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Iskender

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Alghina war zu allem bereit, das wußte Sami, und würde es um so freudiger sein, wenn sie nicht gezwungen wurde, eine Scheinehe einzugehen mit dem Verhaßten. Sinnen hieß es, nachsinnen — war man nicht diesem hellfarbigen Toren vielfach überlegen an Klugheit, Witz und Mut? Nur nachsinnen, es mußte einen Weg geben. Nun ist es, wie ein jeder weiß, mit dem Kismet eine besondere Sache. Sei es noch so günstig, schenke es noch so viele Freuden — wie der Tag, über dessen Helle manchmal Wolken ziehen, kann es und will es nicht immer gleich licht sein. Der, dem das Kismet dient, soll erweisen, welcher Art er ist, und je höher seine Berufung, desto größer wird auch die Last sein, die ihm auferlegt wird. Trägt er sie und kann trotzdem noch lachen, so zeigt er, welch hoher Taten er fähig ist; bricht er aber zusammen, so war er seiner Bestimmung nicht wert. Darum ist das, was manch einer Leid und Kummer nennt, nichts anderes als eine Frage des Kismet, die besagt: »Bist du es, den ich meine?« Und die Antwort muß klar kenntlich werden. Die Werkzeuge, welche das Kismet verwendet, sind nicht immer scharf geschliffene Waffen, nein, öfter stumpfe und schartige, rostbeladene alte Geräte. Sollte man sich darob beschweren und beklagen? Nein, man soll vielmehr stolz sein, an dem Druck der auferlegten Lasten den Grad der nachfolgenden Befreiung zu ermessen. So und nicht anders war es bestellt um das dunkle Kismet, das sich nunmehr an Iskender erfüllte. Einfach und leicht geschah es alles, wie es bestimmt war, und weil der Bestimmung nicht zu entgehen ist, vermochte auch hier der grüne Vogel nicht zu helfen, ja, nicht einmal zu ahnen, was geschehen sollte. Sami, gewiß, daß es noch viele derer gab, die des toten Verziers Anhänger waren und den hellen Ifrit haßten, wußte sie zu finden und sich ihrer zu versichern. Als er sie ausgesandt hatte, alle, die im Lande verstreut waren, zusammenzurufen, und diese Freunde unter dem Vorwand daherkamen, einen heiligen Mann zu verehren, der ihre Stadt aufsuchen sollte, da setzte er den Tag und die Stunde des Handelns fest. Die Männer hatten ein kleine Lager vor der Stadt bezogen und verbrachten ihre Zeit angeblich mit frommen Übungen, bis der heilige Derwisch zu ihnen käme. Zu gleicher Zeit hatte Sami zu verbreiten gewußt, daß ein besonders edles Wild in den Abendstunden seinen Wechsel nahe einer Quelle habe, die in einstündigem Ritt zu erreichen sei. Es war ihm bekannt, daß der Sultan und Iskender es bevorzugten, allein miteinander auf die Jagd zu gehen, und ihr Gefolge stets am Waldessaum zurückließen. Auf all dieses bauend, hatte er nur zwei Dinge zu tun: er mußte sich an einer Stelle befinden, von der aus sein sicherer Pfeil unfehlbar traf, und zugleich mußte Alghina, unkenntlich verhüllt, mit dem vorbereiteten Saft zur Stelle sein. Seine Leute, die angeblichen Pilger, würden in der Zwischenzeit das Gefolge erledigen, und dann war die Macht in seinen Händen. Alghina war etwas zweifelhaft wegen dieses Saftes gewesen und hatte gefragt, warum denn Sami nicht einen zweiten Pfeil abschießen wolle, das sei doch viel einfacher und schneller. Da hatte Sami gelacht und erwidert: »Eben zu einfach und zu schnell. Der helle Ifrit soll leiden, ehe er vernichtet wird, nicht aber so schnell und leicht sterben, nein, das nicht. Frage nicht weiter, tu, was ich dir befahl.« Da gab es nichts zu fragen, nur zu gehorchen. Und so brach der Tag an, der des Sultans letzter sein sollte. Mit freudigem Eifer hatte er von der Nähe des seltenen Wildes vernommen und genoß den herbstlichen Tag mit größter Freudigkeit. »Wie schön ist das Leben, seit du wieder bei mir bist, mein Sohn Iskender, und wie freue ich mich darauf, mit dir in der Frische des Abends heute zur Jagd zu reiten! Wir lassen die Pferde beim Gefolge und schleichen uns zur Quelle… o mein Sohn, seit du aus dem Nichts auftauchtest, hast du mir zweimal das Leben geschenkt, ist es nicht die verkehrte Welt zwischen uns zweien? Du der Gebende, ich der Nehmende… sei dein Weg immer gesegnet, mein geliebter Sohn Iskender! Schweigend und ein wenig bedrückt hörte Iskender diese Worte, denn er war von denen, die frei geben und es nicht lieben, wenn ihnen Anerkennung gezollt wird. Er neigte nur, wie er es oftmals tat, die Stirn auf des Sultans Schulter, und dann verbrachten sie einen Tag frohesten Beisammenseins, dessen sonnige Stunden wie Perlen waren, aufgereiht auf die Strahlen des Lichtes. Als die Kühle des Abends bemerkbar wurde, machten sie sich auf und bestiegen ihre Pferde. Lachend fragte der Sultan: »Warum hast du dein Schwert mit, mein Sohn? Seit wann reitet man zur Jagd mit umgegürtetem Schwert?« Ebenso lachend und ein wenig erstaunt antwortete Iskender: »Ich weiß es nicht, Herr, und bemerke erst jetzt, daß ich es mir umgürten ließ. Du weißt, ich liebe diese Klinge sehr, sie ist mir das, was anderen Jünglingen ein schönes Mädchen bedeutet .. . Kismet… was will man da machen, Herr?« Ja, was will man da machen? Den Bogen über der Schulter, den Köcher im Gürtel, an der Seite das Schwert, so ritt Iskender an diesem Abend aus. Und wie sie geplant hatten, so wurde es ausgeführt. Sie trennten sich von den Pferden und dem Gefolge, und als sie es taten, hob Iskender den Kopf und blickte hinauf, wo über den Bäumen des Waldes, den er und der Sultan zu betreten sich anschickten, der leuchtend grüne Vogel sichtbar wurde, der ruhig seine Kreise zog. Iskender winkte hinauf, und wie er es immer zu tun pflegte, senkte sich der Grüne ein wenig auf diesen Gruß hin und erhob sich sogleich wieder. Froh lachend, voller Jagdeifer folgte Iskender dem voranschreitenden Sultan. Der wandte sich um, legte die Finger auf den Mund, flüsterte mahnend: »Wer wird so laut sein, mein Iskender? Du verscheuchst das edle Wild.« Ach, dieses Wild war weder edel noch auch zu verscheuchen! Sie bekamen bald die Quelle zu Gesicht, deren weiches Gemurmel die Kühle der Waldesschatten noch erquickender gestaltete. »Ich kann nicht widerstehen«, flüsterte der Sultan, »einen Trunk muß ich nehmen.« Und er kniete nieder, mit der. hohlen Hand das eiskalte klare Wasser zu schöpfen. Da erklang ein Schwirren, jenes unverkennbare, womit der Pfeil den Bogen verläßt, und als Iskender sich unbewußt zu dem Ton hin wandte, flog der Pfeil an ihm vorbei, traf mit der Sicherheit des Blitzes den Rücken des knienden Sultans und blieb zitternd stecken. Ein Meisterschuß nicht einmal ein Seufzer entrang sich dem Getroffenen, der lautlos vornüber sank. »Herr, geliebter Herr, mein Vater und mein Freund!« schrie Iskender, als sei er selbst von dem tödlichen Pfeil mit getroffen, kniete nieder, hob das herabgesunkene Haupt hoch, bettete es in seinen Armen. In diesem Augenblick kam durch das Unterholz daher eine Frau gestolpert, gekleidet, wie es die einfachen Frauen des armen Volkes sind, und eingehüllt in einen dunklen Mantel, der ihre Gestalt völlig verbarg. »Herr«, sagte sie, und ihre Stimme klang dumpf unter dem verhüllenden dunklen Schleier hervor, »ich suchte Holz zusammen und hörte dich rufen. Ist etwas geschehen, Herr? Kann ich helfen? Aman, aman, der Arme! Laß mich sehen, ich verstehe etwas von Heilkräutern, da ich im Walde lebe mit den Meinen.« Vom Schmerz ganz betäubt, ließ es Iskender zu, daß sich das Weib neben ihm über den Sultan beugte, und in diesem gleichen Atemzuge hob sie urplötzlich die Arme aus dem dunklen Mantel hervor, und in ihrer Hand wurde das Glitzern eines Gefäßes sichtbar. Mit starkem Schwung schleuderte sie es gegen Iskender, so daß der dunkle Inhalt an ihm entlang floß, über sein leichtes Jagdgewand hin, über seine Hände und Arme, nur sein Antlitz verschonend. Mit einem wilden Schrei sprang er hoch, denn das Brennen dieser ihn überströmenden Flüssigkeit war kaum erträglich, und seine Hand fuhr zum Griff seines Schwertes, wie sie gewohnt war es bei jeder Bedrohung zu tun. Kaum sah er, wohin er traf, aber daß er traf, das fühlte er. Mit dem Ruf »Mörderin!« erschlug er die Frau, die mit einem gurgelnden Schrei zusammensank. Da wurde ein Rauschen hörbar, und durch die brechenden Zweige hindurch stieß der grüne Vogel herab, flog auf den Menschen zu, den der Todesschrei des Weibes herbeistürzen ließ, klammerte sich mit seinen starken Krallen an dessen Brust und hackte auf seinen Hals ein mit aller Kraft seines mächtigen Schnabels. Ein Blutstrom sprang hervor, da die Lebensader getroffen war, und Sami sank zusammen, unfähig, sich weiter zu bewegen, aber bis zum letzten Blutströmen versuchend, kriechend zu Alghina zu gelangen. »Iskender, mein Schach«, rief der grüne Vogel, heiser vor wilder Wut, »bleib nicht hier stehen, komm fort, denn diese sind tot. Komm fort, ich beschwöre dich, wenn du mich liebst, komm fort! Halt dich an meinen Füßen, packe sie, komm fort, komm fort!« Das war so quälend geschrieen, wie Iskender seinen grünen Freund noch niemals hatte rufen hören, daß er nicht anders konnte, als dem Befehl zu gehorchen.

Mit einer unbewußten Bewegung stieß er sein blutiges Schwert in die Scheide, klammerte sich an die Krallen seines Freundes und hielt fest mit aller ihm verbliebenen Kraft. Der grüne Vogel hob sich und brach durch die Zweige hindurch mit einer Macht, die gewaltig war. Die an seinen Krallen hängende Last pendelte hin und her, und die Zweige peitschten Iskender von allen Seiten, aber dann waren sie hindurch. Unter ihnen waren Menschenstimmen in wilden, Schreien zu vernehmen; doch durch den Schmerz seines Leibes wie seiner Seele hindurch vernahm Iskender nur ein dumpfes Brausen, das auch sein pochendes Blut sein konnte. Der Vogel über ihm sang jetzt leise, es klang, als wenn der Wind durch das Schilf streiche, und das betäubte ein wenig das furchtbare Brennen, Iskender fast zerriß. »Halt fest, mein Schach, halt fest, gleich sind wir geborgen, halt fest!« So klangen die singenden Laute in Iskenders brennendes Innere. Er wußte nichts mehr von sich, fühlte sich nur schwingen, leicht und weich schwingen, und zum ersten Male im Leben eines Starken und eines Unüberwindlichen umfing eine gnadenvolle Ohnmacht den Gequälten. Ob es lange währte, ob nicht, das wußte Iskender nicht, als er erwachte. Er lag auf dem Boden der Wüste, und der Sand, am Tage so glühend, war jetzt schon von der Abendluft angerührt und kühlte das Brennen an Iskenders Körper wie mit linden Händen. Über seinem Haupte sah er das grüne Gefieder seines Freundes, und die scharfen dunklen Vogelaugen blickten ihn an. »O Iskender, mein Schach, es war mir nicht erlaubt, dir dieses Leiden zu ersparen, nicht, dem Sultan den Tod abzuwenden. Und jetzt, mein Schach, ist es dir bestimmt, Heilung zu suchen dort, wo allein sie dir werden kann, bei deinem Freunde, bei Osman. Du mußt gehen, mein Schach; denn mir ist es verwehrt, den zu tragen, der an seinem Leibe Gebresten hat. Den weiten Weg nach Arabistan mußt du gehen. Doch ich werde über dir sein und dir Schatten geben, und ich werde dir die Wasserstellen zeigen und hie und da auch dich schwebend an meinen Füßen halten, denn das darf ich. Verzage nicht, mein Schach, denn vor dir liegt dein unermeßlich weites Reich, und hinter dir verblassen die Spiele der Jugend. Nun beginn deinen Weg der Schmerzen, o mein Schach, und wisse, daß du niemals verlassen bist.« Iskender erhob sich und sah, daß sein Gewand zerrissen wir, wohl von dem Weg durch die Baumwipfel, und daß seine Haut Schwären trug, fast als wäre sie vom Aussatz gezeichnet. Aber auf den Schultern hatte er noch seinen Bogen, im Gürtel, am nackten Leibe den Köcher und den Schwertgurt mit der guten Waffe dabei. Er sah auf zu dem grünen Schatten über sich und sagte leise, Mühsam: »Gehen wir also, und sei auch auf diesem Wege Allah bei uns!« Vierzig Tage, vierzig Nächte lang wanderte Iskender, wo er einstmals den Wolken gleich geflogen war. Vierzig Tage, vierzig Nächte schwebte der grüne Vogel über ihm, wußte er ihm den Weg zu weisen, die Wasserstellen zu zeigen und mit seinem singenden Rufen ein weniges den Schmerz der brennenden Schwären zu lindern. Immer wieder kündete er von dem großen Geschehen, das zu vollbringen bestimmt sei, immer wieder von jenem schattengleichen Weltreiche. Iskender hörte und hörte auch nicht, wußte nicht, wie tief all dieses in sein dunkelndes Bewußtsein eindrang und wie es ihn immer wieder den qualvollen Weg, die Schmerzen des Leibes vergessen ließ.

Und dann brach der vierzigste Tag an. Die Füße waren zerrissen und verbrannt, mühsam nur konnte er sich noch weiterschleppen, und auch dafür, sich an des grünen Vogels Krallen zu hängen, reichten die Kräfte nicht mehr. Dann endlich… o Allah, endlich! … sah Iskender vor sich den Schatten jener Bäume, unter deren nächtlichem Rauschen er damals gestanden hatte, als ihn der Ruf erreichte, daß der Sultan seiner bedürfe, und er sich auf des grünen Vogels Rücken geschwungen hatte. Jetzt hörte er wie im Traume wieder die singende Stimme seines Gefährten, die das gleich , immer das gleiche wiederholte, denn nur wenn er es viele Male vernahm, gelang es Iskender, zu verstehen, was; gemeint war, so benommen von Schmerz und Ermattung war sein ganzes Sein. Die vertraute Stimme sagte: »Nur wenige Schritte noch, und du bist im Säulenhofe, Iskender, nur wenige Schritte noch. Dort feiert dein Freund Hochzeit, noch diese wenigen Schritte, und du bist bei Osman, bei Osman… « Das drang endlich in das tödlich müde Leben ein, dieses »nur wenige Schritte« und des Freundes Name. Iskender nahm alle ihm noch verbliebene Kraft zusammen, und in seinem Inneren klang es »Osman, Osmane. Das war wie tiefes Tönen der Ghusla und als ströme davon Mut in ihn ein. Schwankend durchmaß er den kleinen Waldstreifen, taumelnd gelangte er zu dem ersten Säulenhofe — Hochzeit, ja, Hochzeit; das war zu hören, daß dort Hochzeit gefeiert ward. Und ist es nicht so, daß zu der Hochzeitstafel auch des Größten im Lande der Ärmste, der Elendeste Zutritt hat? Weiß das nicht ein jeder in unsren Landen? So taumelte Iskender die letzten Schritte, die seine Kraft hergab, vorwärts, hin zu dem offenen Saale des Säulenhofes, ihm so wohl bekannt, und sank an der Schwelle nieder, nun am Ende, am letzten Ende angelangt. Da lag er, ein elender Haufen Fetzen und Wunden, das goldfarbene Haar kaum noch kenntlich vor Staub und Verwirrnis, und sein todmüdes Haupt sank auf den Estrich nieder. Aber auch solch tiefes Elend konnte ihn nicht ausschließen von denen, die willkommene Gäste der großen Hochzeit waren, und allsogleich kam ein Diener herbei, hielt ihm einen Becher mit labendem Trank an die Lippen sagte leise: »Trink, mein Bruder, und freue dich auch du mit unserer Freude.« Iskender trank in tiefen, durstigen Zügen, doch als der Diener sich entfernen Wolke, machte er eine schwache Bewegung, und der Mann beugte sich wieder herab, fragte: »Ist dir zu helfen, mein Bruder?« Mühsam und mit Aufbietung alles Willens gelang es Iskender, von seinem geschwollenen Finger den Ring abzuziehen, den ihm Osman beim Abschied geschenkt hatte und von dem er sich niemals noch trennte. Er warf ihn in den Becher, den der Diener hielt, flüsterte heiser: »Bringe ihn dem Schechzadeh Osman, beeile dich, denn ich sterbe.« Er sank stoßweise atmend zurück, und der Diener sah ihn entsetzt an, lief dann, so schnell ihn seine Füße trugen, zu dem, der Mittelpunkt dieser Runde von Freunden war, dem jungen Ehemann Osman. »Herr«, sagte halblaut der Diener und unterbrach ein Gespräch, das Osman mit einem Gaste ihm gegenüber führte, »Herr, ich bitte dich um Allahs willen, höre mich… einer ist sterbend, Herr, und sendet dir dieses… um der Barmherzigkeit willen, o .Herr, höre mich und blicke her.« So dringlich flehend war die gedämpfte Stimme, daß Osman sich umwandte, erstaunt zum Diener hinschaute und dann den Blick senkte auf das, was ihm des Dieners leise bebende Hand unter die Augen hielt. Flüchtig zuerst, dann vorgeneigt, dann tat er einen Ausruf, sprang hoch, packte den Diener am Arm, er wußte nicht, wie hart er zufaßte, schrie, rief, schrie: »Iskender… wo ist er? Zu ihm… aman dosdum, o Iskender, mein Freund!« Alles Gespräch verstummte, alle Blicke der tafelnden Männer wandten sich zu Osman, der, von einem Diener halb gezogen, halb geführt, dahereilte, als suche er einem Brande zu entkommen. Und dann war er angelangt. Der Diener stand still, wies auf das nahezu leblose Bündel zu ihren Füßen, stammelte: »Dieser, Herr, gab mir den Ring.« Osman starrte das an, was da vor ihm lag, hauchte ungläubig: »Iskender? Unmöglich!«, wollte sich schon erheben und abwenden, als sich vor dem weit offenen Säuleneingang ein Rauschen vernehmen ließ. Gleich darauf saß auf der Schwelle der große grüne Vogel. Osman stand wie erstarrt, beugte sich wieder nieder, rief: »Wenn du da bist, o Grüner, so muß er es sein… o Iskender, Schöner und Geliebter, was tat man dir an, und wie, wie kann ich helfen? Alles ist dein.., ich bin es ganz… wie kann ich helfen, sage?« Aber Iskender konnte nichts mehr sagen, nur einen Blick tiefer Liebe vermochte er dem Freunde zu senden, und es wäre sein letzter gewesen, wenn nicht… ja, wenn nicht die Gnade des Kismet ein Wunder zugelassen hätte.

Es geschah das einmal und nur einmal, nur dieses eine Mal. Osman verstand, was die singende Stimme des grünen Vogels sagte. Dicht bei ihm saß der Vogel, neigte seinen Kopf zum Ohr des Schechzadeh und sang ihm zu: »Dein Blut kann ihn retten, über seine Wunden dein Blut… << Osman wandte ein wenig den Kopf, sah strahlend auf den grünen Vogel, rief: »Sonst nichts als das? Hier hast du mein Blut, geliebter Freund!« Er riß seinen kleinen Zierdolch aus der edelsteinlichten Scheide und schlitzte sich damit die Seite auf, neigte sich über Iskender und ließ den warmen Lebensquell über ihn strömen. Iskender sah auf, fühlte etwas ihn überrieseln, das weich und warm über ihn strömte, reckte die in Schmerz verkrampften Glieder und legte sich zurück. Gleich danach schlief er, wie ein Kind, erschöpft vom Spiel, in der Sonne einschläft. Über ihn geneigt lag Osman, und immer noch strömte sein Blut. Da neigte der grüne Vogel sich nahe zu ihm, und sein Schnabel strich ein, zwei, drei Mal über die Seitenwunde, die der kleine scharfe Dolch gerissen hatte — und sieh da, die Wunde schloß sich, das rote Blut, das über Iskender gerieselt war, verblich, und was übrigblieb, waren zwei Jünglinge, der eine dunkel und stolz gekleidet, der andere goldfarben und nur mit Fetzen bedeckt, aber von reiner Haut, ohne auch nur die geringste Wunde; sie ruhten beieinander, und Osman hatte die Arme über den Freund gebreitet, das dunkle Haar an das goldfarbene gepreßt, und so lagen sie und schliefen in einem Schlaf, so tief, als sei es der vor der Geburt. Ratlos, stumm, voll Schrecken und Staunen umstanden die Freunde und Gäste die zwei, bis endlich einer der Fürstensöhne, der Iskender von ihrer gemeinsamen siebenjährigen Lehrzeit her gut kannte, vortrat und seiner entschlossenen Art nach die Führung übernahm. Dieser Ibrahim sagte: »Ich kenne den Schechzadeh Iskender gut, und er ist mein Freund, wie unser aller. Osman, so scheint es, hat die Freude des Wiedersehens überwältigt, und so liegen sie beide in Bewußtlosigkeit. Wer kann wissen, welche Mühsale Iskender bestand, um noch rechtzeitig zur Hochzeit seines Freundes zu kommen, und so zerriß wohl Dornengestrüpp seine Kleidung. Kommt nun, ihr Diener, und tragt die Fürstensöhne in ein inneres Gemach, legt sie nieder auf Diwane und bleibt in der Nähe, ihre Wünsche zu erfüllen, wenn sie erwachen. Dem Schechzadeh Iskender bringt frische Gewänder, legt sie ihm an, ohne ihn zu wecken. Laßt euch, ihr meine Freunde, nicht stören in unserer Festfreude. Wir feiern weiter, und wenn Osman und Iskender erwachen, werden auch sie mit uns feiern, denn hier geschah ein Großes, da ein Freund den anderen wiederfand. Und so Wohlergehen und Freude uns allen!« Nach der Anweisung dieses klugen und befehlsmächtigen Ibrahim wurde getan, und das Fest nahm seinen Fortgang, während im kühlen und verdunkelten Innenraum Iskender halblaut zu seinem Gefährten: »Ich beschwöre dich, o mein Freund, laß sie diesen Reifen von meinen Haaren nehmen, ich kann den Kopf nicht frei heben darunter, und ich verstehe nichts von dem allen. So du mein Freund bist, laß mir die Last fortnehmen!« Hin und her ging das Rufen und Fragen zwischen den Vögeln, und dann fühlte Iskender, wie der Reif wieder von seinem Haupt genommen wurde. Er schüttelte die Haare, rief: »Laßt mich frei bleiben, so daß ich meinen Kopf frei halten könne! Hebt euer Juwel auf für den, der dessen wert ist, ich will dergleichen nicht haben! Und du, mein Gefährte, löse mir das Rätsel dieser Geschehnisse.« Breitbeinig stand Iskender über dem grünen Vogel, sah hinab auf die Wolken, die unter ihm dahinzogen, und hob den Blick zum hellen Himmel, darin der Mond seines Weges schwebte. Und in diesen hellen Nachthimmel klangen die singenden Worte des grünen Vogels hinauf, einten sich mit dem Weg des Lichtes und schwebten gleich diesem unter den Himmeln weiter und weiter. Es waren diese: »König bist du, Iskender, der Welt von Morgen und von Abend, König bist du, bestimmt zu vereinen, was Morgen und Abend ist. Blut, das über dich floß und dich von der Krankheit des Verrates heilte, machte dich frei von allem, das Menschen beschwert. Und dein Weg ist der jener, die weder Freundschaft noch Liebe der Einzelnen kennen, auf daß du den Völkern Freundschaft und Einheit geben kannst. Die Krone jener dunklen Vögel, gehütet für dich, dünkt dich noch schwer und lastend; doch mußt du unter ihr leben und sein, denn sie ist die Krone der geheimen Einheit aller Völker. Iskender, mein Schach, dein Weg beginnt! Wir fliegen den Zug der ziehenden Vögel entlang, du auf meinem Rücken, die dunklen Vögel mit der Krone über dir, und alle Zeiten werden es wissen, daß es den König der großen Einheit gibt, dich, o Iskender.« Schweigen wurde. Iskender neigte seinen goldfarbenen Kopf und sagte mit dem Hauche eines Atemzuges: »Es geschehe, wie mir bestimmt ist, und Allah verlasse mich nicht!« Dann hob sich der grüne Vogel in die helle Nacht, und sie flogen den unsichtbaren, aber niemals zu verfehlenden Himmelsweg der Zugvögel gen Norden. Hinter sich ließ Iskender alle Wärme und Freude des Lebens, die Heimat, die Freundschaft und jene Sonne, unter der er geboren war und deren Glanz sein Herz erquickte. Vor ihm war nur ein dunkles Wort der Bestimmung und das Erkennen einer gewaltigen Aufgabe. Sie flogen, und sie fliegen heute noch. Vielmals sagen die, deren Augen zu sehen vermögen, daß unter den nächtlichen Wolken ein wunderbares Gebilde zu erkennen sei: ein großer Vogel, dessen Gefieder im Lichte der Sterne grün erstrahlt, auf seinem Rücken ein Mann, dessen Haupt golden leuchtet, und über ihm ein Schwarm dunkler Vögel, Wolkenschatten gleich, die ein strahlendes Gebilde schwebend tragen, das einer Krone ähnlich erglänzt. Und es heißt, solange man sie noch so zu sehen vermag, so lange ist das Hoffen nicht vergeblich, daß die Welt geeint werde, daß Nord und Süd sich treffe und daß unter einer Krone in den Wolken ein König unter den Himmeln alle eine. So glauben wir und so erhoffen wir es; denn niemals noch trog das Wort, das im Namen des Kismet gegeben wurde, dieses Kismet, das Allahs Stimme ist unter den Menschen, Allahs, dessen Name gepriesen sei auf Erden und unter den Himmeln.

Quelle: Märchen der Bergnomaden Türkei

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