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Märchenbasar

Iskender

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Für jetzt aber war es so, wie wir schon sagten, daß von Iskenders Geist alles Wissen aufgesogen ward gleich dem dürstenden Erdreich, das lang ersehnter Regen trifft, und daß auch das eintrat, was Hadj Mehmed erwähnt hatte: er lernte von dem, der die Sprache der Vögel verstand, und diesem weiten und starken Geist eines Gläubigen wurden Fernen eröffnet, davon er nichts geahnt hatte. So bildeten diese zwei eine Gemeinschaft, als lebten sie auf einer Insel zusammen, und das erregte und oftmals unsaubere Brandungswasser der höfischen Welt erreichte sie nicht. Indessen war es geschehen, daß jener Kämmerer, der Iskender auffand, sich so stetig in die Gunst des Sultans hineingearbeitet hatte, daß der Herrscher ihn bedenkenlos zum Großverzier ernannte.
Der ränkevolle Mann hatte damit sein Ziel erreicht, und nun ging es ihm darum, den, den er noch immer den Ifrit nannte, in seine Pläne mit einzubeziehen. Er fing es klug an oder glaubte wenigstens, es zu tun, indem er Iskender bei dem nächsten Kommen der Zugvögel fragte, was er von diesen aus den fernen Landen erfahren habe und wie es vor allem in Arabistan stehe? Iskender, der den Tieren Fragen stellte, deren Sinn nichts mit dem zu tun hatte, was der Kämmerer anstrebte, antwortete, daß Arabistan das Land alles Wissens sei und daß er nur eine Sehnsucht kenne, dorthin zu gelangen. Geärgert über so viel Torheit, erwiderte der Kämmerer, daß es damit ja keine Schwierigkeiten geben werde, da Iskender jederzeit von seinem Vogel dorthin getragen werden könne. Der Knabe sah den Mann an, als habe der ihm das Wunder der sieben Säulen verkündet, strahlte auf und jubelte: »Du hast recht, o mein Freund, wie sehr du recht hast!«, wonach er sogleich zum Sultan eilte, bei dem er zu jeder Zeit Zutritt hatte. Er rief voll hoher Freude: »0 Herr, da ist mir von den Zugvögeln ein herrlicher Gedanke eingegeben worden… Arabistan! Sie sagen, es ist das Land des Wissens, und sie sagen, daß dort, woher sie kommen und wo es kalte Winde gibt, nicht so viel Wissen lebt wie in Arabistan. Willst du mich hinlassen, Herr? Mich und den grünen Vogel, der mich tragen wird?« Der Sultan betrachtete gedankenvoll den Knaben, der ihm nun schon bis zur Schulter reichte, der, schlank und stark, schon fast ein Jüngling geworden war. »Du willst uns verlassen, Iskender, mich und Hadj Mehmed? Was sollen wir ohne dich tun, mein Sohn?« Iskender strich sanft über den Ärmel des Sultans, liebkoste die schwere Seide und sagte leise: »Ich verlasse dich niemals, geliebter Herr, und Hadj Mehmed vergesse ich nicht. Aber Arabistan und sein Wissen! 0 bedenke, Herr: ich kann das stolzeste Pferd zähmen; ich treffe mit meinem Pfeil das fernste Ziel; ich kann die Lanze werfen, als sei sie eine Feder; aber was ist das alles? Das kann auch ein Pferdeknecht, so er seine Kräfte richtig anwendet. Doch was, Herr, macht den Herrscher aus… ist es nicht Wissen? Mehr Wissen als die zu besitzen, die er beherrschen soll? Du nennst mich deinen Sohn; so laß es mich ganz werden, ganz deiner würdig sein, o mein Sultan.« Der goldfarbene Kopf neigte sich, und die Stirn Iskenders legte sich auf des Sultans Schulter, mit dieser Gebärde der Ergebenheit alle Liebe und allen Gehorsam ausdrückend, die ihn beseelten. Des Sultans Hand, die früher die rötlichen Locken so gerne gezaust hatte, strich nun sanft darüber hin und über den gesenkten Kopf fort murmelte er: »Du sollst deinen Willen haben, mein Sohn; denn du hast recht. So flieg denn hin mit deinem grünen Freunde, ich weiß, er wird dich beschützen, daß du ungefährdet zu mir zurückkehrst, du mein Stolz und meine Freude.« Leicht, leicht wie die Luft! Nur seinen Bogen über dem Rücken, den Köcher im Gürtel, nur einen federleichten Burnus umgeschlungen, so saß Iskender auf des grünen Vogels Rücken. »Reich mir die Hand, Arabistan !« jubelte er, als der Flug begann, und dann ward es ein ganz wundersames Erleben. Denn es war die Zeit, da die Zugvögel aus dem Norden herbeikamen, die Sonne zu suchen, und bald war ein gewaltiger Schwarm um den großen grünen Vogel und Iskender, und Rufe erklangen, fragende Rufe, die im scharfen Flugwinde nicht immer leicht zu beantworten waren. Aber die Stimme des Grünen war stark, und Iskender schwieg meist, um stärker genießen zu können. Leicht, herrlich leicht wie die Luft fühlte er sich, frei und glückselig, und als der Ruf der Vögel sagte, dort unten, was mit Kuppeln und weißem Gestein glänzte, das sei das Ziel, da rief Iskenders helle Stimme wieder: »Reich mir die Hand, Arabistan!« Und langsam sank der grüne Vogel herab. Sanft landete er auf einem Innenhof, daran kenntlich, daß er rings von Bogengängen in drei Stockwerken umgeben war. Iskender stand mit gespreizten Beinen über seinem grünen Freund und sah sich um; leise sagte er, sich zu des Vogels Kopf herabbeugend: »Wohin, o mein Freund, hast du mich gebracht, und wo sind wir hier?«

Der Vogel schüttelte sich, um anzuzeigen, daß Iskender sich freimachen solle von ihm, und sagte kaum vernehmlich: »Hof des Serails, wo die Scheich-Zadehs aller Länder lernen. Schieß einen Pfeil ab auf jene Kupferschale hin, dann wird man herbeikommen, beeile dich.« Iskender bemerkte erst jetzt die große, an einer Säule aufgehängte Kupferschale, spannte seinen Bogen und schoß einen Pfeil genau in ihre Mitte ab. Es gab einen schwingenden Ton, und nahezu gleichzeitig füllten sich die Säulengänge aller drei Stockwerke mit schlanken Jünglingsgestalten in allen Arten der Landeskleidungen. Köpfe beugten sich herab, Rufe erklangen in vielerlei Landessprachen, und Iskender blickte voll erstaunten Fragens und heiterer Anteilnahme von einem zum anderen. Da vernahm er das leise singende Geräusch der Stimme seines grünen Vogels: »Der zuerst dir entgegenkommt, auf ihn achte; Osman ist sein Name.« Leise und fragend wiederholte Iskender diesen Namen, der einstmals der seine gewesen war; da löste sich schon eine Gestalt von denen, die auf dem niedersten Säulengang standen, kam die wenigen Stufen herab und auf Iskender zu. Ein schlanker Jüngling, dunkel, mit dem schmalen, bleichen Gesicht des edlen Persers, schritt langsam herbei, blieb vor Iskender stehen und sagte: »Sei gegrüßt, o Freund und Fremdling! Du kamst auf dem großen Vogel fliegend, ich weiß es, denn ich sah dich zur Nacht im Traume und wußte, du kämst zu mir, o Iskender… sei gegrüßt, mein Freund!« Von diesen Worten verstand Iskender nahezu nichts, denn das edle Persisch, darin sie gesprochen wurden, war ihm noch fremd, und doch wußte er, was sie bedeuteten. Als sich der Jüngling mit auf der Brust gekreuzten Armen vor ihm neigte, tat Iskender das gleiche und gab leise zur Antwort: »Sei mir gegrüßt, mein Freund Osman.« Dann standen sie und schauten sich an, und in beiden jungen Gesichtern lebte ein strahlendes Lächeln auf, das Lächeln des Erkennens. Sie sahen sich zum ersten Male, wußten aber dennoch, daß sie Freunde waren, kannten sich, ohne sich zu kennen, und vermochten sich beim Namen zu nennen. Während sie noch so standen, einer in des anderen Anblick versunken, eilten die anderen Jünglinge voll Neugier herbei, umringten sie und fuhren erschreckt auseinander, als sich der grüne Vogel rauschend aus ihrer Mitte erhob und sich auf des Säulenhofes höchster Brüstung niederließ. Hie und da verstand Iskender ein Wort all der vielen Ausrufe der Jünglinge, und er bemühte sich Antwort zu geben auf die Fragen nach seiner Heimat, seinem Vogel und seinem Namen. Unerwartete Hilfe ward ihm von Osman, der sich neben ihn stellte und den Namen Iskender immer wiederholte, auch den des Landes, über das der Sultan herrschte und das nun Iskenders Heimat war. Ein Geschehen wie ein Wunder! In ein fremdes Land unter fremde Menschen kam er, und ein Freund war da, der alles über ihn wußte und für ihn sprach, ein Freund von zarter und schmächtiger Gestalt, dessen feine Züge fast die eines Mädchens hätten sein können, würden sie nicht so in Klugheit und geistiger Freiheit geleuchtet haben. Ein Freund! Welch ein atemraubend schöner Gedanke! Zum ersten Male ein Freund seines Alters und seiner Art. Ohne daß er sich dessen bewußt wurde, verließ Iskenders Blick keinen Atemzug lang das sprechende Antlitz des Jünglings Osman, und dann stahl sich seine Hand leise und geheim in des anderen Hand, deren Finger sich auch sogleich um die seinen schlossen. Merkwürdig war es, wie gleich zu Beginn die zwei so beisammen standen, sie allein auf einer Seite, alle anderen Jünglinge fragend und forschend vor ihnen. Und so auch blieb es durch alle die Jahre, die für Iskender die Welten der Freundschaft und des Wissens erschlossen. Er und Osman waren wie ein Mensch, wie der, der er einstmals hatte werden sollen dem Namen nach, und wie der, der er geworden war dem Kismet nach. Osman, der Sohn des Padischah von Ispahan, und Iskender, der Sohn des Sultans von Yemen, so waren sie bekannt. Leicht lernte Osman, leicht auch Iskender, doch vermochte der Schechzadeh von. Ispahan kein Held zu werden mit Pfeil und Bogen, keiner mit dem Schwert, und so war ihm allerhand Spott gewohnt. Das änderte sich mit dem Kommen Iskenders. War irgendein Wettbewerb im Gange, sei es mit welcher Waffe immer, so stand Iskender hinter dem Freunde, und sein scharfer Hieb, sein sicherer Wurf waren so schnell, daß niemand sehen konnte, nicht Osman habe gezielt, nicht Osman den Arm gehoben, sondern jener rotgoldne Wunderknabe, der Herr des grünen Vogels. Osman, nach Geist und Welt der Vorstellungen ein Dichter, wurde auch vom Los des Dichters betroffen, der Liebe zu verfallen. In einem zweiten Säulenhofe, dem gleich, darin die Jünglinge lebten, hausten die Frauen und Töchter des Padischah von Arabistan, und eine von diesen Mädchen war es, die des jungen Osman Seele entzündete. Er hatte sie nur verstohlen einmal gesehen, nicht sie, nur ihre Hand, die den Schleier enger um ihre Gestalt legte, und das war geschehen, als ein Pferd seiner weichen Hand nicht gehorchte und in jenen verbotenen Säulenhof gestürmt war. Da war ein leiser Schreckensruf erklungen, und jene Gebärde der scheuen Verborgenheit hatte des Jünglings Sinne entzündet.

Gedichte entstanden, und der sie mit anhören mußte, war Iskender. Er saß geduldig am Boden neben seinem Freunde, schnitzelte an einem Pfeil herum oder spitzte ein Schreibrohr und verstand von dem schwingenden Rausch der Sprache der Dichtkunst nur, daß sein Freund dieses Mädchen ersehnte. Er selbst konnte das zwar nicht begreifen, denn ihm bedeuteten Frauen gar nichts; aber wenn es seinen Freund beglückte, dann mußte es irgendwie geschafft werden, daß die in den Dichtungen seufzenden Sehnsüchte gestillt wurden. Der Sinn Iskenders, des Jünglings, war immer noch wie der des Knaben: was geschehen mußte, das sollte gleich in Angriff genommen werden. So tat er etwas ganz Einfaches, er vertraute sich dem Lehrer an, der ihm der klügste von allen Hodjas zu sein schien. Dem trefflichen Mann entfiel fast sein Tesbieh vor Staunen, als dieser seltsame Schechzadeh mit der fremdartigen Haarfarbe, der seine Worte der Gelehrsamkeit auftrank wie die Blüte den Tau, ihm einfach sagte: »Herr, mein Freund Osman, der Schechzadeh von Ispahan, hat seine Neigung einem Mädchen aus dem Harem des Padischah geschenkt. Ich weiß nicht, welche es ist, er weiß es auch nicht, doch geschah es auf diese Art.. . « Und nun folgte eine klare Schilderung des Vorfalls. »Kannst du mir sagen, Herr, wie man durch die Dienerschaft herausfinden könnte, welche der Töchter des Herrschers dieses Mädchen war, und dann später anfragen, ob der erhabene Herr sie meinem Freunde zum Ehegemahl zu geben geneigt wäre ?« Der Hodja war entsetzt und erschreckt; aber Iskender, der inzwischen einiges gelernt hatte von der Menschenbehandlung, wußte ihn zu überzeugen, indem er wie aus Versehen neben ihm zu Boden einen der Edelsteine fallen ließ, die sein ihm vom Sultan mitgegebenes Besitztum ausmachten. Danach dann gedieh die Sache schnell zur Reife, wenn auch an verschiedene Diener noch Edelsteine verteilt werden mußten. Es kam ein Abend, da Iskender seinem völlig überraschten Freunde sagte: »Osman, geliebter Freund, wenn die Dunkelheit gesunken ist, wirst du im Säulenhofe des Haremlik zu der zweiten Säulenreihe hinaufsteigen, und dort wirst du jene finden, der du deine Dichtungen geweiht hast. Sie heißt Kerimeh und ist des Padischah zehnte Tochter, auch sein Liebling, wie ich erfuhr.« Osman starrte den Freund mehr entsetzt als erfreut an; denn es ist etwas anderes, einen Gegenstand ferner Verehrung im milden Nebel dichterischen Sehnens anzubeten als sich plötzlich der Wirklichkeit gegenüber zu sehen. So mußte es Iskender zu seinem maßlosen Staunen erleben, daß er den begeisterten Dichter Osman noch zu überreden hatte, seine so oft geäußerte Sehnsucht nun zu stillen.

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