Er hatte, um sich des fremden Namens zu erinnern, die Augen geschlossen, nun blickte er wieder zu dem Derwisch auf, und dem stand das Herz fast still vor der Tiefe diesen Blickes und dem Klang des wunderbaren Namens. Erlegte die eine Hand auf das rötliche Lockenhaar des Knaben, den er mit dem anderen Arm fest umschlossen hielt, und sagte, indem er in eine nur ihm sichtbare Ferne schaute: „Iskender, o herrlicher Name eines großen und weltweiten Herrschers, dessen Reich vom Untergang bis zum Aufgang reicht und der alle Fernen vereinen wird! Iskender du Großer, vor dem sich die Völker beugen werden – und du wirst deinen Fuß dennoch nicht auf ihren Nacken setzen. Gesegnte ich, der ich Iskender schauen und erkennen durfte…Ya Allah.“ Während dieser sehr langsam und leise in großen Zwischenräumen gesprochenen Sätze war der Knabe an der Schulter des heiligen Mannes in einen seltsamen Halbtraum verfallen und hatte keines dieser seherischen Worte mehr vernommen. Anders die Mutter; sie stand lauschend am Vorhang, der das Vorgemach von den inneren Räumen trennte, und jetzt stürzte sie hervor, warf sich nieder vor den Derwisch, hob die Hände hoch und stammelte flehend: „Herr, Herr, welch schreckliche Worte hast du gesprochen! Von einem Herrscher und von dem fremden Namen… dieser mein Sohn und der eines Fischers, meines Ehemannes… o Herr, was soll das besagen?“ Dem Derwisch aber hatte sich das Vermögen der Vorschau auch schon verwischt, und er antwortete nur noch leise: „Dein Ehemann und du, Frau, ihr werdet euch gleich allen Menschen vor diesem hier beugen müssen… so und nicht anders will es das Kismet*.“ Die Frau sagte nichts mehr, trocknete des Derwischs noch unversorgten Fuß und bediente ihn ehrfürchtig, bis er am nächsten Tage seines Weges weiterzog. Ihm trug sie nichts nach, doch der Unvernunft gemäß, die vielen Frauen eigen ist, ließ sie das Geschehen den Knaben büßen. Bitter und hart wurde sie zu ihm, und es kam ein Tag, an dem sie seinen Anblick nicht mehr zu ertragen vermochte. Ihr Ehemann, der Fischer, hatte keine guten Tage, denn von abends bis in die Nacht und wieder vom Abend bis zum Morgen lag ihm die Frau in den Ohren. „Willst du das ertragen, dass wir uns vor unserem eigenen Kinde beugen müssen? Das ist nicht Allahs Willen, das darf nicht geschehen. Schaffe ihn fort, diesen Knaben, der uns nicht gleicht, schlafe den Ifrit fort!“ So lange redete sie und schalt sie, bis endlich der Fischer es nicht mehr ertrug, und als ein Jahr nach des Derwischs Besuch vergangen war, stimmte er seinem törichten und angstgeplagten Weibe zu. Doch die Ausführung bedingte er sich als die seine allein aus. Wolle die Frau sich einmischen, so tue er nichts mehr, gar nichts. Und sie fügte sich, denn auch sie warmer ganzen Pein herzlich müde.
Der Fischer nun hatte es immer gerne gesehen, wenn der Knabe so still am Strande saß, umschwirrt von allen Vögeln des Meeres. Ihm wollte es zwar auch scheinen, als sei dieser sein Sohn nicht wie andere Kinder und als wolle es das Kismet des elfsamen Knaben nicht anders, als dass er aus der kleinen Enge dieses Lebens eines Fischers hinausgelange. Würden vielleicht die Vögel, die des Kindes Diener zu sein schienen, ihm Schutz und Hilfe gewähren? Solcherart stellte sich der Fischer alles selbst dar, um das Unrecht, das er auf Begehren seines Weibes zu begehen im Begriffe stand, vor sich zu entschuldigen. Er begann das Ganze sehr klug und schlau, wie er glaubte. Eines Tages, als der Knabe wieder von seinen Vögeln umschwirrt war, kam der Fischer heran, wo der Kleine abseits saß, und sagte freundlich: „Sage mein Sohn, würdest du nicht, von den Vögeln begleitet, gerne eine Fahrt auf dem weiten Meere machen?“ Helles Entzücken antwortet dieser Frage, und die Vögel gerieten in höchster Erregung, riefen ihre schrillen Möwenschreie und zwitscherten mit den feinen Stimmen der Seeschwalben allerlei durcheinander. „Was sagen deine Vögel, sind sie einverstanden?“ fragte der Fischer. O Pederim, sie sagen, endlich ist es soweit, und du sollst alles bereiten, ehe die großen Herbststürme anheben, sagen sie.“ Der Fischer nickte sein Einverständnis und begann mit der geplanten Arbeit. Er hatte schon eine feste Kiste beschafft, die staute er innen mit Stroh und weichen Decken aus, versah sie auch mit Taschen, darein ein Trinkgefäß und Eßvorräte verwahrte, und sorgte für einen festen Deckel, der von innen beweglich und zu öffnen war. Als alles fertig war, fragte er seine Frau, ob sie von ihrem Sohne Abschied nehmen wolle; doch das verblendete Weib wollte nichts, gar nichts mit dem allen zu tun haben und begab sich zu einem Besuch bei ihrer entfernt wohnenden Schwester fort, feige und voller Bangen, nun nach ihrem Wunsch gehandelt werden sollte. So holte der Fischer den Knaben und wußte ihm das Ganze als Abenteuer darzustellen. Aber er hätte sich gar nicht zu bemühen brauchen, denn der Knabe fürchtete sich nicht, wusste er sich doch von seinen Vögeln beschützt.
Voll freudiger Gelassenheit kletterte er in die sorgfältig vorbereitende Kiste, die unmittelbar am Ufer des Meeres stand und leise von den trägen Wellen umspült
wurde. Nun es so weit war und seines Sohnes leuchtender Kopf aus der Kistenöffnung hervorragte, schlug dem Fischer doch das Herz vor Bangen, und er rief erschreckt, angstvoll: „Nicht, nicht, o mein Kind, nicht fort von hier!“ Da aber erfaßte eine größere Welle die Kiste und sie trieb in das Meer hinaus. Der Knabe klammerte sich lachend an den Rand der oberen Öffnung, um das Ducken mitzumachen, und im nächsten Augenblicke hatte die Welle die Kiste schon ein ganzes Stück weit hinausgetragen. Vögelumflattert segelte sie auf den Wellen dahin, und die höher steigende Sonne umspielte sie mit Licht, so daß des Knaben helles Haar aufstrahlte. Der Fischer, von Reue und Bangen gepeinigt, wollte nun sein Boot losmachen und die Kiste zurückholen; doch hatte das Boot sich losgerissen und trieb weit draußen. Hilflos stand er dort, und dann sah er, wie aus der Bahn der Sonne hervor ein großer grüner Vogel niederschwebte, auf weiten Schwingen sich spähend eine kleine Welle hielt und dann auf die schwimmende Kiste niederschoß. War es ein Raubvogel, der dem Knaben etwas antun würde? Aber nein! Der grüne Vogel ließ sich auf der Kiste nieder, und der Fischer konnte noch erkennen, daß der Knabe sich hochreckte und nach dem Vogel griff. Er sah, wie das rotgoldene Haar sich ich in das grüne Gefieder schmiegte, und geblendet von so vielerlei Glänzen schloß der Fischer die Augen. Als er sie wider öffnete, konnte er nichts mehr von der Kiste sehen, nur noch ferne einen Vogelschwarm zu unterscheiden. „Er ist doch ein Ifrit, das Weib hatte recht“, murmelte der Mann, wandte sich ab und ging seiner Arbeit nach, gewiß, daß der Wille des Kismet nunmehr erfüllt worden sei. Und damit hatte er recht.
Iskender aber in seiner über die Wogen schaukelnden Kiste war vollkommen glücklich. Dieser schöne, grüne Vogel, dessen Gefieder in der Sonne glitzerte, hatte sogleich zu ihm gesprochen, will heißen, der Knabe hatte verstanden, was der Vogel in seiner Art mit den Lauten seiner Vogelrufe sagte, und das war so schön und trostreich, daß es wohl glücklich machen konnte.!“ „Endlich, o mein Iskender, ist die Stunde gekommen, auf die ich schon lange warte, die, da ich mit dir beisammmen sein kann, dein Leben zu teilen, dir Freund und Helfer zu sein, du, der das helle Licht auf dem Haupte trägt. Wir werden gemeinsam alles Ungemach überwinden, und von diesen deinen goldenen Haaren wird dir keines beschädigt werden, solange ich bei dir sein darf. Ist es dir recht so, Iskender?“ Der Knabe jubelte, legte seinen Kopf an des grünen Vogels Brust, und um sie beide schwirrte das Gevögel der Meere in erregtem hin und Herr und steten Freudenrufen. Als die Nacht kam, hockte der grüne Vogel oben auf dem Rand des Kistendeckels und ermahnte den Knaben leise, der Ruhe zu pflegen, denn er sei wohl behütet und beschützt. Iskender rollte sich in der weich ausgepolsterten Kiste wie ein Jungtier zusammen und schlief sogleich, mit einem Gefühl glücklicher Sicherheit, wie er es solcherart noch nie kennen gelernt hatte. Der Nachtwind blieb milde, und die Kiste schaukelte gemächlich weiter über die Wellen dahin. Bei Morgengrauen waren sie nicht mehr allein auf dem Meere, vielmehr zeichnete sich am Horizont ein Segel ab, und bald wurden die Mastspitzen eines großen Segels sichtbar.