die schönsten Früchte, um das schmackhafteste Dessert von der Welt zu bereiten. Jeder Baum und jeder Strauch boten deren im Überfluß dar. Aber wer fängt beim Dessert an, wenn er großen Hunger hat?
Larifari ließ seine Schreibtafel und seine Verse bei Dornenblüt zurück, um nach der Stute zu suchen, die er noch immer hörte, ob er sie gleich aus den Augen verloren hatte. Er wußte eigentlich selbst nicht, warum er das tat, aber er bildete sich ein, daß ein Tier, welches ihnen bisher von so großem Nutzen gewesen war, für alle ihre Bedürfnisse Rat wüßte. Er fand sie, wie man den Orpheus malt, von allen Gattungen von Tieren und Vögeln umgeben, die ihre süßen Melodien um sie versammelt hatten. Einige von ihnen, einen Birkhahn, zwei rote Rebhühner und einen Fasan, die gar zu aufmerksam waren, kostete es das Leben. Er machte sie zum Souper für Dornenblüt zurecht, denn wenn er wollte, war er auch ein Koch, und zwar so geschickt, als man nur einen Koch wünschen kann. Man braucht wohl nicht zu fragen, ob er jetzt sein Möglichstes tat?
Dornenblüt wachte bei seiner Rückkehr auf und fand bei ihrem Erwachen das Essen bereit. Sie war nicht unempfindlich gegen seine Aufmerksamkeit, und er war nicht gleichgültig gegen ihre Dankbarkeit. Er erzählte ihr, wie ihm der Zufall zu diesem kleinen Abendessen verholfen habe. Sie beklagte die armen Vögel herzlich, die ihre Liebe zur Musik das Leben gekostet hatte, aber sie aß doch mit recht gutem Appetit davon. Sie wollte wissen, was er die Zeit über getan habe. Seine Schreibtafel lag noch neben ihr. Er schlug sie auf. Sie las darin, und ob sie gleich errötete, überlas sie es noch zwei- oder dreimal. Sie sagte ihm, daß sie nicht wage, Verse, in denen sie selbst viel zu sehr gelobt werde, so sehr zu loben, als sie es verdienten. Er hingegen versicherte, daß sie sie noch lange nicht genug lobten, und nahm ihre Reize zu Zeugen, daß er weit mehr dabei fühle, als er in Prosa oder in Versen ausdrücken könne.
‚Wenn ich mich durch eine sehr richtige Bemerkung bekümmern wollte‘, antwortete die bescheidene Dornenblüt, ’so würde ich Euch sagen, daß mir Eure Aufrichtigkeit etwas verdächtig ist. Ich kenne mich. Ich weiß, daß ich gerade nur soviel Annehmlichkeiten habe, um nicht ganz häßlich zu sein. Ich würde indes allzuviel verlieren, wenn ich Euch eines Vorurteils berauben wollte, das Euch verblendet und mir so günstig ist. Ich werde mich also wohl hüten, Euch die Augen zu öffnen über eine Menge Fehler, die ich habe und die ich nicht zu haben wünschte, um der Lobsprüche würdig zu sein, die Ihr mir erteilt.‘
Dieses Gespräch wurde noch eine gute Weile in den zärtlichsten Ausdrücken fortgesetzt, womit ich Eure Majestät verschone, die diese Unterhaltung mit so unbeschreiblicher Geduld bis hierher angehört haben.
Die Mahlzeit war kaum vorbei, als es Nacht ward. Dornenblüt, die den ganzen Nachmittag geschlafen hatte, hätte sich gern wieder auf den Weg gemacht. Die Unschuld ihrer Empfindungen, die Ehrfurcht ihres Begleiters und die herrschenden Sitten schienen hinreichend, sie vollkommen zu beruhigen. Indes war sie, was die Schicklichkeit anging, sehr delikat, und sie glaubte, es sei anständiger, gemeinsam zu reisen, als die ganze Nacht zusammen zu bleiben. Aber Larifari? Er hatte noch kein Auge zugetan und bedurfte wahrscheinlich gar sehr der Ruhe. Er spürte ihre Bedenklichkeiten und ihre Verlegenheit. Er versicherte ihr, daß es ihm ganz unmöglich sei, neben ihr zu schlafen, und so setzten sie sich wieder zu Pferde, in der festen Hoffnung, noch vor Anbruch des Tages bei der weisen Serène einzutreffen. Alle Geschöpfe, die ihnen unterwegs begegneten, waren entzückt über die Musik, welche jeden Schritt der Stute Klingklang begleitete. In den Wäldern, durch die ihr Weg sie führte, erwachten die Vögel. Getäuscht durch den Glanz des Hutes, glaubten sie den kommenden Tag zu grüßen und antworteten den Melodien der goldenen Glöckchen. Die Hähne in den Dörfern krähten, als sähen sie das Morgenrot, und die armen Ackersleute, die kaum eingeschlafen waren, sprangen plötzlich auf und eilten an ihre Arbeit. Aber Dornenblüt brauchte nur den Hut vom Kopfe zu nehmen, schon kam die Nacht zurück, und die guten Leute schliefen wieder ein.
Endlich brach der Tag wirklich an, und Larifari versprach seiner schönen Gebieterin, daß sie nun ihre Mutter bald sehen werde. Aber er konnte sein Versprechen nicht erfüllen. Da er schon zweimal bei ihr gewesen war, glaubte er sie auch zum dritten Male leicht finden zu können. Aber zwei ganze Tage lang suchte er sie mit hartnäckigem Eifer vergebens. Es war ihm unbegreiflich, warum Serène sich jetzt vor ihm verbarg, da er ihr eine Tochter zuführte, die sie auf das zärtlichste lieben mußte, und da er mit allen Schätzen beladen war, die sie verlangte. Er fürchtete, Dornenblüt möchte Verdacht gegen ihn schöpfen und sich für betrogen halten. Aber die letzten Proben der Aufrichtigkeit seiner Liebe hatten sie vollkommen von aller Eifersucht geheilt, und sie war nurmehr beunruhigt durch die Furcht, vielleicht in die Ungnade einer Mutter gefallen zu sein, die sie noch niemals gesehen hatte und die sich ihrem Anblick zu entziehen schien. Sie ließen sich indes nicht abschrecken und fingen den dritten Tag von neuem an zu suchen, ohne jedoch der Stute zu sagen, wohin sie sie führen sollte. Dieses Tier war mit der Kraft begabt, allenthalben dorthin zu gelangen, wo man ihm hinzugehen befahl, ohne daß irgendein Zauber es aufhalten konnte. Larifari wußte das noch nicht recht, und als er ihm befohlen hatte, sie nach Kaschmir zu führen, so war dies auf eine Eingebung hin geschehen. Aber nichts bedeutete ihm, daß er dasselbe tun müsse, um in den Palast der Fee zu gelangen.
Um diese Zeit schrieb ein Zeitungsschreiber aus einem Landstädtchen, der mit einigen Subalternen der Geheimkanzlei in Briefwechsel stand, an seine Korrespondenten in der Residenz, daß Larifari angekommen sei. Diese unterließen nicht, es den Ministern zu melden, und diese meldeten es dem Kalifen. Der Kalif schickte sogleich Kurier über Kurier an ihn ab, mit der Order, sich sogleich an den Hof zu begeben. Er mußte gehorchen, und Dornenblüt tat alles mögliche, um die Unruhe, die sie von neuem empfand, und die geheimen Ahnungen, die ihrem Herzen irgendein Unglück prophezeiten, vor ihm zu verbergen. Aber es kostete sie viel, ruhig zu scheinen, indes sie sich einer Stadt näherten, in der Prinzessin Sonnenstrahl ihren Geliebten erwartete, um ein Mittel gegen ihr Übel von ihm zu empfangen und ach! um ihn vielleicht dafür zu belohnen. Sie kamen endlich an und wurden im Triumph in die Stadt geleitet. Alles erscholl von dem freudigen Zuruf des Volkes, das den Ruhm Larifaris bis an die Sterne erhob. Jedermann war fest überzeugt, daß der Mann, der dieses gefährliche Abenteuer für das Gemeinwohl und das Wohl der Prinzessin bestanden habe, auch das Heilmittel für sie mitbringen müsse.
Es war Zeit, daß man es bekam. Der Kalif hatte sich eines Tages nach Larifaris Abreise allzulange dem Vergnügen überlassen, seine Tochter zu betrachten. Die Brille war ihm von der Nase gefallen, und ihre schönen Augen hatten dem das Licht geraubt, dem sie das Leben verdankte. Der Seneschall, der in der Tat ein sehr treuer Minister war, war vor Gram darüber gestorben. Seine Frau hatte sich mit der Gunst getröstet, mit der die Prinzessin sie beschenkte. Diese Gunst war so groß, daß sie niemanden mehr mit ihren Blicken tötete, als den, welchem die Seneschallin nicht wohlwollte. Alle diese Veränderungen waren in der kurzen Zeit am Hofe vorgefallen. Aber das war noch nicht alles. Unglücklicherweise war seit kurzem eine gewisse Mohrin angekommen, welche durch die Annehmlichkeiten ihres Geistes die Seneschallin regierte, so wie die Seneschallin die Prinzessin durch die Annehmlichkeiten eines Papageis, der jedermann, der ihn auf den Händen trug, vor den gefährlichen Augen der Prinzessin schützte.
Sogleich als Larifari ankam, rief man den Staatsrat zusammen, und der Kalif, der niemals in seinen Angelegenheiten sehr klargesehen hatte, war jetzt noch weit weniger als jemals imstande, sich damit abzugeben. Er wollte Larifari umarmen, aber ach! er sah ihn nicht. Einige rieten, ihm Bildsäulen errichten zu lassen, andere bestanden auf dem großen und dem kleinen Siegeszug. Der Kalif war alles zufrieden, aber Larifari verbat sich diese Ehrenbezeigungen mit der größten Bescheidenheit. ‚Ach, Sire‘, sagte er, ‚welcher Gegenstand beschäftigt Euch und Euren weisen Rat? In einer Lage wie dieser verdient das, was ich für Euch und den Staat getan habe, nicht derartige Belohnungen. Ist es Zeit, von Belohnung zu reden, ehe mein Geschäft vollendet, ehe die Prinzessin geheilt ist? Ich wage nicht zu sagen, daß in der Eilfertigkeit, mit welcher Eurer Majestät Kuriere mich hierher beordert haben, einiger Mangel an Vorsicht war. Ich wollte in Serènes Hände die Schätze legen, die ich nur für sie entführt habe. Dann hätte ich Euch sogleich das verlangte Mittel gebracht, statt dessen muß ich jetzt wieder umkehren, und man wird vielleicht noch lange Zeit auf mich warten müssen.‘
Der Kalif bat ihn untertänigst um Verzeihung und schob die Schuld auf die Minister. Die Minister schoben sie auf die Prinzessin, welche den Staat regierte, seitdem ihr Vater mit Blindheit geschlagen war, und diese wiederum schob die Schuld auf die Seneschallin, von der sie unumschränkt regiert wurde.
Es wurde beschlossen, daß Larifari sogleich den anderen Morgen mit den Schätzen der Hexe abreisen sollte. Der Kalif verlangte ausdrücklich, daß Dornenblüt diese Nacht bei der Seneschallin zubringen sollte, die das vornehmste Haus nach seinem Palast bewohnte. ‚Ihr seht an meinem Beispiele‘, sagte er zu ihm, ‚daß bei meiner Tochter nicht gut sein ist.‘ Larifari führte sie zu ihr, und die Mohrin bediente sie mit so außerordentlichem Eifer und so vieler Artigkeit, daß sie ganz entzückt davon war. Er wollte nicht einmal in den Palast zurückgehen, um sie nicht wieder zu beunruhigen, und da er sie verlassen mußte, um sich zur morgigen Reise anzuschicken, trieb ihn seine Ungeduld sehr schnell zurück, und er war bald genug mit seinen Vorbereitungen fertig.
Als er wiederkam, fand er Dornenblüt bei dem Porträt der Prinzessin, das er den folgenden Tag mitnehmen sollte. Sie bezeigte ihm ihre Bewunderung über diese außerordentliche Schönheit. Aber diese Bewunderung war mit etwas Unruhe vermischt. Larifari bemerkte es. Er tat alles, um sie zu beruhigen, und sie rechnete sehr auf die Versicherung, die er ihr gab, abzureisen, ohne das Original des Porträts gesehen zu haben.
Die Mohrin entdeckte geschwind genug die Empfindungen, die sie füreinander hegten. Sie teilte der Seneschallin ihre Entdeckung mit, da diese ihr ihre Neigung zu Larifari anvertraut hatte. Noch ehe jene zu Worte kommen konnte, versicherte ihr die Seneschallin, daß ihr Herz einen heftigen Kampf zwischen Liebe und Ehre ausgefochten habe. ‚Ich habe zwar mehr als einmal empfunden‘, sagte sie, ‚daß die Liebe keinen Standesunterschied kennt. Aber bei meinem Rang, den Augen der ganzen Welt ausgesetzt, hat es mich Mühe gekostet, einen Entschluß zu fassen. Ich habe alles reiflich überlegt und habe gefunden, daß eine Seneschallin ihren Stallmeister ohne Bedenken heiraten kann, zumal wenn er mit Ruhm und Ehre gekrönt zurückkommt.‘ Als sie fertig war, gab ihr ihre Vertraute zu verstehen, daß sich ein kleiner Irrtum in ihrer Rechnung finde. Dann legte sie ihr detailliert alle Gründe ihres Verdachtes gegen die schöne Fremde dar. Die Witwe wurde von Eifersucht gepackt. Wenig Witwen waren in ihren Leidenschaften so heftig als sie und wenig Mohrinnen so schwarz als ihre Vertraute. In solchen Händen befand sich die arme Dornenblüt, und das sollte nur allzubald offenbar werden.
Als Larifari den anderen Morgen kam, um sie abzuholen, war er ganz außer sich über den Zustand, in welchem er sie fand. Sie litt unbeschreiblich und gab sich umsonst alle Mühe, ihm zu verbergen, wie sie litt. Er sah die Heftigkeit ihres Schmerzes. Er sah die Gewalt, die sie sich antat. Adieu, Reise! Adieu, Wohl des Staates! Er dachte an nichts als an Hilfe für Dornenblüt, und da er sah, daß ihre Schmerzen sich jeden Augenblick vermehrten, dachte er an nichts, als mit ihr zu sterben. Die Seneschallin genoß in der Verzweiflung ihres Liebhabers und den Qualen ihrer Rivalin das Vergnügen der Rache in langen Zügen.
Der Staatsrat des Kalifen war in der größten Unruhe, als bekannt wurde, daß Larifari nun nicht reisen wollte. Die Mohrin, die an allem Übel schuld war, beschloß, ihm Einhalt zu tun, um Larifari zur Reise zu bewegen. Auf einmal vergingen alle Schmerzen Dornenblüts ebenso geschwind, als sie gekommen waren, aber sie war so schwach und entkräftet, daß sie ihren Geliebten beschwor, dem ungestümen Verlangen des ganzen Hofes nachzugeben und ohne sie abzureisen. Er gehorchte endlich mit Widerwillen und bat sie, die Prinzessin nicht eher zu sehen, als bis er zurückgekommen sei. Er versprach, sie nicht lange warten zu lassen, und reiste endlich nach einem von beiden Seiten zärtlichen Abschied ab.
Dornenblüt hoffte vergeblich, sich zu erholen. Sie fiel einer Entkräftung anheim, die ihre Gesundheit untergrub, sie auszehrte und ihr ganz das frische und muntere Aussehen raubte, dessen Wiederkehr sie so sehnlich vor der Rückkehr ihres Geliebten wünschte. In wenigen Tagen war eine traurige Blässe an die Stelle der schönsten Farbe von der Welt getreten. Auf diese folgte eine gelblichgrüne Farbe, durch welche sie ganz unkenntlich wurde. Eine erschreckende Magerkeit ließ ihren Busen verschwinden, und die vollkommenste Taille ward in ein Skelett verwandelt. Die Seneschallin triumphierte, als sie Dornenblüt in diesem beklagenswürdigen Zustand sah. Ihre Vertraute hatte ihr begreiflich gemacht, daß es ihnen weit mehr Vergnügen machen würde, sie von ihrem Liebhaber verachtet als ihren Tod beweint zu sehen. Sie freuten sich schon im voraus auf diese Szene, und nur diese schönen Grundsätze retteten Dornenblüt das Leben.
Unterdessen sah man die Prinzessin gar nicht mehr, denn man konnte sie nicht ansehen, ohne mit ihrem Papagei bewaffnet zu sein, und sie war in diesen Papagei so närrisch verliebt, daß sie ihn keiner Seele mehr in die Hände gab. Man erzählte Wunder von seiner Schönheit und wenig von seinem Verstande, denn er sprach selten; und wenn er sprach, so waren alle seine Antworten verkehrt. Aber sein Benehmen war allerliebst und seine Manieren höchst galant.
Die Ungeduld kürzte Larifaris Reise ab. Er kam schon wieder zurück, als man ihn kaum auf der Hälfte des Weges glaubte, und brachte ein Mittel gegen alles Böse mit, das die schönsten Augen von der Welt anstifteten. Das Volk drängte sich um ihn her, und eine große Menge folgte ihm bis an das Gemach der Prinzessin. Aber alle blieben zurück, da er hineinging. Er hatte eine Phiole in der Hand, die so groß war als das größte Glas. Sie war aus einem einzigen Diamanten und enthielt eine so glänzende Flüssigkeit, daß die blendenden Augen der Prinzessin selbst so davon geblendet wurden, so daß sie sie schließen mußte. Larifari nutzte diesen Augenblick, um ihr die Schläfen und die Augenlider damit zu bestreichen. Sowie dieses geschehen war, schlug sie die Augen auf. Larifari ließ alle Türen öffnen. Das ganze Volk war Zeuge des Wunders und begleitete es mit lautem Jubelgeschrei. Ihre Augen waren noch ebenso glänzend als sonst, aber man konnte mit so wenig Gefahr hineinsehen, daß ein Kind von einem Jahr sie den ganzen Tag hätte betrachten können, ohne etwas anderes als das lebhafteste Vergnügen dabei zu fühlen. Larifari küßte den Saum ihres Kleides, um ihr ein erstes Kompliment zu machen, und zog sich zurück unter dem Vorwande, dem Kalifen die Nachricht von ihrer Genesung zu bringen. Aber er folgte der Regung seines Herzens, das ihn zu seiner geliebten Dornenblüt trieb.
Die Nachricht von seiner Rückkehr und dem Wunder, das er gewirkt, hatte sich sehr schnell überall verbreitet. Er mußte der Notwendigkeit nachgeben und zu dem Kalifen gehen, zu dem ihn sein Herz gar nicht trieb. Dieser gute Herr wollte vor Freude närrisch werden, daß die Augen seiner Tochter noch ebenso schön waren als sonst und doch niemandem mehr etwas zuleide täten. Als ihm aber Larifari nun gar selbst das Gesicht wiedergab, indem er ihm die Augen bestrich, schien seine Dankbarkeit noch das Übergewicht über seine Freude zu gewinnen. Er warf sich vor ihm nieder, wollte ihm die Füße küssen und dergleichen Extravaganzen mehr, die seiner Majestät weniger Ehre machten als seiner Dankbarkeit. Da er endlich wieder etwas zu sich selbst kam, wollte er ihn auf der Stelle zu seiner Tochter führen, damit heute noch Hochzeit gefeiert werden könnte. In Gegenwart aller seiner Räte versicherte er, er würde sich nicht zufriedengeben, wenn er nicht seinen ganzen Palast voll kleiner Larifaris sähe.«
»Oh, um Gottes willen mit deinen kleinen Larifaris!« rief der Sultan aus. »Ich ergebe mich. Ich habe alle Mühe von der Welt gehabt, dem einen zu widerstehen, aber länger kann ich es nicht aushalten. Du hast gesiegt, Dinarzade. Ich danke dir das Leben deiner Schwester, die ich begnadige und der ich alle meine Zärtlichkeit schenke, die sie um ihrer Reize und ihrer Gelehrsamkeit willen verdient, aber noch mehr um der Schönheit ihrer Märchen willen, mit denen sie mich seit so langer Zeit einschläfert. Geh, Dinarzade, hol den Wesir, deinen Vater. Er soll mir auf der Stelle mein Zepter und das Reichssiegel bringen, damit ich mein Versprechen mit allen erforderlichen Solennitäten bestätige.«
Dinarzade ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie kam mit dem Großwesir zurück, der heiße Tränen vergoß, da er den Gnadenbrief seiner Tochter siegelte. Hierauf stellte er sich ans Ende des kaiserlichen Bettes, machte drei tiefe Bücklinge und nahm ehrerbietig die Bettdecke weg. Die Sultanin sprang heraus auf die Erde, warf sich vor ihrem Herrn nieder und küßte ihm die kleine Zehe am linken Fuß, die er ihr zärtlich hinhielt. Dann erhob er sich ein wenig und berührte nach Landesbrauch zum Zeichen seiner Gnade ihre Nasenspitze dreimal mit dem Zepter.
Nach allen diesen Zeremonien brachten der Wesir und die sittsame Dinarzade die Sultanin wieder zu Bett, zogen die Bettvorhänge zu, und in der Einbildung, daß ihre weitere Gegenwart unnütz sei, machten sie die Türe auf, um fortzugehen, als sie der Sultan zurückrief. »Die Gnade, die ich der Sultanin habe widerfahren lassen, gereut mich zwar nicht«, sprach er, »aber damit in allen meinen Handlungen die Gerechtigkeit mit der Gnade unzertrennlich vereinigt sei, will ich morgen mit Anbruch des Tages den Verräter hängen lassen, der meine Ratschlüsse offenbart. Dinarzade hat das, was über Larifari vorgegangen ist, von niemand anders erfahren können als von ihrem Vater oder ihrem Liebhaber. So mögen also mein Wesir und der Prinz von Trapezunt das Los ziehen, und der Schuldige oder der Unglückliche wird ein gerechtes Opfer der Gesetze des Staates.«
Der Wesir, der den unmenschlichen Charakter seines Herrn kannte, ward bei diesem Befehle so bleich wie der Tod, fiel auf die Knie und nahm den Himmel, die Erde, den großen Propheten und seinen Koran zu Zeugen seiner Unschuld. Aber die mutige Dinarzade war weit entfernt, sich über diese Drohungen zu beunruhigen. »Es wird Eurer Majestät weit leichter«, sagte sie, »Entschlüsse der Grausamkeit zu fassen als Proben Eurer Zärtlichkeit zu geben. Wenn es wahr wäre, daß mein Vater oder der Prinz von Trapezunt die Schuldigen sind, so müßte ich mehr als irgend jemand dabei interessiert sein. Indessen überlasse ich sie alle beide Eurem Zorne in dem Fall, da ich Euch nicht noch vor dem Ende meiner Erzählung das Geständnis abzwinge, daß Ihr selbst und kein anderer Mensch mir das Geheimnis Eures Staatsrates verraten habt und daß, wenn es ein Kapitalverbrechen ist, davon zu reden, Eure Majestät weit eher gehenkt zu werden verdienen als der Wesir oder der Prinz, den es Euch beliebt, meinen Liebhaber zu nennen.«
Der Wesir erblaßte bei diesen kühnen Reden seiner Tochter, aber der gnädige Sultan, der wie aus einem tiefen Schlafe erwachte, legte die Hände zusammen, nahm seine Nachtmütze ab und bat den Mohammed um Verzeihung. Hierauf rieb er Dinarzade, dem Wesir und sich selbst die Nase dreimal mit dem Zepter und versprach, dem schönen Prinzen von Trapezunt morgen desgleichen zu tun. Als die Zeremonien dieser allgemeinen Amnestie vorbei waren, beschwor er die kluge Dinarzade, niemandem zu entdecken, was zwischen ihr und ihm, den Larifari betreffend, vorgegangen sei, und da es erst drei Viertel eins war, befahl er ihr, ihre Geschichte vollends zu endigen, welches sie auch auf folgende Weise tat.
»Die Staatsräte des Kalifen waren im Begriffe, die kleinen Larifaris ebenso das Echo passieren zu lassen, als es mit dem großen geschehen war, aber sie besannen sich zu rechter Zeit, daß er sich dies in einem Artikel seines Traktates ausdrücklich verbeten hatte.
Indes sich der Kalif zur Prinzessin begab, kamen alle, die durch sie erblindet waren, zu Larifari, um sich heilen zu lassen. Die Menge war zwar ansehnlich groß, aber da das Mittel schnell wirkte, war er bald damit fertig. Alles ertönte von Freudengeschrei und Jauchzen, und in dieser allgemeinen Freude war niemand unglücklich als die arme Dornenblüt.
Die Seneschallin hatte sehr bald Nachricht von Larifaris Ankunft bekommen, und sie eilte, sie Dornenblüt mitzuteilen. Zu jeder anderen Zeit hätte sie diese Nachricht mit Entzücken gehört, aber jetzt geriet sie beinahe in Verzweiflung darüber. Noch immer bildete sie sich ein, daß ihre grausame Nebenbuhlerin und deren Vertraute Anteil an ihren Schmerzen nähmen. Sie fiel vor ihnen auf die Knie, sie beschwor sie, sie zu verbergen, daß sie Larifari nicht in diesem Zustand sähe. Sie versprachen es ihr, aber zugleich sagten sie, daß sie es doch nicht vermeiden könnte, den Besuch des Kalifen zu empfangen, der ein großes Verlangen geäußert habe, eine Person zu sehen, die man ihm ebenso schön geschildert hatte als die Prinzessin Sonnenstrahl. Nach diesen Worten fingen sie an, sie zu putzen, um sie noch mehr zu verunstalten. Das arme Mädchen war nur noch Haut und Knochen. Ein fahles Blau hatte das Rosenrot ihrer Wangen und Lippen verdrängt. Das Feuer ihrer Augen war erloschen, und ihre eingefallenen Wangen schienen noch blasser unter dem Kopfputz, den man ihr aufsetzte. In diesem Zustand legten sie sie auf ein kostbares Kanapee, und in dem Augenblick hörten sie ihren Geliebten die Treppe heraufsteigen. Sie versicherten, es sei der Kalif, und ließen sie allein.
Dornenblüt setzte sich aufrecht, um ihn mit mehr Anstand zu empfangen. Statt des Kalifen trat Larifari ein. Sie tat einen Schrei und wendete das Gesicht von ihm ab. Er erstaunte über diesen Empfang, noch mehr aber über die sonderbare Gestalt, die er vor sich sah. Er näherte sich indes, und da sie wieder ein wenig zu sich gekommen war, fragte er sie, wo Dornenblüt sei. Dies war wie ein Donnerschlag für sie. Ihre Kräfte verließen sie, und anstatt zu antworten, verbarg sie ihr Gesicht in einer Ecke des Kanapees. Hier überließ sie sich ihrer Verzweiflung und ihren Tränen.
Larifari wußte nicht, was er von diesem Benehmen denken sollte, und da er keine vernünftige Antwort zu erhalten hoffte, ging er fort, um Dornenblüt zu suchen. Die Seneschallin und die Mohrin sagten ihm ein über das andere Mal, daß er ja eben von ihr käme. Er wurde böse über diesen unzeitigen Scherz, aber was ihn am meisten verdroß, war die fröhliche Manier, mit der sie ihn zum besten zu haben schienen. Er verließ sie voller Verdruß und begab sich nach dem Palaste zurück, wo er zu einem Auftritt ganz anderer Art kam.
Während Larifari mit den schönen Augen der Prinzessin zu tun gehabt hatte, hatte ihr Papagei die Flucht ergriffen. Sie lag am Boden und raufte sich die Haare. Der Kalif und alle seine Höflinge liefen mit Leitern im ganzen Hause umher und suchten auf allen Schränken und Betten, wo er sich etwa versteckt haben könnte. Larifari, der von allem nichts wußte, fragte jedermann nach Dornenblüt, und jedermann fragte ihn nach dem Papagei der Prinzessin. Er glaubte, sie hätten alle den Verstand verloren, und meinte, ihn ebenfalls zu verlieren. Jetzt bekam ihn der Kalif zu Gesicht. Er lief auf ihn zu, und da er glaubte, daß ihm nichts unmöglich sei, bat er ihn unter Tränen, seine Tochter zu beruhigen und ihr den Papagei wieder zu verschaffen. Larifari begriff nicht, wie man irgendeinen anderen Gegenstand der Unruhe haben könnte als er, und statt auf den Kalifen zu hören, sagte er ihm, daß er bei Serène für Dornenblüt habe Bürgschaft leisten müssen, daß er nur unter dieser Bedingung das Mittel gegen alle die Übel bekommen habe, daß er vor allen Dingen Dornenblüt sehen müsse und daß er dann verspreche, den Papagei herbeizuschaffen.
Sonnenstrahl hörte diese tröstlichen Worte, und da sie von einem Manne kamen, der nichts versprach, was er nicht erfüllte, so ward ihr Herz wieder etwas ruhiger. Ihre Reize, die der Schmerz vermindert hatte, kehrten zurück. Sie erinnerte sich Larifaris, dessen, was er für sie getan und was sie ihm versprochen hatte. Sie blieb einige Augenblicke in tiefen Gedanken versunken. Die Erinnerung an ihre erste Neigung, ihr gegebenes Wort und ihre Erkenntlichkeit kamen ihr auf einmal in den Sinn und bestimmten sie zu einem Entschluß. Sie warf sich vor dem Kalifen, ihrem Vater, nieder und bat ihn um die Erlaubnis, sich ihrer Verpflichtungen gegen einen Mann entledigen zu dürfen, der alles, selbst sein Leben, für sie gewagt habe.
Als der Kalif dies hörte, tat er einen Freudensprung, über den der ganze Hof in Erstaunen geriet. Statt seiner Tochter zu antworten, umarmte und küßte er sie mit solchem Ungestüm, daß er sie beinahe erstickt hätte. Er schwor ihr hoch und heilig, daß sie ihm weniger Vergnügen bereitet haben würde, wenn sie einen König von zehn solchen Provinzen wie Kaschmir zum Gemahl gewählt hätte. Hierauf wendete er sich zu seinem neuen Schwiegersohn, um auch ihn zu umarmen und ihm die Hand der schönsten Prinzessin von der Welt anzubieten. Aber er war verschwunden. Umsonst suchte man ihn im ganzen Palaste. Denn sobald er aus einigen Blicken der Prinzessin erraten hatte, was sie willens war zu tun, hatte er sich unter das Volk gemischt und war zur Seneschallin zurückgekehrt. Hier hatte er seine teure Dornenblüt zurückgelassen, und hier mußte er sie wiederfinden oder wenigstens erfahren, was aus ihr geworden war. Er fand sie. Aber o Himmel, in welchem Zustande!
Die Betrachtungen, die sie nach jener schrecklichen Szene angestellt hatte, hemmten zwar ihre Tränen, aber sie waren nicht dazu angetan, ihren Kummer zu stillen. Er hatte sie selbst gefragt, wo Dornenblüt sei. Wie schrecklich verändert muß er seine unglückliche Dornenblüt gefunden haben? sagte sie zu sich selbst. Aber ach! wenn er mich jemals geliebt hätte, würde sein Herz ihm gesagt haben, mit wem er sprach! Ach, er hat mich nur allzugut gekannt, fuhr sie fort. Aber er verabscheut mich, und ich werde ihn nicht wiedersehen. Der Schmerz überwältigte sie in diesem Augenblick. Sie hoffte, es sollte der letzte ihres Lebens sein. Sie nahm die Schreibtafel, in welche Larifari soviel Zärtliches geschrieben hatte. Sie las alles noch einmal durch und schrieb ihr letztes Lebewohl hinein, indem sie ihm ein treues Bild ihres Herzens hinterlassen wollte. Man hat nie etwas Zärtlicheres, nie etwas Rührenderes gelesen.
Alles, was man in einer solchen Lage schreibt, macht einen heftigen Eindruck auf die Seele. Die arme Dornenblüt, die den Regungen eines treuen Herzens folgte, das im Begriffe war zu brechen, sank bei dem letzten Lebewohl, das sie schrieb, ohnmächtig zurück. In diesem Augenblick trat Larifari ins Zimmer. Er erkannte seine Schreibtafel, aber Dornenblüt erkannte er nicht eher, als bis er ihre Abschiedsworte gelesen hatte. Sein Blut erstarrte in seinen Adern. Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß und fand keinen Zug, der ihr glich. Er hielt sie für tot, und in der Tat sah sie aus, als hätte sie schon vierzehn Tage im Grabe gelegen. Endlich trat die Zärtlichkeit an die Stelle des Erstaunens. Das Mitleid kam dazu, und in seiner Verzweiflung drückte er seinen Mund mit der heftigsten Leidenschaft auf ihre kalte und dürre Hand und benetzte sie mit einem Strom von Tränen. Dies allein hielt ihr Leben zurück, das schon im Begriffe war zu entfliehen. Sie schlug die matten Augen auf und sah zu ihren Füßen den Mann, den sie zu sehen wünschte und dessen Anblick sie am meisten fürchtete. Den einzigen, der ihr das Leben süß und den Tod willkommen machen konnte.
Felsen wären durch das, was sie sich sagten, gerührt worden. Er schwor ihr, daß er sie noch mit ebender Leidenschaft liebe, die er für sie empfunden hatte, als sie in allem Glanze ihrer Reize stand, daß, wenn auch ihre Schönheit und ihre Gestalt die Liebe zuerst in sein Herz gepflanzt hätten, ihr Verstand, ihre Güte, ihr ganzes Betragen einen weit stärkeren und dauerhafteren Eindruck auf ihn gemacht hätten und nur der Tod allein imstande sei, ihn von einer Leidenschaft zu heilen, die sein Herz jetzt noch in ihrer ganzen Stärke fühlte. Dornenblüt weinte vor Freude. Sie drückte ihm die Hand zum ersten Male in ihrem Leben, weil sie glaubte, daß es zum letzten Male sei. Sie versicherte ihm, daß sie zufrieden sterbe, nachdem sie so mannigfaltige Proben der seltensten Beständigkeit erhalten habe.
Die Seneschallin unterbrach diese rührende Unterhaltung. Alle ihre Eifersucht erwachte, als sie Larifari zu den Füßen einer Kreatur sah, die ihm, ihrer Erwartung nach, ganz andere Empfindungen einflößen mußte. Sie kam vom Hofe zurück. Man hatte ihr von den gütigen Absichten der Prinzessin auf Larifari und der Freude des Kalifen über diesen Entschluß gesprochen. Sie ergriff die Gelegenheit, ihm in Gegenwart der sterbenden Dornenblüt ihren Glückwunsch dazu zu sagen. Sie wollte ihrem Herzen den letzten Stoß versetzen, aber die plötzliche Regung der Eifersucht, die sie zu Boden schlagen sollte, belebte den kleinen Rest ihrer Kräfte. Ach, sie wußte nicht, was für neue Kränkungen sie erwarteten!
In diesem Augenblick kam die Prinzessin, von dem Kalifen, ihrem Vater, und dem ganzen Hofstaate begleitet. Mit Erstaunen sah sie Larifari zu den Füßen eines Geschöpfes, das eher gemacht schien, Furcht als Liebe einzuflößen; aber mit noch größerem Erstaunen sah Dornenblüt die Prinzessin, deren Schönheit alles übertraf, was man ihr davon gesagt hatte. Jetzt schwanden die wenigen Kräfte, die ihr noch geblieben waren, und ihre Festigkeit verließ sie. Ihre Augen blieben einige Zeit auf Sonnenstrahl geheftet, sahen dann noch einmal ihren Geliebten an und schlossen sich auf ewig. Larifari stieß einen Schrei aus, daß alle Höflinge zitterten und die Prinzessin selbst gerührt ward. Dem Kalifen blieb er nicht unbemerkt. ‚Der Schrei hat nichts zu bedeuten‘, sagte er, um seine Tochter zu beruhigen. ‚Du wirst sehen, daß das Gerippe da eine alte Verwandte ist, die er beklagt. Man muß das schon um der Verwandtschaft willen tun! … Nun, Larifari?‘ fuhr er fort, indem er sich zu ihm wendete, ‚die Augen abgewischt! So ein Aufhebens zu machen um der Mumie willen! Ich dächte, so etwas vergeht, wenn einem das Königreich Kaschmir und Sonnenstrahls Hand angeboten wird.‘ Ich weiß nicht, was andere auf eine Rede dieser Art geantwortet hätten. Larifari antwortete keine Silbe, und die ganze Gesellschaft hielt ihn für tot wie Dornenblüt.
Indem trat die Mohrin ins Zimmer. Sie schien Dornenblüts Tod zu beklagen. Sie nahm Anteil an Larifaris Schmerzen, und als sie die Verlegenheit des Kalifen sah, riet sie ihm, den Leichnam fortzutragen und auf der Stelle verbrennen zu lassen, wenn er eine vernünftige Antwort von Larifari haben wollte. Seitdem dieses Weib über die Seneschallin herrschte, hatte man ihre Ratschläge für Orakel angesehen, und man zögerte keinen Augenblick, auch den gegenwärtigen Rat zu befolgen. Larifari widersetzte sich vergebens dieser Trennung. Man riß ihn von dem geliebten Leichnam weg, errichtete einen Scheiterhaufen mitten auf dem Hof des Palastes und legte Dornenblüt darauf. Larifari meinte, wahnsinnig zu werden vor Schmerz. Man führte ihn hinweg, ohne auf sein Geschrei und seine Tränen zu achten.
Der Kalif befahl, einer Person, an welcher sein künftiger Schwiegersohn so großen Anteil nahm, alle mögliche Ehre zu erzeigen und ließ Fackeln von den köstlichsten Harzen austeilen, seiner Tochter eine, jedem Minister eine und dann allen anderen Herren vom Hofe. Dann hob er die seinige mit folgenden Worten in die Höhe: ‚Möge es den Göttern gefallen‘, sprach er, ‚daß mein Schwiegersohn Larifari selbst Zeuge dieser Zeremonie wäre! Wenn er doch selbst sähe, wie ehrenvoll der Leichnam dieses Frauenzimmers verbrannt wird! Ich bin überzeugt, es würde ihm Vergnügen machen.‘ Bei diesen Worten wollte er den Scheiterhaufen an allen vier Ecken in Brand stecken, als die Luft von einer Harmonie widerhallte und einige Augenblicke darauf die weise Serène auf der Stute Klingklang erschien.
Ihre Ankunft erzeugte die mannigfaltigsten Gemütsbewegungen in der Versammlung: den König hielt sie in seinem Eifer zurück, die Höflinge erfüllte sie mit Respekt gegen eine Person, die etwas Erhabenes in ihrem Wesen hatte, Sonnenstrahl stieß einen Freudenschrei aus, denn ihr Papagei saß auf der Hand der Fee. Die Seneschallin aber war so bestürzt, daß man gewiß gesehen hätte, wie sie die Farbe veränderte, wenn ihr Gesicht ungeschminkt gewesen wäre. Ihre Vertraute sah sich vergebens nach allen Seiten um, ob sie irgendwie entkommen könnte. Sie sah bald, daß für sie keine Hoffnung auf Rettung war.