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Märchenbasar

Das Leben der Hochgräfin Gritta

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Es war eine milde Nacht, ein schöner Nachthimmel mit glänzenden Sternen übersät. Die Gebüsche des Klostergartens malten stille ihren Schatten auf den weißen Sand der Gänge, die Nachtigall erhob zuweilen ihre Stimme, die an der Klostermauer widerhallte. Muttergottesgläschen, Herrgottschuhen, Kressida, die rote Frauentreu, Treuherzleinkraut schlummerten still in der Ecke an der Mauer mit einigen sehr werten Gästen besetzt; Marienkäferlein, Johanniswürmchen und andere, die nächtlich etwas benebelt von der Schenke zurückkamen und bei ihnen eingekehrt waren. Die Ruhe unterbrach ein niedriges Fenster, das sich am Turm des Seitenflügels öffnete; eine weiße Gestalt erschien auf dem Sims, nahm einen Ansatz und sprang auf den grünen Rasen nieder. Frau Nachtigall schwieg erstaunt und hüpfte von Zweig zu Zweig, dem Ereignis neugierig näher. Hop, hop, hop, hop, hop, hop, hop, hop, hop, hop folgten zehn andere; sie erhoben sich, angekommen auf dem tauigen Gras, und schüttelten von den weißen Hemdchen den Tau. „Habt ihr“, fragte Gritta, „nun Herz und Mut?“ „Ach ja, ach ja!“ flüsterten alle durcheinander. „So kommt fix, wir wollen die losen Steine, die ich in der Mauer gesehen, herausnehmen. Margareta, Kamilla, Wildebeere, Veronika, Maieli, Petrina, Reseda, Lieschen, Elfried, Anna: folgt mir!“ Die andern tappten leise hintendrein, und so gelangten sie an den Ort mit dem eingefallenen Stein. Sie fingen an der dicken Mauer an zu arbeiten. Frau Nachtigall schlug dazu aus voller Kehle, als wolle sie den Lärm decken. Kalk und Mörtel fielen, bald war das Loch gemacht. Petrina steckte den Kopf durch, draußen war der finstere Wald. Sie kroch weiter, es ging, das Loch war groß genug. „Jetzt kommt!“ rief die Hochgräfin. Sie kletterten zurück in das Fenster, wo sie herausgekommen waren, schlupften durch die langen Gänge in den mondhellen Schlafsaal, jedes setzte sich emsig und packte sein Bündelchen, indem sie leise flüsterten. – Es schien, als schaute der alte Ritter, der an der Wand in Stein gehauen Wache hielt, mit lachendem Gesicht zu, und ließ sie vergnügt laufen; sein Steinschwert blieb in Ruhe an seiner Seite. Denn die kleine Hochgräfin, deren Bettchen unter seinem Schutze stand, hatte ihm alle Woche einmal sein Gesicht und sein Wams gewaschen und den Schwalben, die in seinem Helmhut Wohnung hatten und durch eine ausgebrochene Fensterscheibe Aus- und Eingang fanden, immer Futter gestreut. Ob er nun froh war, dass sie ihn nicht mehr waschen werde, denn alte Ritter lieben die Reinlichkeit nicht sehr, oder ob er sich freute, dass seine waschende Wohltäterin aus dem alten Neste hinweg käme, in dem er sich schon gewiss viele Jahre langweilt, immer den Appetit des Gähnens unterdrückend, weil das unnatürlich gewesen wäre für ein Steinbild? Das Letzte wird’s gewesen sein, denn er machte ein freundliches Gesicht, in das sich hie und da eine kleine Wehmut einschlich über das Verlieren seiner lieben Gesellschaft. Bis zu einem gewissen Grad des Mienenspiels dürfen es selbst Steinbilder bringen. Ein träumerisches Piepen ließ sich in seinem Helmhut vernehmen. „Ach“, sagte die Hochgräfin, „jetzt sind die Kleinen schon heraus; streut ihnen noch Futter, derweil geh‘ ich und hole Mermeta. Sind die Vögel gefüttert, so schlüpft wieder durchs Fenster in den Garten und wartet auf mich.“ Gritta ging und fand Mermeta noch schlafend in ihrer mondbeschienenen Zelle; sie schlüpfte schnell in ihr Gewand. „Hast du denn ganz vergessen, dass wir fort müssen?“ fragte Gritta. „Ach nein, mir träumte, wir wären schon fort. Wenn uns die alte Nonne nur nicht in den Gängen hört, denn sie macht manchmal des Nachts die Runde.“ – Beide sahen ängstlich in die Finsternis der Gänge; es blieb ruhig. Die Nonne steckte in der Eile dem Marienbild im Kreuzgang noch ein Sträußchen an den Busen, mit der Bitte, sie auf ihrer Flucht zu schützen. Sie kletterten dann durchs Fenster in den Garten, der öde ruhig da lag. Die andern standen schon am Loch; sie winkten den alten Mauern noch Ade zu, und Gritta kroch voran, die andern folgten. Aber das Loch war etwas zu klein für Mermeta, die in Angst davor stand; sie warfen ihre Bündel ab und arbeiteten aus allen Kräften an den Steinen, die bald fielen. Mermeta kam hindurch, sie schauten sich verwundert um. Durch die Baumstämme wehte die Waldluft, die Blätter flüsterten über ihnen, die Grashalme beugten sich knisternd mit den gefallenen Blättern unter ihren Füßen, und die wilden Sträucher fassten vertraulich ihre Kleider. So gingen sie schnell fort. Es wollte bald Tag werden; das Nönnchen schaute sich nach allen Seiten um; wenn ein Vogel aufflog, schrak sie zusammen. Aus der Dämmerung ward Tag; die Sonnenstrahlen brachen gleich goldnen Fäden durch das Waldlaub, die Vögel fingen an zu singen. „Werden sie uns nicht verfolgen?“ fragte Margareta an Grittas Seite kommend. „Nun, die alten Nonnen werden uns doch nicht selber nachlaufen, am Abend kommt erst der Pater“, sagte diese. Sie kamen auf einen freien Platz, in der Ferne lag wieder ein Wald. „Hier“, sagte Gritta, „muss dein Bruder sein, wie er dir schrieb.“ Sie schaute in die Weite. „Ach, dort seh‘ ich einen Jägerrock glänzen!“ – Das Nönnchen lief auf ihn zu, er ihr entgegen. Sie gingen im Gespräch nach dem Walde, ihr weißer Schleier wehte noch lange durch die Bäume; die Kinder sahen nach, sie war verschwunden in der Waldeinsamkeit. „Nur zu, mir nach!“ rief Gritta und wischte sich ein Tränchen ab. „Wir wandern in die Stadt, wo meiner Mutter Amme wohnt; sie strickte mir einmal, als sie mich besuchte, ein Band um meinen Leib, und bei jeder neuen Blume, die hinein kam, musste ich eine neue Stadt auswendig lernen, nach der Reihe alle, durch die der Weg zu ihr führt, damit ich’s wisse, wenn ich sie einst besuchen wolle. Sehen wir Leute, so fragen wir nach der ersten Stadt, und so fragen wir uns weiter. Kommen wir dann bei ihr an, so gibt sie uns Rat, wie ich ein jedes von euch zu seinen Eltern führe.“
Sie wurden fröhlicher, je mehr sie vom Kloster abkamen. Der Mittag kam mit heißen Strahlen, sie tranken in vollen Zügen die Sommerluft. Wildebeere lief in der Ferne Zickzack, mit von der heißen Stirn fliegenden Haaren, erhitzten, von Dornen zerkratzten Backen, einen großen Büschel Pflanzen und Gräser in der Hand. Aus der Tasche in ihrem Rock kuckte eine große sonderbare Blume, sie hielt den Strauß von Zeit zu Zeit an die Nase oder bückte sich und rupfte hier und dort ein Kräutchen aus und bohrte an einem Wurzelchen in der Erde, bei der Sonnenhitze, bis sie es heraus hatte. Es war eine rechte Sommerruhe; die Fliegen schwirrten daher, die Butterblumen und andere Feldblumen standen in voller Pracht recht in der Sonne auf dem Felde, die liebwerteste Hochgräfin wälzte sich im Gras und Butterblumen wie ein mutiges Böcklein, bis sie still liegen blieb bei einem Erlengebüsch, deren mehrere hier verteilt standen und worin die Mücken summten. Die anderen hatten sich auch da niedergelassen; eine Spinne in schläfriger Weise spann ihr einen Faden über die Nase; sie schaute gen Himmel und sang:
Ich dehne die Glieder in feuchtem Moose
Und fühle mich selber so zart, so fein.
In Blättergezweig, da lieg‘ ich so rein,
Und neben mir nicket die moosige Rose.
Mit meinen Augen kann ich nur blinzeln
Den blauen klarlichen Himmel an.
Es ziehen die Wölkchen so duftig so fein,
Am blaulichen Himmel, durchgoldet vom Schein
Der breitenden Sonne, die lieblich gleitet
In Strahlenwonne.
Käfer ziehen mit den kleinen,
Wohlbehaarten feinen Beinen,
Durch die Gräschen, durch die Möschen,
Bleiben hängen an den Höschen.
Eine Biene steckt ihr Köpfchen
In ein blaues Blumenglöckchen,
Von der Mittagsruhe trunken;
Tänzelnd mit den kleinen Beinen
Ist in Schlaf sie schon versunken.
Gritta steckte den Kopf aus dem Gras, um nach den Mähern zu sehen, die rund umher Heu machten. Als sie sich wendete nach dem dicht am Gebüsch vorbeilaufenden Pfad, rief sie erschrocken: „Gott, das Paterchen! Ich sah‘ ihn, er kommt den Weg entlang.“ „Still, hier in den Graben!“ rief Margareta; sie krochen alle durchs Gras und legten sich platt in den tiefen trocknen Graben dicht am Weg; aber Wildebeere fehlte. „O, wenn sie nur nicht kommt“, sagte Gritta, „wenn er gerade vorbei kommt!“ Sie lagen mäuschenstill. Des Paters Schritt kam näher, er ging vorbei. Margareta reckte zuerst den Kopf aus dem Graben und sah ihm nach, wie der Staub seine Gestalt verhüllte. „Ach“, sagte sie, „was mögen die Alten gesagt haben, als sie das Nest leer fanden!“ – „Sie werden lernen“, meinte Gritta, „dass die Vögel ihre Flügel gebrauchen.“ Sie lagerten sich wieder ins Grüne, um etwas zu ruhen, ehe sie weiter gingen. Wildebeere erschien mit einem ungeheueren Busch Kräuter und Pflanzen. Sie roch, untersuchte, sortierte und hielt dann ein Kollegium über sie, bis sie zuletzt vom Hundersten ins Tausendste, auch auf ihren Vater und seine vielen Spiritusgläser und getrockneten Pflanzen kam, die sie so gern gehabt; wie er in einem blumierten Schlafrock dazwischen herumwandelte und die einzelnen Blätter ihr zerlegt und die Namen hergesagt, bis sie diese auswendig wusste. So erzählte sie, bis sie bloß Gräsern und Wiesenblumen vorsprach, da alles in sanftem Schlummer lag. Sie weckte sie, und nachdem sie etwas mitgenommenes trocknes Brot verzehrt hatten, ging’s weiter. Sie fragten die Landleute nach dem nächsten Ort, und sieh, es war einer von denen, die zur alten Amme führten. Es wurde dämmerig. Büsche und Hügel lagen nur noch wie ein Schatten auf der Erde. Die Kinder fassten sich enger bei den Händen; eins schritt hinter dem andere, niemand begegnete ihnen. Als es ganz Nacht wurde, fühlte sich Gritta, die voranging, nur mit den Füßen fort. – Auf einmal waren sie vom Wege ab; Gritta stolperte und irrte hin und her. So ging es lange im Finstern fort; da blickte ein Lichtchen von ferne, was in einem Hause zu leuchten schien. „Dort wollen wir sehen, ob wir einen Ort zum Schlafen finden. – „Die Sterne könnten sich auch ein wenig heller schnauben, dass man besser sähe.“ „Vielleicht finden wir dort eine Scheuer oder sonst Herberge.“ Sie gingen auf das einsame Haus zu; es war weiter, als sie dachten. Bald war es nicht mehr vor einem Hügel zu sehen, bald verschwand es hinter Bäumen, endlich standen sie davor; es war ein Haus mit mehreren Nebengebäuden. „Sollen wir ins Fenster sehen?“ fragte Lieschen. „Ich hab‘ auch schon daran gedacht“, meinte Gritta. „Wie machen wir’s?“ fragten die andern. „Ei, eins steigt aufs andre; ich bin die Stärkste“, sagte Margareta, „ich stelle mich unten hin.“ „Und ich oben auf“, rief Petrina. Margareta stellte sich unter das Fenster, die andere halfen Petrina hinauf; sie guckte durch die angehauchten Fensterscheiben. „Was siehst du?“ flüsterten die unten. „Ach, fürchterlich!“ – „Was denn, was denn?“ fragten sie in Angst. „Ein Mann mit“ – „Womit, womit?“ – „Mit einem fürchterlichen Schnurrbart! – das Zimmer schwimmt voll Blut!“ – „Was?“ – fragten die unten. – Margareta rührte sich unter ihr, als habe sie Lust davon zu laufen. „Ach was“, fuhr Petrina fort, „er weidet Hasen mit einem alten Mütterchen aus, jetzt sagt er was!“ – Sie legte das Ohr ans Fenster: „Er sagt, es sei gut, dass ihn die Schnapphähne, die königlichen Jäger, bei der Eiche nicht erwischt.“ Petrina schwieg und bereitete sich zum Herabsteigen, als Margareta wankte und das Schaugebäude mit Gepolter zusammenfiel. Die kleine Kamilla hatte an Margareta hinauf zu klettern versucht, um den fürchterlichen Mann zu sehen, und sie so wankend gemacht. Alle drei erhoben sich schnell aus dem Staube und folgten den am Haus im Dunklen entlang Tappenden. Das Fenster wurde unterdessen aufgemacht, ein Mann mit grauem Hut, einer Wildhahnfeder darauf und einem Pfeifenstummel im Mund, brummte heraus. Da er aber nichts sah, Schloss er den Laden. – Die Kinder kamen an das Nebengebäude. „Ei“, rief Gritta, „hier riecht es nach Mist! – Ach, wenn wir hier Quartier im Kuhstall fänden, aber dass es der garstige Mann nicht merkt. Ach ja! Wir verstecken uns unter das Heu, wir sind so müde.“ Gritta suchte einen Eingang; sie kamen an das Hoftor, wo die Heuwagen durchfahren, und sahen durch ein Türchen im Torflügel, das offen war, hinein. – Als sie niemand merkten, gingen sie hinein und schlichen an der Seitenmauer entlang. Als einziges Unglück passierte, dass sie einen Besen und Schippe umwarfen und der Hofhund an der Kette in der Ecke zu knurren anfing. – Auf einmal verschwand die kleine Hochgräfin vor den Augen Margaretens. Mutig, aber erschrocken folgte diese und verschwand auch. – Die andern im Nachkommen sahen es nicht, und alle waren wie von der Erde weggeblasen. Wildebeere passte auf, ging verwundert wie die Katze um den Brei von der Seite ab und fand alle wohlgemut in der weichen Mistkute. Als sie wieder herausgekrabbelt waren, gingen sie auf die Stalltür zu. Gritta kuckte vorsichtig in den matt erleuchteten Stall. Es war niemand drinnen; sie lief in die fernste dunkle Ecke auf einen Heukasten zu, kletterte über die Außenwand und versank ins weiche Heu; die Übrigen taten es ihr nach. Sie schüttelten das Heu über sich auf, und begannen zu plaudern. Eine kleine trübe Stalllaterne brannte, und verbreitete ein mattes Licht. Die Kühe käuten wieder; ihre Hörner ragten aus der Dunkelheit über die gefüllten Krippen, der Brummelochse, auf der reinlichen Streu gelagert, brummelte behaglich; es war eine angenehme Stallviehwärme. An der Decke zwitscherten die jungen Schwalben in den Nestern unter den Mutterflügeln. „Ach, wie schön ist’s hier!“ sagte Gritta, mit den andern flüsternd; doch bald kam der Schlaf, und es wurde still im Heukasten. Sie hatten nicht gemerkt, dass Wildebeere, um ihre Kräuter zu untersuchen, aus dem Kasten gestiegen war und sich in die Krippe vor dem Brummelochsen gesetzt hatte, der sich wiederkäuend niedergelegt. Kamilla sah ihr neugierig nach und saß ruhig in der Krippe vor einer Kuh mit weißem Blesschen. Sie schaute sich im großen Stall um, und als sie sich genug umgeschaut, langweilte sie sich, ging wieder in den Kasten und steckte zuweilen den Kopf aus dem Heu und sah, was Wildebeere machte; diese hatte sich ruhig nach vollbrachter Forschung und nachdem sie dem Brummelochsen in seiner Frisur herum gekratzt, zum annehmlichen Brummen desselben, unter das Heu in die Krippe gelegt. Gritta wachte ein paar Mal auf; sie hatte sich vorgenommen, mit ausdauernd festem Willen, morgen in der Frühe, ehe ein Mensch in den Stall kommen werde, mit allen auf und davon zu ziehen. Sie war eben ein bisschen eingenickt gewesen und erwachte, da eine graue Dämmerung den Morgen verkündete; sie weckte die andern, als sie die Schritte eines Mannes auf den Stall zukommen hörte; sie guckte aus dem Heu, wirklich war es der fürchterliche Mann von gestern. – Er ging zu einem Gaul, der vor einer Krippe in dem feinsten Winkel stand; derweil steckte Kamilla auch den Kopf ein wenig heraus und sah nach Wildebeere. O Wunder! Der fressende freundschaftliche Brummelochs hatte das Heu oben abgefressen und, die herrlichen Blumen in Wildebeerens Tasche witternd, diese samt den andern Kräutern, die aus dem Röckchen guckten, mit geschwinder Zunge eingerafft; er kaute dabei an dem halben Rocke mit. Es war schon ein ziemliches Stück in seinem Maule verschwunden; Wildebeere schwieg und ließ sich mit Ruhe einschlingen, da sie den Mann mit dem Pferde sah und fürchtete, sie alle zu verraten. Kaum hatte Kamilla dies entdeckt, so fing sie aus vollem Halse an zu schreien: „Er frisst sie, er frisst sie!“ duckte sich aber, erschrocken über ihre eigene Stimme, schnell unters Heu. Der Mann blickte erstaunt um, sah nichts, bis zufällig sein suchender Blick auch hinter den Brummelochs kam. – Er lief darauf zu und zerrte unter lachendem Erstaunen an dem Röckchen in des Ochsen Hals. Als Gritta bemerkte, dass er mit Wildebeere beschäftigt, so sprang sie so leise als möglich aus dem Heukasten, die andern ihr nach, zur Tür hinaus. Der Mann, mit Wildebeere zu sehr beschäftigt, merkte es nicht. Sie rannten spornstreichs über den Hof, und die alte Frau, die, ihnen den Rücken zugewendet, mit den Hühnern sprach, über den Haufen. Nun ging’s übers Feld in atemloser Eile dem nahen Walde zu; hier blieben sie stehen. „Was soll nun werden?“ fragte Margareta. – „Ei“, sagte Gritta, „er wird sie ein bisschen zanken und dann laufen lassen; denn sie hat doch bloß in seinem Heu geschlafen. Wären wir alle geblieben, so hätte er sich verwundert. Es wäre ihm aufgefallen, und er hätte uns am Ende mit Sack und Pack wieder ins Kloster geschickt. lässt er sie nicht fort, nun, dann müssen wir Mut fassen und sie wieder holen.“ „Womit denn?“ fragte Margareta. Gritta schaute sich verlegen um. „Ich hab‘ einen Stock“, sagte Kamilla. – „Aber weiter nichts“, meinte Gritta. So warteten sie mit ängstlichen Herzen. Der Mann hatte unterdessen Wildebeere befreit; als sie auf zwei Füßen stand, guckte sie betrübt auf den Überrest der herrlichen Blumen, die sie gefunden. „Nun!“ sagte der Mann. „Was denn?“ fragte Wildebeere, indem sie sein Gesicht im grauen Hütel mit den Hahnenfedern ansah und bemerkte, wie es so ganz außer der großen Nase zusammengeschrumpelt und wie die Augen so herzhaft pfiffig daraus hervorleuchteten. „Wie, glaubst du vielleicht, dass meine Kühe Menschenfresser sind? – Wo bist du her? Was hast du für einen Namen, kleiner Krippenreuter, oder stammst du vielleicht ab von der großen Familie der Landstreicher? – Du sollst hier bleiben, meine Magd werden und meiner alten Schwester beistehen! Ja, ja, sieh nur nicht so drein.“ – „Ei“, sagte Wildebeere, „Mann hinterm Busch! Häschenjäger ohne Patent, ich bleibe nicht, du hältst mich nicht.“ – „Jetzt musst du hier bleiben!“ rief der Alte zornig, „woher weißt du das?“ – „Ja, aber meine Kameraden melden es, wenn du mich nicht fortlässt; die haben auch durchs Fenster gesehen gestern.“ „Potz“, rief der Alte, „wie dumm, dass ich vergaß, den Laden zu schließen! Ich will dich laufen lassen, aber du versprichst mir, dass ihr nichts sagt!“ – „Ja!“ rief Wildebeere und lief zum Tore hinaus. – Als sie über die Wiese daher gesprungen kam, freuten sich die andern. Sie gingen ein Stückchen in den Wald, bis sie dem Hause fern waren. So gingen sie den heißen Tag durch, alle sprangen herum, Wildebeere lief wie ein lebendiger Heuwagen auf der Wiese voll Blumen. Als es dämmrig worden, sahen sie in der Ferne ein Städtchen. „Nicht wahr, Margareta“, sagte Gritta, „Wir haben einen leeren Magen; ich will in die Stadt gehen und sehen, ob der Zufall was gibt. Ihr geht derweil tief in den Wald, nicht weit von der Stadt; und findet ihr dort einen Platz zum Schlafen in der Nacht, So schickt eins zurück an den Waldrand, das mich sieht, wenn ich komme, und mich hinführt.“ – Die Kinder gingen nun nach dem Wald, Gritta dem Städtchen im Tal zu. Sie kam unbemerkt durchs Tor auf einen runden Platz voll alter Häuserchen. – Die Bürger saßen vor den Haustüren und bliesen Wolken aus ihren Pfeifen; die Schornsteine rauchten, und die Hausfrauen bereiteten das Abendessen; die Kinder tummelten sich von einem Flur in den andern, und Gritta schaute die verwandten Seelen mit Wehmut an. Für jedes war ein Schüsselchen gedeckt an seiner Mutter Tisch. Aber bald saß sie ja auch bei den andern im Walde und aß mit ihnen! Aber was denn? – Ein Lädchen mit vielen Wecken glänzte ihr entgegen: durch die Fenster schauten die Bretzeln mit glänzenden Gesichtern; die Leute gingen aus und ein, und das Ladentürchen bimmelte. Gritta griff in ihre Tasche, aber es waren nur Brotkrümel darin, und für sie das weckvolle Himmelreich verschlossen; einige Tränchen liefen ihre Wangen herunter. Sie wandte ihre Augen suchend hin und her; als sie zur Erde schaute, gewahrte sie ein Kellerfenster, der milden Abendluft geöffnet. – In der fernsten Ecke des Kellers standen ein Paar hohe Federbetten, – woraus ein Paar Mädchenköpfe schauten, bis unter die Nase zugedeckt. Ein Licht stand auf dem Tisch, den Keller kaum erleuchtend; dabei saß ein schwarzer Kater und leckte sich behaglich. „Weißt du“, hob die eine an, „ich bin begierig, wann der Bäcker die Perücke im Rauchfang unter den Würsten findet.“ „Ei“, sagte die andere lachend, indem sie ihre Nase aus den Federn kommen ließ, „warum hat er uns so früh des lieben Eigennutzes wegen, wie kein anderer Bäcker, geweckt? Jetzt kann am Morgen sein Kopf frieren; er hat auch viel geboten dafür, wer ihm sage, wo sie sei.“ – Nun ging Gritta die Ladentreppe hinauf und öffnete das Reich der glänzenden Rosinenbretzeln. Auf einem Brett stand eine Reihe von Kuchenmännern; sie waren braun und blinzelten mit ihren vergnügten Augen Gritta zu, beim hellen Licht einer Lampe an der Decke. Der Bäcker, ein kleiner Mann, fragte sie, was sie wolle. „Wenn Ihr mir“, sie hätte gar zu gern „Kuchenmännchen“ gesagt, bedachte aber, dass ein Brot größer war und nützlicher für sie. „Wenn Ihr mir“, sie stockte wieder, denn ein Kuchenmännchen warf so liebevolle Blicke aus seinen Rosinenaugen auf sie, dass es ihr bis ans Herz ging. Nun nahm sie aber allen Heldenmut zusammen und sagte: „Wenn Ihr mir ein Kuchenmännchen, ein Brot wollt‘ ich sagen, geben wollt, so will ich Euch sagen, wo Eure Perücke ist.“ „Wo?“ rief der Bäcker. „Du kriegst einen Mariengroschen und sechs Kuchenmännchen dazu, wenn du mir sagst, wer sie fort getan hat!“ – Gritta warf einen sehnsüchtigen Blick nach den Kuchenmännchen empor. – „Nein, das kann ich nicht sagen; aber die Perücke hängt im Rauchfang.“ Der Bäcker ging und nach einer Weile kam er wieder, noch röter vor Zorn wie vorher. „Da“, sagte er, „hast du dein Brot und einen Mariengroschen, und sechs Kuchenmännchen sind dein, wenn du bekennst, wer die Perücke versteckte.“ – „Das kann ich nicht.“ – Und Gritta war zur Tür hinaus, ehe der Bäcker weiter fragen konnte. – Drüben hingen Würste am Fleischerladen, und so wanderte für einen halben Mariengroschen eine in ihre Tasche, und sie ging vergnügt zum Tore hinaus; hier fragte sie einen Mann, wie das nächste Städtchen heiße; sie waren richtig auf dem Wege zu ihrer Mutter Amme.

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