Suche

Märchenbasar

Das Leben der Hochgräfin Gritta

1
(1)
Die Augen des Knaben ruhten auf dem Grafen, mit erstauntem Erstaunen über die seltsame Gestalt. – „Dummes, bauernhaftes Schafsgesicht“, rief der alte Graf, der jetzt auf einem Steine stand, „hilf fix!“ Der Junge, wahrscheinlich nicht erwartend, in der Morgensonne ein so erzürntes Gesicht zu sehen, rief langsam seinen Hund zur Bewachung seiner Gänse und las Feldsteine, die er schrittweise in den Sumpf warf. „Kleiner Bauernflegel“, rief der Graf mit großer Herabschätzung, „eil‘ er sich, ich lasse nichts ohne Belohnung.“ – Der Knabe war fertig, und der Graf setzte von Stein zu Stein herüber. Die Gänse kriegten einen so großen Schreck, dass sie schnatternd nach allen Seiten entflohen. Nachdem der um seine Gänse in große Angst geratne Knabe dem Grafen den Weg gezeigt, murmelte dieser ein paar ärgerliche Flüche, griff in die Tasche und wollte etwas herausholen, griff sehr tief und fand endlich etwas, was er dem sich sträubenden Bauernjungen in die Hand drückte, mit der nochmaligen Bedeutung, er nehme nichts ohne Belohnung an. Dieser fand in seiner Hand einen alten abgerissenen Knopf, den er dankbar einsteckte, aber lieber ein freundliches Wort als Lohn gehabt hätte, und seinen Gänsen nachlief. Der Graf war am Ende des Felsganges, als er meinte, deutlich das Stampfen von Roßhufen zu hören; er spitzte die Ohren, und bog um die Ecke. Die Sonne schien in aller Pracht vor den erstaunten Augen des Grafen auf einen glänzenden Reiterzug herab, vor dem Müllerhaus. Pagen mit runden, rosenrot angehauchten Wangen, blauen, braunen, schwarzen Augen, grün und rot wehenden glänzenden Federbüschen, saßen auf jungen frischen Gäulen, in der Mitte eine Dame, fröhlichen stolzen Mutes mit einem milchweißen zartgefärbten Angesicht, wiegte sich im grünen Kleide mit silberbesponnenen Knöpfen auf einem schönen Fuchspferd. Der erstaunte Graf knöpfte seinen Rock, der aus den schweinsledernen Einbänden der Schloßbibliothek bestand, über seiner Weste von Pergament zu, die in schöner Schrift mit Schnörkeln gemalt war, und näherte sich dem Zuge des jungen Fräuleins. Das Fräulein schnitt ein Gesicht; die Pagen schnitten es ihr nach, als der Graf ihr eine echt ritterliche, vielleicht etwas veraltete Verbeugung machte; sie streckte ihr Näschen in die Morgenluft, als wittere sie etwas was ihre Lachlust reizen könne. Unter den Pagen offenbarte sich ein fröhlicher Mut ihr nachzukommen; sie streckten alle die dünnen, dicken, kühnen, stumpfen und gebognen Nasen eben so in die Luft, aber mit dem Mund waren sie bereits schon im Lachen. Die Dame verwies dies mit einem derben Ellbogenstoß einem dicht neben ihr reitenden Pagen, der diesen weiter sendete, bis sie alle mit ernsten Gesichtern auf ihren Rossen saßen. Der alte Müller wendete sich jetzt an den Grafen und sagte, die Dame habe sich verirrt; sie wolle gern den Weg wissen; er habe aber noch nicht erfahren, wo sie her sei. – „Hochverehrtes und gnädiges Fräulein, wenn Ihr mir sagen wollt“, hob der Graf an, „von welchem Orte Ihr ausgeritten, so werde ich Euch einen – meiner – Diener zum Geleite geben. Wollt Ihr jedoch hier auf der Mühle erst ausruhen oder auf mein Schloss, welches sehr schön gelegen, kommen, so lade ich Euch aufs Dringendste ein.“ – Er glaubte wohl, dass dies nicht geschehen konnte, weil sie, ein junges Fräulein doch, zu ihren Eltern zurück musste; aber zu seinem großen Erstaunen sagte sie zu, sie wolle nur erst etwas Milch in der Mühle trinken, und legte ihre zarte weiße Hand auf des Grafen Schulter beim Herabsteigen. Der Graf, entzückt darüber, vergaß auf einmal eine Wegweisermaschine, die ihm die ganze währende Zeit im Kopf rumorte, und sah mit ungewöhnlich sonnigen Blicken der jungen Dame ins Angesicht. „Erlaubt, Fräulein, dass ich erst jemand hinaufschicke, Euren Empfang zu bereiten. – Nachdem er sie hinein gebracht, schickte er den Müllerknecht fort mit einem Strick für die Gefangensitzenden und mit der Weisung, die Diener sollten alles in Bereitschaft halten.
Oben saßen die Zwei noch im Saal und schauten von der Höhe, als der Müllerknecht mit lachendem Gesicht beiden verkündete, der Herr Graf von Rattenzuhausbeiuns lasse seinem getreuen Diener sagen, er möge alles in Bereitschaft halten zum Empfang einer jungen Gräfin; er möge nichts sparen und alles seinem Stande gemäß ordnen. „Ah!“ sagte Müffert sehr ernst, „ich habe den Schlüssel zur Schatzkammer verloren.“ – „Der Müller“, fuhr der Knecht fort, „lässt Euch hier ein paar Brote schicken, wenn man etwa der Gräfin etwas vorsetzen wolle; die Bezahlung ist nicht nötig“, setzte er treuherzig hinzu, und reichte ihnen an einer Stange den Strick hinauf. Müffert befestigte ihn an dem Ampelhalter und fuhr daran herab, Gritta ihm nach. – Er wurde neugierig gefragt, wie die Gräfin aussehe, die das Schloss besuchen wolle. Dann musste er Wasser holen aus dem Schloßbrunnen, und die kleine Hochgräfin schwemmte damit recht tüchtig vom höchsten Gang bis an die Schloßpforte den Boden ab, so dass alles reinlich glänzte. In des Vaters Zimmer, wo sie nun endlich räumen durfte, fanden sich unter dem Gerümpel noch manche schöne Sachen, die stellte sie alle in Reih‘ und Glied auf. Es wurden Kränze gewunden und alles damit geschmückt. Aber nun, was sollte werden, wenn die Gräfin hier schlafen sollte! Gritta kannte nur Moosbetten, aber Müffert war verlegen! „Ei was“, sagte Gritta, „wir machen ihr ein recht schönes Moosbett mit Rosenblättern bestreut!“ – Und so geschah es. Nachdem die kleine Brücke auch mit Blumengewinden verziert und der kleinen Hochgräfin ihr Röckchen von Bibliothekseinband frisch eingeölt war, stellten sie sich vor die Tür. Endlich kam der Zug durchs Tal, der Graf zeigte schon aus der Ferne der Dame an seiner Seite das Burgschloß; hinter ihnen die jungen Pagen fingen an zu zischeln, die junge Dame machte aber ein so ernstes Gesicht, dass es ihr bald alle nachmachten, obwohl sie zu glauben schienen, die Gräfin verstelle sich, der Hauptspaß komme erst, und sie habe irgend einen lustigen Streich im Sinn. So kamen sie an die Brücke; ein kleines Lächeln überflog die Züge der jungen Dame, als sie vom Grafen geleitet hinüberging und die kleine Gritta im Schweinslederröckchen erblickte. Die Pagen wollten das Lächeln in Lachen übersetzen, es wurde aber durch einen Ellbogenstoß verhindert; die Gräfin gab ihr einen fröhlichen Kuss und wendete sie hin und her. Das Wunderbare, was ihre Aufmerksamkeit erregte, war, dass aus den Falten hier und da gepresste, oder goldne Schrift in bunten Schnirkeln hervorsah; auf der linken Seite guckte aus den Falten „Das Leben und die Taten des hochedlen Herrn Ritter Kunz von Schweinichen, ihm nacherzählt –„; hier versteckte sich die Schrift in die Falten. Auf dem Magen stand „Christliches Paradiesgärtlein zum Herumspazieren für christliche Lämmer von Johannes“. – Nach hinten „Das Leben der christlichen Jungfrau Anna Maria Schweidnitzer“ und links „Das Buch, was da handelt von den Hexen und denen, so aus ihnen gefahren“, ein ganzes gedrucktes Kapitel; indem sie das las, folgte sie dem Grafen ins Schloss, bis zu seinem Saal mit dem einen Stuhl. Der Graf behauptete, das geschehe aus Ehrfurcht, dass bloß ein Stuhl da sei, damit die Herren in der Dame Gegenwart sich nur knien und zu ihren Füßen setzen. Die Gräfin fand das sehr artig, die Leute zur Höflichkeit zu zwingen. „Und was ist denn das?“ rief sie, vor dem aufgestellten Gerümpel stehend.
„Das sind fremde Merkwürdigkeiten; dies ist der Köcher eines Indianers“, sagte der Graf. Er sähe einem von Würmern zerfressenen Stuhlbein nicht unähnlich, behaupteten die Pagen; aber ein Wort der Gräfin machte es zum Köcher sogar mit Pfeilen, und der Graf erklärte noch bis zu Tische alle japanischen, hottentottischen Merkwürdigkeiten. Hier hieß es aber nicht zu Tische, sondern zu Boden; denn der Graf ließ die Tische durchaus nicht aus der Möbelkammer, weil es hier im Schlosse Sitte sei, dass man zur Verehrung der Dame auf dem Boden sitze beim Essen. Die Gräfin freute sich sehr darüber; die Pagen fragten, ob diese Sitte aus Paris wäre oder aus dem Paradies, wo bekanntlich Eva den Apfel angebissen, weil sie kein Messer gehabt. So aßen denn alle auf dem Boden; der Graf hielt der Gräfin den Teller vor. Das Geschirr war nicht sehr vollständig, darum aßen einige aus Töpfen, andere aus Helmen, einer gar aus der Mausefalle; auch waren die Speisen nicht sehr mannigfaltig, sie bestanden aus Hirsebreisuppe, Hirsebreiklößen, Hirsepudding u. s. w. Doch der Graf meinte, aus einfachem Geschirr schmecke alles am besten, und vielerlei Speisearten verderben den Magen. Und somit war’s gut. Die kleine Hochgräfin half draußen kochen und wollte nicht unter die neckenden Knaben, die immer riefen: „Komm, klein Paradiesgärtlein! He, Herr Ritter Kunz von Schweinichen!“ Am Abend ward den Pagen ein ganzer Gang voll Heu gestreut, wo sie wie ein Regiment neben einander Parade schliefen. Die Gräfin versteckte sich lachend in ihr Mooslager, und die goldne Ruh‘ kam dazu.– Am andern Tag sagte die Gräfin, die Leute brauchten nicht so großen Respekt vor ihr zu haben, wenn der Graf nur ein paar Bänke habe zum Sitzen; aber der Graf hatte den Schlüssel zur Möbelkammer verloren. So war ein lustiges Leben in der alten Burg eingezogen, sie tanzte des Abends, sie sang dem Hochgrafen Lieder, lachte und machte Sprünge und – der Graf vergaß seine Maschine. Die Pagen liefen in allen Gängen und Plätzen umher, alles mit munterem Geschrei erfüllend. Gegen Abend wohl des dritten Tags stand die kleine tolle Gräfin an der Seite des Grafen vor dem großen Fenster und schaute in den Himmel, der mit sanftem Rosenrot glühte über den Bergen mit dunklen Tannenwäldern. Ihr kleines Herz schlug höher, und die zärtliche Hand lag auf des Grafen Arm; die Pagen spielten im Hintergrund mit den japanischen Merkwürdigkeiten Ball, eine rötliche Dämmerung erhellte alle, nur einige hatten sich in eine der dunklen Wandtiefen gesetzt und plauderten leise. Da auf einmal öffnete sich die Tür, Gritta steckte den Kopf herein, wollte etwas sagen, wurde aber gleich verdrängt. Ein kleiner dicker Herr, mit weißer Perücke, aufgepudert, mit stolzem Vorbau, stand schweißtriefend, wie vom Donner gerührt da, als er in die wilde Wirtschaft des Zimmers sah. – „Ziemt sich das?“ – presste er heraus, noch außer Atem. „Kaum lässt man Sie allein mit dem Gebot, recht artig zu sein, ja kaum lässt man Sie allein, so laufen Sie davon. Eine Gräfin vom altadeligen Geschlecht der Rattenwege davon. –“ Er musste einen Augenblick verschnaufen. Die Pagen stellten sich ängstlich in eine Reihe hinter ihre Herrin auf, die den Mann auf seinen Bauch ansah, als könne sie sehen, was er heute gespeist. – Zürnend fuhr er fort. „Ich, Ihr Vormund, von der wohlweisen Ratsversammlung zu Prag dazu eingesetzt! – Ich! – Ich finde Sie nicht zu Hause auf dem Schloss und den Verwalter muss ich fragen! Ich! – Wo ist das Fräulein? Alle sagen, sie ist seit zwei Tagen fort, fort, fort!“ – Er stampfte bei jedem „Fort“ heftig auf den Boden. — „Es waren schon Boten nachgeschickt, die aber bloß mit Nachrichten zurückkamen, was wir zu bezahlen hatten wo Sie durch die Saatfelder geritten, bis ein – ja, ein Bauer die Botschaft brachte, er habe Sie hier gesehen, – und bei einem Feinde Ihres Geschlechtes, Ihrer Familie!“ „Kommen Sie einmal mit, Herr Vormund“, sagte sie, indem sie ihn zwischen den erschrocknen Pagen durch neben an in eine alte Rüstkammer führte. – Bald darauf ertönte das heftige „Ich will“ ihrer Stimme und des Vormunds Geschrei: „Sind Sie toll?“ – Alles stand gespannt! – Erzürnt zog nach einer Weile der Vormund sie ins Zimmer. „Und ich will und ich will den Grafen heiraten, und wenn Sie auch nicht wollen, so ist mir es einerlei!“ – Der Graf fasste verlegen an seine Nase; ihr kleiner Mund erstickte fast vor „Ich will!“ – „Aber Sie sollen jetzt mit“, sagte der dicke Herr. – „Ja, jetzt, aber ich komme wieder, wenn ich mit den zwei andern Vormündern gesprochen habe, und wenn sie nicht wollen, so laufe ich davon.“ Sie warf noch dem Grafen einen listigen Blick zu, dann bot ihr der Vormund den Arm und geleitete sie die Treppe hinunter, wobei sie mit zornigem Herabtrippeln mehrere Male den kleinen Herrn zum Stolpern brachte – „Aber bedenken Sie doch, meine Liebe, die Sie den Schönsten bekommen könnten, mit einem so schönen Schnurrbart, und so vielen Goldstücken in der Tasche, denken Sie doch, Kind, so ein Zuckermännchen! -“ sagte er fast weinerlich. – „O was! Den kann ich mir von Zucker backen lassen. Ich will den Grafen.“ Die Pagen folgten, der Zug ging den Berg hinab. Der Graf stand allein in seinem Saal; es kamen ihm wunderliche Gedanken von einer Maschine, womit man Vormünder durchprügeln konnte. Die kleine Gritta trat ein, die Sonne ging langsam unter, – leise das Zimmer färbend, – rötlich über die kühlen dunklen Berge hinabsinkend. – Sie kam zum Vater und legte zum ersten Mal ihr Haupt an sein Herz. – „Wo ist meine Maschine?“ fragte er. – „Dort steht sie!“ – „Rücke sie heran!“ Sie zog sie herbei. „Die Pagen haben den kleinen Mops so viel darauf springen lassen; wenn sie nur nicht verdorben ist!“ sagte Gritta. Der Graf holte sein Werkzeug und setzte sich an die Arbeit; bald hämmerte und raspelte und rumpelte es wie früher im alten Schloss, und der Graf summte ein altes arabisches Lied von der Herrlichkeit des Paradieses. „Die wilde Gräfin wird wohl nie wieder kommen?“ fragte Gritta den alten Müffert. „Nein, die Vormünder lassen die wohl so leicht nicht wieder fort“, sagte er. – So verstrich von da an die Zeit ruhig. Gritta ging so früh wie die Hühner zu Bett in ihr Ecktürmchen, das naseweis aus der alten Ruine hervorstand und weit in den Gau hinaussah, als das einzig erhaltene; und sie stand eben so früh, wie die Sonnenstrahlen das Türmchen begrüßten, wieder auf. – Und nach vierzehn Tagen, – da war alles vergessen.
Gritta und Müffert saßen eines Abends in der Küche, die ein kleines rußiges Gewölbe war. Ein Feuer brannte auf dem Herd, vier große Töpfe kochten, und die weißen Nebelwolken vermischten sich mit dem schwarzen Rauch, zogen hinauf und flogen mit ihm davon. Es war heut zum ersten Mal nach langer Zeit stürmisch, der Wind trieb manchmal den Rauch wieder hinab. Die kleine Gritta saß neben den Töpfen auf dem Herd. Sie schien an etwas zu denken, was sie ängstigte, denn sie sah von Zeit zu Zeit zu Müffert auf, der in Gedanken vertieft vor einer Speckseite stand, die im Schornstein neben einem paar nachbarlichen Würsten an einem Bindfaden bammelte; er schien sich zu besinnen, ob er sie anschneiden solle, denn das säbelförmige Messer guckte zwischen seinem Zeigefinger und seinem breiten Daumen wie ein angerufener Ratgeber hervor, mit einem entsetzlich begierigen Gesicht, in dem sich das Feuer spiegelte. – „Ach, Müffert“, hob Gritta an, „glaubst du wohl, dass der Vater noch an die Birkenrute denkt? Glaubst du wohl, dass noch Birkenreiser draußen am Birkenbaum sind?“ – „Nein, Kind, ich glaube, der wird vertrocknen; das hat einmal seine sonderbare Bewandtnis mit dem Baume gehabt.“ – „Ach, erzähle!“ bat Gritta. – Müffert machte das Messer zu, und Gritta sah mit Vergnügen, wie ihre lieben blonden Würstchen heute noch vergnügt hängen blieben; er setzte sich auf den Herd neben sie, und Gritta schaute, während er erzählte, in die weißen Wolken der Töpfe, wie sie mit den schwarzen Rauchmassen davon wirbelten, in denen sich, was in der Geschichte vorkam, ihr bildete.

Wie hat dir das Märchen gefallen?

Zeige anderen dieses Märchen.

Gefällt dir das Projekt Märchenbasar?

Dann hinterlasse doch bitte einen Eintrag in meinem Gästebuch.
Du kannst das Projekt auch mit einer kleinen Spende unterstützen.

Vielen Dank und weiterhin viel Spaß

Skip to content