Die letzten Kohlen glühten auf dem Herde, und der Hochgraf schnarchte wie früher auf der Burg, wenn Gritta ihn heimlich an der Tür belauschte. Da ward ihr sehr wohl und friedlich, und nichts drückte sie als die Sorge um die fernen heimatlosen Geschwister.
Der edle Hochgraf von Rattenzuhausbeiuns hatte das Nest auf dem Baum zu seinem eignen Zweck erbaut, es war nicht etwa das zurückgelassne eines Vogels. Er hatte die tief mystische Gedankenfolge gehabt, daß man mit jenen fernen Sternwelten und dem Mond in Verbindung treten könne; ja, er glaubte sogar schon, in mehreren Nächten einen kleinen Mann auf dem Gestirn des großen Bären stehen gesehen zu haben, der gleich ihm eine Stange mit Lappen bewegte. Nun machte er alle Tage Zeichen mit der Stange, und in der Nacht, nachdem er eine Weile geschlafen, sah er nach der Antwort. Auf welche unermeßliche Höhe der Forschungen hoffte er zu kommen und welche unergründliche Tiefe der Ergründungen dachte er zu erreichen! – Am andern Morgen saß der Graf schon auf der Warte und steckte eine Stange mit seiner früheren Ritterkleidung auf, die er, nachdem sie abgenutzt war, dazu gebrauchte. Bald ließ er seine Hosen wehen, bald einen alten Rock der Gräfin. Das war für die Menschen auf der Welt eine unverständliche Frage, aber für den Mondmann sehr verständlich; der Hochgraf schrie dabei so laut, indem er wilde Gesten machte, daß Gritta aus ihren Träumen auffuhr.
Gritta würde sich nun ganz wohl bei ihrem Vater befunden haben, hätte sie nicht an das Prinzchen und ihre Schwestern gedacht. Dann tat es ihr leid, daß die Gräfin traurig war über das Bübchen und sich nach der Stadt sehnte, weil sie hoffte, dort könne ein großer Wunderdoktor es heilen; auch fehlte ihr ein Schloß mit vielen Herrlichkeiten; obwohl sie sich dies nicht merken ließ, so erriet es Gritta doch. – Der alte Hochgraf war auch oft mißmütig, daß er keinen Stoff zu Maschinen hatte und alles aus Holz machen mußte. Die Kälte und Nässe auf dem Baume setzte immer mehr Rost bei ihm an; sie fürchtete, nächstens würden Moos und Steinpilze auf ihm wachsen. Wie gern hätte sie ihm eine Sternwarte gebaut, von der er bequem das Firmament beobachten könne! Über dies alles nachzugrübeln, vergaß Gritta nur dann, wenn sie mit Peter in den Wald lief, um die hochgräflichen zwei Ziegen grasen zu lassen; das Bübchen lief an ihrem Rock sich haltend immer hintendrein. Auf dem Weideplatz legten sie ihn dann ins hohe Gras, er blieb zufrieden liegen und träumte. Während sie Reisig zum Feuer suchten, erzählten sie sich allerlei, was ihnen begegnet war; manchmal setzten sie sich auch ins Gras und flochten Körbchen aus Weiden oder Binsengras und beklebten sie mit Tannenzapfen und Moos. Es war als helfe ihnen eine heimliche Macht dabei; denn die schönsten Steinchen und bunten Käferflügel blitzten im Moos, ein leiser Wind trieb glitzernden Sand auf das Geflecht in zierlichen Arabeskenmustern von wilden Ranken, Eichhörnchen, Vögeln und fernen Landschaften mit bunten Palmen. Gritta wußte, es müßten die Elfen sein; denn sie machten sich so gar oft merklich, flüsterten mit dem kleinen Tetel; eh‘ die Kinder sich’s versahen, hatte er eine Rohrpfeife im Munde und blies, so gut er konnte. Dann spielten sie in Grittas Haar, flochten es, und verwebten es mit dem Winde vereint in wilde Schlingen. Lachte Peter darüber, so fuhr ihm wie vom Winde getrieben eine dornige Ranke übers Gesicht; freilich tat es weh, aber nachher hingen die schönsten rotgesprenkelten Äpfelchen daran. Die Ziegen standen meistens auf den Hinterfüßen und schnappten nach unsichtbaren Leckerbissen. – Waren die Körbchen fertig, so trug Peter sie zum Verkauf in die Stadt. Ein Bauer, den er kannte, nahm ihn mit und gab ihn für seinen Sohn aus; mit dem gelösten Gelde kaufte er alle Bedürfnisse ein und kam des Abends reich bepackt und mit vielerlei Neuigkeiten heim. Eines Abends brachte er die Nachricht, der König Anserrex leide an einem so starken Stockschnupfen, daß jedesmal, wenn er genießt, ein Bülletin angeschlagen werde. Einen andern Abend erzählte er, der König habe auf die Gänse, die allmorgendlich zum Verkauf in die Stadt hereingetrieben wurden, eine Steuer gelegt, nämlich daß er von jeder Gans den Leib bekomme, und die Verkäufer sollten nur Kopf, Hals, Flügel, Steiß auf den Pfoten eintreiben. Die Leute wollten sich darein garnicht finden und schlugen großen Lärm; es sei aber befohlen, die Bäcker- und Fleischerläden der guten Stadt zu schließen, welche Maßregel gewiß den besten Erfolg haben werde.
Am andere Morgen saß Gritta unter den Weidenbüschen am Quell. Sie flocht einen Korb, Peter saß über ihr in einem Weidenbaum und warf die feinsten Zweige herab; dabei erzählte er ihr, was ihm gestern im Walde begegnet war. Er hatte einen hellen Feuerschein im Gebüsch gesehen; als er etwas tiefer hinein gegangen war, erblickte er ein Kind, so groß wie Gritta, das vom aufwirbelnden Rauch umgeben auf einem Laubzweig saß, der beinah ins Feuer hing. Unten sprangen kleine Elfenkerle hin und her und gruben in eine goldne Glocke wunderliche Figuren und Zeichen ein; es ging so geschwind, sie hämmerten drauf los, daß die Funken umher stoben. Alle Zweige saßen voll Kerlchen, die ihnen zur Arbeit sangen. „Wart einmal, ich weiß noch wie es lautet!“, sagte Peter.
„Du, aus goldnem Erz gegossen,
In ein edles Rund geflossen!
Feuerzungen dich durchdrangen,
Härteten die güldnen Wangen,
Daß, wenn du wirst oben hangen
Und es kommen dann die jungen
Wilden Winde angesprungen,
Wollen spielend Klänge rauben,
Artig nur zu schmeicheln glauben,
Du nichts fühlest von den wilden Scherzen,
Weil du reines Gold bist von der Wange bis zum Herzen.“
Peter sah, daß Gritta nicht vergnügt war. „Was fehlt dir denn?“ fragte er. „Ja, siehst du, das war gewiß Wildebeere“, sagte sie, „dabei sind mir meine fernen Schwestern eingefallen. Ach, wenn es das Prinzchen wüßte, er würde gewiß helfen sie suchen. Dann tut mir leid, daß die Mutter traurig ist um den kleinen Tetel; ach, wenn das der Prinz wüßte! – Und der Vater ist am allertraurigsten, daß er nichts hat seine Maschinen zu bauen. Wenn der Prinz das wüßte!“ – „Ach Gott, was so ein Prinzchen nicht kann!“ sagte Peter, „ich will hinlaufen und ihm alles sagen.“ „Willst du das?“ rief Gritta und guckte vergnügt hinauf. In diesem Augenblick arbeitete sich etwas durch die Weidenbüsche; Scharmorzel war’s, sein schwarzer zottiger Kopf guckte durch die Zweige; er sprang hoch auf vor Freuden an ihr herauf, und sie liebkosten sich zärtlich; endlich bemerkte sie, daß um seinen Hals ein rosaseiden Band mit einem großen Brief befestigt war, sie band es ab. – Was war das für eine Handschrift! – Als wäre eine Spinne aus dem Tintenfaß über das Papier gelaufen, und ein Siegel so groß wie der Mond, auf dem eine gebratne Gans, eine Zitrone in der einen und einen Lavendelstengel in der andere Pfote haltend, abgebildet war. Peter kam eiligst herunter; sie buchstabierten lange hin und her und kriegten endlich heraus: „An meine herzallerliebste Gritta.“ – „Ach, ein Brief vom Prinzchen!“ rief Gritta, brach das Siegel und entzifferte mühsam die Schriftzüge. „Meine liebste Gritta, ich sterbe schier vor großer Sehnsucht! Mein Herz ist mir so schwer wie ein Stein, der an einem Zwirnsfaden über dem Abgrunde hängt! Sollt‘ ich Dich nicht mehr sehen, so fällt es in den Abgrund der Traurigkeit! – Ich habe mich nun immer besonnen, wie ich Dich zu mir bekommen könne. Scharmorzel durft‘ ich gar nicht heraus lassen, denn sonst wäre er zu Dir gelaufen, und das brachte mich eben auf eine kluge Idee an einem klugen Tag; ich habe nur einen in der Woche. Den Montag muß ich arbeiten bei dem schwarzen Gouverneur Pecavus, am Dienstag muß ich spazieren fahren und die Untertanen grüßen, am Mittwoch lehrt mich der Vater regieren, auf beiderlei Weisen: im königlichen Ornate und im Schlafrock. Am Donnerstag kann ich gar nichts denken, weil ich einen engen Säbelgurt tragen muß, weil Hofdiner ist; Freitag muß ich die Briefkonzepte vom Pecavus abschreiben an das Prinzeßchen, das ich heiraten soll, und am Abend gelehrte Fragen an die Hofgelehrten tun. Aber am Sonnabend mach‘ ich mich davon und fliehe in den alten Teil unseres Landschlosses, wo niemand ist, weil es dort spukt. Dort denk‘ ich denn an Dich, und dort fiel mir auch ein, daß, wenn ich Scharmorzel losließe, er Dich gewiß auffinden werde; drum werd‘ ich ihm diesen Brief anbinden. Komm, liebste Gritta, besuche mich, ich darf nicht mehr fort vom Schloß. Wenn Du kommst, wart am Waldesrand, bis es Nacht wird; dann geh über die Wiese bis zum Schloß, aber nicht zum Tor herein, sondern links nach dem alten Teil, da stehen zwei Türme, zwischen denen will ich Dir etwas herablassen, worauf Du Dich setzen kannst. Dann zieh ich Dich zu mir herauf, dann wollen wir uns zusammen besprechen, was werden soll. Heute, morgen und übermorgen Abend harre ich auf Dich; kommst Du in dieser Zeit nicht, so denk‘ ich, Du bist rein weg von der Welt, und mein Herz plumpst in die dunkelste Schwermut. Ach, wie gern entflöh‘ ich mit Dir! Aber ich verstehe gar nicht, meine feinen Halskragen einzupacken, daß sie nicht verderben. Ade! Bonus.“
Der alte Hochgraf hatte nichts dawider, daß Gritta sich auf den Weg mache; er meinte, sie solle durch den Prinzen auszuwirken suchen, daß sie frei in der Stadt leben könnten. Gritta flickte noch alle Löcher in ihrem Röckchen, nahm ihr Bündel, von der Hochgräfin mit Brot gefüllt, küßte den kleinen Tetel und wanderte ab; der Hochgraf stieg auf sein Nest und schaute ihr nach. Peter begleitete sie ein Stück Weges; er wäre gern ganz mitgegangen, aber Gritta wollte, er solle bei der Familie im Wald bleiben. Nachdem er genau den Weg beschrieben, schied er von ihr und kehrte zurück. Scharmorzel lief mit, sie wanderten getrost zusammen durch den einsamen Wald. –
Bald ward es Nacht; der Mond spielte durch das Laub, es war wieder ganz so herrlich wie damals, wo sie die Geister sah. Als sie tiefer in den Wald kam, begegnete ihr ein Zug weißer Elfen, der an ihr vorbei flog, sie verschwanden in den Bäumen. Es war alles so still, Gritta lauschte, die alten bemoosten Eichen schüttelten ihre Laubkronen im Nachtwind. – Sie wollte schon weiter gehen, als ein Elfchen auf sie zugezogen kam; der kleine weiße Geist ließ sich auf ihre Schulter nieder. „Es ist gut, daß ich dich hier treffe“, rief er. „Wie wußtest du denn, daß ich kommen würde?“ fragte Gritta. „O, der Großvater, der Mond, hat’s mir gesagt. Er hat dich schon lange gehen sehen, er bewacht dich immer des Nachts und auch zuweilen am Tage, wenn er ganz unnütz vom Himmel herab sieht. Doch komm, ich muß dich zu meiner Herrin führen.“ Das Elfchen flog voran durch einen dunklen Laubgang; am Ende desselben schlüpfte es in eine hohle Eiche. Gritta folgte, sie standen im Innern des Baumes! – „Leise! – sagte das Elfchen und legte den Finger auf den Mund. Es war halb dunkel; eine blaue Glockenblume, in der ein Glühwürmchen ruhte, verbreitete ein sanftes Licht und hing über einem weißen Bettchen, von Gold gedrechselt, mit Spinnweb überzogen; der gute Nachbar und Wirt, der Maulwurf, hatte sein Samtfellchen bei seinem Tode den Elfen im Testament vermacht: es war als Teppich ausgebreitet. Die Wände waren rings mit grünem Moos tapeziert. Zur Seite saß die Elfenfürstin, ein Elfchen strählte ihr das Haar; der Tautropfen, der als Spiegel aufgehängt war, ließ ihr nachdenklich trauriges Gesicht sehen. – Keins sprach ein Wort, es war so leise dämmerig im Gemach der sanften Elfe. Das Kammerelfchen winkte mit höchst bedenklichen Mienen zu schweigen; doch plötzlich drehte sich die Gebieterin um; als sie Gritta gewahrte, winkte sie den Elfen, und sie verschwanden. „Liebe kleine Hochgräfin, setz dich auf die Erde, daß du besser hörst was ich dir zu sagen habe!“ rief sie freundlich. – Gritta hockte sich neben sie und bog den Kopf nieder. Ihr Haar bildete eine goldne Leiter bis zu der Elfe, sie stieg daran hinauf, hängte sich hinein und begann: „Liebes Kind, schon lang bekümmere ich mich um dein Schicksal und führe über dich die treuste Aufsicht, du bist mir anempfohlen durch einen Geist; wir begegnen uns so oft auf dem Erdkreis mit den Geistern der Menschen; weil sie wie wir zur Nacht ihre rechte Lebenszeit haben, so haben wir auch Freundschaft mit ihnen geschlossen. Als ihr ans Land getrieben wurdet nach jenem Sturm auf dem Meer, haben wir euch errettet; der Schmetterling, der dich in die warme Mooshöhle, euern Wohnort, lockte, war von mir gesandt. Meine Elfen machten die zwei Ziegen eines Hirten wild, der in der Nähe hütete, und jagten sie euch zu, damit ihr Nahrung haben solltet; ja, so manches haben wir für euch getan, wovon ihr nichts geahnt habt. – Jetzt, da ich vernehm‘, dass du zum Prinzchen gehst, hab‘ ich dich vor einer Gefahr zu warnen, vor dem Gouverneur Pecavus: er ist niemand anders als der Pater Pecavi aus dem Kloster. Die alte Nonne Sequestra gab den Ratten jährlich eine Speckabgabe, dass sie nie in das Kloster kommen durften, als wenn sie sie rufen ließ. Sie hatten ihr aber eine Nachricht zu bringen und hörten ungeahnt von ihr, wie sie mit dem Pater sich lustig darüber machte, die Ratten betrogen und ihnen verheimlicht zu haben, dass dich die Gräfin richtig ins Kloster geschickt und nicht im Wald umbringen lassen oder in die weite Welt gejagt. Zu Anfang ließen die Ratten ihren Zorn nicht merken, bis sie in einer Nacht mit allen Goldsäcken der Erbschaft deiner Mutter entflohen, die Sequestra im Kloster aufgespeichert hatte. Deinen Vater, von dem sie meinten, er habe drein gewilligt dich zu verstoßen, hatten sie schon verjagt und konnten also nichts wieder gut machen. Aber von nun an hinderte nichts ihre blutige Rache an den alten Nonnen: sie bissen ihnen des Nachts in den großen Zeh und in die Nase, zwickten sie, wo sie ankommen konnten, und zerstörten alles, so dass sie nicht mehr wussten, wohin. Dem Pater Pecavi ging’s in seiner Waldklause nicht besser; zuletzt löste sich das Kloster auf, die alten Nonnen wie die jungen gewannen einstweilen ihre Freiheit wieder, bis die Ratten vertrieben seien. Sie werden aber dann gewiss auch nicht zurück gewollt haben. Der Pater Pecavi, der nun keinen Anhalt mehr hatte, reiste nach fremden Ländern, kam endlich hierher nach Sumbona und wurde Gouverneur.“ Gritta war ganz verwundert: warum hatte sie das nicht gleich entdeckt, dass er das Paterchen Pecavi war? „Schöne, liebe Fürstin“, rief sie, „nun ist keine Not mehr für mich, ich brauche bloß zu dem großen König Anserrex zu sagen, der Gouverneur Pecavus ist niemand anders als das Paterchen Pecavi, eine tiefgesunkene Seele!“ – „Und meinst du denn, der König würde das glauben?“ unterbrach sie die Elfenfürstin. „Eh‘ du es sagen kannst, erwischt dich auch der Gouverneur Pecavus und steckt dich ins schwarze Loch, und wenn du es sagst, macht er doch dem König weis, du lügst, aber hier“, sagte sie und langte aus dem Moos einen Brief mit großem Siegel hervor, „suche dem König diesen Brief heimlich beizubringen! Wenn er ihn liest, so ist dir und dem Volk geholfen; aber kannst du ihn ihm nicht heimlich geben, so lässt er Pecavus ihn vorlesen, und der liest nichts heraus. Gehst du durch das Tor ein in das Landschloß, so erfährt es Pecavus, steckt dich entweder ein oder gibt acht, was du machst. Dies alles muss ich dir überlassen, meine liebe Gritta, dir und deinem feinen Verstande. Bleib jetzt noch ein Weilchen bei mir, dann kannst du fortgehen.“ Vor der Baumhöhle schimmerten weiße Gestaltchen, es waren die kleinen Elfen. Die Fürstin rief Gritta, ihr zu folgen, flog hinaus und schwebte dem Zuge voran. Gritta lief neben der kleinen Elfe, die sie hergeleitet hatte. „Elfchen“, sagte sie, „setz dich auf meine Schulter und sage mir, warum ist eure Gebieterin so traurig?“ „Ach“, erwiderte es, „ihr Bräutigam ist vom Mond bei seinem letzten Herbstschnupfen weggeniest worden. Wer weiß, ob wir ihn je wiederfinden!“ Sie langten auf einem mondbeschienenen freien Waldplatz an; die Elfchen setzten sich in luftigen Reihen auf die Grasspitzen, und Gritta wurde neben die Königin gesetzt. Die kristallnen Becher klangen, die Elfchen schrieen untereinander, sanft vom Tau berauscht. Der Elfenkammerherr, im weißen Lilienblättersammet, mit Taudiamanten besetzt, erzählte in einem fort Geschichten ohne Pointe und amüsierte damit den Hof. Eine Menge junger mondsüchtiger Elfenhofdamen wurden anmutig rot, wenn er feine Liebesanspielungen machte. Alles schmeckte Gritta süß nach Blumen und Honig; dabei wurde eine sanfte Tafelmusik gemacht, die man kaum hörte. Der Mond schien besonders guter Laune, er lächelte zuweilen herab. Obschon ihr alles sehr wohl gefiel, so meinte sie doch, sie müsse fort, und nahm Abschied. „Leb wohl!“ sagte die Fürstin, flog in die Höhe und klopfte sanft der kleinen Hochgräfin die runde rote Wange. „Wenn du mich nicht wiedersehen solltest, so werd‘ ich doch um dich sein. Sei weise und wandle wie bisher in den Kinderschuhen!“ Gritta ging; am Waldesrand drehte sie sich noch einmal um und sah nach dem wilden lustigen Fest, wo die Elfen im Mondschein gleich bis zum Himmel tanzten. Dann schritt sie schnell und eilfertig ihres Weges.
Der edle Hochgraf von Rattenzuhausbeiuns hatte das Nest auf dem Baum zu seinem eignen Zweck erbaut, es war nicht etwa das zurückgelassne eines Vogels. Er hatte die tief mystische Gedankenfolge gehabt, daß man mit jenen fernen Sternwelten und dem Mond in Verbindung treten könne; ja, er glaubte sogar schon, in mehreren Nächten einen kleinen Mann auf dem Gestirn des großen Bären stehen gesehen zu haben, der gleich ihm eine Stange mit Lappen bewegte. Nun machte er alle Tage Zeichen mit der Stange, und in der Nacht, nachdem er eine Weile geschlafen, sah er nach der Antwort. Auf welche unermeßliche Höhe der Forschungen hoffte er zu kommen und welche unergründliche Tiefe der Ergründungen dachte er zu erreichen! – Am andern Morgen saß der Graf schon auf der Warte und steckte eine Stange mit seiner früheren Ritterkleidung auf, die er, nachdem sie abgenutzt war, dazu gebrauchte. Bald ließ er seine Hosen wehen, bald einen alten Rock der Gräfin. Das war für die Menschen auf der Welt eine unverständliche Frage, aber für den Mondmann sehr verständlich; der Hochgraf schrie dabei so laut, indem er wilde Gesten machte, daß Gritta aus ihren Träumen auffuhr.
Gritta würde sich nun ganz wohl bei ihrem Vater befunden haben, hätte sie nicht an das Prinzchen und ihre Schwestern gedacht. Dann tat es ihr leid, daß die Gräfin traurig war über das Bübchen und sich nach der Stadt sehnte, weil sie hoffte, dort könne ein großer Wunderdoktor es heilen; auch fehlte ihr ein Schloß mit vielen Herrlichkeiten; obwohl sie sich dies nicht merken ließ, so erriet es Gritta doch. – Der alte Hochgraf war auch oft mißmütig, daß er keinen Stoff zu Maschinen hatte und alles aus Holz machen mußte. Die Kälte und Nässe auf dem Baume setzte immer mehr Rost bei ihm an; sie fürchtete, nächstens würden Moos und Steinpilze auf ihm wachsen. Wie gern hätte sie ihm eine Sternwarte gebaut, von der er bequem das Firmament beobachten könne! Über dies alles nachzugrübeln, vergaß Gritta nur dann, wenn sie mit Peter in den Wald lief, um die hochgräflichen zwei Ziegen grasen zu lassen; das Bübchen lief an ihrem Rock sich haltend immer hintendrein. Auf dem Weideplatz legten sie ihn dann ins hohe Gras, er blieb zufrieden liegen und träumte. Während sie Reisig zum Feuer suchten, erzählten sie sich allerlei, was ihnen begegnet war; manchmal setzten sie sich auch ins Gras und flochten Körbchen aus Weiden oder Binsengras und beklebten sie mit Tannenzapfen und Moos. Es war als helfe ihnen eine heimliche Macht dabei; denn die schönsten Steinchen und bunten Käferflügel blitzten im Moos, ein leiser Wind trieb glitzernden Sand auf das Geflecht in zierlichen Arabeskenmustern von wilden Ranken, Eichhörnchen, Vögeln und fernen Landschaften mit bunten Palmen. Gritta wußte, es müßten die Elfen sein; denn sie machten sich so gar oft merklich, flüsterten mit dem kleinen Tetel; eh‘ die Kinder sich’s versahen, hatte er eine Rohrpfeife im Munde und blies, so gut er konnte. Dann spielten sie in Grittas Haar, flochten es, und verwebten es mit dem Winde vereint in wilde Schlingen. Lachte Peter darüber, so fuhr ihm wie vom Winde getrieben eine dornige Ranke übers Gesicht; freilich tat es weh, aber nachher hingen die schönsten rotgesprenkelten Äpfelchen daran. Die Ziegen standen meistens auf den Hinterfüßen und schnappten nach unsichtbaren Leckerbissen. – Waren die Körbchen fertig, so trug Peter sie zum Verkauf in die Stadt. Ein Bauer, den er kannte, nahm ihn mit und gab ihn für seinen Sohn aus; mit dem gelösten Gelde kaufte er alle Bedürfnisse ein und kam des Abends reich bepackt und mit vielerlei Neuigkeiten heim. Eines Abends brachte er die Nachricht, der König Anserrex leide an einem so starken Stockschnupfen, daß jedesmal, wenn er genießt, ein Bülletin angeschlagen werde. Einen andern Abend erzählte er, der König habe auf die Gänse, die allmorgendlich zum Verkauf in die Stadt hereingetrieben wurden, eine Steuer gelegt, nämlich daß er von jeder Gans den Leib bekomme, und die Verkäufer sollten nur Kopf, Hals, Flügel, Steiß auf den Pfoten eintreiben. Die Leute wollten sich darein garnicht finden und schlugen großen Lärm; es sei aber befohlen, die Bäcker- und Fleischerläden der guten Stadt zu schließen, welche Maßregel gewiß den besten Erfolg haben werde.
Am andere Morgen saß Gritta unter den Weidenbüschen am Quell. Sie flocht einen Korb, Peter saß über ihr in einem Weidenbaum und warf die feinsten Zweige herab; dabei erzählte er ihr, was ihm gestern im Walde begegnet war. Er hatte einen hellen Feuerschein im Gebüsch gesehen; als er etwas tiefer hinein gegangen war, erblickte er ein Kind, so groß wie Gritta, das vom aufwirbelnden Rauch umgeben auf einem Laubzweig saß, der beinah ins Feuer hing. Unten sprangen kleine Elfenkerle hin und her und gruben in eine goldne Glocke wunderliche Figuren und Zeichen ein; es ging so geschwind, sie hämmerten drauf los, daß die Funken umher stoben. Alle Zweige saßen voll Kerlchen, die ihnen zur Arbeit sangen. „Wart einmal, ich weiß noch wie es lautet!“, sagte Peter.
„Du, aus goldnem Erz gegossen,
In ein edles Rund geflossen!
Feuerzungen dich durchdrangen,
Härteten die güldnen Wangen,
Daß, wenn du wirst oben hangen
Und es kommen dann die jungen
Wilden Winde angesprungen,
Wollen spielend Klänge rauben,
Artig nur zu schmeicheln glauben,
Du nichts fühlest von den wilden Scherzen,
Weil du reines Gold bist von der Wange bis zum Herzen.“
Peter sah, daß Gritta nicht vergnügt war. „Was fehlt dir denn?“ fragte er. „Ja, siehst du, das war gewiß Wildebeere“, sagte sie, „dabei sind mir meine fernen Schwestern eingefallen. Ach, wenn es das Prinzchen wüßte, er würde gewiß helfen sie suchen. Dann tut mir leid, daß die Mutter traurig ist um den kleinen Tetel; ach, wenn das der Prinz wüßte! – Und der Vater ist am allertraurigsten, daß er nichts hat seine Maschinen zu bauen. Wenn der Prinz das wüßte!“ – „Ach Gott, was so ein Prinzchen nicht kann!“ sagte Peter, „ich will hinlaufen und ihm alles sagen.“ „Willst du das?“ rief Gritta und guckte vergnügt hinauf. In diesem Augenblick arbeitete sich etwas durch die Weidenbüsche; Scharmorzel war’s, sein schwarzer zottiger Kopf guckte durch die Zweige; er sprang hoch auf vor Freuden an ihr herauf, und sie liebkosten sich zärtlich; endlich bemerkte sie, daß um seinen Hals ein rosaseiden Band mit einem großen Brief befestigt war, sie band es ab. – Was war das für eine Handschrift! – Als wäre eine Spinne aus dem Tintenfaß über das Papier gelaufen, und ein Siegel so groß wie der Mond, auf dem eine gebratne Gans, eine Zitrone in der einen und einen Lavendelstengel in der andere Pfote haltend, abgebildet war. Peter kam eiligst herunter; sie buchstabierten lange hin und her und kriegten endlich heraus: „An meine herzallerliebste Gritta.“ – „Ach, ein Brief vom Prinzchen!“ rief Gritta, brach das Siegel und entzifferte mühsam die Schriftzüge. „Meine liebste Gritta, ich sterbe schier vor großer Sehnsucht! Mein Herz ist mir so schwer wie ein Stein, der an einem Zwirnsfaden über dem Abgrunde hängt! Sollt‘ ich Dich nicht mehr sehen, so fällt es in den Abgrund der Traurigkeit! – Ich habe mich nun immer besonnen, wie ich Dich zu mir bekommen könne. Scharmorzel durft‘ ich gar nicht heraus lassen, denn sonst wäre er zu Dir gelaufen, und das brachte mich eben auf eine kluge Idee an einem klugen Tag; ich habe nur einen in der Woche. Den Montag muß ich arbeiten bei dem schwarzen Gouverneur Pecavus, am Dienstag muß ich spazieren fahren und die Untertanen grüßen, am Mittwoch lehrt mich der Vater regieren, auf beiderlei Weisen: im königlichen Ornate und im Schlafrock. Am Donnerstag kann ich gar nichts denken, weil ich einen engen Säbelgurt tragen muß, weil Hofdiner ist; Freitag muß ich die Briefkonzepte vom Pecavus abschreiben an das Prinzeßchen, das ich heiraten soll, und am Abend gelehrte Fragen an die Hofgelehrten tun. Aber am Sonnabend mach‘ ich mich davon und fliehe in den alten Teil unseres Landschlosses, wo niemand ist, weil es dort spukt. Dort denk‘ ich denn an Dich, und dort fiel mir auch ein, daß, wenn ich Scharmorzel losließe, er Dich gewiß auffinden werde; drum werd‘ ich ihm diesen Brief anbinden. Komm, liebste Gritta, besuche mich, ich darf nicht mehr fort vom Schloß. Wenn Du kommst, wart am Waldesrand, bis es Nacht wird; dann geh über die Wiese bis zum Schloß, aber nicht zum Tor herein, sondern links nach dem alten Teil, da stehen zwei Türme, zwischen denen will ich Dir etwas herablassen, worauf Du Dich setzen kannst. Dann zieh ich Dich zu mir herauf, dann wollen wir uns zusammen besprechen, was werden soll. Heute, morgen und übermorgen Abend harre ich auf Dich; kommst Du in dieser Zeit nicht, so denk‘ ich, Du bist rein weg von der Welt, und mein Herz plumpst in die dunkelste Schwermut. Ach, wie gern entflöh‘ ich mit Dir! Aber ich verstehe gar nicht, meine feinen Halskragen einzupacken, daß sie nicht verderben. Ade! Bonus.“
Der alte Hochgraf hatte nichts dawider, daß Gritta sich auf den Weg mache; er meinte, sie solle durch den Prinzen auszuwirken suchen, daß sie frei in der Stadt leben könnten. Gritta flickte noch alle Löcher in ihrem Röckchen, nahm ihr Bündel, von der Hochgräfin mit Brot gefüllt, küßte den kleinen Tetel und wanderte ab; der Hochgraf stieg auf sein Nest und schaute ihr nach. Peter begleitete sie ein Stück Weges; er wäre gern ganz mitgegangen, aber Gritta wollte, er solle bei der Familie im Wald bleiben. Nachdem er genau den Weg beschrieben, schied er von ihr und kehrte zurück. Scharmorzel lief mit, sie wanderten getrost zusammen durch den einsamen Wald. –
Bald ward es Nacht; der Mond spielte durch das Laub, es war wieder ganz so herrlich wie damals, wo sie die Geister sah. Als sie tiefer in den Wald kam, begegnete ihr ein Zug weißer Elfen, der an ihr vorbei flog, sie verschwanden in den Bäumen. Es war alles so still, Gritta lauschte, die alten bemoosten Eichen schüttelten ihre Laubkronen im Nachtwind. – Sie wollte schon weiter gehen, als ein Elfchen auf sie zugezogen kam; der kleine weiße Geist ließ sich auf ihre Schulter nieder. „Es ist gut, daß ich dich hier treffe“, rief er. „Wie wußtest du denn, daß ich kommen würde?“ fragte Gritta. „O, der Großvater, der Mond, hat’s mir gesagt. Er hat dich schon lange gehen sehen, er bewacht dich immer des Nachts und auch zuweilen am Tage, wenn er ganz unnütz vom Himmel herab sieht. Doch komm, ich muß dich zu meiner Herrin führen.“ Das Elfchen flog voran durch einen dunklen Laubgang; am Ende desselben schlüpfte es in eine hohle Eiche. Gritta folgte, sie standen im Innern des Baumes! – „Leise! – sagte das Elfchen und legte den Finger auf den Mund. Es war halb dunkel; eine blaue Glockenblume, in der ein Glühwürmchen ruhte, verbreitete ein sanftes Licht und hing über einem weißen Bettchen, von Gold gedrechselt, mit Spinnweb überzogen; der gute Nachbar und Wirt, der Maulwurf, hatte sein Samtfellchen bei seinem Tode den Elfen im Testament vermacht: es war als Teppich ausgebreitet. Die Wände waren rings mit grünem Moos tapeziert. Zur Seite saß die Elfenfürstin, ein Elfchen strählte ihr das Haar; der Tautropfen, der als Spiegel aufgehängt war, ließ ihr nachdenklich trauriges Gesicht sehen. – Keins sprach ein Wort, es war so leise dämmerig im Gemach der sanften Elfe. Das Kammerelfchen winkte mit höchst bedenklichen Mienen zu schweigen; doch plötzlich drehte sich die Gebieterin um; als sie Gritta gewahrte, winkte sie den Elfen, und sie verschwanden. „Liebe kleine Hochgräfin, setz dich auf die Erde, daß du besser hörst was ich dir zu sagen habe!“ rief sie freundlich. – Gritta hockte sich neben sie und bog den Kopf nieder. Ihr Haar bildete eine goldne Leiter bis zu der Elfe, sie stieg daran hinauf, hängte sich hinein und begann: „Liebes Kind, schon lang bekümmere ich mich um dein Schicksal und führe über dich die treuste Aufsicht, du bist mir anempfohlen durch einen Geist; wir begegnen uns so oft auf dem Erdkreis mit den Geistern der Menschen; weil sie wie wir zur Nacht ihre rechte Lebenszeit haben, so haben wir auch Freundschaft mit ihnen geschlossen. Als ihr ans Land getrieben wurdet nach jenem Sturm auf dem Meer, haben wir euch errettet; der Schmetterling, der dich in die warme Mooshöhle, euern Wohnort, lockte, war von mir gesandt. Meine Elfen machten die zwei Ziegen eines Hirten wild, der in der Nähe hütete, und jagten sie euch zu, damit ihr Nahrung haben solltet; ja, so manches haben wir für euch getan, wovon ihr nichts geahnt habt. – Jetzt, da ich vernehm‘, dass du zum Prinzchen gehst, hab‘ ich dich vor einer Gefahr zu warnen, vor dem Gouverneur Pecavus: er ist niemand anders als der Pater Pecavi aus dem Kloster. Die alte Nonne Sequestra gab den Ratten jährlich eine Speckabgabe, dass sie nie in das Kloster kommen durften, als wenn sie sie rufen ließ. Sie hatten ihr aber eine Nachricht zu bringen und hörten ungeahnt von ihr, wie sie mit dem Pater sich lustig darüber machte, die Ratten betrogen und ihnen verheimlicht zu haben, dass dich die Gräfin richtig ins Kloster geschickt und nicht im Wald umbringen lassen oder in die weite Welt gejagt. Zu Anfang ließen die Ratten ihren Zorn nicht merken, bis sie in einer Nacht mit allen Goldsäcken der Erbschaft deiner Mutter entflohen, die Sequestra im Kloster aufgespeichert hatte. Deinen Vater, von dem sie meinten, er habe drein gewilligt dich zu verstoßen, hatten sie schon verjagt und konnten also nichts wieder gut machen. Aber von nun an hinderte nichts ihre blutige Rache an den alten Nonnen: sie bissen ihnen des Nachts in den großen Zeh und in die Nase, zwickten sie, wo sie ankommen konnten, und zerstörten alles, so dass sie nicht mehr wussten, wohin. Dem Pater Pecavi ging’s in seiner Waldklause nicht besser; zuletzt löste sich das Kloster auf, die alten Nonnen wie die jungen gewannen einstweilen ihre Freiheit wieder, bis die Ratten vertrieben seien. Sie werden aber dann gewiss auch nicht zurück gewollt haben. Der Pater Pecavi, der nun keinen Anhalt mehr hatte, reiste nach fremden Ländern, kam endlich hierher nach Sumbona und wurde Gouverneur.“ Gritta war ganz verwundert: warum hatte sie das nicht gleich entdeckt, dass er das Paterchen Pecavi war? „Schöne, liebe Fürstin“, rief sie, „nun ist keine Not mehr für mich, ich brauche bloß zu dem großen König Anserrex zu sagen, der Gouverneur Pecavus ist niemand anders als das Paterchen Pecavi, eine tiefgesunkene Seele!“ – „Und meinst du denn, der König würde das glauben?“ unterbrach sie die Elfenfürstin. „Eh‘ du es sagen kannst, erwischt dich auch der Gouverneur Pecavus und steckt dich ins schwarze Loch, und wenn du es sagst, macht er doch dem König weis, du lügst, aber hier“, sagte sie und langte aus dem Moos einen Brief mit großem Siegel hervor, „suche dem König diesen Brief heimlich beizubringen! Wenn er ihn liest, so ist dir und dem Volk geholfen; aber kannst du ihn ihm nicht heimlich geben, so lässt er Pecavus ihn vorlesen, und der liest nichts heraus. Gehst du durch das Tor ein in das Landschloß, so erfährt es Pecavus, steckt dich entweder ein oder gibt acht, was du machst. Dies alles muss ich dir überlassen, meine liebe Gritta, dir und deinem feinen Verstande. Bleib jetzt noch ein Weilchen bei mir, dann kannst du fortgehen.“ Vor der Baumhöhle schimmerten weiße Gestaltchen, es waren die kleinen Elfen. Die Fürstin rief Gritta, ihr zu folgen, flog hinaus und schwebte dem Zuge voran. Gritta lief neben der kleinen Elfe, die sie hergeleitet hatte. „Elfchen“, sagte sie, „setz dich auf meine Schulter und sage mir, warum ist eure Gebieterin so traurig?“ „Ach“, erwiderte es, „ihr Bräutigam ist vom Mond bei seinem letzten Herbstschnupfen weggeniest worden. Wer weiß, ob wir ihn je wiederfinden!“ Sie langten auf einem mondbeschienenen freien Waldplatz an; die Elfchen setzten sich in luftigen Reihen auf die Grasspitzen, und Gritta wurde neben die Königin gesetzt. Die kristallnen Becher klangen, die Elfchen schrieen untereinander, sanft vom Tau berauscht. Der Elfenkammerherr, im weißen Lilienblättersammet, mit Taudiamanten besetzt, erzählte in einem fort Geschichten ohne Pointe und amüsierte damit den Hof. Eine Menge junger mondsüchtiger Elfenhofdamen wurden anmutig rot, wenn er feine Liebesanspielungen machte. Alles schmeckte Gritta süß nach Blumen und Honig; dabei wurde eine sanfte Tafelmusik gemacht, die man kaum hörte. Der Mond schien besonders guter Laune, er lächelte zuweilen herab. Obschon ihr alles sehr wohl gefiel, so meinte sie doch, sie müsse fort, und nahm Abschied. „Leb wohl!“ sagte die Fürstin, flog in die Höhe und klopfte sanft der kleinen Hochgräfin die runde rote Wange. „Wenn du mich nicht wiedersehen solltest, so werd‘ ich doch um dich sein. Sei weise und wandle wie bisher in den Kinderschuhen!“ Gritta ging; am Waldesrand drehte sie sich noch einmal um und sah nach dem wilden lustigen Fest, wo die Elfen im Mondschein gleich bis zum Himmel tanzten. Dann schritt sie schnell und eilfertig ihres Weges.