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Märchenbasar

Iskender

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So kam endlich der neunte Tag dieser Reise, die sicher die schnellste gewesen war, die jemals ein Sklavensegler zurücklegte, und die Kuppeln von Djidda wurden schon ferne sichtbar. Der Kapitän holte sich den Knaben, nahm ihn zu sich in die Kajüte, stellte ihn zwischen seine Kniee und sagte ernsthaft: „Mein kleiner Ifrit, sind wir gut zu dir gewesen, sprich?“ Iskender sah ihn mit den seltsamen Grauaugen an, sagte auch ganz ernst: Sehr gut; aber ich weiß nicht warum?“ Der Kapitän lachte ein wenig, und wäre Iskender älter gewesen, so hätte er an diesem Lachen den Mann erkannt, dem er so dankbar war, aber nicht vertraute. „Warum? Das sollst du hören, und wenn du ein kleiner Ifrit bist, wirst du dein Glück machen. Vernimm also: Wir kommen jetzt an einen Platz, da ist ein Sultan, der kann seit vielen Jahren nichts essen und nichts trinken. Der Armen vergeht trotz Macht und Reichtum in Elend, Hunger und Durst; denn sowie er eine Speise anrührt oder einen Trunk zu sich nehmen will, stürzen sich viele schwarze Vögel auf ihn und entreißen ihm das, was er berührte, beschmutzen und zerfressen es, und er muß hungern und dürsten. Es sind alle ‚Weisen unserer Lande schon herbeigerufen worden, um ihm zu helfen oder doch herauszufinden, was es mit den Vögeln auf sich hat; aber keiner war, der etwas zu tun oder erkennen vermochte. Verstehst du mich, kleiner Ifrit?“ Iskender hatte aufmerksam zugehört, und die großen Augen verließen keinen Herzschlag das Gesicht des Kapitäns. Jetzt nickte er eifrig, sagte einfach: „Und nun bringst du mich hin,, damit ich dem Sultan helfe, weil ich die Vögel fragen kann, warum sie das tun…ist es nicht so?“ In seiner Freude über das nun sichere Gelingen seines klugen Planes zog der Kapitän den Jungen an sich und sagte ernsthaft: „So ist es mein Knabe. Und das ist es, was du als Dank tun kannst, nur das.“ Iskender sah den Kapitän an und sagte ganz leise, aus einer ihm selbst noch nicht erkenntlichen Tiefe heraus: „So bist du also doch ein guter Mensch!“ Der Kapitän, seltsam zu vermeiden, ertrug den tiefen Blick der grauen Knabenaugen nicht, er wandte sich ab. Aber der Klang dieser wenigen Worte blieb in seinem Inneren haften, und es gab Zeiten in seinem weiteren bewegte Leben, da er diese Worte wieder in sich klingen hörte und eins oder das andere unterließ, was er sonst so bedenken los getan hätte. „Seltsam ist es nicht so? Für jetzt antwortete er nur: „Wer weiß das, mein kleiner Ifrit?“ Und damit war diese Besprechung beendet. Iskender ließ sich später widerspruchslos in die beengenden Gewänder kleiden, und der grüne Vogel kam herab von seiner Mastspitze, saß dicht neben dem Knaben, als das große Schiff den Anker fallen ließ. Dann wurde die lange Gangplanke auf die weit ins Meer hinaus gelagerten Steine gelegt und dem Kapitän in seiner Festtagskleidung, zusammen mit dem Steuermann, der auch prächtig hergerichtet war, führten Iskender an Land. Kaum setzten sie den Fuß auf festen Boden, als sich dem bekannten Sklavenhändler auch schon diejenigen entgegenwarfen, die er zu Beliefern pflegte. Aufgeregt redeten sie auf ihn ein, der zunächst nicht zu Worte kam, und mit zornigen Ausrufen erklangen von allen Seiten. „Das ist alles, was du bringst?“ – Was sollen wir denn mit diesem aufgeputzten Spielzeug beginnen?“ „Hast du den Verstand verloren zusammen mit deinem Gelde?“ Doch plötzlich verstummt das Gerede und das Gefrage, denn über Iskender kreiste der große grüne Vogel und alle schauten erschrocken und in Scheu zu ihm hinauf. In dieser Stille hinein sagte der Kapitän: „Laßt mich durch zu Mahmoud Ali, ihm bringe ich etwas, nur ihm.“ Sie gaben Raum, denn der Name des großen Sklavenverkäufers, den anspruchvollsten, des reichsten und gesehensten, wirkte wie ein Zauberwort. Murmeln erhob sich, und alles fragte sich, und alles fragte sich, was es wohl mit dem Knaben auf sich habe, über dem der seltsame Vogel kreise? Unbehelligt konnte der Kapitän jetzt seinen Weg zum Zelte des Mahmoud Ali nehmen. Er überließ der Obhut des Steuermannes mit einem bedeutungsvollen Blick den Knaben und verschwand im Inneren, Aber es dauerte kaum die Zeit, „Maschallah!“ zu sagen. da stürzte mit allen Zeichen der Erregung, der sonst so undurchdringliche große Händler hervor, schrie erregt: „Wo ist Hassan? Man suche Hassan! Man finde ein Pferd für Hassan! Es muß schnelle sein wie der Wind, und seine Hufe werden mit Gold bestrichen werden! Ist dieses der Knabe? Aferim, wie schön er ist!m Hassan!“ Schon stürzte der so heftig Gerufene herbei, und von einer anderen Seite her wurde das Pferd gebracht. Der Kapitän und der Steuermann standen mir gelassenem Lächeln dabei und sahen ruhig zu, wie Hassan in das Zelt des Mahmoud Ali gerissen wurde, um nach kürzester Zeit wieder hinausgestoßen werden. Einen scheuen Blick warf er auf den Knaben zwischen den beiden Männern, sprang dann vom Boden aus auf das Pferd und war schon in einer Staubwolke verschwunden. Ganz heiter und gelassen bei dem allen blieb nur Iskender; er blickte manchmal hinauf, wo sein grüner Freund sich auf die Spitze von Mahmouds Zelt niedergelassen hatte, und dann versank er wieder in eine freudige Ruhe. Er dachte an den Sultan, dem er so leicht würde helfen können, und hoffte, dann auch nicht mehr bei dem Kapitän bleiben zu müssen, dem er tief mißtraute. Er wandte sich jetzt an ihn und fragte: „Wann können wir zu dem Sultan gelangen, ich und mein Freund?“ Freundlich und gelassen wurde ihm Auskunft. „Du sahst den Boden soeben abreiten; ich bin sicher, man wird dich alsbald holen.“ Dieser Hassan, der Bote, der das geduldige Pferd fast zuschande ritt, langte in höchster Erregung beim Serail des Sultans an. Er wurde am Eingang aufgehalten, doch hatte er von Mahmoud die er für solche Fälle nötigen Überzeugungsmittel in Gestalt von goldenen Zechinen* erhalten, und so glückte es ihm nach kurzer Zeit, vor den Geheimkämmerer des Sultans zu gelangen, Der war zunächst versucht, ihn für einen Irren zu halten dem Bericht gemäß, den er atemlos gab; aber nach kurzer Zeit sagte sich der kluge und verschlagene Mann, daß Mahmoud Ali, dessen Ruf allgemein bekannt war, es sich nicht leisten konnte, die höchsten Würdenträger zum besten zu haben, und so gab seufzend den Befehl, ihm ein Pferd zu satteln. „Du weißt, daß du hindert Stockhiebe zu gewärtigen hast, du Bote, wenn das, was du berichtest, nicht der Wahrheit entsprichst?“ fragte übelgelaunt der Kämmerer, dem es durchaus nicht behagte, daß er sich in Lärm und Staub des Sklavenmarktes geben sollte. Hasssan verbeugte sich schweigend, den auch ihm war bei der ganzen Sache nichts weniger als wohl.

So warteten sie gemeinsam vor dem Portal des Serails, bis die Pferde vorgeführt wurden und der Kämmerer befahl, noch ein reiterloses Pferd mitzuführen für den kleinen Betrüger, wie er bei sich dachte. Dann aber brachte auch ihn die Neugier, und sie brausten alle zusammen dahin, daß die, welche sie vorbeistieben sahen, erschrocken glaubten, die Diener des Sultans seien einem Übeltäter auf der Spur. Von weitem schon kündigte sich schon das Nahen der Reiter durch das Donnern der Hufe auf dem harten Boden an, und Mahmoud eilte aus seinem Zelte herbei, wo er inzwischen mit dem Kapitän handelseins geworden war. Sie waren beide noch atemlos, denn es war das größte Geschäft ihres Lebens, das sich anbahnte, und die Erregung, die sonst immer sorgfältig verborgen worden wurde, ließ sich hier nicht verheimlichen. Der Kapitän war dennoch der Ruhigere von beiden und sagte auch jetzt, da sie die schon vom Serail schon heransprangen sahen, nur halblaut: „Es bleibt dabei: Hassan wird mitreiten und zurückkehren, uns zu berichten, was geschah. Dann erst ist die Zahlung fällig, aber dann sogleich, den ich möchte noch heute wieder in See gehen. Ist es dir so angenehm, Mahmoud Ali?“ Der nickte nur und sah gespannt dem Kämmerer und seinen Leuten entgegen. Der hohe Würdenträger stieg nicht ab, winkte nur den Sklavenhändler herbei. „Was ist das für eine Lügengeschichte, die du mir vermelden ließest, Mahmoud Ali? Ein Knabe, der die Vogelsprache versteht? Wo ist er?“ Eine helle Stimme sah zu dem Fragenden auf: Hier, Herr!“ Und der Kämmerer schaute zum ersten Male in die Augen von Iskender, ein Geschehen, das er niemals vergessen sollte. Jetzt sah er aber zunächst nur das aufgeputzte Bürschchen da unten stehen, und der Zorn wollte schon ihm aufsteigen, daß man ihn für solche Spielerei herangesprengt hatte. Schon hob er die Reitpeitsche, um den Lästigen Knaben zu verjagen, da fegte aus der Luft her ein großer, grüner Vogel, desgleich er noch nie erblickt hatte, herab und schlug mit seinem scharfen Schnabel die Hand, die den Reitstab hielt, nieder. Erschrocken sprang des Kämmerers Pferd zu Seite, und die Diener, die hinter dem hohen Beamten hielten, hatten alle Mühe, ihre Tiere zu bändigen. In dieses Durcheinander klang ein helles Lachen, und die Kinderstimme rief: „Mein grüner Freund, wie kannst du diese guten Leute so erschrecken? Sieh nur, wie die Pferde sich fürchten – es sind doch Pferde, ja? Ich sah noch niemals welche, aber ich kenne sie dennoch. Nimmst du mich mit, Herr, damit ich dem Sultan aus seinem Elend heraushelfe? Es wird ganz leicht sein und schnell gehen, wenn wir so rechtzeitig kommen, die Vögel anzutreffen. Wollen wir jetzt nicht hin? Er tut mir so leid. der Sultan.“ Der Kämmerer war jetzt völlig verwirrt und kam sich vor, als sei er in das Reich der Djinnen geraten und nicht mitten in einen Sklavenmarkt. Er strich an seiner verletzten Hand entlang und sah hinauf auf die kleine bunte Gestalt, schaute wider in die seltsamen Augen, wußte nicht, was er tun sollte, fühlte nur, es mußte schnell etwas geschehen, denn schon waren sie der Mittelpunkt eine immer anwachsenden Menschenhaufens. Entschlossen wandte er sich zu Mahmoud Ali: „Dieser ist klein zum Reiten, schaffe schnellstens eine Sänfte herbei. Dein Diener und einer meinen geleiten die Sänfte mit dem Kinde. Ich reite voran. Habt gut acht auf alles.“ Ohne zu grüßen, war der Kämmerer schon davon und hatte die tiefen Verneigungen des Händlers und des Kapitäns nicht einmal bemerkt. In der Hast wurden dann die Sänfte sowie zwei der schnellsten Läufer zum Tragen beschafft, und mit zärtlicher Sorgfalt wurde Iskender in das köstliche Innere des kleinen Gehäuses gehoben. Als sich die Läufer in Bewegung setzten, ließ sich der große grüne Vogel auf dem Dach der Sänfte nieder, und in dieser Art hielt Iskender seinen Einzug in das Serail des Sultans. Der Kämmerer hatte inzwischen Befehl gegeben, den Knaben sogleich, wenn er anlange, in die großen Gärten des Serails zu führen und ihn dort nahe dem Kiösk, in den sich der Sultan zurückgezogen hatte, seit ihn das schreckliche Ungemach verfolgte. In der Sänfte hatte sich Iskender die Kufiah vom Kopfe gestreift und auch den Burnus von sich geworfen; denn in der Enge des kleinen Raumes hatte ihn seine vielen Kleider allzusehr bedrückt. Daher leuchtete, als er ausstieg, sein rotgoldenes Haar wie eine Flamme über seine Stirn, und die Diener, die ihn durch lange Gänge des Serails führten, um dann mit ihm in die weiten Gärten zu gelangen, sahen scheu und verwundert zu diesem seltsamen Knaben hin. Kaum verließen sie das Serail, als auch der große grüne Vogel, der auf dem Dach der Sänfte gesessen hatte, wieder über dem Knaben schwebte, und all diese Wunderlichkeiten waren die Diener nicht gewachsen. Zwar fürchteten sie sich vor der Strafe, wenn sie den erhaltenen Befehl mißachteten; mehr aber noch fürchteten sie diesen fremdartigen Knaben und seine Begleiter. So kam es, daß an jedem Seitenwege einer der Diener verschwand, bis endlich keiner mehr blieb und Iskender mit seinem Freunde allein war. Er ließ sich auf dem Boden einer Zypresse nieder und rief seinen Freund neben sich: „Führe du mich jetzt zu dem armen Sultan, mein Freund und Beschützer, und sieh zu, daß wir die schwarzen Vögel bald finden, willst du?“ Der grüne Vogel rieb seinen Kopf an Iskenders Wange und sagte in seiner leise singenden Weise: „Da ist schon das Dach des Raumes, darin sich der Sultan befindet, beuge dich ein wenig vor, siehst du es? Sie werden bald kommen, die dunklen Brüder, und wir werden alles von ihm erfahren. Komm, geh weiter, o mein Schach.“

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