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Märchenbasar

Iskender

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Iskender streichelte das weiche grüne Gefieder, erhob sich und ging auf den Kiösk zu, der zwischen den Bäumen sichtbar wurde. Ein wenig scheu kam er näher, spähte vorsichtig umher, sah die Tür des Kiösk weit offenstehen und hörte eine müde, matte Stimme halblaut sprechen, sah aber niemanden. Die Stimme des Unsichtbaren sagte voll klagender Trauer: „ Allah, aman Allah, auch der Ärmste an den Straßen der Welt hat ein Recht auf deine Gabe, das Wasser … warum nur ich nicht, Allah?“ Iskenders warmes junges Herz presste sich schmerzhaft vor lauter Mitleid zusammen, und er wäre gleich hingelaufen, den Klagenden zu trösten, wenn der grüne Vogel, der neben ihm saß, ihn nicht zurückgehalten hätte, indem er sich mit dem Schnabel fest in die rote Samthose verbiß. Das war deutlich und so entschloß sich der kleine Mensch gehorsam zu warten, schlich aber doch näher, um einen Blick auf den zu erhaschen, der soeben gesprochen hatte. War das der Sultan? Und ließ man ihn hier so allein mit seinem Leid? Wie konnte so etwas geschehen? Iskender wusste noch nicht, dass an Höfen nur der gilt, Macht besitzt nicht aber der, dem sie entgleitet, sei er auch der Herrscher selbst. Die Höflinge hatten sich längst dahin geeinigt, dass sie den geschlagenen Mann nur gelegentlich aufsuchen, zumal er nunmehr so schwach war, dass sie alle mit seinem nahen Ableben rechneten. Wozu sich da noch bemühen? Es brachte ja keinen Gewinn mehr. Und so blieb er allein, sich und seiner Pein überlassen, dieser Sultan, der ein mächtiger Herrscher gewesen war.

Ratlos und bedrückt stand Iskender dort, vermochte aber ein bleiches Gesicht zu erkennen, das wahrhaft erschreckend elend und abgezehrt aussah. Er sah auch, wie eine schwache, zitternde Hand sich ausstreckte und nach einem Becher tastete, der wohl mit Wasser gefüllt sein mochte, und in diesem Augenblick war Flügelrauschen zu vernehmen und zwischen den Bäumen ward ein Schwarm schwarzer Vögel sichtbar. „ Sie kommen, aman Allah, sie kommen wieder!“ klang die matte Stimme klagend auf, und da brausten sie schon in das Innere des Kiösk hinein. Jetzt aber ließ sich Iskender nicht mehr halten, und der Vogelfreund hielt ihn nicht mehr zurück, flatterte aber neben ihm auf die Vögel zu. Einwildes Geschrei erhob sich und sie stießen nieder auf den rotgoldenen Kopf, umflatterten heftig kreischend die kleine Gestalt, doch ehe sie Iskender etwas tun konnten, war der grüne Vogel schon zwischen ihnen und rief ihnen vielerlei zu, das sie zum Verstummen brachte. Iskender aber hatte die Hände und Arme gehoben und stieß seine Lockrufe aus, die sonst den Möwen galten und da ward Ruhe. Dann kamen die großen schwarzen Vögel nahe und näher, ließen sich auf des Knaben Armen nieder, bis Iskender auflachte und rief : „ Oh, ihr seid mir zu schwer, ich kann euch so nicht halten! Laßt mich niedersitzen, und wir werden miteinander sprechen; kommt herbei, kommt zu mir, meine dunklen Freunde!“
Er ließ sich auf dem nieder, und die Vögel saßen um ihn herum, schnatterten, riefen, schienen sehr erregt zu sein, und immer wieder kam das gleiche Wort vor, vielmehr der gleiche Vogellaut, der gerufen, geschrien und mit Flügelschlagen begleitet wurde. Iskender hob die Hände, und die Vögel schwiegen, saßen still um ihn, der grüne Vogel in ihrer Mitte. „ Meine Freund“, sagte Iskender zu ihm, „ ich verstehe nicht, was dieser eine Laut bedeutet; mir scheint, es ist ein Name, ein besonderer für irgendein Ding!“

Ich bitte dich, frage sie nach diesem Laut, denn immer wenn sie es sagen, dieses eine Wort werden sie wild. Und finde, ich bitte dich, was es mit jenem Armen dort drinnen zu tun hat.“ Der große grüne Vogel rief einige hohe Laute, und die schwarzen Vögel kamen nahe zu ihm. Wieder und wieder erklang der Iskender fremde Laut, und endlich dann sprach der grüne Freund zu ihm. „ Du hast recht, mein Schach, es ist der Name einer Krone, die sie zu bewachen bestimmt sind, dieser Laut, den sie rufen. Die Krone gehörte einem gewaltigen, der einstmals in ihrer Heimat einen Serail besaß, in welchem sie Schutz fanden. Als er zu seinem letzten Kampf auszog, befahl er ihnen, diese Krone, die Juwel genannt wird, zu bewachen, bis er wiederkomme oder aber einer, dessen Haupt wie einen Juwel leuchte, an seiner Statt erscheine – dem sei sie zu geben. Nun aber hat ein Feldherr dieses Sultans hier ihnen die Krone geraubt, und um ihretwillen ist es, dass sie den peinigen, der anscheinend den Raub befahl. Das ist alles. Haben sie ihr Juwel wieder, so lassen sie diesen Sultan in Frieden leben. „ Iskender hörte gesenkten Kopf zu, fragte jetzt zweierlei: „Wollt ihr, meine schwarzen Freunde, mir erlauben, den Sultan zu befragen nach eurer Krone? Und gewährt ihr mir, dass ich ihm erst einen Trunk Wasser reichen darf?“ Wild war das Geschrei, das sich erhob aber Iskender hob wieder die Hand und fragte in das Verstummen hinein: „ Ist dem Boten kein Lohn gewährt? Und wenn ich dürstete, dürfte ich nicht trinken, o ihr freien Herrscher der Lüfte?“ –der grüne Vogel erhob seine Stimme, und Iskender wartete. Dann drehte sein Freund den grünen Kopf zu ihm hin und rief leise: „ Es ward gewährt“

Iskender erhob sich und glitt in den Kiösk hinein, still, wie es ein Lichtstrahl tun würde. „ Herr“´, sagte er zu dem abgezehrten Manne, der ihn mit angstvoll fragenden Blicken betrachtete, „ –ich komme, dir einen Trunk Wassers zu reichen – ja, ganz gewiß, einen Trunk köstlichen Wassers. Hier sehe ich den Krug und hier den Becher. Hier sehe ich den Krug und hier den Becher. Laß mich dir helfen, Herr, und trink, du kannst es ihne Bangen tun.“ Zwei schwere Tränen rannen über die bleichen Wangen, und die matte Stimme sagte: „ Bote der Gnade, sei gesegnet.“ Dann trank der Sultan zum ersten Male seit langen Zeiten, so voller Andacht, so voll Genuß reinster Art, wie der Verschmachtende das geheiligte Naß zu sich nimmt. Lächelnd sank er zurück. „ Und jetzt Herr, da du gelabt bist, sollst du wissen, warum dich diese Vögel plagten und was sie von dir begehren. Du aber wirst mir sagen, wo ich das finden kann, was sie zu holen kamen. Wenn sie ihr geraubtes Eigentum zurückerhalten, werden sie sich in Frieden genesen lassen.“ Vorgeneigt, mit großen, ungläubig das Wunder anstarrenden Augen, schaute der Sultan auf diesen aus dem Nichts zu ihm gekommenen Knaben mit dem Sonnenhaar, der seinen qualvollen Durst gelöscht hatte. Er versuchte, alles zu verstehen, was ihm gesagt wurde von Kronen Feldherren und Raub; aber er war so schrecklich ermattet, dass er Iskenders Bericht kaum zu fassen vermochte. Nur das wiederholte er wieder und wieder und wieder: „ Ich weiß von keiner Krone, von keinem Raub und keinem Feldherren. Ich gab keinen Auftrag und erhielt nichts. Frage den Großverzier, Wunderknabe, nur er vermag alles klarzustellen.“

Danach verließen den geschwächten Mann die Kräfte, und er sank zurück in einen tiefen Schlaf vollkommener Erschöpfung. Iskender sah ihn mitleidig an, war aber ratlos wie er sich weiter verhalten sollte. Die schwarzen Vögel saßen wartend dort und unter ihnen sein großer grüner Freund; zu ihm ging Iskender, berichtete, was der Sultan gesagt hatte, und schlug den schwarzen Vögeln vor, ehe etwa Genaues über den Verbleib der Krone zu erfahren sei, ihre Aufmerksamkeit dem Großverzier zuzuwenden, denn dieser Unglückliche dort im Kiösk wisse offenbar von nichts. „Habt ihr noch nie vernommen, dass Diener ihre Herren betrügen, meine schwarzen Freunde? Glaubt ihr nicht, dass etwas gestohlen werden konnte, das der behielt, der es stahl, und wollt ihr nicht versuchen, nun den heimzusuchen, der ein Dieb sein könnte?“ Die Vögel umflatterten Iskender unruhig, riefen: „ Weisheit aus so jungem Munde? Woher, o goldner Knabe, ward sie dir?“ Iskender hätte keine Antwort geben können, erhielt aber nach kurzem Hin und Her das Versprechen, dass die schwarzen Vögel den Sultan für die Dauer von vierzig Tagen verschonen und indessen den Großverzier prüfend heimsuchen wollten. Zufrieden mit diesem Ergebnis, aber ganz unsicher, was er nun tun solle, wandte sich Iskender zum Gehen und sah im gleichen Augenblicke, in dem die dunklen Vögel sich erhoben und davonflogen, eine Menge von Männern aus allen Seitenwegen des Gartens daherkommen, voran den Kämmerer, der ihn geholt hatte. Sie kamen auf ihn zu voll Scheu, Bangen und Ehrfurcht, verneigten sich und standen dort, so als wüssten sie nicht, wie sie sich verhalten sollten. Iskender jedoch, der Scheu und Bangen nicht kannte, ging auf den Kämmerer zu, sagte:“ Herr, der Sultan schläft, nachdem er sich erquickte. Würdest du, Herr, dem Sultan Nahrung bringen lassen und erfrischende Getränke? Wenn er erwacht und die Diener haben indessen alles für ihn hergerichtet, wird er wissen, dass alle Qual vorbei ist. Ist es dir so genehm, Herr?“ Der Kämmerer sah herab auf den Knaben, der so vernünftigt redete, blickte auf den großen grünen Vogel, der nahe bei ihm saß, und glaubte weiterhin an Ifrite, was er sich auch späterhin niemals abstreiten ließ. „ Wie du gesagt hast, soll es geschehen“, sagt er nur und gab den Dienern seine Befehle. Anderen wieder trug er auf, die vereinbarte Summe an Mahmoud Ali zu bringen und Hassan, dessen Diener, ehrend zu behandeln, wenn sie ihn zurückgeleiten mit dem Gelde. Soweit so gut. Was aber mit diesem kleinen Ifrit tun? Wie sich ihm gegenüber verhalten? Wohin ihn bringen? –diese –Schwierigkeit löste Iskender selbst. Als die Diener nach allen Seiten auseinandergelaufen waren und er mit dem Kämmerer allein blieb, sagte er leise und eindringlich:“ Herr willst du mir erlauben, für jetzt, bis er sich ganz erholt hat, bei dem Sultan zu bleiben? Ich werde am Boden schlafen und meinen Freund auf dem Dach des Kiösk; so werde ich Tag und Nacht den Sultan bedienen können, bis er ganz genesen ist. Willst du es mir erlauben Herr? Ich allein kann ihn vor der Furcht bewahren, die dunklen Vögel könnten wiederkommen; ist es nicht so, Herr?“

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