„Dein Ururururgroßvater hatte seine Kinder gar artig erzogen, bis er Graf wurde; da bekam er aber noch ein Mägdlein und meinte, weil er Graf geworden, dürfe eine kleine Gräfin doch nicht mehr die Rute kosten; so wurden denn die Rutenbäume hier um des Herrn Grafen Schloss gar nicht mehr gepflegt; die kleine Gräfin wuchs auf in aller Unart. Der Graf wusste kein Mittel, sie zu strafen, das nicht das Gräfliche in ihr verletzte. Er kannte noch nicht den Spruch, der jetzt in mehreren Familien gang und gäbe ist: „Heute kriegst du nichts zu essen!“ – und dachte, es werde immer bei den kleinen Unarten bleiben. Aber das war Irrtum; sie entwuchs der Rutenzeit, ward wild, lief in den Wald, blieb Nächte lang aus, kam des Morgens mit wilden Dornenranken, Moos und Nachttau in den fliegenden Haaren stolz nach Haus. In der Frühsonne regte sich besonders ihre Lustigkeit, wenn sie den betauten Gräserfußpfad hinauflief, ihren stolzen Gliederbau dem Himmel entgegen hob und Frühluft trank, dann sang sie die im Walde selbst erfundenen Weisen. So kam sie eines Morgens auch mit einem jungen Bären bepackt, der sie im Walde angefallen und den sie mit ihren festen und starken Gliedern erwürgt, gerade als ihr Herr Papa mit einem jungen Manne sprach, den er ihr zum Bräutigam erwählt. Der Bär mit seinem dunklen Fell hing ihr über die weiße Schulter, und das Blut tröpfelte aus einer Wunde, die seine Tatze ihr geschlagen. Ihre Stimme, die wie die des Windes war, der um die Burg des Nachts sang, erschallte; der junge Graf mit seinem blassen Angesicht und schwarzen Bart schaute sie freundlich an. Sie hatte fast einen kalten Blick, weil alles Feuer ihrer Augen sich tief in sie zurückgedrängt hatte. Aber, meldet die Sage, als sie ihn angeschaut, brach es aus, das Feuer ihres Herzens, ihrer Seele; darum auch, meldet sie ferner, dass sie das Fräulein vom Feuerauge hieß. Jetzt liebte sie den Grafen mit Leidenschaft; sie war nicht seine Braut, das durfte man nicht sagen, sie war sein Geselle, – aber das konnte ihrem Herrn Papa keine Freude machen. Fröhlich eilten sie nebeneinander mit Wurfgeschossen über die Berge und durch Schluchten und auf moosigen Pfaden unter Gebüschen hinweg. Die rauschenden Waldeslüfte strömten ihnen voran, dem Wilde nach; sie sangen zusammen; studierte er, wozu er besondere Neigung hatte, so lernte sie mit ihm. Bis spät in die Nacht saßen sie oft vor den alten Folianten, die Arme in einander verschlungen, eins dem andern helfend. – Ach, der gute, alte Vater wusste gar nicht, wie er sich dabei anstellen solle; er hatte Sorge, dass dies einer jungen Hochgräfin böse Nachrede machen werde; auch bekümmerte ihn das sehr, dass sie so tief in frühere Zeiten sich bewanderten, wo die Welt noch auf der linken Seite mochte gelegen haben. Dies verdross den Grafen sehr; er mochte nun einmal durchaus nicht leiden, dass sie in den alten Büchern herumsuchten, aus denen die Staubwolken beim Umwenden der Blätter aufstiegen und die alten Bilder mit grinsenden Gesichtern schnell herausguckten; kurz, er wurde immer unzufriedner. Besonders schrieb sich sein Unwille gegen dieses Bücherdurchsuchen daher, weil er einmal in Gemütsruhe im Keller unter dem offnen Kranen am Weinfasse liegend, während der Wein wie ein Bächlein durch die Gebirge und Wiesen seines Innern floss, es ihm vorkam, als ob die Bücher aus der Bibliothek dahergetrampelt kämen und knurrten ihn an und öffneten ihre Blätter und klappten wieder zu, worauf allemal große Staubwolken herausfuhren, die sich zu alten Mönchen und andern dergleichen wunderlichen Gestalten formten, dann umherspazierten und feine Liedchen auf seine Trunkenheit sangen. Diese Spottgesichte konnte er nicht vergessen, und oft schaute er nach dem Rutenstammbaum hinüber, der mit seinen Blättern säuselnd, ihn zu mahnen schien, dass er seinen Einspruch bei der Erziehung der Gräfin abgelehnt habe. – Es brach Krieg aus, der junge Graf zog mit einem Fähnlein Reiter fort. Jetzt glaubte der alte Herr die junge Gräfin unter seiner Regierung zu haben; er wollte, sie solle still zu Hause sitzen und einen Kaminschirm sticken. Ihr pochte es in allen Gliedern, und wenn sie durch die Schloßfenster hinausschaute auf die blauen Berge, die gleich einer Mauer vor einem tatenkräftigen Leben ihr lagen, wurde es ihr oft so eng, dass sie die Vorhänge ihres großen Himmelbettes aufriss und mit den Kissen zu bombardieren anfing, so dass die Federn stiebten; bald ließ sie diese wider die goldnen Engel fliegen, die die Federkrone des Betthimmels trugen, bald in die und jene Ecke. Kam nun der alte Graf in solchem Augenblick, wo alles krachte und knarrte, in ihr Zimmer, so zog sie schnell die Gardinen ums Bett und steckte sich unter ein großes Federbett, was sie fest um sich wickelte. Da stand nun der Graf und predigte ihr Stunden lang vor. So kam er auch wieder eines Morgens, mit einem Arm voll Seide zu jenem Kaminschirm, den sie noch nicht angefangen hatte; da lag wieder das große Federbett; der Graf stellte sich davor und zankte, aber heut blieb das Federbett besonders ruhig liegen; – sonst hatte sie zuweilen ihren Kopf hervorgestreckt und ihn dann schnell wieder zurückgezogen. Endlich ward der Graf über ihren Mangel an Anteil zornig, dass er sich Mut fasste und das Federbett herunter riss. Aber siehe, der Fleck war leer und nichts dahinter. Während der Graf am Abend vorher in Gemütsruhe unter dem Kränchen eines uralten Fasses lag, öffnete sich das Tor des Schlosses und die Gräfin mit einem Bündelchen schritt heraus. Ganz still und für sich schaute sie umher auf die nachtenden Berge, und ihr lichtbraunes Haar floss leise im Abendwind daher; sie zog zur Armee. Als sie anlangte, empfing sie der junge Graf mit großen Freuden. An seiner Seite zog sie mit zu Felde, focht neben ihm und verfolgte ihn mit den Augen, dem entgegentretend, der das Schwert gegen ihn schwang. – Am Abend saßen sie an den Wachfeuern, die müden Glieder ausgestreckt auf ihren Mänteln; da wehte der kühle Nachtwind über die lustige Schar hin und kühlte die heißen Köpfe. – Die Soldaten rauchten, sie sang, erzählte alte Weisen, und alle waren fröhlich und gut in ihrer Gegenwart. Es verglimmten nach und nach die Kohlen, der Himmel breitete seinen Nachtmantel aus mit den unzähligen Sternen. Da wusste die junge Gräfin erst, wozu sie geboren war; sie erhob sich leise und betrachtete den schlummernden Grafen und vertiefte sich in die Ruhe seiner edlen Züge und las wie in einem Buch die schönsten Lieder an den Frühling, an die aufgehende Sonne oder den Mond, je nachdem das Antlitz des Grafen oder auch ihr eignes Gemüt gestimmt war; sie schrieb dies alles mit ihrer Messerspitze in die Rinde der Bäume umher. Dann schlummerte sie ein Weilchen, während Göttinnen, man nennt sie Musen, ihrer sind Neune, voran ein schöner Musenjüngling, einen schwebenden Tanz über ihrem Haupte aufführten und allerlei Träume ihr zusendeten.
Eines Morgens zogen sie aus dem Quartier, die Trommel tönte; sie hatte die dem Tambour abgenommen und trommelte einen Marsch, zu dem sie sang von der Kriegslust. Die Soldaten hörten begeistert zu, sonderbar wirbelten die Trommeltöne wie ein Lied, aus ihrer Brust geschaffen, in den blauen Himmel empor. Da kam eilig des Weges ein Bote, der sagte, der alte Graf liege auf dem Todesbett; zwar habe er verboten sie zu rufen, aber der alte Schloßkaplan habe ihn ausgeschickt. – Schnell reichte Gräfin Bärwalda dem Grafen zum Abschied die Hand und ritt davon. Eine unnennbare Trauer erfasste sie, als sie das Schloss, auf dem selbst die alten rostigen Wetterhähne die Flügel zu hängen schienen, erblickte. Es sagte ihr alles, ihr Herr Vater lebe nicht mehr. So war es auch, das ganze Schloss war leer; alle Diener und Hausleute waren furchtsam geflohen und hatten die alten Mauern allein stehen lassen. So zog sie in ihr Erbe ein, das einzige was ihr blieb; rasch sprang sie vom Pferde und klopfte leise seinen Hals, als wolle sie sagen: „Bald reiten wir wieder davon!“ Dann warf sie ihm die Zügel auf den Bug, und es trabte mit lautem Hufschlag in den leeren Schlosshof. Der Schloßkaplan schlich in den leeren Gemächern herum, halb als wenn er sich vor ihr scheue, halb als wenn er sie bemitleide; ängstlich übergab er ihr die Schlüssel und ging eilig davon. Die Gräfin stellte sich an ein hohes Fenster und schaute hinaus auf die dunklen blauen Berge in der Ferne. Sie liebte ihr altes Erbe so, und doch war es ihr, als drücke ihr etwas schwer auf dem Herzen. Die Sonne ging unter, sie erhellte das Gemach und die braune Ledertapete mit einem leisen Schimmer. Da kam der alte Schloßkaplan herein, wich aber scheu zurück vor ihr; sie verlangte, er solle bleiben und alles sagen, was er auf dem Herzen habe. – Nach langem Zagen sagte er endlich, der Graf hätte immer zornig über sie geschwiegen; aber in der letzten Stunde habe er gesagt, es sei gesündigt, dass er nicht die Reiser vom Rutenbaum zu ihrer Erziehung gebraucht; darum habe er den Gram erleben müssen, dass sie davon und unter die Soldaten gegangen sei. Er verwünsche sie, dass sie selbst im Grabe keine Ruhe finde, bis der Rutenbaum vertrockne, und der solle nicht eher vertrocknen und mit frischer Kraft fortblühen, bis ein Mädchen aus ihrem Geschlecht so gut sei, dass es nie eine Rute verdiene. Der alte Mann hatte ausgesprochen; die junge Gräfin schwieg und schaute nach der sinkenden Sonne; ihr Glück sank mit ihr. Da tönten Schritte die öde Burgtreppe hinauf, der Bote trat ein mit einem Schreiben. Der junge Graf war in der Schlacht gefallen; sie schwieg und ging in ihr Turmzimmer, was auf die Gegend hinausschaute, von wannen der Bote gekommen war. Die alten Bücher, in denen sie studierte, lagen um sie her. So saß sie im Lehnstuhl, dem Fenster gegenüber, bis in ihr spätes Alter. Niemand traute sich in die Nähe dieses Gemachs. In den Wald ging sie noch oft, und fortgewirkt hat sie noch lange. Woher kommt es, dass jetzt jenseits der Berge blühende Wiesen und Felder liegen? Oft kam sie von den Bergen herunter geschritten, wenn die Bauern im Schweiße ihres Angesichts unten arbeiteten, mit traurigen Blicken die Stücke messend, deren widerspenstigen Boden sie glaubten nicht bearbeiten zu können. Sie lehrte ihnen diese fruchtbar machen; sie baute sogar ihnen einen eignen Pflug. Die Leute liebten und fürchteten sie. Und doch war es ihnen, wenn sie weg gegangen, als habe sie kein Wort mit ihnen gesprochen, keinen angesehen. Selbst als sie ganz alt war, kam sie an einem Stabe gebückt und schaute mit ihren wunderbaren Augen wie segnend alles an. Die Kinder hatten vor ihr keine Scheu; sie besuchte diese oft im Walde, aber wenn sie gegangen, war es ihnen wie ein schöner Traum, der wieder verschwand. Ich weiß nicht, auf welche Weise sie mag gestorben sein, aber“, sagte Müffert leise, „man will sie nachdem manchmal gesehen haben. Es ist noch kein Kind aus dem Geschlecht so gut gewesen, dass es nicht eine Rute verdient hätte. — Ich glaube gar, dass der Rutenbaum vertrocknet! Ach, was für eine kleine artige Gritta wir haben!“
„Wo weißt du denn alles her?“ fragte Gritta, deren Augen ganz groß vom vielen Erstaunen und Zuhören geworden. „Ja, Kind! Sieh, das kenne ich erst, seitdem ich Schneider geworden, und die großen Bände aus der Schloßbibliothek zum Zeug verbrauchte.“
Er schwieg ein Weilchen – dann sagte er nachdenklich: „Ich weiß eigentlich nicht, was Fräulein Bärwalda gesündigt hat; dass sie die Faulheit nicht liebte, gefällt mir, aber was den bösen Worten des Grafen Wirkung gab, war wohl, dass sie dem alten Herrn davon gelaufen war. Die Brüder des Fräuleins sahen sie nicht und hatten sie auf dem alten Schloss, ihrem Erbe, allein gelassen.“ Gritta schüttelte sich, wie ein Vögelchen seine Federn schüttelt: „Horch, mir ist, als klopfe etwas!“ Ein Windstoß fuhr durch den Schornstein hernieder, es pochte unten, und eine jugendliche Stimme schien hie und da durch den Sturm zu dringen, als suche sie ihn zu überbieten. „Ach, die Ahnfrau vom Rutenbaume!“ sagte Gritta zu Müffert, erschrocken aufschauend; es war jedoch anders. Seit einer Viertelstunde ungefähr stürzte ein strömender Regen herab, als zwei Gestalten den Weg zum Schlosse emporstiegen. Eine Mädchengestalt mit einem Schleier von feinen Spitzen. Das Gewebe hing durchnässt herab, sie lehnte sich auf die Schulter eines schlanken Knaben, dessen Atlasrock und Puffen vom Regen trieften; die Federn seines Huts hingen geknickt dem Wetter preisgegeben. „Ach, Elior“, sagte sie leise vor Frost zitternd, „es ist doch ein zu böser Weg, ich patsche im herabrieselnden Wasser. Aber siehst du, oben auf des Grafen Zimmer scheint Licht.“ Sie hatten bald nur noch eine kleine Strecke zurückzulegen, da drehte sich die Mädchengestalt um und schaute wie eine kleine Regenfee ins Tal, das voller Nebel war. „Hier will ich wohnen!“ sagte sie, dann schritten sie rüstig zu, bis zur Pforte des Schlosses. Sie klopften an, wieder und wieder, und riefen; endlich sahen sie durch eine Spalte der alten Türe Licht herabkommen. Es war Gritta. „Wer will herein?“ fragte sie. Hätte es geantwortet: „Ein Dieb!“ oder „Ein Mörder!“, sie hätte ihn auch eingelassen; denn ob man sich vor denen hüten müsse und sie weniger lieben wie andere, davon hatte sie noch keine Gedanken. – An dem „Ich will herein!“ erkannte Gritta sogleich, wer draußen war. – Eine lange Wasserstraße lief von der Schleppe, als die Gräfin mit größter Schnelle die Treppe herauf gerade in des Grafen Gemach lief, wo dieser arbeitend bei einem kleinen Lämpchen saß. Seine spitze Nase sah aus der Dunkelheit hervor. Das Licht erhellte kaum die Gräfin und ihre goldnen Locken, die triefend herabhingen, während Perle für Perle über ihr gerötetes seelenvergnügtes Antlitz rann. Als der Graf zum großen Erstaunen Müfferts, der acht Tage hinter einander seinen Augen nicht traute, zu ihren Füßen lag, lachte sie mutwillig und schüttelte sich so, dass der Regen von ihren wilden Locken, gleich einem Regenschauer den Grafen überfiel. Dann kauerte sie sich an ein kleines Feuer, das der Graf in dem großen rußigen Kamin anmachte und anblies, so gut er konnte. Endlich sagte sie: „Ich habe meinem Herrn Vormund viel zu schaffen gemacht. Jetzt holt er sich die beiden andern zur Hülfe; derweil bin ich davon gelaufen!“ Als der Graf mehr fragen wollte, wurde sie auf einmal ganz müde, Schloss die Augen und schnarchte anmutig, während der Graf vor ihr die Nacht durch auf- und abspazierte. Das lustige Leben im Schloss fing wieder an; auf des Grafen Fragen, wie sich die Gräfin los gemacht, gab sie nie Antwort, sondern lachte, war fröhlich und guter Dinge. Andern Tages kamen die kleinen Pagen mit bepackten Eseln. Da wurden über die Steinboden viele bunte Teppiche gebreitet mit herrlichen Blumen, singenden Vögeln und springenden Hasen durchwebt, schöne Polster entlang den Wänden gelegt. Zierliche goldne Konsolen aufgestellt, mit Becken zum Weihrauch. Bald war die Wirtschaft im Gange. Der schöne Page Elior war in Ermangelung einer Kammerzofe zum Friseur ernannt; er kämmte der Gräfin ihr langes Haar; blieb er zufällig in den langen goldenen geringelten tausend Fäden hängen, so hatte er, klapps! eine Ohrfeige. Alle übrigen Pagen standen auch unter den fünf Zeptern ihrer feinen zarten Hand, die oft brannte auf ihren Wangen. Alles flog herbei und zerstieb wieder nach allen Ecken auf ihren Wink, mit Sendungen etwas zu holen, zu schaffen; alles lachte, trieb toll durch einander, bis es zur Stelle war, wie sie es wollte. Nur wenn sie übler Laune war, dann war’s ein übles Ding; da hing der Pagenhimmel voll Regenwolken. – Ein Page war über den Wedel, einer über den Besen gesetzt, jeder hatte was zu fegen, zurechtzurücken, Blumen zu begießen, Staub abzufächeln. Der alte Müffert sah mit größtem Erstaunen den jungen rotbackigen Wirtschaftsführern zu, die den Mut hatten, eine Flinte loszudrücken, zogen auf die Jagd, wagten sich in die dunkeln Wälder und kamen des Abends müde voll Staub heim, luden in der Küche ihre Spatzen, nein, Hasel- oder Rebhühner ab und erzählten dem alten Müffert, der mit großen Augen drein sah, ihre Jagdabenteuer. – Die Gänge des Schlosses entlang wurden Reihen fremder Gewächse gepflegt. In goldnen Bauern hingen die Kanarienvögel dazwischen, die beim Sonnenschein aus Leibeskräften schmetterten. Das Schloss war voll Papageien, die lärmten, schrieen und riefen: „Ich will!“, – woraus man wohl sah, dass sie bei einem verzognen Kinde in der Schule gewesen. Der Graf sah allem zu, und – vergaß die Maschine. Des Abends saßen alle in seinem Saal, und die Gräfin sang und erzählte schauderliche Geschichten, dass sie eine Gänsehaut überlief vor Schauerplaisir. So schön konnte sie sein und singen, wenn sie wollte. Die kleine Gritta kroch aber immer wie sonst so früh wie die Hühner ins Bett oder Heu. Heute ging sie erst an das kleine Fenster, als sie in den Turm trat, es war zwischen beiden dicken Mauem des Türmchens eingeengt, das gleich einem Erker hinausschaute ins Tal. In einem Fensterflügel war das Bild des kleinen Johannes im blauen Kleidchen mit Hirtenstab, wie er ein Paar Lämmer hütete. Der Mond schien bunt durch und malte das stille Bild des Knaben mit den Lämmern gelb, blau und rot auf ein Gärtchen von Heideblümchen für Marienkäferchen im Loch einer fehlenden Steinplatte. Der andere Fensterflügel war geöffnet, und die Luft ganz monddurchflossen davor. Ging man näher, so konnte man herunter schauen in das zauberumnebelte Tal. Bloß die Spitzen der Tannenwälder waren zu sehen, unter dem Türmchen der dunkle Fels mit Gräben und Moos, auf denen der Tau glänzte. Gritta lehnte sich hinaus und sah ein Tautröpfchen, das blitzend kühl im Mondlicht an einem gebogenen Hälmchen über den Abgrund zitterte und herabfiel. Sie ging zurück, guckte in die Höhe nach dem Nest, das Frau Schwalbe an die Mauer geklebt und die Wand mit vielen Wandverzierungen bedeckt. – Sie zwitscherte und unterhielt sich mit ihren Jungen. – Darauf nistete sie sich ins Heu ein und schob ein kleines brokatnes Kissen, das sie noch von ihrer Mutter hatte, unters Ohr.
„Willst du?“ fragte im Schatten des Fensterkreuzes hinter dem Bettlein ganz leise eine Stimme, – „wenn du dich fürchtest, will ich gehen.“ Es lief durch das Mondlicht eine lange schmale Ratte zu Grittas Lager. Die kleine Gräfin wendete noch einmal den Kopf und schaute mit schläfrig verliebten Augen den Mond an. Und der Mond, der dachte:
„Hätt‘ ich das runde Mägdlein!“ und lachte.
Und der Mond, der dachte: „Über das runde Mägdelein
Sollte die Sonne neidisch sein!“ Und lachte.
Es raschelte im Stroh, sie drehte sich zur Seite; da fing eine feine zimperliche Stimme an: „Wir zwei Hof- und Zimmer-, Saal- und Speisekammer-Fräulein der hochgeehrten Ratzenfürstin wollen dich, kleine Gräfin, etwas fragen.“ – „Na!“ sagte Gritta, die schläfrig glaubte zu träumen.
„Unsere Fürstin ist mit sieben jungen, einen Tag alten Thronerben hier, und es ist im Schlosse kein altes Federwerk mehr, worin die zarten Kindlein wohnen könnten. Das neue wird zuviel ausgeklopft. Ob du wohl erlaubtest, dass die Fürstin in dem Brokatfederkißlein unter deinem Kopf mit ihren sieben jungen geliebten Häuptern sich einnisten könnte?“ – Gritte nickte entschlafend; denn sie meinte noch immer, dass sie träume. Kaum schnarchte sie, als ein langer Zug von Mäusen und Ratten durchs Zimmer wimmelte.
Vier Ratten zogen einen alten Holzpantoffel von Müffert, in welchem die Rattenfürstin mit goldner Krone saß. Ihre Jungen ruhten vor ihr, sie quartierte sich ein in das Federkissen unter Grittas Kopf; das war ein großer Rumor im Kissen. Frau Schwalbe guckte neugierig über den Nestrand, begann aber, da es schon etwas spät, ihren Abendsegen zu beten; sie geriet in Streit mit ihren Jungen über die zehn Gebote, die Kleinen behaupteten, es gebe nur neune. „Potz Wetter“, sagte ein alter Holzkäfer, der aus einer Ritze hervorguckte, „Ihr treibt es so, dass ordentliche Leute nicht einmal schlafen können.“ Frau Schwalbe schien sich gar nicht darum zu kümmern, bis er sagte, „Du wirst das Kind aufwecken!“ Da schwieg sie und bat eine Mücke, die sorglos in der Nähe herumflog, weil sie genug Futter von Gritta erhaltend keine Tierfresserin war, sie möge doch herabfliegen und Gritta wieder einschläfern. Der kleine Nachtmusikant flog eilig herab und lud noch drei andre ein mitzumusizieren; doch diese sangen in der Prozession mit, welche die Marienkäferchen nach einer blauen Glockenblume hielten, aus Dank, dass der Rattenzug sie nicht beschädigte. Und sie sang allein. So lebte und webte alles um Gritta, bis es später wurde; da kam die Nachtstille, und der müde Musikant ruhte auf Grittas Ohrläppchen, der Versuchung mit Macht widerstehend, von dem süßen, süßen Blut zu naschen, aus Liebe zu dem Kind.
Eines Morgens zogen sie aus dem Quartier, die Trommel tönte; sie hatte die dem Tambour abgenommen und trommelte einen Marsch, zu dem sie sang von der Kriegslust. Die Soldaten hörten begeistert zu, sonderbar wirbelten die Trommeltöne wie ein Lied, aus ihrer Brust geschaffen, in den blauen Himmel empor. Da kam eilig des Weges ein Bote, der sagte, der alte Graf liege auf dem Todesbett; zwar habe er verboten sie zu rufen, aber der alte Schloßkaplan habe ihn ausgeschickt. – Schnell reichte Gräfin Bärwalda dem Grafen zum Abschied die Hand und ritt davon. Eine unnennbare Trauer erfasste sie, als sie das Schloss, auf dem selbst die alten rostigen Wetterhähne die Flügel zu hängen schienen, erblickte. Es sagte ihr alles, ihr Herr Vater lebe nicht mehr. So war es auch, das ganze Schloss war leer; alle Diener und Hausleute waren furchtsam geflohen und hatten die alten Mauern allein stehen lassen. So zog sie in ihr Erbe ein, das einzige was ihr blieb; rasch sprang sie vom Pferde und klopfte leise seinen Hals, als wolle sie sagen: „Bald reiten wir wieder davon!“ Dann warf sie ihm die Zügel auf den Bug, und es trabte mit lautem Hufschlag in den leeren Schlosshof. Der Schloßkaplan schlich in den leeren Gemächern herum, halb als wenn er sich vor ihr scheue, halb als wenn er sie bemitleide; ängstlich übergab er ihr die Schlüssel und ging eilig davon. Die Gräfin stellte sich an ein hohes Fenster und schaute hinaus auf die dunklen blauen Berge in der Ferne. Sie liebte ihr altes Erbe so, und doch war es ihr, als drücke ihr etwas schwer auf dem Herzen. Die Sonne ging unter, sie erhellte das Gemach und die braune Ledertapete mit einem leisen Schimmer. Da kam der alte Schloßkaplan herein, wich aber scheu zurück vor ihr; sie verlangte, er solle bleiben und alles sagen, was er auf dem Herzen habe. – Nach langem Zagen sagte er endlich, der Graf hätte immer zornig über sie geschwiegen; aber in der letzten Stunde habe er gesagt, es sei gesündigt, dass er nicht die Reiser vom Rutenbaum zu ihrer Erziehung gebraucht; darum habe er den Gram erleben müssen, dass sie davon und unter die Soldaten gegangen sei. Er verwünsche sie, dass sie selbst im Grabe keine Ruhe finde, bis der Rutenbaum vertrockne, und der solle nicht eher vertrocknen und mit frischer Kraft fortblühen, bis ein Mädchen aus ihrem Geschlecht so gut sei, dass es nie eine Rute verdiene. Der alte Mann hatte ausgesprochen; die junge Gräfin schwieg und schaute nach der sinkenden Sonne; ihr Glück sank mit ihr. Da tönten Schritte die öde Burgtreppe hinauf, der Bote trat ein mit einem Schreiben. Der junge Graf war in der Schlacht gefallen; sie schwieg und ging in ihr Turmzimmer, was auf die Gegend hinausschaute, von wannen der Bote gekommen war. Die alten Bücher, in denen sie studierte, lagen um sie her. So saß sie im Lehnstuhl, dem Fenster gegenüber, bis in ihr spätes Alter. Niemand traute sich in die Nähe dieses Gemachs. In den Wald ging sie noch oft, und fortgewirkt hat sie noch lange. Woher kommt es, dass jetzt jenseits der Berge blühende Wiesen und Felder liegen? Oft kam sie von den Bergen herunter geschritten, wenn die Bauern im Schweiße ihres Angesichts unten arbeiteten, mit traurigen Blicken die Stücke messend, deren widerspenstigen Boden sie glaubten nicht bearbeiten zu können. Sie lehrte ihnen diese fruchtbar machen; sie baute sogar ihnen einen eignen Pflug. Die Leute liebten und fürchteten sie. Und doch war es ihnen, wenn sie weg gegangen, als habe sie kein Wort mit ihnen gesprochen, keinen angesehen. Selbst als sie ganz alt war, kam sie an einem Stabe gebückt und schaute mit ihren wunderbaren Augen wie segnend alles an. Die Kinder hatten vor ihr keine Scheu; sie besuchte diese oft im Walde, aber wenn sie gegangen, war es ihnen wie ein schöner Traum, der wieder verschwand. Ich weiß nicht, auf welche Weise sie mag gestorben sein, aber“, sagte Müffert leise, „man will sie nachdem manchmal gesehen haben. Es ist noch kein Kind aus dem Geschlecht so gut gewesen, dass es nicht eine Rute verdient hätte. — Ich glaube gar, dass der Rutenbaum vertrocknet! Ach, was für eine kleine artige Gritta wir haben!“
„Wo weißt du denn alles her?“ fragte Gritta, deren Augen ganz groß vom vielen Erstaunen und Zuhören geworden. „Ja, Kind! Sieh, das kenne ich erst, seitdem ich Schneider geworden, und die großen Bände aus der Schloßbibliothek zum Zeug verbrauchte.“
Er schwieg ein Weilchen – dann sagte er nachdenklich: „Ich weiß eigentlich nicht, was Fräulein Bärwalda gesündigt hat; dass sie die Faulheit nicht liebte, gefällt mir, aber was den bösen Worten des Grafen Wirkung gab, war wohl, dass sie dem alten Herrn davon gelaufen war. Die Brüder des Fräuleins sahen sie nicht und hatten sie auf dem alten Schloss, ihrem Erbe, allein gelassen.“ Gritta schüttelte sich, wie ein Vögelchen seine Federn schüttelt: „Horch, mir ist, als klopfe etwas!“ Ein Windstoß fuhr durch den Schornstein hernieder, es pochte unten, und eine jugendliche Stimme schien hie und da durch den Sturm zu dringen, als suche sie ihn zu überbieten. „Ach, die Ahnfrau vom Rutenbaume!“ sagte Gritta zu Müffert, erschrocken aufschauend; es war jedoch anders. Seit einer Viertelstunde ungefähr stürzte ein strömender Regen herab, als zwei Gestalten den Weg zum Schlosse emporstiegen. Eine Mädchengestalt mit einem Schleier von feinen Spitzen. Das Gewebe hing durchnässt herab, sie lehnte sich auf die Schulter eines schlanken Knaben, dessen Atlasrock und Puffen vom Regen trieften; die Federn seines Huts hingen geknickt dem Wetter preisgegeben. „Ach, Elior“, sagte sie leise vor Frost zitternd, „es ist doch ein zu böser Weg, ich patsche im herabrieselnden Wasser. Aber siehst du, oben auf des Grafen Zimmer scheint Licht.“ Sie hatten bald nur noch eine kleine Strecke zurückzulegen, da drehte sich die Mädchengestalt um und schaute wie eine kleine Regenfee ins Tal, das voller Nebel war. „Hier will ich wohnen!“ sagte sie, dann schritten sie rüstig zu, bis zur Pforte des Schlosses. Sie klopften an, wieder und wieder, und riefen; endlich sahen sie durch eine Spalte der alten Türe Licht herabkommen. Es war Gritta. „Wer will herein?“ fragte sie. Hätte es geantwortet: „Ein Dieb!“ oder „Ein Mörder!“, sie hätte ihn auch eingelassen; denn ob man sich vor denen hüten müsse und sie weniger lieben wie andere, davon hatte sie noch keine Gedanken. – An dem „Ich will herein!“ erkannte Gritta sogleich, wer draußen war. – Eine lange Wasserstraße lief von der Schleppe, als die Gräfin mit größter Schnelle die Treppe herauf gerade in des Grafen Gemach lief, wo dieser arbeitend bei einem kleinen Lämpchen saß. Seine spitze Nase sah aus der Dunkelheit hervor. Das Licht erhellte kaum die Gräfin und ihre goldnen Locken, die triefend herabhingen, während Perle für Perle über ihr gerötetes seelenvergnügtes Antlitz rann. Als der Graf zum großen Erstaunen Müfferts, der acht Tage hinter einander seinen Augen nicht traute, zu ihren Füßen lag, lachte sie mutwillig und schüttelte sich so, dass der Regen von ihren wilden Locken, gleich einem Regenschauer den Grafen überfiel. Dann kauerte sie sich an ein kleines Feuer, das der Graf in dem großen rußigen Kamin anmachte und anblies, so gut er konnte. Endlich sagte sie: „Ich habe meinem Herrn Vormund viel zu schaffen gemacht. Jetzt holt er sich die beiden andern zur Hülfe; derweil bin ich davon gelaufen!“ Als der Graf mehr fragen wollte, wurde sie auf einmal ganz müde, Schloss die Augen und schnarchte anmutig, während der Graf vor ihr die Nacht durch auf- und abspazierte. Das lustige Leben im Schloss fing wieder an; auf des Grafen Fragen, wie sich die Gräfin los gemacht, gab sie nie Antwort, sondern lachte, war fröhlich und guter Dinge. Andern Tages kamen die kleinen Pagen mit bepackten Eseln. Da wurden über die Steinboden viele bunte Teppiche gebreitet mit herrlichen Blumen, singenden Vögeln und springenden Hasen durchwebt, schöne Polster entlang den Wänden gelegt. Zierliche goldne Konsolen aufgestellt, mit Becken zum Weihrauch. Bald war die Wirtschaft im Gange. Der schöne Page Elior war in Ermangelung einer Kammerzofe zum Friseur ernannt; er kämmte der Gräfin ihr langes Haar; blieb er zufällig in den langen goldenen geringelten tausend Fäden hängen, so hatte er, klapps! eine Ohrfeige. Alle übrigen Pagen standen auch unter den fünf Zeptern ihrer feinen zarten Hand, die oft brannte auf ihren Wangen. Alles flog herbei und zerstieb wieder nach allen Ecken auf ihren Wink, mit Sendungen etwas zu holen, zu schaffen; alles lachte, trieb toll durch einander, bis es zur Stelle war, wie sie es wollte. Nur wenn sie übler Laune war, dann war’s ein übles Ding; da hing der Pagenhimmel voll Regenwolken. – Ein Page war über den Wedel, einer über den Besen gesetzt, jeder hatte was zu fegen, zurechtzurücken, Blumen zu begießen, Staub abzufächeln. Der alte Müffert sah mit größtem Erstaunen den jungen rotbackigen Wirtschaftsführern zu, die den Mut hatten, eine Flinte loszudrücken, zogen auf die Jagd, wagten sich in die dunkeln Wälder und kamen des Abends müde voll Staub heim, luden in der Küche ihre Spatzen, nein, Hasel- oder Rebhühner ab und erzählten dem alten Müffert, der mit großen Augen drein sah, ihre Jagdabenteuer. – Die Gänge des Schlosses entlang wurden Reihen fremder Gewächse gepflegt. In goldnen Bauern hingen die Kanarienvögel dazwischen, die beim Sonnenschein aus Leibeskräften schmetterten. Das Schloss war voll Papageien, die lärmten, schrieen und riefen: „Ich will!“, – woraus man wohl sah, dass sie bei einem verzognen Kinde in der Schule gewesen. Der Graf sah allem zu, und – vergaß die Maschine. Des Abends saßen alle in seinem Saal, und die Gräfin sang und erzählte schauderliche Geschichten, dass sie eine Gänsehaut überlief vor Schauerplaisir. So schön konnte sie sein und singen, wenn sie wollte. Die kleine Gritta kroch aber immer wie sonst so früh wie die Hühner ins Bett oder Heu. Heute ging sie erst an das kleine Fenster, als sie in den Turm trat, es war zwischen beiden dicken Mauem des Türmchens eingeengt, das gleich einem Erker hinausschaute ins Tal. In einem Fensterflügel war das Bild des kleinen Johannes im blauen Kleidchen mit Hirtenstab, wie er ein Paar Lämmer hütete. Der Mond schien bunt durch und malte das stille Bild des Knaben mit den Lämmern gelb, blau und rot auf ein Gärtchen von Heideblümchen für Marienkäferchen im Loch einer fehlenden Steinplatte. Der andere Fensterflügel war geöffnet, und die Luft ganz monddurchflossen davor. Ging man näher, so konnte man herunter schauen in das zauberumnebelte Tal. Bloß die Spitzen der Tannenwälder waren zu sehen, unter dem Türmchen der dunkle Fels mit Gräben und Moos, auf denen der Tau glänzte. Gritta lehnte sich hinaus und sah ein Tautröpfchen, das blitzend kühl im Mondlicht an einem gebogenen Hälmchen über den Abgrund zitterte und herabfiel. Sie ging zurück, guckte in die Höhe nach dem Nest, das Frau Schwalbe an die Mauer geklebt und die Wand mit vielen Wandverzierungen bedeckt. – Sie zwitscherte und unterhielt sich mit ihren Jungen. – Darauf nistete sie sich ins Heu ein und schob ein kleines brokatnes Kissen, das sie noch von ihrer Mutter hatte, unters Ohr.
„Willst du?“ fragte im Schatten des Fensterkreuzes hinter dem Bettlein ganz leise eine Stimme, – „wenn du dich fürchtest, will ich gehen.“ Es lief durch das Mondlicht eine lange schmale Ratte zu Grittas Lager. Die kleine Gräfin wendete noch einmal den Kopf und schaute mit schläfrig verliebten Augen den Mond an. Und der Mond, der dachte:
„Hätt‘ ich das runde Mägdlein!“ und lachte.
Und der Mond, der dachte: „Über das runde Mägdelein
Sollte die Sonne neidisch sein!“ Und lachte.
Es raschelte im Stroh, sie drehte sich zur Seite; da fing eine feine zimperliche Stimme an: „Wir zwei Hof- und Zimmer-, Saal- und Speisekammer-Fräulein der hochgeehrten Ratzenfürstin wollen dich, kleine Gräfin, etwas fragen.“ – „Na!“ sagte Gritta, die schläfrig glaubte zu träumen.
„Unsere Fürstin ist mit sieben jungen, einen Tag alten Thronerben hier, und es ist im Schlosse kein altes Federwerk mehr, worin die zarten Kindlein wohnen könnten. Das neue wird zuviel ausgeklopft. Ob du wohl erlaubtest, dass die Fürstin in dem Brokatfederkißlein unter deinem Kopf mit ihren sieben jungen geliebten Häuptern sich einnisten könnte?“ – Gritte nickte entschlafend; denn sie meinte noch immer, dass sie träume. Kaum schnarchte sie, als ein langer Zug von Mäusen und Ratten durchs Zimmer wimmelte.
Vier Ratten zogen einen alten Holzpantoffel von Müffert, in welchem die Rattenfürstin mit goldner Krone saß. Ihre Jungen ruhten vor ihr, sie quartierte sich ein in das Federkissen unter Grittas Kopf; das war ein großer Rumor im Kissen. Frau Schwalbe guckte neugierig über den Nestrand, begann aber, da es schon etwas spät, ihren Abendsegen zu beten; sie geriet in Streit mit ihren Jungen über die zehn Gebote, die Kleinen behaupteten, es gebe nur neune. „Potz Wetter“, sagte ein alter Holzkäfer, der aus einer Ritze hervorguckte, „Ihr treibt es so, dass ordentliche Leute nicht einmal schlafen können.“ Frau Schwalbe schien sich gar nicht darum zu kümmern, bis er sagte, „Du wirst das Kind aufwecken!“ Da schwieg sie und bat eine Mücke, die sorglos in der Nähe herumflog, weil sie genug Futter von Gritta erhaltend keine Tierfresserin war, sie möge doch herabfliegen und Gritta wieder einschläfern. Der kleine Nachtmusikant flog eilig herab und lud noch drei andre ein mitzumusizieren; doch diese sangen in der Prozession mit, welche die Marienkäferchen nach einer blauen Glockenblume hielten, aus Dank, dass der Rattenzug sie nicht beschädigte. Und sie sang allein. So lebte und webte alles um Gritta, bis es später wurde; da kam die Nachtstille, und der müde Musikant ruhte auf Grittas Ohrläppchen, der Versuchung mit Macht widerstehend, von dem süßen, süßen Blut zu naschen, aus Liebe zu dem Kind.