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Märchenbasar

Iskender

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Der grüne Vogel reckte sich hoch, erkannte das, was er zu sehen erwartet hatte, und rief den schlafenden Knaben aus dem Traum: „Erwache, Iskender, mein Schach*, den das Schiff, das uns bestimmt ist, naht schon, und weiterhin wirst du sehen, was du sehen wirst. Erwache!“ Iskender hob sogleich den leuchtenden Haarschopf aus der Kiste, sah sich um, erblickte rings das so geliebte Meer und seine Weite und über sich schützend den großen grünen Vogel. Erstreckte ihm wieder die Arme entgegen und rief froh: „Wie wunderbar ist es, dich wiederzusehen, mein schöner, grüner Freund! Schon hatte ich einen Herzschlag lang Angst, ich hätte dich nur geträumt!“ Der Vogel rieb seinen Kopf an der Wange des Knaben und sagte mit dem leisen Singen seiner Stimme: „Habe niemals Angst, denn dann wirst du die Kraft verlieren. Und sieh dort das Schiff, das in der Morgen sonne leuchtet…wir werden uns nähern, und es wird dich aufnehmen. Habe auch dann niemals Angst und wisse, ich bin bei dir, immer bei dir, Iskender, mein Schach.“ Und wie der Vogel gesagt hatte, so geschah es. Die Kiste trieb nah und näher an das Schiff heran, und als sie gesichtet werden konnte, rief der grüne Vogel leise: „Schließ den Deckel und sei ohne Sorge!“ Iskender gehorchte und lauschte begierig, was sich nun weiter begeben würde. Auf dem Schiff, das den stolzen Namen „Ispahan“ trug, war inzwischen die Kiste gesichtet worden, und der Matrose, der sie entdeckt hatte, begab sich eifrig zum Steuermann und wies auf das in den Wellen treibende Ding, das so auffällig von Vögeln umschwirrt wurde. „Seht, Herr, wäre es nicht klug, diese Kiste an Bord zu nehmen und ihren Inhalt zu prüfen? Wer weiß, sie könnte von einem Wrack stammen, was meinst du?“
Der Steuermann gab zu bedenken, , daß die vielen Vögel, die um die Kiste flögen, darauf hindeuteten, daß sich etwas in ihr befinde, was vielleicht schon verdorbene Nahrungsmittel seien, und daß es besser wäre, sie schwimmen zu lassen. Aber der Kapitän, der hinzu kam, fand, man solle doch wenigstens prüfen, worum es sich handle, und so wurde denn mittels ausgeworfener Stricke und Enterhaken die Kiste an Bord gehievt, wobei Iskender sich eisern festhalten mußte, um nicht hilflos hin und her geworfen zu werden. Den Deckel hatte er innen zugeklemmt; aber als das Wackeln seiner Behausung aufhörte und ein Stoß vermuten ließ, daß die Kiste auf Deck stünde, hob er ihn vorsichtig hoch und spähte hinaus. Er sah einige Männer um sich stehen, die erschreckt und nahezu erschreckt zurück wichen, als sich der Deckel hob und ein leuchtender Haarschopf sichtbar wurde. Ausrufe erklangen, solche des Staunens und des Schreckens wie auch des Unwillens, denn diese Seeleute hatten gehofft, etwas von Wert in der treibenden Kiste zu finden, nicht aber einen für sie wert – und nutzlosen Knaben, wie sie annahmen. Doch ehe sie irgend etwas unternehmen konnten, wichen sie noch weiter zurück, und den wilden Söhnen des Meeres ward kalt vor Schrecken, als sich ein großer grüner Vogel am Rand der offenen Kiste niederließ. Iskender umfaßte seines Freundes Hals und schwang sich aus dem engen Raum heraus, stand mit einem Satz mit dem grünen Vogel an Deck. „Ein Ifrit und sein Begleiter! Seht nur das Haar – und wie der Vogel neben ihm steht…laßt sie beide ins Meer werfen, so schnell wie möglich, denn sie bringen Unheil!“

So sprachen die Seeleute zueinander, und während sie erregt redeten, sagte leise der grüne Vogel einiges zu Iskender. Der wandte sich an die Männer und erklärte heiter: „wenn ihr uns ins Meer werft, so wird mein Freund fliegen und mich mitnehmen, wir ertrinken nicht. Aber er sagt vorher, ihr möget doch mehr westlich fahren, dann werdet ihr einer starken Bö ausweichen, die euch Schaden bringen könnte. Doch werde ich noch die Möwen für euch befragen, so seid ihr doppelt sicher.“ Und Iskender hob die Arme, rief leise lockend, wie er es am heimischen Strand immer getan hatte, die Möwen herbei; sie ließen sich ihm auf Schultern und Armen nieder, begannen aufgeregt zu rufen. „Ja, ja, ich verstehe, es ist schon recht“, sagte er beruhigend, warf sie hoch und wandte sich an die Männer. „Sie sagen das gleiche. Wollt ihr nicht versuchen zu tun, was euch geraten wird? Und wenn es nicht stimmt, könnt ihr mich immer noch mit meinem grünen Freunde fortwerfen…wie ist es?“ Hier nun geschah es, daß der Kapitän, der bisher schweigend alles beobachtet hatte, den Steuermann zu sich heranwinkte, zugleich den leisen Befehl gab, daß ein anderer indessen das Rad versorgte. Er zog den Mann etwas abseits und sagte kaum hörbar: „Erkennst du, was sich uns hier bietet, mein Freund? Wollten wir nicht rechtszeitig zum Sklavenmarkt nach Djidda kommen, und sind wir nicht ohne jeden Sklaven zur Stunde, haben keine Ware, nichts, was wir anbieten könnten? Hier aber, dieser Knabe…er versteht die Vogelsprache…erkennst du, was sich uns bietet?“ Der Steuermann sahen seinen Kapitän und Freund, mit dem er nun nach Jahrzehnten die Meere auf Sklavenjagd befuhr, verblüfft an, schlug sich auf die Schenkel, bog sich in wilder Heiterkeit tief zusammen, rief allerlei Beschwörungsworte und konnte sich kaum fassen. „Hör auf, sie schauen auf uns, sei still!“ mahnte der Kapitän, „Achte auf, was ich nun sagen werde!“
Er begab sich zu dem Haufen unentschlossener Seeleute und bemerkte ruhig: „Wir wollen sehen. ob dieser und seine Vögel wahr gesagt haben, und beidrehen, wie sie uns raten. Danach dann werden wir weiterhin entscheiden. Inzwischen gebt dem Knaben Speise und Trank und behandelt ihn gut, denn vielleicht ist er, wenn auch ein Ifrit, so doch für uns von Nutzen. Tut nach meinem Willen, sonst trifft euch harte Strafe.“ damit wandte er sich ab, und den Seeleuten blieb nichts als zu gehorchen. So kam es, daß Iskender auf dem Sklavenhändlerschiff zwar mit Scheu, aber doch auch mit pfleglicher Sorgfalt behandelt wurde. Er aß und trank, was ihm gereicht wurde, und reckte seine jungen, kraftvollen Glieder nach der mühseligen Verrenkung in der Kiste. Alles auf diesem großen Schiff betrachtete er und blickte immer wieder zu der Mastspitze hinauf, auf der sein grüner Vogel saß und in der Sonne leuchtete, als bestehe er aus lauteren Smaragden. Mißtrauisch hatte der Steuermann den neuen Kurs angesegelt; aber als nun aus heiterem Morgenhimmel eine Bö herangesaust kam, die dunkel und drohend dahinfegte und alle Segel zerrissen haben würde, wenn der alte Kurs beibehalten wäre, da änderte sich mit einem Schlage alles. Der Kapitän kam aus seiner Kajüte, holte selbst Iskender herbei, war nahezu zärtlich zu ihm und ließ sich berichten, woher er komme und wie denn das mit den Vögeln und ihm sei. Dazu fütterte er den Knaben mit allerlei erlesenen Süßigkeiten, wie sie in solcher Vollendung nur in den Gegenständen hergestellt werden, wo viele Rosen wachsen, wenngleich niemand zu sagen vermag, was diese zweierlei Dinge miteinander zu tun haben. Man denke nun nicht etwa, daß dieses Verhalten des Kapitäns der Gutherzigkeit entsprungen sei, denn wie kann ein Sklavenverkäufer gutherzig sein? Das geht ebensowenig zusammen wie Gewitter und sanfte Zephirlüfte. Aber dem Knaben war ein Gedanke gekommen, dessen Ausführung mit einem Schlage seine Reise, die bisher ganz unglücklich gewesen war, zur Gewinnbringendsten wandeln konnte, die er noch nie getan hatte. Dieser Gedanke war sein Wissen um das furchtbare Mißgeschick, das den Herrscher betroffen hatte, der nicht weit von Djidda in seinem Serail lebte und litt.

Wenn es also gelang, mit diesem günstigen Winde, der sie zu treiben schein wie eine stoßende Hand, noch rechtzeitig zum größten aller Sklavenmärkte zu gelangen, so war alles gerettet. Dafür mußte dieser kostbare Knabe gehegt und gepflegt werden, und weder ihm noch seinem grünen Vogel durfte es an irgend etwas fehlen. Welch ein Kismet, Maschallah, welch ein übertrefflich gewaltiges Kismet! So geschah es, daß Iskender an Bord dieses Sklavenschiffes eine herrliche Zeit hatte, denn als die Seeleute erfuhren, um was es ginge, gab es keinen, der sich nicht bemühte, dem in Wahrheit kostbaren Knaben die Stunden auf See zu verkürzen und ihm jeden Gefallen zu erweisen, den sie nur ersinnen konnten. Sie fütterten auch mit Sorgfalt seinen grünen Vogel, der immer wider Hinweise über Wind und Wellen gab, die Iskender dann mitteilte, so daß diese Fahrt des Sklavenschiffes so vorging, als werde der Kiel auf Samt von Syrien weitergeschoben und als umwehten die „Ispahan“ nur jene liebliche Düfte, die eben dieses Land in kostbaren Wohlgerüchen erzeugt. Um noch ein übriges zu tun, hatte der Kapitän veranlaßt, daß der Schneider an Bord für den Ifrit – Knaben, wie sie alle Iskender nannten, ein schönes und kostbares kleines Gewand herstellte. Das Leinentuch, des Fischersohnes einzige Bekleidung, wurde ersetzt durch eine richtige Kleidung; denn an Bord dieses Schiffes befanden sich vielerlei verbogener Schätze aller Art. Da ward zunächst ein Hemd aus weichster Seide von Brussa hergestellt, dazu eine prächtige Hose aus rotem Samt, ein grünes Jäckchen mit Goldstickerei kam hinzu und ein gelber Mantel nach Art eines Burnus*, wieder aus Brussa – Seide. Die leuchtenden Haare aber waren verdeckt von einer Kufiah*, deren Enden weit am Rücken herabhingen und so den Knaben größer erschienen ließen. All das aber erfreute Iskender nicht sehr, denn er war gewohnt, an seinem nackten, schlanken Körper die Liebkosung der Himmelswinde zu spüren, und kaum ließ man ihn frei, so lief er wieder nur mit dem Lendentuch bekleidet, glücklich überall herum.

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